Carl May
Scepter und Hammer
Carl May

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Er nahm das feine Couvert in Empfang, sprang über das Bord wieder hinüber und eilte auf dem nächsten Wege der Höhe zu. Er befand sich mit einem Male in einer eigenthümlichen Stimmung, welche man beinahe Aufregung hätte nennen können. Er hatte hart neben der duftigen Frauengestalt gestanden, deren Gewand ein leiser Wohlgeruch entströmte, der ihm vertraut vorgekommen war, trotzdem er keine Zeit gehabt hatte, sich zu fragen, wo er denselben schon einmal bemerkt habe. Durch den dünnen Gesichtsschleier hatte er ein dunkles, großes Augenpaar bemerkt, welches mit eigenthümlichem Ausdrucke auf ihm zu ruhen schien; sonst aber war von der Gestalt nichts weiter zu sehen gewesen, als das kleine, mit feinen levantirten Stiefeletten bekleidete Kinderfüßchen. Wie kam dieser Muselmann, den er jetzt noch gar nicht erwartete, dazu, eine seiner Frauen, denn das war sie jedenfalls, auf eine Reise in das Ausland mitzunehmen? Er mußte weder eifersüchtig noch von denjenigen Vorurtheilen befangen sein, welche den Moslem bestimmen, seine Frauen und Töchter von dem öffentlichen Leben auszuschließen. Und dabei schien er während seiner Reise alle gewohnten Ansprüche fallen lassen zu wollen, da er vollständig ohne Dienerschaft war, denn die Matrosen konnten als solche nicht betrachtet werden, da sie an das Schiff gebunden waren.

Er öffnete unterwegs das Couvert und zog die Karte hervor; sie enthielt auf feinstem Pergamente in goldener Schrift den einfachen Namen "Nurwan Pascha".

»Wirklich anspruchslos!« meinte Arthur. »Ein Anderer an seiner Stelle hätte hinzugefügt: "Admiral a.D., Liebling des Sultans, Vertrauter des Schah-in-Schah von Persien" und tausend Anderes noch.«

Auf Sternburg angekommen sucht er den Kastellan auf. Er fand ihn in seiner Wohnung.

»Horn, eilen Sie, laufen Sie, springen Sie – – alle Wetter, ich bin ja ganz und gar aufgeregt; ich muß wahrhaftig erst Athem schöpfen!«

»Aufgeregt? Mein lieber, junger Herr!« rief die alte Kastellanin, indem sie die Hände zusammenschlug. »Durchlaucht sind ja stets so ruhig, daß etwas ganz Außerordentliches passirt sein muß, um Sie aufzuregen.«

»Das ist es auch, meine gute Mama Horn. Denken Sie sich, der Pascha kommt!«

»Der Pascha? Herr Jesses, da muß ich fort, fort, fort – –!«

Sie huschte eilfertig in der Stube umher, als suche sie etwas höchst Nothwendiges, was doch nicht zu finden sei.

»Nur sachte, sachte, Alte!« ermahnte der Kastellan. »Der Pascha kommt; das ist gar nicht gefährlich, zumal wenn er nicht gleich kommt.«

»Das ist es ja eben,« fiel Arthur ein, »er kommt; er ist ja bereits da!«

»Bereits da? Das ist allerdings schlimm. Wo ist er denn bereits?«

»Unterwegs nach hier.«

»Himmel, das ist ja böser, als ich dachte! Wir sind ja noch gar nicht mit unseren Vorbereitungen fertig, und da ist es nothwendig, daß wir schleunigst – – na, vorwärts, Alte, was stehst Du denn noch hier herum! Durchlaucht, bitte, empfangen Sie ihn! Wir werden unterdessen – – –«

»Halt, Horn, dableiben!«

Die beiden eilfertigen Leute befanden sich bereits unter der Thür; auf den Zuruf des Kapitäns wandten sie sich zurück.

»Ich kann ihn nicht empfangen!«

»Nicht? Warum nicht, gnädiger Herr?«

»Weil ich verreist bin.«

»Verreist? Hm, wieso?«

»Er frug mich, wer ich sei; ich wollte mein Inkognito bewahren, denn ich hatte noch keine Ahnung, daß ich den erwarteten Gast vor mir habe, und antwortete, daß ich ein Matrose sei und Bill Willmers heiße.«

»Ein Matrose und Bill Willmers! Mein Gott, jetzt sehen Sie, Durchlaucht, daß bei einem solchen Inkognito nichts Gutes herauskommt. Nun können Sie nichts anderes thun, als sich blamiren, indem Sie dem Türken die Wahrheit gestehen!«

»Nein, das kann ich nicht, denn er hat mich gemiethet.«

»Gemiethet? Ich begreife nicht – –!«

»Das heißt, ich stehe für die Zeit seines hiesigen Aufenthaltes als Domestike in seinen Diensten.«

»Domestike – in seinen Diensten – – ? Höre ich recht, Durchlaucht? Ein hochfürstlich Sternburgischer Prinz, Ritter vieler Orden und Fregattenkapitän, im Dienste eines Türken?«

»So ist es, lieber Horn, und dabei muß es auch einstweilen bleiben. Sehen Sie also ja darauf, daß mein Inkognito streng bewahrt bleibe. Mein Bild entfernen Sie aus dem Salon; es würde mich verrathen. Und wenn wir beobachtet sind, behandeln Sie mich als Fremden und Untergebenen.«

»Das ist ja ganz und gar unmöglich, mein lieber, junger Herr,« protestirte die Kastellanin. »Herr Jesses, wie könnte ich mich unterstehen, Euer Durchlaucht – –!

»Sie sollen sich aber unterstehen!« fiel er ihr in die Rede. »Sie weisen mir hier unten in Ihrer Nähe ein Zimmer an, damit Sie es leicht haben, sich in zweifelhaften Fällen meine Anweisungen zu holen. Der Pascha bekommt die Gemächer meines Vaters, und seiner Dame werden die Thurmzimmer zur Verfügung gestellt.«

»Seiner Dame?« frug die Kastellanin erschrocken. »Hat er denn eine Dame mit?«

»Ja; jedenfalls seine Lieblingsfrau.«

»Herr Jesses, das fehlt nun gerade noch, daß wir hier Haremswirthschaft bekommen; denn so eine Frau verlangt alles Mögliche und Unmögliche: Bäder, Seifen, Pommaden, Odeurs, Zahnpulver, Schönheitswasser, Henna für die Fingernägel und Ruß für die Augenbrauen. Und was für ein Schwarm von Dienstvolk wird dabei sein! Ein Mustapha mit einer Fatime, ein Jussuf mit einer Suleika, ein Achmet mit einer – – –«

»Gar keine Dienerschaft bringen sie mit. Ich glaube gar, sie werden nicht einmal per Wagen oder Sänfte, sondern einfach zu Fuß kommen. Sorgen Sie für die nöthige Lohndienerschaft, Horn, und empfangen Sie jetzt die Herrschaften, während ich hinauf gehe, um nachzusehen, was in den Zimmern noch zu vervollständigen ist.«

»Wir – die Türken empfangen? Das geht nicht, Durchlaucht! Dazu fehlt uns das Geschick. Ich weiß ja nicht einmal, wie man so einen Pascha titulirt! Wie viele Roßschweife hat er denn eigentlich?«

»Die Roßschweife sind gleichgültig. Tituliren Sie ihn gerade so wie einen hiesigen Minister. Hier ist die Karte des Pascha, welche ich Ihnen natürlich übergeben mußte, weil Prinz Arthur nicht anwesend war. Also vorwärts, Horn, sonst kommen sie, noch ehe – «

»Alle Wetter,« rief der Kastellan; »dort kommen sie bereits durch die Gartenpforte! Rasch, Alte! Na, ich bin neugierig, wie das werden wird.«

»Durch die Gartenpforte?« frug die angsterfüllte Frau, indem sie an das Fenster eilte. »Wahrhaftig, und seine Frau ist gleich mit dabei. Herr Jesses, wie soll ich sie tituliren, Durchlaucht? Na, da ist der junge, gnädige Herr bereits verschwunden. Horn, sage mir in aller Welt, wie man eine Haremsfrau zu tituliren hat?«

»Weiß auch nicht, Alte. Habe mein Lebtage kein Harem gehabt! Rasch jetzt; wir müssen in den sauren Apfel beißen!«

»Ja, wir sind leider gezwungen, hinein zu beißen. Aber Alter, bitte, geh Du voran!«

Der Pascha kam mit seiner Begleiterin langsamen Schrittes durch den Garten. Er hatte jedenfalls die Absicht, durch die Veranda Entree zu nehmen, was die beiden alten Leute bewog, sich schleunigst nach der Letzteren zu begeben.

Der Türke war eine wirklich imposante Erscheinung. Seine hohe, breitschulterige Figur ragte um einen halben Kopf über Leute gewöhnlichen Schlages hinaus; auf dem Kopfe trug er den bekannten rothen Fez, welcher mit einer schwer goldenen Quaste verziert war; die eng anliegende Kleidung, über welche er den weiten Mantel nur leicht geworfen hatte, zeigte eine höchst ebenmäßige, kraftvolle Gestalt, um deren schlanke Taille sich der glänzende Gurt schlang, an welchem der historische krumme Säbel befestigt war. Das edel geschnittene Gesicht, aus welchem zwei dunkle, kühne Augen blitzten, wurde von einem dichten Vollbarte geschmückt, welcher bis auf die Brust herniederreichte, und wie dieser Mann so durch den Garten herbeigeschritten kam, machte er den Eindruck eines Charakters, dessen unerschütterliche Festigkeit durch die physischen Vorzüge eines kraftvollen Körper auf das Vollkommenste unterstützt wird. Jetzt erstieg er die Stufen der Veranda, und der Kastellan trat ihm zögernd entgegen.

»Excellenz – – –«

»Das Auge des Pascha fixirte ihn mit einem raschen Blicke.

»Wer sind Sie?«

»Ich bin der Kastellan von Schloß Sternburg, und das hier ist meine Frau.«

»Melden Sie mich Seiner Durchlaucht, dem Prinzen von Sternburg. Ich werde bereits erwartet!«

»Excellenz entschuldigen. Seine Durchlaucht sind nicht anwesend und – –«

»Auf wie lange?«

»Auf unbestimmte Zeit. Daher mögen Excellenz mir und meiner Frau gütigst gestatten, uns Ihnen zur Verfügung zu stellen. Schloß Sternburg steht Ihnen offen.«

»Schön! Doch – hat der Prinz den Brief von Durchlaucht, seinem Vater erhalten?«

»Allerdings, doch der junge Herr glaubten, daß noch einige Zeit bis zu Ihrem Erscheinen verstreichen werde. Ich glaube sogar, er entfernte sich nur, um Vorbereitungen für den Empfang so hoher Gäste zu treffen.«

»War nicht nothwendig. Ich bin ein Seemann und zufrieden, wenn ich eine kleine Koje habe, von welcher aus ich in die See hinausblicken kann.«

»O eine solche Koje wird hier wohl zu finden sein, Excellenz,« meinte die Kastellanin, welche es jetzt an der Zeit hielt, auch ein Wort zu sprechen. »Und für Madame auch, wenn sie es liebt, auf das Meer hinauszuschauen. Bitte, treten die Herrschaften nur ein!«

Man betrat das Zimmer des Prinzen.

»Wer wohnt hier?«

»Der junge Herr. Hier und nebenan.«

»Blos?« frug der Türke verwundert.

»Ja, blos!« antwortete die Kastellanin, welche Muth zu fassen begann. »Er ist ja auch Seemann und liebt es, nur eine Koje zu haben.«

Jetzt trat Arthur ein. Nurwan Pascha wandte sich sofort an ihn. »Du kennst die hiesigen Formalitäten beim Ankerwerfen eines Fahrzeuges?«

»Ja.«

»Besorge mir das. Die Schiffspapiere befinden sich in meiner Kajüte. Und sage den Leuten, daß ich mein Gepäck sofort erwarte; den Weg herauf kannst Du ihnen beschreiben.«

»Alles richtig, Excellenz!« antwortete Arthur in strammer Haltung und verließ das Zimmer.

Als er die Yacht erreichte, fand er die Effekten auf dem Verdecke bereits bereit gelegt. Die vier Matrosen hockten dabei und rauchten ihren duftenden Jelimah. Er sprach sie türkisch an; sie verstanden ihn nicht. Jetzt versuchte er es mit dem Arabischen, und sofort sprangen sie empor und griffen nach dem Gepäcke. Der Eine aber meinte:

»Sprich die Sprache Deines Landes, Bruder; der Arab-el-Bahr wird Dich verstehen!«

Drei von ihnen stiegen nach dem Schlosse empor, und der Vierte blieb zurück. Arthur stieg die schmale Treppe hinab und befand sich zwei Thüren gegenüber, deren eine er öffnete. Er befand sich in einer kleinen Kajüte, welche, wie er auf den ersten Blick erkannte, der Türkin zum Aufenthalte gedient hatte. Auch hier bemerkte er den feinen Duft, welcher ihm bereits aufgefallen war; es konnte nichts Anderes sein als Reseda, vermischt mit einem andern leisen orientalischen Parfüm. Wo war er demselben nur begegnet? Er hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, denn über ihm verfinsterte sich die Luke und der herabblickende Araber meinte:

»Die Kajüte des Kapitäns befindet sich am Steuerbord!«

Er betrat den bezeichneten Raum und fand die Papiere; dann wollte er nach oben zurückkehren, fühlte sich aber durch einen höchst auffälligen Umstand aufgehalten. Den beiden Kajüten gegenüber befand sich eine Eisenwand, welche bei einer zufälligen Berührung mehr Wärme zeigte, als die Temperatur der äußeren Luft mit sich brachte. Er eilte nach oben und trat hastig auf den Araber zu.

»Rasch durch die Vorderluke hinab. Es brennt unten im Raume!«

»Feuer? Komm mit!« rief erschrocken der Mann, eilte nach dem Vorderdeck und stieg hinab.

Arthur folgte ihm. Unten war es vollständig finster.

»Feuer sagst Du? Hamdulillah, Preis sei Gott, daß Du Dich irrst! Wo soll es brennen?«

»Ich sehe es auch nicht. Aber diese Hitze hier?«

»Diese Hitze? Hat Dir die Wärme Dein Gehirn versengt, daß Du nicht bemerkst den Kessel und die Maschine, welche dem Schiffe die Schnelligkeit der Gazelle gibt?«

Jetzt hatte sich das Auge Arthurs an die hier herrschende Dunkelheit gewöhnt, und er bemerkte nun allerdings einen kleinen Kessel, welcher jedenfalls mit Petroleum gefeuert wurde.

»Eine Maschine?« rief er, im höchsten Grade erstaunt. »Wie heißt die Yacht? Ich habe vergessen, nach dem Namen zu schauen.«

»Almah.«

»Almah? Wem gehört sie?«

»Dem Kapitän.«

»Dann hat er den Riß zu ihrem Baue selbst entworfen. Sie ist ein Meisterstück. Auch das schärfste Auge erkennt von außen nicht, daß diese Segelyacht eigentlich ein Dampfer und zwar ein Schraubendampfer ist. Aber –« Er hielt inne. Es fiel ihm der Umstand auf, daß die "Almah" in den Schiffspapieren einfach als Privatyacht aufgeführt war, ohne eine Beifügung, ob sie Segel- oder Dampfschiff sei. Doch konnte ihm dies gegenwärtig sehr gleichgültig sein. Er verließ das Fahrzeug, dessen Name ihn höchst sympathisch berührte, und begab sich zum Hafenmeister, um die gebotene Meldung zu machen.


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