Carl May
Scepter und Hammer
Carl May

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Vierzehntes Kapitel.
Der schwarze Kapitän.

Nach den zuletzt erzählten Ereignissen waren zehn Jahre vergangen. Es war im März, dem heißesten Monat Egyptens. Die Sonne brannte glühend hernieder; der Sand der Wüste vermochte ihre Strahlen nicht mehr aufzunehmen; er warf sie wieder von sich, so daß sie sich wie ein wallendes Gluthmeer über die Ebene lagerten und dem nach einem grünen Punkte sich sehnenden Auge Schmerzen verursachten.

Eine kleine Karawane zog durch die Wüste. Voran ritten zwei Männer zu Pferde. Der eine war alt, sein Bart hatte das Grau des Silbers angenommen; dennoch aber machte er noch den Eindruck der Kraft und Ausdauer, welche zu einem Wüstenritte unbedingt erforderlich sind. der andere war bedeutend jünger. Seine Gestalt überragte die des ersten um Kopfeslänge.

Hinter ihnen kam ein kostbar aufgezäumtes Kameel mit einem Tachterwahn (Frauenkorb), in welchem eine verschleierte Frau saß, die ein ungefähr zweijähriges Mädchen in den Armen hielt, dessen kindliche Züge auf die Schönheit der Mutter schließen ließen.

Dann folgte eine Diener, welcher mehrere Lastkameele leitete, und den Zug beschlossen einige bewaffnete Männer, denen man es ansah, daß sie ihre krummen Säbel und langrohrigen Büchsen wohl zu gebrauchen wußten. Die beiden Anführer unterhielten ein lebhaftes Gespräch.

»Weißt Du gewiß, daß wir uns in der rechten Richtung befinden, Katombo?« frug der Ältere.

»Ja, Vater,« antwortete der Gefragte. »Ich weiß es ganz genau, daß wir am Abende, also in ungefähr drei Stunden, die Uah (Oase) erreichen werden.«

»Dann Gott sei Dank! Wir fürchten uns natürlich vor einer solchen Reise nicht; aber Ayescha und das Kind besitzen unsere Kräfte nicht und bedürfen es sehr, daß der Ritt zu Ende geht. Was wird Omar-Bathu sagen!«

»Und Sobeïde! Sie haben keine Ahnung, daß wir kommen, und ihre Überraschung wird ebenso groß sein wie die Freude, welche unser Besuch erregen wird.«

»Zehn Jahre! Es ist eine lange, lange Zeit, daß wir sie nicht gesehen haben; für Dich war sie glücklich, für Omar nicht. Du wurdest Kapudan Pascha (Oberadmiral), und er wurde zum Tode verurtheilt, weil es ruchbar wurde, daß er der Tödtung des Mudellir von Assuan und unserer Flucht nicht fern gestanden hatte. Es gelang ihm zu entkommen, und nun muß er als ein Geächteter und Verfolgter in der Wüste leben, die ganz allein ihm Sicherheit gewährt.«

»Das ist schlimm; doch ist sein Unglück nicht so groß, als wie es scheint. Er und Sobeïde lieben sich, und seine Mameluken sind ihm treu ergeben. Ich werde all meinen Einfluß aufbieten um zu erlangen, daß ihm der Khedive die Erlaubniß gibt zurückzukehren.«

»Wird Dein Einfluß so weit reichen? Der Vizekönig ist beinahe selbstständiger Herrscher seines Landes, in Mesr (Egypten) gilt der Wille des Sultans jetzt so viel wie nichts, und außerdem mußt Du bedenken, daß Du in den Augen des Vizekönigs ja selbst der Strafbare bist.«

»Es kommt darauf an, ob man in Nurwan-Pascha den Katombo erkennt, welcher den Mudellir überlistete und besiegte. Doch halt! Was sind das für Punkte?«

Er deutete mit der Hand vorwärts, wo am Horizonte einige weiße Punkte erschienen, welche sich näherten. Die Karawane hielt an, und die Männer griffen zu den Waffen.

»Sind es Feinde?« frug mit ängstlicher Stimme die Verschleierte.

»Das kann man nicht wissen, Ayescha,« antwortete Katombo. »Jeder Wüstenbewohner ist mehr oder weniger ein Räuber oder Dieb.«

»Es sind ihrer viele,« meinte Manu-Remusat. »Kannst Du sie zählen, Katombo?«

Dieser hielt die Hand über die Augen, um von der Sonne weniger geblendet zu werden.

»Fünf – zehn – zwölf – fünfzehn – zwanzig! Wenn es Feinde sind, so sind sie uns an Zahl überlegen.«

»Dennoch werden wir uns wehren!«

Die Reiter kamen näher. Ihre weißen Haïks (Burnus mit Kaputze) schimmerten im Lichte der Sonne. Sie hatten die Reisenden bemerkt und hielten in einer breiten Front auf sie zu, deren Flügel sich nach und nach verschoben, so daß die Karawane umzingelt wurde.

Ayescha zitterte vor Angst und drückte ihr Töchterchen fest an sich. »Kämpft nicht, sondern ergebt Euch lieber,« bat sie.

»Beruhige Dich,« sprach Katombo; »wir haben nichts zu fürchten. Ich kenne einen von ihnen. Er war mit Omar-Bathu, als dieser Sobeïde holte.«

Die Reiter schwangen drohend ihre Lanzen und Flinten, und als der Kreis um die kleine Karawane geschlossen war, frug der Anführer:

»Wer seid Ihr?«

»Wir sind Reisende, die eine Uah suchen, und wünschen Frieden mit Euch.«

»Wo kommt Ihr her?«

»Aus Mesr.«

»Und wo wollt Ihr hin?«

»Du fragst, als ob Du ein Khawasse seist. Wer hat Dich zum Herrn der Wüste gemacht?«

»Ein Khawasse? Ich bin kein Sklave, sondern ein freier Mann. Ein Uëlad Arab ist kein Polizist.«

»So verfolge Deinen Weg ebenso wie wir den unsrigen.«

»Unser Weg ist der Eurige. Ihr kommt aus Mesr; das ist nicht gut für Euch, denn ich muß Euch zu unserem Scheik bringen.«

»Wie lautet der Name desselben?«

»Du wirst ihn vielleicht erfahren!«

»Ich weiß ihn bereits. Dein Herr ist Omar-Bathu, den wir suchen.«

»Du kennst ihn? Wer hat ihn Dir genannt?«

»Wir sind Freunde von ihm. Führe uns!«

»Bist Du sein Freund, so sorge Dich nicht; seid Ihr aber Feinde von ihm, so seid Ihr verloren. Kommt!«

Der Zug setzte sich in Bewegung.

Sie mochten wohl eine Stunde geritten sein, als am fernen Horizont ein Reiter auftauchte, welcher ein sehr gutes Hedjihn reiten mußte, denn der Lauf des Thieres war so schnell, daß er schon nach fünf Minuten auf Hörweite herangekommen war. Es war ein noch junger Mann, der ein ganzes Arsenal von Waffen an sich hängen hatte. Er schien sich vor der Truppe nicht im Geringsten zu fürchten, sondern kam getrost herbei und hielt sein Hedjihn erst dann an, als er die Beduinen erreicht hatte.

»Sallam aaleïkum!« grüßte er, die Hand nach de Stirn erhebend.

»Sallam aal'!« antwortete der Anführer kurz. Er mußte den Gruß erwidern, sprach ihn aber nicht vollständig aus, ein Zeichen, daß er sich erst entscheiden wolle, ob er dem Fremden freundlich begegnen werde. »Wo kommst Du her?«

»Aus Bildah.«

»Das ist sehr weit. Und wo willst Du hin?«

»Nach Hefr.«

»Auch das ist weit. Zu welchem Duar gehörst Du?«

»Ich bin ein Sohn des Beni Soliman und heiße Mehem al Olahad.«

»Die Beni Soliman sind friedfertige Hirten, Du aber trägst der Waffen sehr viele bei Dir!«

»Weißt Du nicht, daß die Gum (Raubkarawane) in der Wüste wohnt und der "Herr mit dem dicken Kopfe" des Nachts seine Stimme erhebt? Auch Du hast Waffen, aber dennoch habe ich Dich als Freund begrüßt.«

»Soll ich Dein Freund sein so folge uns. Du wirst in unserer Uah Wasser und Speise finden für Dich und Dein Thier.«

»Wie heißt der Schech Deines Lagers?«

»Er wird Dir seinen Namen selbst sagen. Komm!«

Der Fremde schloß sich an.

Die Sonne senkte sich immer mehr zum Horizonte nieder, und es war nicht mehr weit bis zu der in jenen Gegenden so kurzen Dämmerung, als in der Ferne grüne Palmenwedel auftauchten, und bald wurde ein Wadi erreicht, welches in Folge eines rieselnden Quelles eine außerordentliche Fruchtbarkeit zeigte.

Unter den schlanken Palmen, welche voll schwerer Datteltrauben hingen, standen wohl an sechzig Zelte, deren größtes gerade auf dem Mittelpunkte der Oase errichtet war. Vor demselben stand der Herr des Lagers – Omar-Bathu der Mamelukenfürst.

Die zehn Jahre der Ächtung und Verbannung hatten keinen ungünstigen Eindruck auf sein Äußeres gemacht. Sein Gesicht war tief gebräunt, seine Gestalt stärker, voller und kräftiger geworden. Er blickte hinaus nach Osten, von woher sich der Zug nahte. Da öffnete sich der Vorhang des Zeltes, und Sobeïde trat heraus. Sie hatte die Sitte der Beduinenweiber angenommen und war unverschleiert. Auch auf sie hatte die Zeit keinen ungünstigen Einfluß geäußert. Sie schien gar nicht gealtert zu haben und war vielmehr noch schöner als vorher geworden.

»Magst Du nicht hereinkommen, Lieber? Das Mahl ist bereitet.«

»Ich möchte, aber dort nahen unsere Leute, welche eine Anzahl Fremder bringen.«

»Wer mag es sein? Gefangene Feinde?«

»Ich weiß es nicht. Schau, es muß ein Weib dabei sein, denn das eine Djemmel (Kameel) trägt einen Tachterwahn.«

Die Nahenden kamen schnell herbei, getragen von ihren Thieren, welche die Nähe des Wassers witterten. Omar-Bathu's Gesicht nahm immer mehr den Ausdruck der Spannung an, aber das Auge der Liebe sieht scharf. Sobeïde stieß plötzlich einen Schrei aus.

»Mein Vater!«

Die Arme ausbreitend, eilte sie ihm entgegen. Remusat sprang vom Pferde und zog sie an sich.

»Mein Kind, meine Tochter!«

Er küßte sie mit väterlicher Zärtlichkeit und begrüßte dann Omar, welcher mittlerweile Katombo die Hand geboten hatte. Der Letztere ließ das Kameel, welches den Tachterwahn trug, niederknien. Ayescha stieg aus. Jetzt verdoppelte sich der Jubel. Das ganze Lager gerieth in freudige Aufregung über den Besuch, welchen der Scheich erhalten hatte, und dem Beduinen vom Stamme Beni Soliman kam diese Freude zu gute, denn man nahm sich keine Zeit, weiter nach seinen Verhältnissen zu forschen, er durfte als Gast in der Oase bleiben.

Am Abende saßen die seit langer Zeit wieder einmal Vereinten unter den Palmen und erzählten sich gegenseitig ihre Erlebnisse. Auch Sobeïde hatte ihrem Manne ein Töchterchen geschenkt, welches bereits neun Jahre zählte und also sieben Jahre älter war als die Tochter Katombos.

Die beiden so weit auseinander gerissenen Familien hatten nur äußerst selten von einander Kunde erhalten können, da der Aufenthalt Omar-Bathus sehr oft wechselte und auch stets verborgen bleiben mußte. Desto ausführlicher wurde jetzt Alles behandelt.

Vom Wasser her erscholl der Ton der Rababa, zu welchem sich einige Mädchen im Tanze drehten. Alle Männer waren dort versammelt, und darum hatte auch Ayescha den Schleier zurückgeschlagen, so daß ihr schönes Angesicht im Strahle des Mondes und der Sterne zu erkennen war.

Und doch wurde sie von einem unberufenen Auge beobachtet. Der fremde Beduine hatte sich hinter den Stamm einer nahen Palme geschlichen und beobachtete die Gruppe mit der größten Aufmerksamkeit. Auch von dem Gespräche vernahm er den größten Theil und zog sich erst dann zurück, als er bemerkte, daß man sich anschickte, sich zur Ruhe zu begeben.

In kurzer Zeit lag die Oase in tiefster Ruhe. Auch die Wüste schwieg, und nur zuweilen erscholl von weitem das bellende »J-a-u« des Schakals oder das tiefe »Om-mu« der Hyäne.

Da erhob sich der Beduine von der Decke, auf welcher er gelegen hatte, und schlich sich zwischen zwei Zelten hindurch, um in das Freie zu gelangen. Er kam unbemerkt hinaus und eilte dann in der Richtung fort, aus welcher er am Tage gekommen war. Nach einer Viertelstunde ungefähr blieb er stehen und stieß den Schrei des Geiers aus, welcher sofort beantwortet wurde. Er ging dem Tone nach und stand bald vor einem Manne, welcher sich von der Erde aufgerichtet hatte.

»Nun, Selim, ist es das richtige Duar (Zeltdorf) des Mameluken?«

»Ja, Sihdi.«

»Endlich, endlich habe ich ihn und werde den Preis verdienen, den der Khedive auf seinen Kopf gesetzt hat! Ist er daheim?«

»Ja! ich habe ihn gesehen und mit ihm geredet.«

»Wir sind Deiner Spur gefolgt, sie stieß mit vielen andern zusammen. Wen hast Du getroffen?«

»Die Männer des Mameluken und eine kleine Kaffila (Kleine Karawane), welche zu ihm wollte.«

»Wer war es?«

»Es waren zwei Männer, ein Weib und ein Kind. Die Männer wurden von ihm Katombo und Remusat genannt, und das Weib war die Schwester seines Weibes.«

»Remusat? Das ist Manu-Remusat, der Schech el Reïsahn und der Reïs Katombo, welche vor zehn Jahren den Mudellir Hamd-el-Arek ermordeten und dann flohen! Hamdullillah, Preis sei Gott; ich habe sie Alle beisammen, die ich gesucht habe, und werde sie entweder gefangen nehmen oder tödten. Beschreibe mir die Uah!«

Selim, der also einen ganz anderen Namen trug, als er angegeben hatte, kam diesem Befehle nach.

»Wie viele streitbare Männer sind vorhanden?«

»Vielleicht siebenzig.«

»Dann sind wir ihnen überlegen, auch abgesehen davon, daß sie schlafen und todt sein werden, ehe sie sich wehren können. Kehre jetzt zurück und wache, bis ich mit den Janitscharen komme. Der Schrei des Adler ist mein Zeichen, und wenn Alles in Ordnung ist, so antwortest Du mit dem Tone, den der Bülbül (Nachtigall) ausstößt wenn er träumt.«

»Ich gehorche, Sihdi! Aber ist es nothwendig, daß ich allein zurückkehre?«

»Fürchtest Du Dich? Du mußt schnell zurück, denn wenn man Deine Abwesenheit bemerkt ehe wir kommen, so kann unser Plan verrathen sein.«

Selim wandte sich und kehrte nach dem Duar zurück. Sein Verschwinden schien gar nicht bemerkt worden zu sein, aber als er dahin gelangte, wo neben seinem Kameele seine Decke lag, erhob sich neben dem Thiere die hohe Gestalt Katombos.

»Wo warest Du?« frug er ihn.

»Ich ging, die Hyänen zu vertreiben, deren Stimmen mich im Schlafe störten.«

»Ich hörte die Hyänen dort zur Rechten; Du aber kamst von der Linken. Du redest nicht die Wahrheit!«

»Mein Mund spricht keine Lüge!«

»Er spricht sie! Wo hast Du die Pistolen her, welche hier in Deinem Gürtel stecken?«

»Glaubst Du, sie sind gestohlen oder geraubt? Ich habe sie gekauft.«

»Wo?«

»In – in Siut.«

»In Siut? Ah! Bei wem?«

»Bei dem Waffenhändler Omrah-el-Barat.«

»Du bist sehr klug, aber Du weißt nicht, daß ich aus Siut bin und sehr wohl weiß, daß es dort keinen Waffenhändler gibt, welcher diesen Namen trägt. Deine Pistolen, welche ich heut genau betrachtete, haben das Zeichen des Khedive, Du bist ein Arnaut oder ein Janitschar.«

»Ich bin ein Beni Soliman!«

»Und heißest Mehem al Olahad? In Mesr sagt man Olahad, bei den Beni Soliman aber Ulahad. Du verräthst Dich selbst und wirst die Wahrheit bekennen, sonst bist Du verloren!«

»Ich kann nicht mehr sagen, als was ich bereits gesprochen habe.«

»So bist Du mein Gefangener!«

Er faßte nach dem Manne.

»Noch nicht!« antwortete dieser.

Er bückte sich, schnellte unter dem Arme Katombos hinweg und riß den Dolch aus der Scheide. Er zückte denselben zum Stoße, Katombo aber kam ihm zuvor und faßte den Arm.

»Mörder! Jetzt kostet es Dich das Leben!«

Er hielt ihn fest. Ein lauter Ruf machte alle Schläfer munter. Die Söhne der Wüste sind an Gefahren gewöhnt, und es gibt für sie keinen Schreck, die ihre Glieder lähmen, oder ihnen die Besinnung rauben könnte.

»Herbei, Ihr Männer! Dieser Fremde ist ein Verräther, der mich tödten wollte, weil ich ihn durchschaute.«


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