Carl May
Scepter und Hammer
Carl May

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»Ich weiß aus der Liste, daß Sie ihrer achtzehn sind, und ich sehe, daß Keiner fehlt. Ihnen habe ich die besondere Bitte auszusprechen, daß Sie sich nicht nach dem Tivoli begeben, sondern hier zurückbleiben sollen. Sie steigen hinab in den Brunnen, wo Seine Durchlaucht, dessen Namen ich nicht nenne, Sie aufsuchen und Ihnen seine strategischen und taktischen Weisungen übergeben wird. Darf ich ihm melden, daß Sie bereit sind?«

»Ja.«

»So bin ich fertig. Also bitte, ja gehörig Distanz zu halten. Adieu für jetzt. Wir sehen uns nachher wieder!«

Er ging und stieg den Weg hinab.

»Werda?« klang es unten leise.

»Ich!«

»Ah, Herr Doktor, Gott sei Dank! Ist das Wagestück gelungen?«

»Vollständig. Die Leute vom Militär, welche am meisten zu fürchten und jedenfalls bewaffnet sind, habe ich unschädlich gemacht. Sie bleiben oben im Brunnen, wo sie uns sicher sind.«

»Prächtig! Und die Andern?«

»Kommen einzeln und in dem erwähnten Abstande. Sind Ihre Vorbereitungen getroffen?«

»Der Empfang ist so organisirt, daß die Herren mit der Genauigkeit einer Maschine bearbeitet werden.«

»Da kommt der Erste!«

Die Gestalt desselben kam langsam den Weg daher, ging vorüber und verschwand. Kein Laut ließ sich vernehmen. Der Zweite, der Dritte, der Fünfte, der Zehnte, sie alle kamen, gingen vorüber und verschwanden mit derselben Lautlosigkeit. Es wurde Max doch ein wenig bange.

»Werden sie denn wirklich festgenommen, Herr Major?« frug er seinen Nachbar.

»Natürlich.«

»Dann arbeitet Ihre Maschine allerdings unvergleichlich!«

»Nicht wahr? Ja, meine Jungens sind gut; aber es stehen auch ihrer sechs gegen jeden der Verschwörer; da können sie auch etwas leisten.«

Nur ein einziges Mal ließ sich ein nicht ganz unterdrückter Schrei vernehmen, aber er war nicht so laut, daß er auf sechzig Schritte Entfernung gehört werden konnte.

Endlich war außer dem Posten der Letzte vorüber.

»Alle?« frug der Major.

»Ja. Nur der Wachtposten steht noch oben. Sind Sie überzeugt, daß bei Ihren Leuten Alles in Ordnung ist?«

»Ja. Im Gegenfalle hätte man mir Meldung gemacht.«

»Geben Sie mir einen Offizier und zehn Soldaten mit.«

»Hinauf?«

»Ja.«

»Ich gehe selbst mit.«

»Würde nicht gerathen sein. Ihre Gegenwart scheint mir hier dringender nothwendig als dort oben.«

»Wie Sie wollen!«

Er ging einige Schritte rückwärts und ertheilte eine Weisung. Gleich darauf kam ein Lieutenant herbei, welchem zehn Mann Soldaten folgten.

»Herr Oberlieutenant, Sie halten sich an meiner Seite. Ihre Leute legen die Gewehre ab; sie sollen mir nur helfen, einen Brunnen zuzudecken.«

Er stieg mit dem Offizier empor. Droben klang ihm die Parole wieder entgegen. Er gab die bekannte Antwort.

»Kommt Durchlaucht bald?« frug der Posten. »Ich muß doch auch nach dem Tivoli.«

»Hier ist doch Durchlaucht!« antwortete Max, auf den in einen Capot gekleideten Lieutenant deutend. »Sie können gehen, denn ich werde die Wache übernehmen.«

Er trat auf ihn zu.

»Sind die Herren bereits im Brunnen?«

»Ja, Alle.«

»So können wir ja zugreifen!«

Bei diesen Worten faßte er ihn mit der Linken bei der Gurgel und gab ihm mit der rechten Faust einen Schlag an die Schläfe, daß er zusammenbrach.

»Binden und knebeln Sie ihn!« gebot er den hinterher kommenden Soldaten.

Dies geschah in kurzer Zeit; dann folgten sie ihm mit leisen Schritten nach dem Brunnen. Der Strick hing in denselben hinab. Max zog ihn empor. »So, jetzt sind sie unser, denn sie können nicht herauf. Zu noch besserer Sicherheit jedoch wollen wir die Öffnung so zudecken, daß es ihnen ganz unmöglich wird zu entkommen. Hier liegen Steine. Greifen Sie zu!«

Einige Platten ähnliche Steine wurden auf den Brunnenmund gelegt; auf diese kamen noch andere, bis eine förmliche Pyramide entstand, welche man von innen unmöglich beseitigen konnte. Die Herren vom Militär, unter denen sich sogar Generale befanden, waren gefangen, ohne Gegenwehr leisten zu können. –

Während dies in der unmittelbaren Nähe der Residenz geschah, ging in größerer Entfernung etwas Anderes vor, dessen sich weder der König noch Max Brandauer versehen hätten.

In der Irrenanstalt saß der Schließer mit seinem Weibe beim Abendbrod; aber es schien, als ob sie sich mehr mit ihren Gedanken als mit dem Essen beschäftigten.

»Weißt Du es auch wirklich ganz genau?« frug sie.

»Ganz und gar.«

»Schrecklich!«

»Ja, schrecklich. Ein Herzog in der Zwangsjacke!«

»Ohne daß man etwas sagen darf!«

»Er gab stets ein gutes Trinkgeld!«

»Dieser Brandauer aber gar nichts!«

»Und der König auch nicht!«

»Er würde viel, sehr viel geben, wenn er frei sein könnte.«

»Natürlich!«

»Wir sind arm.«

»Trotzdem ich so lange im Dienste bin. Zwanzig Jahre bereits spielen wir in der Lotterie, ohne jemals einen Pfennig gewonnen zu haben. Wer kein Glück haben soll!«

»Es hat jeder Mensch einmal oder auch öfters Glück. Die Hauptsache aber ist, daß man es erkennt und sofort zugreift.«

»Wo hätte ich denn zugreifen sollen?«

»Früher nicht, aber jetzt, heut!«

»Wenn und wo?«

»Dummrian!«

»Pah! Ich verstehe Dich schon. Aber die Sache ist halsbrecherisch.«

»Gar nicht. Du hast die Schlüssel.«

»Das ist wahr. Ich kann überall hin.«

»Na, also! Wie lange wird es dauern, kommt der Wärter des ersten Korridors und läßt sich zum Abendbrod ablösen. Da könntest Du den Handel abmachen. Es kommt kein Mensch dazu.«

»Man kann nicht wissen. Es ist in letzter Zeit so viel Ungewöhnliches passirt, daß man niemals sicher sein kann. Die beiden Ärzte sind stets auf den Beinen.«

»Ich werde Wache stehen und Dich warnen, sobald ich etwas sehe.«

»Das ginge. Wie viel soll ich verlangen?«

»Fünftausend Thaler.«

»Fünftausend? Bist Du gescheidt!«

»Weniger gar nicht.«

»Auch noch weniger? Fällt mir gar nicht ein! Ich muß, wenn ich so etwas thue, gleich so viel bekommen, daß ich gemächlich von den Zinsen leben kann.«

»Nun?«

»Zwanzigtausend.«

»O, das ist zuviel!«

»Nein. Der Herzog wird schon Ja sagen. Er ist unermeßlich reich und gibt gewiß lieber eine solche Summe, als daß er sich verrückt machen oder zu Tode martern läßt.«

»So versuche es!«

»Aber die Gefahr!«

»Ich sehe keine. Wer will beweisen, daß Du es bist, der sie befreit hat?«

»Ich müßte ihnen die Seitenpforte öffnen und Alles so einrichten, daß auf mich kein Verdacht fallen kann.«

»Natürlich.«

»Wie aber will mich der Herzog bezahlen?«

»Das müßt Ihr besprechen.«

»Will mir die Sache überlegen!«

Er lehnte sich zurück und grübelte über den verwegenen Plan nach, bis der vorhin erwähnte Wärter erschien.

»Schließer, nehmen Sie meinen Korridor auf ein halbes Stündchen!«

»Gut!«

Er stieg die Treppe empor. Als er sich überzeugt hatte, daß der Wärter sich entfernt habe und seine Frau auf ihrem Posten stehe, öffnete er die Zelle Nummer Eins, trat ein und löste die Riemen von dem Zwangsstuhle des Herzogs.

»Durchlaucht!«

Ein gurgelnder Laut war die Antwort.

»Durchlaucht!«

»Ah!«

»Kommen Sie zur Besinnung!«

Die Augen des Herzogs erhielten Ausdruck und Leben. Er war nicht barbarisch eingeschnallt gewesen, aber die Ungewohntheit der Lage hatte ihn fürchterlich ermattet.

»Wer – was ist?« frug er.

»Ich bin es, der Schließer.«

»Ah, Du! Was willst Du?«

»Sie retten!«

Mit einem Sprunge stand der Herzog auf den Beinen. Das eine Wort "retten" hatte ihn zur vollständigen Besinnung gebracht. »Du willst? Wenn?«

»Heut in der Nacht.«

»Ists wahr?«

»Es ist mein Ernst! Sie waren mir stets ein so guter und freigebiger Herr, daß ich es versuchen will, Sie zu befreien.«

»Mensch, wenn Du die Wahrheit sagst, so werde ich Dich wahrhaftig königlich belohnen. Sage mir, wie viel Du verlangst!«

»Was wollen Durchlaucht geben?«

»Fünfundzwanzigtausend Thaler für mich, und noch zehntausend für diesen da, noch heut auf das Brett gezählt!«

»Ists wahr, gnädiger Herr?« frug der Schließer, freudig erschreckt von der Höhe dieser Ziffern.

»Ich gebe Dir mein heiliges Wort!«

»Wo und wie werde ich das Geld erhalten?«

»Baar in meinem Palais.«

»In der Residenz?«

»Ja.«

»Kann ich nicht! Ich müßte selbst mitgehen, und dann wäre es ja verrathen, wer Sie befreit hat.«

»Schadet nichts! Ich werde für Deine Sicherheit Sorge tragen. Du besorgst ein Fuhrwerk für vier Personen und nimmst Deine Frau gleich mit. Sofort nach unserer Ankunft in der Residenz erhältst Du Dein Geld, und morgen wenn man meine Flucht entdeckt, bist Du bereits mit meinen Empfehlungen auf dem Wege nach Süderland.«

»Ja, wenn das so ginge!«

»Es geht. Ich gebe Dir auch hierauf mein Ehrenwort!«

»So werde ich mit meiner Frau sprechen, Durchlaucht. Aber jetzt muß ich Sie wieder einschließen.«

»Alle Teufel! Kannst Du mich nicht – –«

»Geht nicht, Durchlaucht. Man wird Ihre Zelle heut noch zweimal revidiren, und dann wäre Alles unmöglich.«

»Gut, aber nicht so streng wie vorher!«

»Kann nicht anders. Man würde es sofort bemerken.«

Der Herzog sah ein, daß er gehorchen müsse. Der Schließer schnallte ihn ein, und begab sich dann in den Korridor zurück, wo er wartete, bis er wieder abgelöst wurde.

Dann stellte er seiner Frau vor, welches Anerbieten ihm von dem Herzoge gemacht worden war. Diese war vollständig entzückt, als sie hörte, welche Summe sie erhalten sollte, und machte sich sofort an die Vorbereitung zu einer heimlichen Abreise. –

Mitternacht war nahe, da öffnete sich ein Seitenpförtchen der Anstaltsmauer, um eine Frau und drei Männer auszulassen. Es waren die Flüchtlinge, welche unbemerkt entkommen waren.

»Wo ist der Wagen?« frug der Herzog.

»Dort auf der Straße hält er bereits.«

»Wer ist der Kutscher?«

»Ein entfernter Verwandter von mir.«

»Weiß er, um was es sich handelt?«

»Nein.«

»Gut. Er darf auch nichts erfahren. Nur wer ich bin muß er wissen.«

»Er kennt Sie, denn er hat Sie öfters gesehen.«

Als sie den Wagen erreichten, stand der Fuhrmann bei seinen Pferden. Der Herzog trat nahe zu ihm heran.

»Kennst Du mich?«

Der Gefragte konnte im Scheine des Mondes die Züge des Herzogs deutlich sehen.

»Durchlaucht!«

»Gut! Weißt Du mein Palais in der Residenz?«

»Ich weiß es.«

»Du fährst an demselben vorüber und hältst am Ende des Gartens!«

»Zu Befehl, Durchlaucht!«

Sie stiegen ein und der Wagen rollte davon.


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