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XX. Kapitel.

Zu dem »Dämon im Ohr« sind noch zwei andere Dämonen getreten, die sein Leben zerrütten: das Wirtschafterinnenwesen und Karl – – –

Karl zuliebe legt er sich Entbehrungen auf; er hat den Bedienten entlassen, der zu den aristokratischen Erfordernissen seiner früheren Zeit gehörte; in dem neuen bürgerlichen Stil tut es eine Wirtschafterin auch, die zugleich kocht und die Lebensführung verbilligt. Er spart und knickert, wacht über die Butter- und Eiervorräte mit Argusaugen, wirft den Wirtschafterinnen die Rechnungsbücher an den Kopf, wenn eine Semmel mehr darin verrechnet ist; er fürchtet, kaum für seine eigenen Bedürfnisse sorgen zu können, und nun gar für des Bruders Kind, denn sein Gehör hat sich verschlechtert. Er hat wieder die Ärzte gewechselt und ist mit Malfatti und seinem Assistenzarzt Bertolini ganz auseinander; er hat ihnen Mangel an Redlichkeit und Einsicht vorgeworfen, und nimmt die Bäder wieder in dem stillen, idyllischen Heiligenstadt, wo er am Pfarrplatz wohnt, in dessen Mitte eine Johannesstatue sich erhebt, von vier Akazien baldachinartig überwölbt. Der heilige Florian schaut von der Hausecke herab; ein breites Tor führt in den Hof. Wilder Wein wuchert über der freien Holztreppe; von den primitiven Zimmern, die nicht auf den Platz hinaussehen, sondern über die Donau und das Marchfeld hinüber, kann er mit den Blicken das Gut und Herrenhaus drüben wahrnehmen, wo nun die Gräfin Erdödy lebt und ihn des öfteren zu sich einladet. Er tut aber so sparsam, daß er sich erst erkundigt, was die kleine Fahrt kostet.

Er bleibt nicht lang in dem Hause am Pfarrplatz wegen der Nordseitigkeit der sonnenlosen Zimmer und nimmt schon im Juli ein anderes Quartier in der nahen Kahlenberger Straße Nummer sechsundzwanzig, einem ehemaligen kleinen Barockpalast, über dessen Estrich nun Weinhauerstiefel schreiten. Eine wehmütige, verblichene Schönheit umstrahlt das Haus, die ganz zu seiner »Resignation« paßt, deren Lied er nun dort singt, weil ihn der Gedanke an seine mißliche finanzielle und gesundheitliche Lage so ernst und traurig stimmt, daß er sich gar nicht anders der fernen Geliebten eröffnen möchte als durch Lied und Ton. Man ist ein schlechter Hochzeitsmann in solcher Lage, und »Resignation« ist nun die rechte Stimmung.

Sein körperlicher Zustand wird immer schlechter; die unwissenden Köchinnen verstehen nichts von Diät; er tobt gegen das »niederträchtige Hausgesinde«, gegen die »busige Betrügerin«, seine Köchin, und ihre Aushilfe Baberl, »das schlechte Schönheitsgesicht«.

Nannette Streicher ist zwar in allen kritischen Fällen Wirtschaftsrat und seine »Eurykleia«; bei ihr findet er immer »etwas Tröstliches in der Koch-, Wasch- und Nähkunst«; er schickt ihr das Küchenbuch zur Kontrolle – leider ist sie gerade in Baden und kann sein zerrüttetes Hauswesen nur von ferne leiten.

Er schreibt ihr nach diesem Badeort, mit dem ihn so viele holde Erinnerungen verknüpfen: »Kommen Sie dort an die alten Ruinen, so denken Sie, daß dort Beethoven oft verweilt; durchirren Sie die heimlichen Tannenwälder, so denken Sie, daß da Beethoven oft gedichtet oder, wie man sagt, komponiert.«

Dichten nennt er sein Schaffen, als Dichter fühlt er sich in Tönen, das ist Fingerzeig. Und welch ein krasser Gegensatz zwischen der idealen Welt seines Dichtens, wo seine Liebe daheim ist, und dieser gemeinen Wirklichkeit von niedrigsten Wirtschaftssorgen, mit denen er sich herumschlagen muß. Dazu die Prozesse um Karl, und der Junge selber, der ihm den größten Kummer bereitet, vor allem durch die heimlichen Zusammenkünfte mit der Mutter, wobei des Meisters Dienstpersonen Helfersrollen spielen.

Es ist ein Jammer.

In derselben Zeit arbeitet er an einer Messe; und liest täglich das Evangelium für sich. Die Missa solemnis ist für die Inthronisation des Erzherzogs Rudolf als Bischof von Olmütz bestimmt. Unter diesen Umständen verzögert sich die Arbeit. Sie geht überhaupt nicht vonstatten in diesem Sommer. Das ist das Kunstopfer, das er Karl bringt. Denn sein Herz ist von den immerwährenden Ärgernissen so angegriffen, daß er sich gar nicht erholen kann.

Wie es um ihn steht, weiß niemand; er greift zum Tagebuch, dieser Zuflucht der Vereinsamten, hier schüttet er sein Herz aus in Verdemütigung und Gewissenserforschung:

»Gott, o Gott, mein Schutz, mein Fels, mein Alles! Du siehst in mein Herz und kennst den Kummer, anderen weh zu tun, um an meinem Karl recht zu handeln. Höre, Du Unaussprechlicher, höre den Unglücklichsten der Sterblichen!«

Ganz blutig und wund gerissen ist seine Seele. Ganz krankhaft. Und krankhaft diese Vaterliebe! Die Tragik des Einsamen, der sich krampfhaft an die Kindesseele hängt und mit dieser tyrannischen Liebe sich zugleich das Kind entfremdet. Er vertraut ihm Gedanken und Urteile an, für die der Junge weder reif ist, noch überhaupt Interesse und Verständnis besitzt. Der Alte wird ihm immer unbegreiflicher, unausstehlicher, widerwärtiger; er sehnt sich nach der Mutter, die immer dahintersteht, heimlich schürt und die Dienstboten besticht. Und eines Tages ist Karl dem Oheim entlaufen und zur Mutter zurückgekehrt.

Weinend kommt der Meister zu Giannatasio gelaufen: »Er schämt sich meiner!« Polizei wird aufgeboten, aber die Mutter hat einen schlauen Schachzug getan, der ihr vorübergehend Erfolg bringt. Sie hat den Nachweis beim Landrecht erbracht, daß »van« kein Adelsprädikat ist, wie das Gericht irrig angenommen habe, und daß die Sache daher nicht vor das Landrecht der privilegierten Stände gehöre, sondern vor den Magistrat.

Der »Republikaner« und »Demokrat« schäumt zwar, er fühle sich als Aristokrat und gehöre nicht unter die »Plebs«. Der Magistrat nimmt nun Partei gegen ihn. Erst nach langen heftigen Kämpfen, in denen auch seine moralische Qualifikation angegriffen und seine Schwerhörigkeit gegen ihn ins Feld geführt wird, gelingt es ihm, der sich mit heroischer Würde verteidigt und seine Tugend ins rechte Licht stellt, seine Ansprüche durchzusetzen und die Angelegenheit wieder vor das höhere Gericht zu bringen, wo er allerdings gewonnenes Spiel hat.

Mit der Missa solemnis geht es langsam, langsam vorwärts.

Der nächste Sommer findet ihn wieder in Mödling, wo er sich abermals in dem schönen Hafnerhaus, mit den italienisch anmutenden Arkaden im Hofraum, eingemietet hat und wieder an der Messe arbeitet. Das Kyriemotiv hat er im Vorjahre in das Innere einer Brieftasche notiert.

Hier besuchen ihn heuer Schindler und der Musiker Horzalka. Der pedantische, aber grundehrliche Schindler ist seit einiger Zeit sein unbesoldeter Geheimsekretär. An Stelle des Mephisto Oliva ist dieser treue Famulus getreten; Ries ist in die Heimat zurückgekehrt und konzertiert viel in London. Der Meister kann nicht leben ohne irgendeine solche Hilfe, und Schindler, den er von der Leserunde im »Blumenstock« her kennt, ist der rechte Mann. Er erträgt geduldig alle Launen des oft ungemäßigten Herrn, der ihn zuweilen wirklich schlecht behandelt, und dient selbstlos weiter, sklavisch ergeben als einer, der seine Mission weiß, die ihn an die Seite des Genius stellt. Das macht auch den Kleinen groß.

Seit ihm Schindler nähergetreten ist, beginnen die »Conversationsbücher«. Die Gehörmaschinen versagen; der Meister fängt an, seine Gespräche schriftlich zu führen, besonders wenn unliebsame Hörer in der Nähe vermutet werden. Die Unterhaltungen werden in Notizbücher von Oktav- bis Quartgröße mit oft hieroglyphisch unleserlicher Schrift geschrieben, ein kaleidoskopartiger Spiegel banalster alltäglicher Gespräche und plötzlich groß aufleuchtender Gedanken oder genialer Einfälle, ein Abbild seines mündlichen Verkehrs und einzigartiges Dokument, dem er freilich nicht sein Innenleben anvertraut, das er ja auch vor den Freunden verbirgt.

Als die Besucher am späten Nachmittag ankamen, hören sie den Meister über einer Fuge zum Credo singen, heulen, stampfen. Geradezu schauerlich. Sie horchten lange; da trat Beethoven heraus mit verstörten Gesichtszügen; seine Reden waren konfus. Was man daraus entnahm, war dies:

»Saubere Wirtschaft, alles ist davongelaufen; ich habe seit gestern mittag nichts gegessen.«

Nach und nach ergaben sich die Zusammenhänge. Es hatte in der vergangenen Mitternacht lärmende Auftritte gegeben. Der Meister, in seine Arbeit vertieft, hätte das Abendessen übergangen, und als er endlich tief in der Nacht nach Speise und Trank rufen wollte, waren die Mägde schon zu Bette. Darüber gab es nun Zank und Streit, und am Morgen waren beide Dienerinnen davongelaufen.

Aus dem Notizkalender Beethovens.

Schindler besänftigte ihn und half ihm bei der Toilette, indessen der Begleiter in der Wirtschaft des Badehauses ein Essen für den ausgehungerten Meister bereiten ließ.

Es hätte eines weiblichen Schindler bedurft, um den Mißständen des Hauswesens abzuhelfen.

Wie es damit wirklich stand, erzählt der Kalender des Meisters ebenso lakonisch als erschütternd:

Schindler, der zufällig darin blättert, liest Sätze darin wie diese, die das ganze Elend enthüllen:

»Am 31. Januar der Haushälterin aufgesagt.

Am 15. Februar die Küchenmagd eingetreten.

Am 8. März hat die Küchenmagd mit 14 Tagen aufgesagt.

Am 22. März ist die neue Haushälterin eingetreten.

Am 12. Mai in Mödling eingetroffen.

Miser et pauper sum.

So kann es nicht weiter gehen!

»Elend bin ich und arm!«

Jetzt ist er wirklich von aller Menschheit verlassen. Und nicht einmal eine Seele, der er sein Leid klagen kann!

Früher hatte er wenigstens die Erdödy, seinen Beichtvater.

Aber seit es mit seinem Gehör so schlimm steht, scheut er sich, selbst die alten Freunde aufzusuchen. Die Taubheit richtet eine undurchdringliche Mauer von Einsamkeit um ihn auf.

Es muß schon verzweifelt um ihn stehen, daß er, diese Scheu überwindend, eines Tages über die Donau fährt und seine alte Freundin in Jedlersee aufsucht. Er muß sie sprechen und mit ihr von dem reden können, was sein Herz mit Sehnsucht und Vorwurf aufs neue bedrängt: von Theresa.

Die Erdödy ist der einzige Mensch, der versteht und an seinem tiefsten Geheimnis teilhat.

Nun sitzen sie im traulichen Gespräch beisammen wie in alter Zeit und reden von dem, was war und was hätte sein sollen.

Die gute Gräfin ist voll Rührung und Mitleid.

»Wenn es nach mir gegangen wäre,« sagte sie, »es stände besser um euch.«

»Glauben Sie, daß es zu spät ist, Gräfin?«

»Hm! Nein! Ich meine nur, so leicht ist es nicht mehr als früher. Und damals erschien es Euch zu schwer – –«

»Damals, Gräfin, fuhr ich noch mit stolzen Masten – die Zukunft lag vor uns, eine ferne Küste, darauf unser Segel gerichtet war, und solange der Mensch Zukunft hat, entbehrt er nichts, Teuerste; jetzt suche ich den Hafen wie ein Schiffsbrüchiger. Sonst gehe ich zugrunde.«

»Nun, so schlimm ist es nicht.«

»Ich brauche eine Gefährtin, und mein Karl braucht eine Mutter. So steht es in Wahrheit.«

»Ist es Ihnen nun ernst damit?«

»Heiliger Ernst.«

Sie wurde ganz ärgerlich, die herzensgute Gräfin.

»Aber so seid Ihr beide! Zwei herrliche Menschen, die längst zusammengehören und sich nicht finden können, weil sie das Leben viel zu tragisch nehmen. Und dabei vergehen beide vor Sehnsucht und verpassen die schönsten Jahre. Ich bin schier verzweifelt an Euch beiden. Haben Sie Theresa geschrieben, was Sie mir eben sagten?«

Er verneinte.

»Nun, da haben wir's ja! Die Arme verzehrt sich in Ungarn mit fruchtlosem Warten und Sie, lieber Meister, in Wien mit Ihrer ewigen Unentschlossenheit! Ich sehe schon, daß ich Euch wieder aus dem Traum helfen muß. Aber nun beichten Sie ihr alles, und tun Sie es gleich.«

»Bedenken Sie, Gräfin, es ist heute ein größeres Opfer für Theresa als früher – – – darf ich es verlangen?«

»Aber sie ist Ihre Braut! Denken Sie so klein von Theresa? Lieben heißt opfern! Jetzt muß es sich zeigen, was die Liebe wert ist.«

*

Eilbriefe gingen nach Martonvásár.

Die Erdödy lud Theresa zu längerem Aufenthalt auf ihr Gut im Marchfeld ein. »Auch hier ist eine Schloßkapelle und ein Kaplan, und heiraten könnt Ihr hier ebensogut wie in Martonvásár. Ganz abgesehen davon, daß Ihr ohnehin in Wien leben müßt.« Sie packte die Sache kürz an – das andere wird ihr schon Ludwig geschrieben haben, dachte sie.

So war es auch.

Theresa war wie aus den Wolken gefallen.

Sie war auf alles gefaßt, nur nicht auf das, worauf sie seit vielen Jahren gewartet hatte.

Wohl war es Freude, was sie bewegte; aber es blieb dem vollen Becher der Freude mancher Tropfen Wermut beigemischt.

»Endlich! Oh, mein lieber Louis! Du bist Vater geworden – hattest Du damals nicht gedacht, daß ich Deinem Karl eine Mutter sein könnte? Wie hatte es mich gekränkt, daß Du nicht schon damals dieses gute Wort gefunden hast! Nun denn: ich will ihm eine gute Mutter sein, und Dir will ich alles sein, was ich Dir sein kann und wollte. Sprich nicht von Opfer; Liebe nimmt, indem sie gibt; sie erfüllt nur ihre Bestimmung. Nur vergiß das eine nicht: wir sind nicht mehr so jung wie einst. Es ist ein anderes, wenn man im Mai des Lebens sich vereint oder erst, wenn schon der Herbst vor der Türe steht. Wir sind ein herbstliches Paar – der Reif des Alters hat unsere Schläfen gekühlt und die Freuden versengt, aber auch die Empfindungen geklärt: mehr als Freuden des Lebens gibt es Pflichten für uns – – –! Wir wollen unserem Sohne leben! Welche glückliche Pflicht, die uns vereint! Unser Leben, unser Verlöbnis hat ein neues Ziel und einen neuen Sinn erhalten. Nun hat auch mein Dasein Zweck und Inhalt gefunden in Dir und in Karl, unserem Kind! Mit Freude und Stolz sage ich: unserem Kind!«

Mit der Gräfin Erdödy ordnete Theresa brieflich alle praktischen Vorbereitungen.

Nun waren alle Zurüstungen geschehen, und es blieb nichts zu tun übrig als eines, das Allerschwerste: die Gräfin-Mutter einzuweihen und sie um ihre Einwilligung zu bitten.

Die alte Gräfin saß im Lehnstuhl und hörte mit eisiger Ruhe das Geständnis ihrer Tochter an, die ihr zum Schluß die Absicht verkündete, zur Hochzeit nach Wien zu reisen und dort ihren Hausstand zu errichten. Mama möge ihr den mütterlichen Segen zur Vermählung geben.

Die Alte erwiderte mit keinem Wort. Eine peinvolle Pause entstand.

»So sprich doch, Mama,« drängte Theresa mit ängstlich bebender Stimme, »hast du mir nichts zu sagen?« Sie kniete vor ihr hin und stützte die Hände bittend auf ihren Schoß.

Ein bitteres Wort entfiel der alten Gräfin, es lautete: »Mesalliance!«

»Mama!« Es klang wie ein Wehruf.

»Verirrtes Kind! Zu solcher Verbindung vermag ich es nicht, meinen Segen zu geben. Niemals! Ich bin maßlos erstaunt, Theresa, ich verstehe dich wirklich nicht und begreife gar nicht – – –«

Theresa hatte ihr Gesicht mit beiden Händen bedeckt.

Die alte Gräfin streichelte ihr mit welken zitternden Händen das Haupthaar und sprach sanft und dringend auf die Kniende ein: »– – – meine Tochter ist vernünftig und wird unserem Hause nicht die Schande eines solchen unziemlichen Aufsehens, um nicht zu sagen, Skandals bereiten – – –«

Bei dem Worte »Schande« sprang Theresa empört auf; eine flammende Röte schoß auf in ihrem Antlitz.

»Es ist keine Schande, Mama, und keine Mesalliance! Ludwig ist geehrt vor allen Menschen, sein Adel ist älter und höher als der unsere; er ist ausgezeichnet vor allen Sterblichen durch das göttliche Adelszeichen seines Genies und seiner Kunst; Fürsten und Könige haben sich um seine Freundschaft beworben, und Rasumoffsky wollte unsere Verlobung vor allen Regenten gefeiert wissen – Hättest du es damals für eine Schande gehalten, was fürstliche Häuser als Ehre und Auszeichnung erkannten?! O Mama, deine Tochter ist zu stolz und weiß auch zu gut, was sie sich und unserer Familie schuldig ist, um dieses harte Wort zu verdienen: nicht Schande, nein, Ehre und Glück ist es, mit dem Genius verbunden zu sein, und der Ruhm unseres Hauses würde vor der Welt und der Geschichte gerade dadurch neuen Glanz erhalten. Aber nicht darum geht es mir, sondern vor Gott und meinem Gewissen: um ein heiliges Band, um Treue, die ich beschworen habe, nicht um Glück, sondern um eine schöne Pflicht – – –«

Die Gräfin-Mutter war sichtlich überrascht von der Festigkeit, mit der Theresa ihre beleidigte Würde verteidigte. Sie empfand, daß sie mit ihrem verletzenden Widerspruch zu weit gegangen war, und erwiderte im ganz veränderten Ton, weichmütig und schließlich bittend:

»Kind, vor dem Elend will ich dich bewahren! Ein taub gewordener Musikant, der unfähig geworden ist, seine Kunst auszuüben! Es wäre dein Unglück! Eine Bettelexistenz! Wie durfte der Hauslehrer meiner Töchter es wagen, seine Wünsche so hoch zu erheben! Es war unrecht von dir, mir so lange zu verschweigen, was zwischen euch vorgegangen ist. Damals, als Fürst Rasumoffsky, wie du sagst, eure Verbindung fördern wollte, war der Künstler auf der Höhe seiner Erfolge – heute ist er ein Vergessener und durch sein Gebrechen, das gewiß zu beklagen ist, auch ein Verlorener! Es ist Vermessenheit, Anspruch auf eine Tochter aus gräflichem Hause zu erheben. Er braucht eine Wirtschafterin und Pflegerin, nicht eine Gemahlin!«

»Dann ist es für mich ein Gebot der barmherzigen Liebe, ihm alles in einer Person zu sein«, entschied Theresa.

»Was kümmert dich der unselige Musikant und sein fremdes Kind, das deinem Herzen nichts zu sagen hat? Ich bin alt und krank, du hast eine heilige Pflicht gegen deine Mutter, die der Pflege bedarf. Es ist mein Tod, wenn du gehst, Theresa!«

Die alte Gräfin, die zäh an den Grundsätzen der starren Hochtories hing, hätte ihre Tochter, die den freieren Auffassungen ihrer Zeit huldigte, vergebens zu überzeugen versucht. Darin war Theresa Fleisch und Blut ihres Geschlechts, daß sie ebenso unerschütterlich an ihren Überzeugungen und Grundsätzen festhielt, wie Mama an den ihrigen. Aber mit dem Appell an die Kindesliebe hatte die Gräfin-Mutter ihre Tochter ins Herz getroffen.

Wieder stand Theresa in dem schweren Kampf zwischen Pflicht und Neigung. Ihr Gewissen sagte ihr, daß es das vorzeitige Ende Mamas wäre, wenn sie so sie verlassen würde. Und wenn sie der Kindespflicht gehorchte, war es nicht Verrat an dem Geliebten, der sie in seiner Not rief? Hier Verrat an der beschworenen Liebe und Treue, dort Verrat an dem Leben der Mutter, vielleicht gar mit dem ewigen Schuldgefühl, ihr den Todesstoß gegeben zu haben?! Verstoßung und Enterbung hätte sie hingenommen und als Opfer auf den Altar der Liebe gelegt zusammen mit der eigenen persönlichen Aufopferung für den geliebten Meister – aber zu allem noch den Vorwurf des Mordes an der Mutter: das zwang zur Überlegung und reiflichen Besinnung. »Oh, unseliges allzu tragisches, unentrinnbares Verhängnis!«

»Meine Tage sind gezählt,« begann die alte Gräfin wieder im flehentlichen Ton: »wie lange habe ich noch zu leben? Nach meinem Tode bist du frei und magst tun, was du für gut und recht findest – über mein Grab hinaus will ich dich nicht binden; nur für die kurze Zeit, die mir noch beschieden ist, tue mir das nicht an, ich würde es nicht überleben. Sei mein gutes Kind, meine geliebte Theresa!«

Sie schloß die Tochter, die keinen Widerstand zu leisten vermochte, in ihre Arme. Theresa bebte im unterdrückten stoßweisen Schluchzen.


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