Carl May
Scepter und Hammer
Carl May

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Das Schweigen dauerte so lange, bis der Kadi seine Pfeife geraucht hatte. Endlich legte er sie weg und räusperte sich zum Zeichen, daß die Verhandlung ihren Anfang nehmen werde. Er begann mit der heiligen Fathha (Eröffnung), welche die erste Sure des Koran bildet und von keinem Muselmanne bei einer wichtigen Angelegenheit hinweggelassen wird:

»Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Lob und Preis sei Gott, dem Weltenherrn, dem Allerbarmer, der da herrscht am Tage des Gerichtes. Dir wollen wir dienen, und zu Dir wollen wir, die Deiner Gnade sich freuen, und nicht den Weg derer, über welche Du zürnest und nicht den der Irrenden! Laßt uns beginnen mit Omar-Bathu, dem großen und gefürchteten Emir der Mameluken!«

Omar erhob sich, und der Kadi legte sich ein Pergamentblatt auf die Knie und griff zu dem Schilfrohre, um die nöthigen Aufzeichnungen vorzunehmen.

»Wie ist Dein erlauchter Name?«

»Omar-el-Bathu.«

»Wie hieß Dein Vater und der Vater Deines Vaters?«

»Mein Vater war der Mamelukenprinz Kaman-Ebn-Aku-el-Aret-Ben-Ommanam. Sein Vater war der berühmte Fürst Behluwan-Aku-el-Aret-Ben-Ommanam, den der große Sultan el Kebihr (Napoleon) liebte.«

»Wie ist der Name Deiner Mutter?«

»Der wahre Gläubige nennt einem Andern nicht den Namen eines Weibes. Sie war die Schwester des Sultan Ageb-Nureddin von Tebris.«

»Ich sehe, daß Du ein strenggläubiger Sohn des Propheten bist. Du darfst Dich setzen!«

Er wandte sich jetzt an Manu-Remusat:

»Wie ist Dein vollständiger Name?«

»Er lautet Manu-Remusat-el-Benu-Halal.«

»Welche Deiner Töchter willst Du Omar-Bathu verkaufen?«

»Die Älteste.«

»Wie viel gibt er Dir dafür?«

»Der Preis liegt im Serai; Manu-Remusat zählt ihn nicht.«

»Habt Ihr noch etwas zu bemerken?«

»Nein.«

»So setzt Eure Namen unter das, was ich geschrieben habe!«

Dies geschah und dann wandte sich der Kadi an Katombo:

»Jetzt mag der junge Reïs sprechen! Wie ist Dein lobenswerter Name?«

»Katombo.«

»Ist er nicht länger?«

»Nein!«

»Wie ist der Name Deines Vaters?«

»Ich kenne ihn nicht.«

Der Kadi machte eine Bewegung der größten Überraschung. Wenn es im Oriente schon nicht empfiehlt, einen einzigen Namen zu besitzen, so ist es geradezu eine ganz außerordentliche Schande, seinen Vater nicht zu kennen.

»Allah kerihm, Gott ist gnädig! Du kennst den Namen Deines Vaters nicht?«

»Nein.«

»Wie hieß der Vater Deines Vaters?«

»Auch das weiß ich nicht.«

»Wessen Tochter war Deine Mutter?«

»Ich habe weder sie gekannt noch ihren Vater.«

»Allah akbar! Gott gibt jedem Baume seinen Kern und jedem Thiere seinen Erzeuger; Dich aber hat er den Vater nicht sehen lassen. Du bist unglücklich unter den Kindern der Erde und verlassen unter den Söhnen der Menschen! Was soll ich schreiben, wenn Du keinen Vater hast?«

»Hüte Deine Zunge, o Kadi, denn ich bin nicht gewohnt zu hören, was mir nicht gefällt! Ich wurde meinem Vater geraubt, als ich noch nicht lallen konnte; wer ist schuld daran, ich oder Du?«

»Du nicht, und auch ich nicht!«

»Allah erleuchte Deinen Verstand, daß Du das Richtige erkennst; warum sprichst Du also Worte, die mich beleidigen? Schreibe den Namen dessen, der mir dann Vater geworden ist!«

»So sage ihn!«

»Sein Name lautet Kanaveda-el-Vajda-el-Brinjaari!« antwortete Katombo, indem er den Namen des Zigeunervaters nebst seinem Stand möglichst in das Arabische übertrug.

»Und wer war Deine Mutter?«

»Sie war Vajdzina, das heißt Fürstin beim Volke der Lombadaaren.«

»Allah segne Dich, mein Sohn, den Du hast große und berühmte Eltern gehabt. Aber sie müssen in einem sehr fernen Lande wohnen, denn die Worte, welche Du sagst, gehören nicht in die Gegend el Arab.«

Katombo hütete sich wohl, ihm irgend welche Aufklärung zu geben, und so wandte sich der Kadi wieder an Manu-Remusat.

»Deinen Namen habe ich schon geschrieben. Welche Deiner Töchter willst Du diesem Katombo-Ebn-Kanaveda-el-Vajda-el-Brinjaari zur Frau geben?«

Der Gefragte konnte mit den Andern ein leises Lächeln darüber nicht verbergen, daß Katombo plötzlich einen so schönen, langen und hochtrabenden Namen erhalten hatte, und antwortete:

»Die Jüngste.«

»Wie viel gibt er Dir dafür?«

»Er hat einen Preis gezahlt, wie ihn kein König geben kann, ich zähle ihn nicht.«

»Habt Ihr noch etwas zu bemerken?«

»Nein.«

»So schreibt Eure Namen auf dieses Pergament!«

Es geschah; der Kadi gab sein Siegel und seine Unterschrift dazu und reichte Omar-Bathu und Katombo je eines der Schriftstücke. Dann erhob er sich.

»Steht auf, denn ich habe meines Amtes gewartet, und wir werden Al-Kadar, die siebenundneunzigste Sure des Kuran beten!«

Sie erhoben sich alle, auch die Frauen, um die Hände zu falten, und der Kadi betete:

»Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Wahrlich, wir haben ihn, den Kuran, in der Nacht Al-Kadar geoffenbart. Was lehrt Dich aber begreifen, was die Nacht Al-Kadar ist? Die Nacht Al-Kadar ist besser als tausend Monate. In derselben stieg herab der Engel der Geister, mit Erlaubniß ihres Herrn, mit den Bestimmungen Gottes über alle Dinge. Friede und Heil bringe Euch diese Nacht bis zur Morgenröthe!« Er ließ eine kurze Pause eintreten und fügte dann hinzu: »Ihr Männer, jetzt steht Euch der Weg zum Harem Eurer Weiber offen; führt sie dahin, wo sie Euch sein sollen wie die Huri des Paradieses, um zu beglücken Eure Herzen und zu stärken Eure Glieder für die Kämpfe und Mühen des Lebens!«

Jeder der beiden Verheiratheten nahm seine Frau und entfernte sich mit ihr. Manu-Remusat blieb mit dem Kadi zurück. Er griff hinter sein Kissen und zog einen Beutel hervor, zwischen dessen Maschen glänzendes Gold durchschimmerte.

»Deine Hand soll offen sein dem Bruder und reichlich geben dem Diener des Propheten!« sagt der Kuran. Hier, Kadi, nimm was Dir gehört!«

Der Beamte ergriff den Beutel mit einer Miene, in welcher sich die freudigste Überraschung aussprach. Er schwieg einen Augenblick, als ringe er mit einem Entschluß; dann frug er:

»Wirst Du den Männern Deiner Töchter heut ein Fest geben, wie es gebräuchlich ist unter den Kindern des Propheten?«

»Nein. Es ist Trübsal über mich gekommen und Herzeleid über mein ganzes Haus. Du bist Kadi und wirst wissen, was ich meine.«

»Ich weiß es.«

»Der Kaschef hat es Dir erzählt?«

»Er war bei mir.« Er zögerte noch einen Augenblick; aber das reiche Geschenk hatte ihn mittheilsam gemacht; darum fuhr er halblaut fort: »Er hat mir sein Amt für so lange übertragen, als er abwesend ist.«

»Wo geht er hin?«

»Nach Kairo.«

»Wann?«

»Um Mitternacht.«

»Mit welchem Schiffe?«

»Mit dem Deinen.«

»Mit welchem? Er ist noch nicht hier gewesen, um es zu miethen.«

»Er wird es nicht miethen. Er wird um Mitternacht mit acht Khawassen Deinen Sandal besteigen, um ihn, gerade so, wie er ist, nach Kairo zu fahren, damit der Khedive Alles mit eigenen Augen sehen soll.«

Manu-Remusat erschrak, denn er mußte aus dieser Maßnahme ersehen, daß sein Untergang beschlossen sei.

»Und Dir läßt er den Auftrag zurück, mich und die Meinen streng zu bewachen.«

»So ist es. Was ist Dir Deine Freiheit werth?«

»Wie viel gilt Dir das Leben des Kaschef?«

»Ich sehe, daß Du ein kluger Mann bist, Manu-Remusat. Sage mir offen Deine Gedanken!«

»Du wirst Kaschef, wenn er nicht nach Kairo kommt und auch niemals von Kairo zurückkehrt.«

»Deine Gedanken sind auch die meinigen. Sprich weiter!«

»Welches steht Dir höher im Preise, meine Freiheit oder diese Stelle?«

»Allah schenke Dir alles Gute und mir die Stelle! Aber er wird zurückkehren und Du wirst sterben!«

»Meinst Du, daß Manu-Remusat sich vor einem Henker fürchte und ihm sein Haupt mit knechtischer Ergebenheit unter den Säbel legt? Wer wird mich bis Mitternacht bewachen, Du oder er?«

»Ich, denn er hat keine Zeit dazu, weil er sich zur Reise vorbereiten muß. Ich soll immer zwölf Khawassen um Dein Haus stellen, bis er wiederkehrt, und nur diejenigen Diener aus- und eingehen lassen, welche für Euch Nahrung holen.«

»So merke auf, was ich Dir sage! ich schwöre Dir beim Barte des Propheten, daß er niemals zurückkehren wird, wenn Du mir schwörst, bis um Mitternacht Deine Khawassen von mir fern zu halten.«

»So schwöre es!«

»Ich schwöre. Auch Du?«

»Auch ich.«

»Beim Barte des Propheten?«

»Beim Barte des Propheten!«

»So gib mir Deine Hand!«

»Hier hast Du sie!«

Sie schlugen ein. Dann zog Remusat einen kostbaren Ring von seinem Finger und reichte ihn dem Kadi.

»Hier, nimm diesen Diamant als Bestätigung meines Schwures. Er ist groß und hat mehr Werth als vieles Gold. Du darfst ihn ohne Scheu tragen, denn es hat ihn hier noch Niemand gesehen.«

»Deine Hand ist wie die Hand des Morgens, welcher Licht und Wärme bringt und Segen spendet. Allah sei mit Dir auf allen Deinen Wegen. Sallam aaleïkum!«

»Sallam aaleïkum, Friede sei mit Dir!«

Der Kadi entfernte sich. Er hatte ein besseres Geschäft gemacht, als er jemals erwarten konnte. Manu-Remusat gab einem herbeigerufenen Diener Befehl, sofort seine beiden Schwiegersöhne rufen zu lassen. Sie erschienen, und er theilte ihnen seine Unterredung mit dem Kadi mit.

»Fliehe mit mir!« meinte Omar-Bathu, der Mameluk. »Du bist nirgends sicher, als nur bei mir in der Wüste.«

»Auch dorthin dringen die Häscher des Khedive.«

»Ich werde Dich zu schützen wissen!«

»Du wirst mich schützen und dann mit mir untergehen. Nein, Omar, nimm Sobeïde und die Schätze, welche Du ihr brachtest, und kehre zu den Deinigen zurück! Ich weiß einen Ort, an dem ich sicherer bin, als selbst im wilden Dschebel Artalan, und von da aus werde ich zuweilen kommen, um Dich und Sobeïde zu besuchen.«

»Wo ist dieser Ort?«

»Es ist eine Insel im Meere, die Niemand kennt als nur ich allein, ich entdeckte sie, als ich noch der Bei-el-Reïs des Khedive war. Dorthin gehe ich mit Katombo und Ayescha, und nur die Möve, welche in den Lüften schwebt, wird uns sehen.«

»So willst Du den Nil hinunterfahren?«

»Ja, mit dem Sandal und meinen Dahabiés, in die ich bis zur Mitternacht meine Habe verlade.«

»Und der Kaschef, welcher mit dem Sandal fahren will?«

»Wird in Ketten fahren oder auf dem Grunde des Niles auf den Tag der Auferstehung warten.«

»Ich werde Dich begleiten, bis Du sicher bist!«

»Du wirst noch heut Siut verlassen und nur allein für die Sicherheit Sobeïdens sorgen. Ich habe Katombo bei mir und viele treue Diener, auf die ich mich verlassen kann. Macht Euch fertig, ich werde jetzt die Tochter vorbereiten!«

Kurze Zeit später begann zwischen dem Hause und dem Flusse im Dunkel der Nacht ein außerordentlich reges und geschäftiges Leben sich zu entfalten. Auf mehreren Dahabiés vernahm man das Geräusch von Kisten und Ballen, welche an Bord gebracht und in den Raum verladen wurden; emsige Gestalten eilten hin und her, und nur der Sandal lag einsam und verlassen da, wie ein schlafendes Wasserungeheuer, welches sich im Traume von den Wogen leise hin und her wiegen läßt.

Draußen vor der Stadt hielt im Dunkel dieselbe Karawane, welche kurz vor der Dämmerung ihren Einzug in Siut gehalten hatte. In ihrer Mitte lag auf dem Boden eines jener Hedschin (Reitkameele) welche, vom Stamme der Bischarihn erzeugt, für die edelsten und besten Thiere der Wüste gelten. Es trug, wie man beim Schimmer des südlichen Sternenhimmels erkennen konnte, auf seinem Rücken einen mit kostbaren Teppichen belegten und behangenen Tachterwan (Kameelkorb für Frauen), der nur zur Aufnahme eines vornehmen Weibes bestimmt sein konnte. Unter den Reitern, welche abgestiegen waren und bei ihren Thieren hielten, herrschte eine tiefe lautlose Stille, welche erst unterbrochen wurde, als leise nahende Fußtritte zu vernehmen waren.

Zwei barfüßige Diener brachten eine Sänfte getragen, hinter welcher Manu- Remusat und Omar-Bathu schritten. Die Sänfte wurde niedergesetzt und geöffnet. Sobeïde stieg aus. Als sie die fremden Männer bemerkte, die sie mit sich fortnehmen sollten, warf sie die Arme um den Hals ihres Vaters und brach in ein lautes Schluchzen aus. Remusat hob leise den Schleier und küßte sie auf die Stirn.

»Weine nicht wieder, mein Kind, denn mein Herz blutete bereits, als Du von Ayescha schiedest. Banne den Schmerz in die Tiefe des Herzens, denn Allah ist gnädig und wird geben, daß wir uns wiedersehen.«

Sie schluchzte leise fort, bis er sie in die Arme Omar-Bathus legte.

»Sie war mir verloren und wurde mir wiedergebracht. Ich gebe sie Dir; aber das Kind bleibt dem Vater, so lange die Pulse schlagen: ich werde Dich und sie wiedersehen!«

»Mein Zelt wird Dir offen stehen, so oft Dein Fuß zu mir kommt, und dann wirst Du Dich an dem Glücke Deiner Kinder erfreuen. Gern hätte ich Dich bis nach Kairo begleitet, denn ich bin mächtig unter den Meinen und mein Name hätte Dir vielen Nutzen bringen können. Doch Du hast nicht gewollt.«

»Ich hätte Dich in das Verderben gezogen, welches meiner wartet, sobald man mich ergreift. Nun aber weiß ich Dich und mein Kind bei Dir in Sicherheit. Allah sei mit Euch jetzt und in Ewigkeit! Lebe wohl, meine Tochter; lebe wohl, mein Sohn; lebt wohl, ihr Männer. Sallam aaleïkum, Friede und Heil sei mit Euch!«

»Sallam aaleïkum!« ertönte es als Gegengruß rundum im Kreise der Reiter. Sobeïde bestieg unter immerfort rinnenden Thränen den Tachterwan; die Trennung war ihrem Gemüthe zu schnell und unerwartet gekommen. Die Kameele erhoben sich vom Boden; die Reiter bestiegen ihre Pferde, und nach einem letzten »Sallam« stob die Schaar von dannen.


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