Carl May
Scepter und Hammer
Carl May

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XIII.
Vom Reïs zum Kapudan Pascha.

Die Sonne hatte sich schon längst aus den Fluthen des rothen Meeres erhoben, doch war der Morgen noch nicht so weit vorgerückt, daß ihre Strahlen sehr beschwerlich gefallen wären. Auf den Fluthen des Nils tummelte sich ein reges Leben, und auch in den Straßen und Gassen von Assuan herrschte ein Verkehr, der nach einigen Stunden, wenn das Gestirn des Tages höher zu stehen kam, nothwendig ersterben mußte.

Am Ufer lag zwischen andern Fahrzeugen ein Sandal, der die Blicke aller Kenner auf sich zog. Der Rumpf hatte eine schärfere und schlankere Bauart, als sonst bei diesen Fahrzeugen zu bemerken war; von dem Segelbaue konnte man nichts sehen, da Alles im Reffe lag, aber die eigenthümliche und fremdartige Takelung ließ vermuthen, daß auch die Leinwand eine ungewöhnliche Form und Stellung besitzen werde.

Auf dem Vorderdecke dieses Fahrzeuges saßen mehrere Männer, welche Tabak rauchten und sich dabei in aller Gemüthsruhe das am Ufer sichtbare Leben und Treiben beschauten; am Hinterdecke aber, ganz nahe am Steuer stande Zwei, die in einer zu lebhaften Unterhaltung begriffen waren, als daß sie, wenigstens jetzt, für diesen Gegenstand ein Interesse haben können. Der Eine war ein sehr hochgewachsener, noch junger Mann in der Tracht eines Reïs, und der Andere zeigte eine schmächtigere, weit kleinere Statur, die sich durch eine ungewöhnliche Lebhaftigkeit auszeichnete.

»Also Bab-el-Run heißt die Straße, Ali,« meinte der Erstere.

»Ja, Bab-el-Run, Effendi. Meine Gestalt ist kurz, aber mein Gedächtniß ist so lang wie der Nil; wie könnte ich mir sonst meinen eigenen Namen merken!«

»Und über dem Thore des Hauses steht das erste Surat des Kuran.«

»Das erste, das ist gut; da habe ich nicht so viel zu zählen, als wenn es das neunzigste oder hunderachtundvierzigste wäre.«

»Und Du wirst Deine Sache gut machen, Ali?«

»Maschallah, habe ich sie jemals schlecht gemacht? Nur ein einziges Mal bin ich dumm gewesen, weil ich das Krokodil nicht gleich verschlungen habe, als es mich fressen wollte. Sei ohne Sorge, Sihdi! Assuan ist nicht bekannt, als ob hier besonders kluge Leute wohnten.«

»Hier hast Du Geld. Man weiß nicht, ob Du welches brauchen wirst.«

»Maschallah, Sihdi, ich weiß, daß ich stets welches brauche; aber was ich übrig behalte, das sollst Du ehrlich wieder bekommen. Das Geld ist wie der Vogel: man weiß, aus welchem Ei er kommt, aber wenn er ausgekrochen ist, so weiß man nicht, wohin er fliegt.«

»So gehe!« lachte Katombo.

»Sallam – – –«

Das »aaleïkum« war nicht mehr zu hören, denn Ali hatte bereits den Fuß auf den Bord gesetzt, um an das Ufer zu springen. Hier gab er sich ganz das Ansehen eines Mannes, der ohne ein besonderes Ziel behaglich dahinzuschlendern vermag, weil ihm die liebe Zeit nicht allzu karg zugemessen ist, und erst nach einiger Zeit trat er zu einem müßig stehenden Lastträger.

»Sallam aaleïkum!«

»Aaleïkum!« lautete die einsilbige Antwort.

»Ist Friede in Deinem Hause?«

»Friede immerdar!«

»Und Glück bei Deinem Geschäfte?«

»Allah gibt Jedem, was er braucht. Gibt er viel, so braucht man viel, gibt er wenig, so braucht man wenig.«

»Hamdullillah, Preis sei Gott, daß ich gefunden habe, was ich suche!«

»Was suchest Du?«

»Sag lieber: ›Wen suchest Du?‹ Ich suche einen weisen Mann, der mir eine Frage beantworten kann, und da Deine Worte von Gelehrsamkeit duften wie die Bücher des Kadis, so glaube ich, daß Du mir Antwort geben kannst.«

»So frage!« gebot der Lastträger, welcher sich außerordentlich geschmeichelt fühlte, und nun eine Frage erwartete, zu deren Beantwortung ein ungewöhnlicher Scharfsinn gehöre.

»Wo liegt die Straße Bab-el-Run?«

Das Gesicht des Lastträgers verfinsterte sich mit einem Male.

»Ist das Deine gelehrte Frage?«

»Ja.«

»So gehe, wo Du hergekommen bist, sonst werde ich Dir die Straße Bab-el- Run mit diesem da zeigen!« Dabei erhob er den Prügel, an welchem er Doppellasten zu befestigen pflegte, um sie auf der Achsel zu tragen.

»Glaubst Du, daß sich ein ehrlicher Mann von einem Mukkle (Spaßvogel) äffen läßt? Fort, sonst kommst Du dreimal schneller weg, als Du denkst!«

Dabei machte er eine so sprechende Bewegung, daß Ali schleunigst das Weite suchte.

»Maschallah, war das ein Grobian! Also auf diese Weise geht es nicht; ich muß es auf eine andere versuchen!«

Er bog jetzt eilig in ein Gäßchen ein, in welchem ihm ein Sorbethändler begegnete. Er trat auf ihn zu und frug kurz:

»Wo ist die Straße Bab-el-Run?«

Der Händler setzte seinen Limonadenapparat zur Erde und legte beide Hände an die Ohren.

»Was? Wie?«

Ali merkte, daß der Mann schwerhörig war und trat ihm so nahe wie möglich, um ihm seine Frage in das Ohr zu brüllen. Indem kamen zwei Maulthiere herbei, welche eine Sänfte trugen, in welcher jedenfalls eine vornehme Frau saß, denn zwei Läufer gingen ihr voran, laut ihr »Remalek« und »Schimalek« (»rechts« und »links«) rufend, um die Begegnenden zum Ausweichen anzuhalten. In der Rechten trug jeder von ihnen eine schwere Nilpeitsche, um ihren Worten, wenn sie nicht befolgt wurden, nach Landessitte den gehörigen Nachdruck zu geben. Eben brüllte Ali sein »Wo ist die Straße Bab- – –« so erhielt er, ohne vollständig ausgesprochen zu haben, einen fürchterlichen Hieb über den Rücken. Er fuhr erzürnt herum.

»Schimalek!« donnerte ihm der Läufer entgegen und applizirte ihm einen zweiten und ebenso kräftigen Hieb auf dieselbe Stelle.

»Schim– – ach so! Allah kerihm, haut der Kerl zu!«

Er retirirte sich zu der angegebenen Seite, aber doch nicht schnell genug, so daß er noch einen dritten Hieb empfing. Der Sorbethändler hatte natürlich die Warnung noch viel weniger vernommen. Der andere Läufer bearbeitete ihn auf das Lebhafteste mit der Peitsche, immer sein »Remalek« rufend; aber ehe der schwerhörige Mann seinen Apparat emporraffte, waren die Maulthiere zur Stelle und schritten so kontinuirlich weiter, daß er zur Seite geworfen und sein Gefäß umgerissen wurde, so daß die Limonade über die Gasse schwemmte.

Als Ali das Unheil bemerkte, welches er angerichtet hatte, machte er sich eiligst aus dem Staube, und hielt nicht eher an, als bis er um einige Ecken gebogen war. Dort blieb er stehen, um sich den Revers seines beleidigten Körpers zu reiben.

»Allah akbar, Gott ist groß, aber diese Hiebe waren noch größer. Welch ein Glück, daß ich entkommen bin! Hätte mich der Händler festnehmen lassen und angezeigt, so hätte ich ihm seinen ganzen Sorbet bezahlen müssen. Wie es scheint, ist es heut mein Kismet, daß ich die Straße Bab-el-Run nicht finden soll!«

Er schaute sich um und bemerkte einen Wassermann, welcher seinen Esel vor sich hertrieb, an dessen beiden Seiten die offenen Fässer hingen. Er wartete, bis derselbe nahe war und trat ihm dann entgegen.

»Willst Du mir nicht sagen, wo die Straße Bab-el-Run ist, ïa Abd-el-Ma (o Diener des Wassers)?«

Der wie ein Herkules gebaute Mann sah ihn ruhig von unten bis oben an, ergriff dann sein Schöpfgefäß, tauchte es tief in eines der Fässer, so daß es voll wurde, und goß ihm das Wasser in das Gesicht. Dann setzte er, ohne ein Wort zu verlieren, seinen Weg weiter fort, als ob nicht das Mindeste vorgefallen wäre. Ali stand da, als hätte ihn der Schlag gerührt, und es dauerte lange, ehe er auf den Gedanken kam, seine Schärpe abzubinden, um sich mit derselben abzutrocknen. Er befand sich im Bazar der Schneider, und ihm gegenüber lag ein Laden, dessen Besitzer den ganzen Vorgang mit angesehen hatte. Er winkte ihm einzutreten.

»Sallam aaleïkum!« grüßte Ali.

»Sallam, Friede seit mit Dir! Warum begoß Dich dieser Mann mit Wasser?«

»Ich weiß es nicht. Kannst Du es mir sagen?«

»Was sprachst Du zu ihm?«

»Ich frug ihn, wo die Straße Bab-el-Run ist.«

»Bist Du fremd in Assuan?«

»Ja.«

»Wo kommst Du her?«

»Von Kairo.«

»Maschallah, so hat er Dich unschuldig bestraft! Die Straße Bab-el-Run ist dieselbe, in der Du Dich befindest, und der Mann hat geglaubt, Du willst mit ihm scherzen. Was suchst Du in dieser Straße? Ich werde Dich gern berichten.«

»Das Haus des Mudellir.«

»Das liegt sehr weit von hier; Du kannst es an der heiligen Fatha erkennen, welche über dem Thore zu lesen ist. Was willst Du bei Hamd-el-Arek?«

Ali hatte zwar bisher Unglück gehabt, aber er war trotzdem ein schlauer Kopf und besann sich kurz:

»Ich will ihn um Gerechtigkeit bitten.«

»Um Gerechtigkeit?« dehnte der Schneider. »Der Prophet spricht: »Wenn Du einen Freund findest, so öffne ihm Dein Herz, dann wird Dein Fuß nicht straucheln. Sprich weiter!«

»Bist Du mein Freund?«

»Versuche es, so wirst Du es bald sehen! Ich bin ein Freund aller Gerechten, aber ein Feind aller Ungerechten.«

»Ich habe einen Bruder im Wadi-el-Mogreb, welches nicht weit von hier liegt. Er starb und hat mir seine Habe hinterlassen, aber als ich von Kairo in das Wadi kam, da – «

»Da hatte der Mudellir Deine Erbschaft eingezogen?« fiel ihm der Schneider eifrig in die Rede.

»Du sagst es.«

»Und nun willst Du zu ihm gehen und sie von ihm fordern?«

»Sie von ihm fordern!« nickte Ali.

Der Schneider blickte sich vorsichtig um, legte dann die Hand an den Mund und flüsterte:

»Weißt Du, was Du bekommst?«

»Was?«

»Die Bastonnade, aber von Deiner Erbschaft nicht so viel, wie ein Durrhakorn (Hirsekorn) groß ist. Gehe nicht zu ihm, sondern kehre eilends nach Kairo zurück!«

»Sagst Du die Wahrheit?«

»Ich sage sie, denn ich kenne den, von dem Du sprichst. Er hat ein ganzes Jahr lang seine Gewänder bei mir genommen, und als ich kam und ihn demüthig um Zahlung bat, kannte er mich nicht und ließ mich in den Bock spannen. Meine Zahlung habe ich redlich erhalten, denn für jedes Silberstück, welches ich verlangte, bekam ich einen Bastonnadenstreich! Allah i charkilik, Gott verbrenne ihn!«

»Und die Tochter meines Bruders ist auch mit verschwunden.«

»Maschallah, ist das wahr? So hat er sie in sein Harem gesteckt! Die schönsten Jungfrauen des Bezirkes treibt er zusammen, obgleich Sada, seine Frau, nichts davon erfahren darf. In dem Hause, welches ich Dir beschrieb, werden sie eingeschlossen; ich weiß das ganz genau, denn meine Schwester gehört zu den Hüterinnen der Frauengemächer.«

»Kommt sie zuweilen, Dich zu besuchen?«

»Sie kommt täglich, wenn sie ihre Einkäufe für die Küche macht.«

»Würdest Du mir erlauben, einmal mit ihr zu sprechen?«

Der Schneider schüttelte langsam und bedächtig das Haupt.

»Das ist zu gefährlich!«

»So laß Dir etwas sagen, Mann: Die Tochter meines Bruders hatte einen Geliebten, welcher mit nach Assuan gekommen ist. Er ist ein sehr wohlhabender Kaufmann und hat einen ganzen Beutel voll Goldstücke bei sich. Er würde gern mit Dir sprechen. Darf ich ihn holen?«

Der Schneider blickte nachdenklich vor sich nieder.

»Warte einmal; ich will das Kismet befragen!«

Er griff in die Tasche seiner weiten Pluderhose und zog drei Würfel hervor, die er eine Weile in den hohlen Händen rollte und dann auf den Boden fallen ließ. Er zählte die oben aufliegenden Augen und meinte dann:

»Geh und hole ihn, ich darf Euch vertrauen!«

Ali verließ den Laden und kehrte schleunigst zum Sandal zurück, wo ihn Katombo mit Sehnsucht erwartete. Als er ihn kommen sah, stieg er zur Kajüte nieder, in welcher er ihn empfing.

»Nun?«

»Sihdi, ich bin Ali-el-Hakemi-Ebn-Abbas-Ebn-er-Rumi-Ben-Hafis-Omar-en- Nasafi, und was Du mir befiehlst, das bringe ich zu Stande!«

»Hast Du die Straße gefunden?«

»Sofort,« antwortete er, sich in die Brust werfend.

»Und weiter?«

»In dieser Straße wohnt ein Schneider, der ein großer Feind des Mudellir ist, weil dieser ihm die Bastonnade geben ließ, anstatt ihn zu bezahlen. Seine Schwester ist Haremshüterin beim Mudellir und wird jetzt zu ihm kommen. Willst Du mit ihr sprechen? Ich habe gesagt, mein Bruder im Wadi- el-Mogreb sei gestorben und ich bin aus Kairo gekommen um die Erbschaft zu holen. Der Mudellir aber hat sie mir weggenommen und auch die Tochter meines Bruders dazu, deren Bräutigam Du bist. Du bist ein Kaufmann und hast viel Goldstücke mit.«

»Ali, Dein Verstand ist ebenso groß, wie Dein Name lang ist. Warte ein wenig; ich werde gleich fertig sein!«

Er durfte natürlich in dem Anzuge eines Reïs nicht mitgehen, sondern er mußte ein anderes Gewand anlegen. Nach dem dies geschehen war, verließen sie das Fahrzeug und schritten nach der Straße Bab-el-Run, deren Lage sich Ali genau gemerkt hatte. Der Schneider schien ihrer bereits zu harren. Vielleicht war seine Schwester mittlerweile gekommen.

»Mein Freund hier hat mir Deinen Laden empfohlen,« begann Katombo nach der üblichen Begrüßung. »Hast Du einen Anzug für mich?«

Des Schneiders Auge leuchtete befriedigt auf; er sah, daß er einen Mann vor sich haben, der eine delikate Sache auf die rechte Weise einzuleiten verstand.

»Du findest bei mir Alles, was Du begehrst. Willst Du einen guten oder einen billigen Stoff?«

»Der gute ist stets der billigste.«

»Du sprichst weise, wie ein Kenner spricht. Setz Dich nieder und nimm die Pfeife! Ich werde Dir vorlegen.«

Er brachte die verschiedensten Anzüge zum Vorschein. Katombo behielt eine derselben und bezahlte ihm doppelt so viel, als er verlangte. Der Schneider bedankte sich:

»Gesegnet sei die Hand, welche lieber gibt als nimmt! Erhebt Euch, Ihr Männer! Tretet durch diese Thür, Ihr werdet auch dort finden, was Ihr sucht.«

Sie folgten seiner Aufforderung und traten in ein kleines, enges Gemach, in welchem eine kurze dicke und verhüllte Frauengestalt saß. Katombo verbeugte sich sehr tief herab, obgleich er wußte, daß er nur eine Dienerin vor sich habe.

»Sallam aaleïkum, Friede und Heil sei mit Dir! Der Kuran sagt: ›Das Herz des Weibes gleicht der Rose; es spendet Duft und Wohlgeruch zu aller Zeit.‹ Laß mich die Schwester des Weibes bewundern.«

Neben ihr stand eine Thonvase, in welcher eine Rose steckte. Er nahm Beides, sog den Duft der Rose ein, ließ dabei eine Hand voll Goldstücke in die Vase fallen und setzte diese wieder an ihren Ort zurück. Diese Introduktion hatte eine außerordentliche Wirkung; der Schleier wurde gelüftet und ein volles, gutmüthig dreinschauendes Gesicht kam zum Vorschein; zwei fette Hände ergriffen die Vase und holten trotz des darin befindlichen Wassers das Geld heraus.


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