Carl May
Scepter und Hammer
Carl May

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Er ging in die Stube zur Mutter. Baldrian und Heinrich arbeiteten mit den Lehrjungen fort. Nach kaum zwei Minuten kam Thomas aus seiner Kammer herab.

»Freue mich wie ein Schneekönig auf dieses neue Apenteuer. Euch aper, Ihr Lehrpupen, sage ich, daß Ihr Euch wacker haltet und den Schnapel nicht aufthut, pis Ihr die Erlaubniß pekommt zu reden. Adio!«

Er stieg mit großen Schritten die Straße hinab zu seiner Barbara, die er aber nicht zu sehen bekam, weil er gar nicht eintrat, sondern das Sattelpferd wieder einsträngte, auf den Bock stieg und zur Schmiede zurückkehrte. Max trat heraus und stieg ein.

»Wohin?« frug Thomas.

»Kriegsminister.«

»Hm!« machte der Geselle.

Es mochte ihm doch etwas zu ungewöhnlich erscheinen, einen Kriegsminister in die Eisenkammer zu stecken. Er zog an, und der Wagen setzte sich in Bewegung. Kurze Zeit nachher hielt er vor dem Hotel des Ministers, von dem Max wußte, daß er jetzt nicht im Ministerium beschäftigt, sondern zu Hause anzutreffen sei. Er ließ sich melden und wurde vorgelassen. Der hohe Beamte wußte wie Jedermann, daß der König mit der Familie Brandauer in engem Verkehre stehe, und vermuthete in Folge dessen, daß die Anwesenheit des Schmiedesohnes mit einer nicht unwichtigen Angelegenheit in Verbindung stehe. Daher seine Bereitschaft ihn zu empfangen.

Als Max eintrat befand er sich ganz allein in seinem Gemache.

»Sie sind der Herr Doktor Brandauer?«

»Aufzuwarten, Excellenz.«

»Was bringen oder was wünschen Sie?«

»Ich komme als Beauftragter Sr. Majestät.«

»Ah!«

»Excellenz wissen vielleicht, daß Seine Majestät sich beinahe täglich in unserer Behausung befinden –«

»Allerdings.«

»Majestät wünschen Sie gegenwärtig bei uns zu sehen.«

»Bei Ihnen? Jetzt?«

»Ja.«

»In welcher Angelegenheit?«

»Ob diese Angelegenheit den Kavalleriebeschlag oder Ähnliches betrifft, weiß ich nicht. Mir wurde nur bedeutet, zu Ihnen zu fahren, um Sie zu einer augenblicklichen Konferenz einzuladen.«

»Mich allein?«

»Es werden noch einige sehr hoch gestellte Herren gegenwärtig sein.«

»Sonderbar. Eine Konferenz in der Schmiede! Dürfen Andere davon wissen?«

»Majestät hat mich beauftragt, Ihnen die tiefste Verschwiegenheit zu empfehlen.«

»Sie haben selbst einen Wagen?«

»Ja; er steht Excellenz zu Diensten.«

»Ich komme sofort. Warten Sie hier!«

Der Minister trat in das Nebengemach und kehrte bald in einem wenig auffälligen Anzuge zurück. Er folgte Max nach dem Wagen, und nachdem Beide denselben bestiegen hatten, fuhr Thomas im Trabe nach der Schmiede. Vor derselben angekommen, stieg er ab und öffnete den Schlag; dann trat er hinter Max und dem Minister in das Haus.

»Wo befinden sich Majestät?« frug der letztere.

»Er wird pald kommen,« antwortete Thomas. »Warten Sie nur noch ein Pischen!«

Bei diesen Worten faßte er den Minister von hinten. Max griff mit den Gesellen ebenfalls zu; die Lehrjungen brachten die Stricke herbei, und ehe der Gefangene nur zum rechten Bewußtsein seiner so unerwarteten Lage gekommen war, lag er gebunden und geknebelt in der Eisenkammer, deren schwere Thür sich hinter ihm schloß.

Auf diese Weise währte es kaum eine Stunde, so hatte Max die in der Residenz wohnenden und auf der Liste angegebenen Verschworenen beisammen, ausgenommen den Hofprediger, zu dem er sich auch noch begab. Eben stieg er aus dem Wagen, als er seinen Vater daherkommen sah. Dieser beschleunigte seine Schritte und frug, als er mit ihm in den Flur trat:

»Wie weit bist Du?«

»Fertig, bis auf diesen Einen. Die Depeschen sind besorgt und die Männer gefangen. Und Du?«

»Ich habe bisher vergebens auf den König gewartet. Er wollte Prinz Raumburg gefangen nehmen; es wird ihm doch nicht ein Unglück passirt sein? Es ließ mir keine Ruhe; ich mußte Wallroth und Dich suchen.«

»Wenn er noch nicht da ist, muß allerdings irgend eine Störung oder etwas Ähnliches zu Grunde liegen, und –«

Er wurde durch den Eintritt eines Mannes unterbrochen, welcher schnell an ihnen vorüber wollte. Er trug Raumburgische Livree.

»Wo wollen Sie hin?« frug Max.

Der Mann besah sich den Frager, und da derselbe anständige Kleidung trug, würdigte er ihn einer Antwort:

»Zum Herrn Hofprediger.«

»Was wünschen Sie bei demselben?«

»Gehören Sie zu ihm?«

»Ich habe Alles Eingehende zu empfangen.«

»Hier ist ein Billet abzugeben.«

»Müssen Sie es eigenhändig überreichen?«

»Das ist mir nicht ausdrücklich anbefohlen.«

»Von wem ist es?«

»Von Seiner Durchlaucht, General von Raumburg.«

»Ah; kommen Sie mit.«

Sie nahmen den Diener mit in das Zimmer, in welchem sich der Major befand.

»Ein Billet des Prinzen Raumburg an den Hofprediger,« meldete Max an Wallroth. »Ich werde es erbrechen.«

Er las es und reichte es dann dem Major und dem Vater entgegen. Es enthielt folgende Zeilen:

»Wir sind verrathen, doch ist noch nichts verloren. Zwar hat der König auf unbegreifliche Weise Alles erfahren, aber ich halte ihn in unserem Palais gefangen, eile jetzt zur Prinzessin, um deren Person in Sicherheit zu bringen, und verlasse die Stadt. Lassen Sie gegen Abend Ihre Leute los. Um Mitternacht werden die Süderländer die Grenze überschreiten, wie ich telegraphisch befohlen habe. Und meine weiteren Depeschen werden bis morgen den Aufstand über das ganze Land verbreiten. R.«

Max wandte sich an den Diener:

»Sie hatten mehrere Karten abzugeben?«

»Ja.«

»An wen?«

»Sie sehen ein, daß ich dies verschweigen muß. Ich bin Diener. Warum lasen Sie dieses Billet, ehe es in die Hände des Herrn Hofpredigers gekommen ist?«

»Meine Anstellung gibt mir das Recht dazu. Sie hatten auch ein Billet an den Herrn Kriegsminister?«

»Allerdings.«

Max nannte auch die Namen der Übrigen her, welche er gefangen genommen hatte, und erhielt dieselbe Antwort.

»Welche haben Sie bereits abgegeben?«

»Erst das Ihrige. Ich habe meinen Gang erst begonnen.«

»Der Herr General befindet sich bei der Prinzessin von Süderland?«

»Er fuhr soeben zu ihr.«

»Sie haben also die andern Billets noch bei sich?«

»Ja.«

»Zeigen Sie her! Ich werde sie selbst besorgen.«

»Darf ich dies?«

»Sie dürfen. Hier haben Sie.«

Er griff in die Tasche und reichte dem Lakaien ein Geldstück hin, gegen welches dieser die Billets aushändigte. Er war froh, des weiteren Weges überhoben zu sein, und entfernte sich.

»Also gefangen!« rief jetzt der Schmied. »Wie bringen wir ihn los?«

»Er steckt vielleicht in dem Gange,« meinte Max.

»Unmöglich. Er würde unbedingt das Fenster finden.«

»Wenn sich nicht eine Vorrichtung da befindet, durch welche dieser Weg versperrt wird.«

»Wir müssen hin.«

»Nicht sofort. Sein Leben scheint mir nicht bedroht. Die Hauptsache ist, daß wir den Prinzen in unsere Hand bekommen, damit er nicht noch größeres Unheil anstiftet. Major, Du bleibst hier. Du, Vater eilst zur Schmiede, um die Gefangenen zu bewachen und – – –«

»Welche Gefangenen?«

»Den Kriegsminister und so weiter. Ich habe sie in der Eisenkammer untergebracht, weil auf diese Weise Alles geheim abgemacht werden konnte. Schicke sofort alle drei Gesellen nach dem Palais der Prinzessin, vor welchem ich mit ihnen zusammenkommen werde. Aber schnell!«

Der Schmied eilte nach Hause, und Max begab sich nach dem Flusse, an welchen der Garten des Palais stieß. Er rekognoscirte zunächst die Vorderfronte des Hauses und bemerkte den herzoglichen Wagen vor dem Portale; der Prinz mußte also noch anwesend sein. Dann schritt er um das Gebäude herum und längs der Gartenmauer hin.

Diese bestand aus durchbrochener Ziegelarbeit, welche von Zeit zu Zeit von hohen Eisengittern unterbrochen war. Man konnte also von außen in den Garten sehen, doch war die Freiheit des Blickes sehr durch viele und dichte Baumgruppen beeinträchtigt. Er hatte keine Hoffnung, etwas auf sein Vorhaben Bezügliches zu bemerken, da aber vernahm er hinter der Mauer eines Gartenhäuschens eine Stimme, welche er als diejenige des Prinzen erkannte, und zu gleicher Zeit erblickte er weiter oben die drei Gesellen, welche wie unbefangene Spaziergänger herbeigeschlendert kamen.

Er gab ihnen einen Wink und wußte, daß sie ihn verstehen würden. Ein Blick rund umher belehrte ihn, daß er nicht beobachtet werde. Er streckte also die Arme aus – ein Aufschwung, ein leiser Absprung, und er stand im Garten, hart neben dem Häuschen. Die Worte, welche in demselben gesprochen wurden, konnte er sehr deutlich vernehmen, obgleich sich die beiden Personen einer halblauten Sprache befleißigten. Es war eine weibliche und eine männliche Stimme. Die letztere sprach soeben:

»Nun wohl, Königliche Hoheit, so muß ich aufrichtig sein! Sie müssen unverzüglich mit mir die Stadt und dann auch vielleicht das Land verlassen, denn noch heute Abend wird der Belagerungszustand über unsere Residenz verhängt sein.«

»Sie sprechen wie ein Träumender, Prinz!«

»Meine Worte mögen so klingen, aber ich wache dennoch und bin noch nie so nüchtern gewesen wie im gegenwärtigen Augenblicke. Heute um Mitternacht werden die Truppen Ihres königlichen Vaters die Grenze unseres Landes überschreiten – –«

»Unmöglich!«

»Und dennoch sehr wahr!«

»Was könnte meinen Vater bewegen – –«

»Es gibt sehr triftige Gründe.«

»Dann würde er mich zurückgerufen haben, um meine Freiheit nicht in Gefahr zu bringen.«

»So war es auch vorher berechnet. Aber es sind die Umstände so plötzlich und so zwingend hereingebrochen, daß Ihre zeitige Zurückberufung unmöglich ist. Heut Abend wird sich das norländische Volk erheben, um den Herzog von Raumburg als seinen König zu erklären – – –«

»Ah!« klang es erschrocken.

»Ihr Vater läßt marschiren, um die Chancen des Herzogs zu unterstützen – – –«

»Ah! Also – – oh, ich errathe!«

»Der bisherige König befindet sich bereits in meiner Gefangenschaft und wird – – –«

»Prinz!« rief sie.

»Was?«

»Ich sehe jetzt klar. Antworten Sie mir! Ihre politischen Berechnungen bezogen sich auch ein wenig auf meine Person?«

»Ein wenig? Ja, die politischen, desto mehr aber die Berechnungen meines Herzens, und ich – –«

»Bitte, hören Sie mich! Ich bin die Tochter eines Königs und habe bei der Wahl meines Gatten mehr zu berücksichtigen, als eine Dame anderen Standes; aber das steht fest: meine Hand wird nie einem Manne gehören, der nicht meine vollste Hochachtung, mein vollstes Vertrauen, und die ganze Liebe meines Herzens besitzt. Finde ich eine Person, der ich Alles dies zu widmen vermag, so will ich sogar auf meine angestammten Hoheitsrechte verzichten, wenn er einem sogenannten niederen Stande angehört, und nur ihm allein und seinem Glücke leben. Sie haben nicht den geringsten Grad meiner Zuneigung besessen; Ihre Stellung forderte mich zur Achtung auf, jetzt aber erkenne ich in Ihnen den niedrigsten Charakter, der mir nur begegnen konnte; Sie sind ein Hochverräther, Sie werfen sogar auf mich den Schmutz, der Ihnen anhaftet, denn während ich hier die höchste Gastfreundschaft genieße, wird dieselbe auf Ihre Veranlassung hin von den Meinigen mit dem schnödesten schwärzesten Undank belohnt. Hören Sie was ich Ihnen zu sagen habe: Ich hasse, nein, ich verachte Sie! Gehen Sie sofort aus meinen Augen, sonst rufe ich meine Dienerschaft und lasse Sie wie einen Vagabunden auf die Straße bringen!«

Auf diese geharnischte Antwort blieb es einige Augenblicke ruhig, dann erklang die Stimme des Prinzen in jenem heiseren Tone, der die Folge einer Anstrengung der ganzen Selbstbeherrschung ist:

»Dies ist Ihre letzte, Ihre einzige Entscheidung, Prinzeß?«

»Meine einzige!«

»So will auch ich meine Entscheidung sagen! Ich liebe Sie; ich bete Sie an, und Sie werden meine Frau, ganz gleich, ob Sie wollen oder nicht. Wir müssen und wir werden siegen, und für diesen Fall habe ich das mündliche und schriftliche Versprechen Ihres hohen Vaters, daß Sie meine Gemahlin werden. Sie werden sich unter der Strenge der Politik zu beugen haben wie schon hundert andere Frauen königlichen Geschlechtes, die dann immer noch Befriedigung ihres Herzens fanden.«

»Unmöglich. Bei der ersten Ihrer Berührungen würde ich mich tödten.«

»Lassen wir dies dahingestellt sein! Ich habe Sie jetzt nur endgiltig zu fragen, ob Sie die Stadt augenblicklich verlassen wollen.«

»Nein; ich bleibe!«

»Sie setzen sich der größesten Gefahr aus.«

»Das will ich. Ich habe zu beweisen, daß ich mit Ihrem Verrathe nicht in der mindesten Gemeinschaft stehe.«

»So werde ich dafür sorgen, daß man Ihnen eine Sauvegarde vor die Thür stellt.«

»Ich würde dieselbe fortweisen und mich nur von Denen beschützen lassen, welche für Den kämpfen, dessen Gastfreundin ich bin. Jetzt gehen Sie. Ich habe keinen Augenblick mehr für Sie übrig!«

»Wirklich?« klang es halb erregt und halb in kaltem Hohne. »Hassen und verachten Sie mich in Wahrheit so sehr? Würden Sie wirklich bei der ersten meiner Berührungen sterben?«

»Ich würde mich tödten!«

»So will ich Ihnen das Gegentheil beweisen und Ihnen jetzt einmal im Voraus zeigen, welche Rechte mir später zur Verfügung stehen werden. Ich bitte um einen Kuß, Hoheit!«

»Frecher! Gehen Sie!«

»Einen Kuß!«

»Ich rufe um Hilfe!«

»Das wird Ihnen nichts nützen, denn ehe eine dieser dienstbaren Kreaturen kommt, wird der Kuß bereits mein geworden sein. Also!«

Max vernahm ein Geräusch, als ob der Prinz sich von seinem Sitze erhebe und sich der Prinzessin nahe. Im Nu stand er unter dem Eingange des Gartenhäuschens. Mit einer tiefen stummen Verbeugung die vor Erregung überglühte Dame grüßend, wandte er sich direkt an den Prinzen:

»Excellenz, verzeihen Sie, daß die "dienstbare Kreatur" bereits da ist, noch ehe Sie Ihren frechen Raub ausgeführt haben!«


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