Carl May
Scepter und Hammer
Carl May

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Katombo ging. Als er in den Hof trat, eilte ihm ein arabischer Diener entgegen, welcher sich durch eine, wenn auch nicht zu hohe aber äußerst nervige und geschmeidige Gestalt auszeichnete.

»Hamdullillah, Preis und Lob sei Gott, daß ich Dich wiedersehe! Ich war krank, als Du abreistest. El-Timsach (Krokodil) hatte mich gebissen, ließ mich aber wieder fahren, weil es zu wenig Fleisch an mir fand, dennoch aber waren mir seine Zähne so tief in den Leib gefahren, daß ich Dir nicht folgen konnte. Jetzt aber hat mir Allah den Gebrauch meiner Glieder wiedergegeben, und so hoffe ich, daß ich mit Dir gehen darf, wenn Du wieder reisest.«

»Das sollst Du, Ali, und zwar bald, denn bereits morgen früh fahren wir mit der neuen "Djuhr-el-Djienne" ab.«

»Morgen früh? Mit Deinem Sandal, Sihdi?« Der Mann machte vor Freude einen Luftsprung, wie ihn die gelenkigste Meerkatze nicht besser fertig gebracht hätte, und fuhr dann fort: »Du bist der beste und gütigste Sihdi, den es geben kann in ganz Moslemistan, Parsistan, Indistan, Chinistan und Frankistan!«

Katombo lächelte selbst sehr vergnügt. Unter allen Leuten Manu-Remusats hatte er Ali am liebsten; dieser war nicht nur der treueste und zuverlässigste Diener, den es gab, sondern er zeichnete sich unter seinen meist ernsten Genossen durch eine ansehnliche Portion Lebhaftigkeit aus, die sehr oft geradezu in Frohsinn und eine Heiterkeit überging, welche sich in den possirlichsten Witzen erging.

»Mache Dich also bereit, Ali!«

»Sihdi, ich bin bereits fertig. Soll ich absegeln?«

»Nein,« lachte Katombo; »aber wenn Du es so eilig hast, so gehe hinüber zur Dahabié, in welcher ich gekommen bin, und sage allen Männern, daß sie herunter zum Sandal kommen sollen; es gibt eilige Arbeit für sie!«

»Ich eile, ich laufe, ich springe, ich fliege, Sihdi!« antwortete Ali, und bei dem letzten seiner Worte war er schon so weit entfernt, daß es von Katombo gar nicht mehr gehört oder verstanden werden konnte.

Er sprang nach dem Flusse hin und erstieg die Dahabié. Einer der Männer, welcher ihn nicht kannte, trat ihm entgegen.

»Was willst Du hier?«

»Sage mir zuvor, was Du hier willst, Du Ben-el-Kuskussu!«

»Ich gehöre zu diesem Schiffe!«

»So bist Du wohl der Mann, der die überflüssigen Ratten und Mäuse todtzubeißen hat, wie ich an Deinem Großmaul ersehe?«

»Hüte Deine Zunge, Kleiner! Ich bin Omar, der Segelwächter.«

»Omar, der Segelwächter? Was ist ein Segelwächter, und was ist Omar? Ein Segelwächter ist ein Mann, der nichts ist, ganz und gar nichts, und Omar ist ein Name, den so viele Männer tragen, wie Sand am Meere oder wie Flöhe in der Sahara. Ich aber heiße Ali-el-Hakemi-Ebn-Abbas-Ebn-er-Rumi-Ben- Hafis-Omar-en-Nasafi und bin der erste Diener und Minister meines guten Herrn und Effendi Katombo. Siehe, wie Du vor Erstaunen den Mund aufsperrst, als ob Du die Pyramiden von Gizéh verschlingen wolltest, gerade wie Deine Ratten und Mäuse! Wo ist der Steuermann?«

»In der Kajüte!«

Ali eilte hinab und traf den Genannten an.

»Allah kerim, Gott ist gnädig; Du bist wieder gesund, Ali?« begrüßte ihn dieser. »Was thust Du auf der Dahabié? Schickt Dich der Reïs?«

»Ja. Sihdi Katombo läßt Dir sagen, daß alle Männer sofort nach der "Djuhr- el-Djienne" kommen sollen, wo es viele Arbeit gibt.«

»Wir haben hier ja Arbeit auch genug!«

»Allah segne Deine Zunge, daß sie vollständiger reden lernt! Wenn mein Effendi befiehlt, so hat Jeder zu gehorchen. Weißt Du das, Du, dessen Verstand heller leuchtet wie Nurgehan?«

»Mach Dich von dannen, Du Ali-el-Hakemi-Ebn-Abbas-und-so-weiter!« lachte der Steuermann, der den spitzigen Patron zu gut kannte, als daß er ihm seine Worte hätte übel nehmen mögen. Zugleich stieg er an Deck, um alle Mannen zusammenzurufen und mit ihnen, eine Wache ausgenommen, nach dem Sandal zu gehen.

Hier fanden sie Katombo bereits beschäftigt, das Transmettiren der Fracht nach der zweiten Dahabié zu überwachen. Der Steuermann frug ihn nach dem Grunde und dem Ziele der so schnell und plötzlich projektirten Reise, konnte aber leider zu seinem Verdrusse nicht das Mindeste erfahren.

Unter diesen Vorbereitungen verging der heiße Nachmittag. Die in jenen Gegenden äußerst kurze Dämmerung brach herein, und es wurde Abend. Dennoch aber hörte die Arbeit nicht auf; sie wurde beim Scheine der Fackeln und Laternen fortgesetzt, und zwar immer noch unter der persönlichen Leitung Katombos, der dieselbe erst dann an den Steuermann abtrat, als der Abendstern beinahe seinen Kulminationspunkt erreicht hatte.

Jetzt verließ er den Sandal und kehrte nach dem Hause zurück. Doch betrat er dieses letztere nicht, vielmehr wandte er sich vom Gartenthor seitwärts und suchte den Kiosk zu erreichen, ohne von Jemand bemerkt zu werden. Es gelang ihm, obgleich in Folge des beabsichtigten Abganges des Sandals noch alle Augen offen und alle Hände beschäftigt waren. Er fand das Gartenhaus noch verschlossen und trat seitwärts hinter ein Feigengebüsch, um die Ankunft der Geliebten zu erwarten.

Noch hatte er nicht lange hier gestanden, als er leise Schritte vernahm. Eine schwarz verhüllte Frauengestalt nahte; er hatte Ayescha bisher nur in weißen Gewändern gesehen, aber das Klopfen seines Herzens sagte ihm, daß sie es dennoch sei und sich nur in dunkle Farbe gekleidet habe, um nicht bemerkt oder gar erkannt zu werden.

Sie blieb gerade vor ihm stehen, blickte empor zum Himmel nach dem Abendstern und flüsterte dann, indem sie forschend um sich blickte:

»Katombo!«

»Ayescha!«

»Du bist so beschäftigt, daß ich schon glaubte, Dich nicht anzutreffen!«

»Ich wäre gekommen, und wenn mich hundert Arme gehalten hätten. Hatte ich nicht viel mehr Recht zu der Frage, ob Du kommen werdest, Du mein Engel, meine Huri, meine Fee?«

»Hatte ich es Dir nicht versprochen? Komm; laß uns eintreten!«

Sie stieg die Stufen empor und öffnete. Er folgte ihr. Die Matte, welche das nach dem Garten gehende Fenster bedeckte, wurde aufgezogen, so daß der Strahl des Mondes und der Sterne in den Raum fiel, und dann nahmen sie Beide neben einander auf dem Divan Platz. Er entfernte den neidischen Schleier von ihrem Angesichte und blickte ihr lange, lange und wortlos in die dunklen, mit einem magischen Blicke auf ihm ruhenden Augen.

»Ayescha, ist diese Stunde kein Traum, keine Täuschung, keine Fata morgana, welche dem Pilger wunderbar Schönes und Köstliches vorspiegelt, um ihn dann in die tiefste Verzweiflung zu stürzen?«

»Es ist kein Traum und keine Spiegelung, Katombo, sondern Wahrheit. Ich war beinahe noch ein Kind, als ich Dich zum ersten Male bei uns sah, aber ich habe Dich geliebt seit jenem Tage bis heute, und ich werde Dich lieben, so lange Allah mir das Leben schenkt.«

»Und weshalb liebst Du mich? Ich kam her elend und arm, ohne irgend eine der vielen Gaben, welche Allah an Glückliche vertheilt.«

»Du hast die beste und edelste Gabe, welche Allah nur seinen Auserwählten bietet: Du bist ein Mann! Weißt Du nicht, daß es hier nur Sklaven gibt, die hier sich demüthig beugen und dort so hochmüthig sich brüsten? Gibt es ein Fatum, ein Kismet? Der Prophet sagt ja, und der Kuran sagt es auch. Aber wenn es Dein Kismet ist, ein Mann zu sein, so bist Du es doch nicht mit einem Male, sondern Du mußt es werden und bleiben durch Dich selbst. Vater nahm Dich auf, als Du arm und verlassen zu ihm kamst. Er frug Dich nur nach Deinem Namen, nach weiter nichts; aber Du hast mehr als diesen Namen.«

»Ja, ich habe mehr, viel mehr, unendlich mehr als ihn, denn ich habe Dich, die mir kostbarer ist als alle Schätze und Ehren der Erde.«

»Nein, Du hast Dich, und nur darum darfst Du auch mich besitzen. Ich habe gesehen, mit welchen Mühen Du nach des Vaters Liebe und Vertrauen gerungen hast; ich habe das Licht in Deiner Kammer leuchten sehen alle Nächte hindurch bis an den frühen Morgen; Du saßest bei den Büchern, welche Vater Dir gegeben hatte und in denen die schwere Kunst zu lernen ist, ein Schiff zu führen auf dem Strome und auf der großen See. Und wenn Du auf Reisen warst, so bin ich in Deine Kammer gegangen und habe viele Bücher gesehen in fremden Sprachen und mit Zeichen, die kein Taleb (Schriftgelehrter) versteht. Vater sagt, daß Du klüger und geschickter seist als er; Ali nennt Dich Effendi (Magister oder Doktor) und Du bist es auch. Du bist ein Mann, denn Du glaubst nicht an das Fatum und nicht an das Kismet, sondern Du willst durch Deine Arbeit und durch Deine Mühe werden, was Du wirst, und darum hebe ich meine Augen auf zu Dir und liebe Dich.«

Es war ihm so wunderbar, so selig zu Muthe bei diesen Worten des herrlichen Mädchens. Er sah sich in seinem tiefsten, innersten Denken und Streben von ihr verstanden, und dies machte ihn noch stolzer, noch glücklicher als ihre Liebe. Woher hatte sie die Anschauungen, die er hinter der Stirn eines orientalisch erzogenen Mädchens gar nicht erwarten und vermuthen konnte?

»Wer hat Dich gelehrt, am Kismet zu zweifeln?«

»Darf ich es Dir sagen, Katombo?«

»Sage es!«

»Aber Du wirst dann Dein Herz von mir wenden und mich nicht mehr lieben!«

Er legte ihr Köpfchen in überquellender Zärtlichkeit an seine Brust und flüsterte:

»Ayescha, ich war in einem fremden Lande, wo man ein wunderbar schönes Lied singt. Darin kommen Worte vor, die ich Dir als Antwort geben will.«

»Wie lauten sie?«

»Ich hab Dich geliebet und liebe Dich heut, und werde Dich lieben in Ewigkeit!«

»Welch schöne Worte; in jenem Lande muß es Dichter geben, die ebenso groß und gut sind wie dir unsrigen!«

»Noch größer und besser!«

»Wie heißt es?«

»Germanistan.«

»Und ich darf glauben, was dieses Lied sagt, und Dir ohne Sorge meine Antwort geben?«

»Du darfst es, denn lieber will ich sterben, als auf Deine Liebe verzichten!«

»So wisse, daß wir eine alte Sklavin hatten, die nach dem Tode der Mutter immer bei uns sein mußte. Sie war keine Gläubige, sondern eine Christin und hat mir und Sobeïden heimlich viel erzählt von ihrem Heilande, der Isa-Ben-Marryam (Jesus, der Sohn Mariens) geheißen hat und für die Elenden und Armen gar gestorben ist. Die Worte, welche er lehrte, waren wie Thau in der Dürre und wie Balsam für die Schmerzen. Wir haben viel geweint über seine Leiden; aber er wohnt jetzt bei Allah und regiert die Erde. Ich liebe ihn, und weil er verboten hat, an das Kismet zu glauben, so will ich ihm gehorsam sein.«

»Weiß Dein Vater all dies?«

»Nein. Aber Du bist ein Gläubiger und wirst mich nun von Dir stoßen!«

»Nein, das werde ich nicht, denn was Isa-Ben-Marryam gesagt hat, das glaube auch ich. Doch das Herz ist ein Brunnen, aus dem nicht Jeder trinken darf; darum soll man nicht sprechen von seinen Gedanken, und nicht reden von den Gefühlen, welche in ihm wohnen. Wer glücklich ist, soll seine Seligkeit verschließen, und wer ein Leid zu tragen hat, darf es nicht Andern zeigen.«

»Und doch hast Du es Andere sehen lassen!«

»Ich? Woher weißt Du, daß ich ein Leid im Herzen hatte?«

»Hast Du jemals gelacht, seit ich Dich kenne? Bist Du jemals munter und vergnügt gewesen? Auf Deiner Stirn stand geschrieben, daß Dich ein großes Unglück drückte, und erst heut sah ich Dein Auge zum ersten Male ohne Wolken. Willst Du mir sagen, was Dich so tief betrübte?«

»Ja; aber nun muß ich befürchten, daß Du dann mich nicht mehr liebst!« Sie legte ihre Arme um seinen Nacken und flüsterte:

»Ich habe Dich geliebet und liebe Dich heut, und werde Dich lieben in Ewigkeit!«

Er küßte sie mit tiefer Bewegung auf die reine Stirn.

»Ja, ich trug ein großes Leid im Herzen! Was würdest Du thun, Ayescha, wenn ich Dich jetzt von mir stieße und eine Andere liebte, die mich blos für eine Woche sehen will, um mit meiner Liebe zu spielen?«

»Katombo, thue das nicht; ich würde sterben!« bat sie in angstvollem Tone.

»Nein, meine Seele, das thue ich nicht! Ich habe auch geglaubt, daß ich sterben müsse; aber das Herz des Mannes ist stark; es blutet fort, doch es bleibt leben, und das ist schlimmer als der Tod.«

Sie sah ihn fragend an.

»So hast Du eine Andere geliebt, die Dich verlassen hat?«

»Ja. Und nicht wahr, nun wirst Du mir Deine Liebe entziehen?«

»O nein, denn Du hast mich ja damals noch nicht gekannt. Ich möchte vielmehr nun meine Liebe verdoppeln, damit Dein Herz seine Wunden vergißt!«

»Sie sind geheilt, heut, in einem einzigen Augenblick.«

»An welchem?«

»Als Du mir sagtest, daß ich Dich lieben darf.«

»Sie – war – wohl – – schön, sehr schön?« frug sie stockend.

»Ja, sie war schön, aber nicht so gut wie Du!«

»O nein, gut kann sie nicht gewesen sein, sonst hätte sie Dir nicht einen solchen Gram bereitet. Ich hasse sie nicht, weil Du sie liebtest, sondern ich hasse sie, weil sie so schlimm gegen Dich war. Wie hieß sie?«

»Zarba.«

»Zarba. Ich werde mir diesen bösen Namen merken, aber ich werde ihn niemals aussprechen, um nicht das Glück zu trüben, das ich Dir so gern geben möchte!«

Diese Worte des lieben engelsreinen Mädchens drangen ihm bis in die tiefsten Tiefen seines Innern, und Alles, was ihn bisher so unglücklich und elend gemacht hatte, drängte sich noch einmal eng zusammen, so daß es ihm heiß aus dem Herzen in die Augen stieg, aus welchen eine einzige aber desto schwerere Thräne niedertropfte. Sie fiel auf Ayeschas Wange. Sofort schlug das Mädchen die Arme um ihn und bat, nun selbst leise schluchzend: »Weine nicht, Katombo, sondern liebe mich; Du sollst Alles vergessen, und ich werde Dir nie ein Leid thun, nie ein einziges!«

»Wirst Du auch mich nicht vergessen, wenn ich fern von Dir bin?«

»Ich werde stets an Dich denken, alle Tage, zu jeder Stunde und an jedem Augenblick! Kannst Du mir verzeihen, daß ich Dich fort von hier trieb, dorthin, wo nur Gefahr auf Dich wartet?«

»Du?«

»Ja ich, als ich den Vater bat, Dich an seiner Stelle nach Assuan zu senden?«

»Ich habe Dir ja gar nichts zu vergeben, vielmehr muß ich Dir Dank sagen, daß Du mir beistandest, als er mir meine Bitte nicht erfüllen wollte.«

»Ich weiß, daß nur Du allein die Schwester bringen wirst; ich weiß, daß Du alle Gefahren besiegen wirst; Vater aber wäre nie zurückgekehrt. Sein Herz ist krank; o, gieb ihm Heilung, Katombo, denn Du liebst mich und ihn, und er hat Dich seinen Sohn genannt!«

»Ich habe ihm versprochen, daß ich sterben oder Sobeïde zurückbringen werde, und ich habe noch niemals mein Wort gebrochen. Er hat mich seinen Sohn genannt; aber werde ich es auch so sein dürfen, wie wir es wünschen – als Mann seiner Tochter?«

Bei dieser Frage verdunkelte ein Schatten den halb offen gebliebenen Eingang und – Manu-Remusat stand vor ihnen. Sie erhoben sich erschrocken; er aber legte seine beiden Hände auf ihre Häupter.

»Du darfst es sein, Katombo, denn Ihr liebt Euch so, wie ich mein Weib einst liebte, und seid werth, Euch zu beglücken. Ich wollte Dich sprechen, Ayescha, fand Dich nicht im Harem und suchte Dich. Ich habe alle Eure Worte vernommen. Gehe nach Assuan, Katombo, und wenn Du mir Sobeïde bringst, sollst Du Ayescha zum Weibe haben, Es ist ein hoher, köstlicher Preis; verdiene ihn Dir!« – – –


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