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II. Kapitel.

Als der Meister das fürstliche Treppenhaus hinaufstieg, wo barocke Genien und Putti als Leuchterträger ihr künstlerisches Wesen trieben nach des Bildhauers Laune, kamen ihm schon mehrere Livreediener mit geleerten Servierbrettern entgegen, ein Zeichen, daß ein Teil des Konzertprogramms und die Erfrischungspause bereits vorüber waren.

Der Künstler eilte darum keineswegs. Die oben mußten auf ihn warten, nicht er auf sie; und er hatte Zeit. Die Freitagskonzerte waren, wie alle aristokratische Hausmusik jener Zeit, nicht nur Kunstereignis, wo alle Neuheiten »brühwarm von der Pfanne« gebracht wurden, sondern auch Gesellschaftsereignis, wo sich die vornehme Welt zu begegnen pflegte. Der Meister konnte den Anfang, der nichts Ungewöhnliches brachte und zugleich wegen der Unruhe der Begrüßungen und des Gesellschaftsklatsches, der Chronique scandaleuse nur geteilte Aufmerksamkeit fand, ruhig versäumen; das eigentliche Interessante kam erst im Hauptteil, und das war er.

Die schweren gelbseidenen Brokatvorhänge rauschten auf, von dienstbeflissenen Händen gehoben; der Meister betrat den großen Musiksaal, dessen Fenster an dem trüben Tage von den Vorhängen geschlossen waren. An den Wänden schimmerten Kerzen in zahlreichen Leuchtern; farbensprühende Altmeistergemälde glänzten mit tiefen Reflexen in breiten geschnitzten Goldrahmen; ein erlesener Personenkreis erfüllte den Saal mit heiterem Lärm und bewegtem Leben, ein Flor von Damenschönheit und eine Galerie von männlichen Charakterköpfen, die mit den Ahnengesichtern in den Gemälden wetteiferten.

Mit seiner metallischen Stimme begrüßte Fürst Lichnowsky den ersehnten Meister und dankte mit etwas auffallender Betonung, daß der so ungeduldig Erwartete nun doch erschienen sei. Der Meister fühlte den Stachel des leisen Vorwurfs in der übertriebenen Form des Willkomms und wendete sich etwas brüsk ab; aber das war eben die Art des Fürsten, der sich einbildete, er müsse den eigensinnigen Künstler mit Anstand erziehen und zum Hofmanne machen. Aber der war und blieb naturhaft, und gerade das gefiel in dem hochkultivierten Kreis. Augenblickliche Stille war eingetreten, man ist gespannt auf den Künstler und beobachtet ihn wie ein Wundertier.

Der Meister hat sich zur Hausfrau gewendet, der blassen leidenden Fürstin Christiane, die am Klavier sitzt und dem Eintretenden mit dem huldvollsten Lächeln der Welt die Hand entgegenreicht, die der Künstler ehrerbietig küßt. Dieses schmerzensmüde Lächeln der Fürstin! Man munkelt, sie sei nicht glücklich. Die großen Ausgaben des Fürsten, seine kostspieligen Passionen – – –! Schöner noch ist ihre Schwester Elisabeth, die Gattin des stattlichen Fürsten Rasumoffsky, des russischen Staatsrates; sein Hausheiliger ist Haydn – jetzt hat er eine neue Mission gefunden, den Genius Beethoven: auch sie begrüßen ihn wie einen lieben Freund des Hauses; ja, die Mama der beiden Schwestern, die begeisterte Gräfin Thun, die das Andenken Mozarts hütet, löst sich sogleich von einer Gruppe von Damen und Herren los und steuert unbekümmert um alle Förmlichkeit auf den Künstler zu, den sie wie einen teuren Sohn fast umarmt. Sie war es doch, die vor Jahren den werdenden Meister, als er zum erstenmal nach Wien gekommen war, um bei dem damals noch lebenden Mozart Stunden zu nehmen, auf die Empfehlung des Grafen Waldstein hin liebevoll aufgenommen und ihn dem Kaiser Joseph vorgestellt hatte, der regelmäßig bei ihren Musikabenden zu erscheinen pflegte. Aristokratische Hausmusik – der gesellschaftliche Boden des musikliebenden Adels Wiens war die Pflanzstätte der ringenden Begabungen; aus der Hauskunstpflege des Hochadels und des Hofes waren die großen Meister hervorgegangen, als es noch keinen öffentlichen Konzertbetrieb gab – einen anderen Weg gab es nicht. Nach Mozart kam Beethoven; sie betrachtete ihn als ihr Werk. Kam er doch selbst von einem Hofe als Schützling des Bonner Kurfürsten Maximilian Franz, der gleich seinem Bruder Joseph II. die Förderung junger Talente als eine seiner Regentenpflichten erkannte, und seines Vertrauten, des Grafen Waldstein, der mit der Gräfin Thun verwandt war. So war der Künstler von Haus aus aufs beste gesellschaftlich legitimiert; durch seinen Genie-Adel fühlte er sich übrigens dem Geburtsadel gleichgestellt: wenn nicht sogar überlegen.

Um die übrige anwesende Gesellschaft kümmerte er sich indessen blutwenig, sondern machte sich gleich an den Pulten zu schaffen, wo »Falstafferl« mit seiner kleinen Hauskapelle saß, der rundlich fette junge Schuppanzigh, den Rasumoffsky samt seinem Quartett als Privatkapelle fest in seine Dienste genommen hatte und abwechselnd dem Fürsten Lichnowsky und dem Fürsten Lobkowitz für ihre Aufführungen zur Verfügung stellte. Eigentlich war es aber die Privatkapelle des Meisters, der seine Schöpfungen, kaum daß die Tinte trocken war, gleich orchestral durchproben und jederzeit über den ganzen Musikapparat verfügen konnte. Die Fürsten selbst wirkten im Orchester mit wie bei den berühmten Kavalierkonzerten im Augarten, ja sie fühlten sich geehrt, die Diener des Genius sein zu dürfen, der sie alle mit seinem Taktstock beherrschte und der König dieses musikalischen Reiches war, wo die glänzendsten Geschlechternamen froh sein durften, neben dem Berufsmusiker zu sitzen: die Kunst galt alles, Geburt fast nichts.

Geflüster und Gemurmel erhob sich wieder, nachdem sich die erste schweigende Spannung gelöst hatte; die Unterhaltung nahm ihren Fortgang.

Auf einer der seidenen Polsterbänke der Fensterwand zwischen den gelben Damastvorhängen saß Frau von Bernhard, eine baltische Klavierlöwin, die auf der russischen Gesandtschaft wohnte; sie hatte durch ihr Lorgnon die Vorgänge beobachtet und wendete sich jetzt mit etwas enttäuschtem Gesicht zu ihrer Nachbarin, der Baronin Ertmann, die bereits angefangen hatte, durch ihren genialen Vortrag der Beethovenschen Klaviersachen in der Gesellschaft zu brillieren:

»Also das ist Euer berühmter Beethoven?! Hm! Habe ihn mir ganz anders vorgestellt!«

Die Ertmann sah sie fragend an: »Wie denn?«

»Nun – nicht so klein und unscheinbar. Eben anders.«

»Klein und unscheinbar?« Die Baronin schüttelte lächelnd den Kopf. »Gerade das finde ich nicht.«

»Dieses häßliche braune Gesicht voll Pockennarben! Und wie unmanierlich sein ganzes Gebaren und Benehmen ist! Dann die Kleidung! Ganz und gar unpassend für diesen gewählten Kreis. Sehen Sie doch den Altmeister Haydn dagegen!«

Richtig, da war Papa Haydn, der an der Schmalseite des Saales stand und in einem Gespräch mit einem zierlichen behenden, quecksilberartigen Männchen vertieft war, ein Grandseigneur dagegen, ganz Rokoko mit reich gestickter Weste, braunem Staatsrock, großen Silberschnallen an den Schuhen; auf einem Seitentischchen lagen seine tadellos weißen Handschuhe, gleichsam unentbehrliches Attribut neben dem Dreimaster.

»Und wer ist denn das exotische Männchen, mit dem sich Haydn so angelegentlich unterhält? Ja, der mit der Perücke und dem dünnen Zopfschwänzchen? Ein kleiner Diavolo, der lebhaft gestikuliert und die Augen überall hat?«

»Ach so, der Hofmusikkapellmeister Salieri?«

»Ah, der Italiener? Dachte mir's doch! Alle sind so sorgfältig nach der Hofmode gekleidet – nur Euer Beethoven scheint sich emanzipiert zu haben: fast vulgär; neben diesen großen Meistern sieht er doch wirklich sehr unscheinbar aus«, wiederholte die kritische Baltin.

»Wenn Sie ihn spielen gehört haben, werden Sie ihn mit anderen Augen ansehen«, gab die Ertmann zurück.

»Ich gestehe, daß ich nun doppelt neugierig bin – sehen Sie doch, wie die Fürstin die Hände zu ihm erhebt, als ob sie ihn bitten wollte, und er tut, als bemerkte er es nicht – – – ein ganzer Reigen von Damen, die auf einen Blick, auf ein Wort von ihm zu warten scheinen, aber er ist geizig damit, fürwahr, stolz ist er nicht wenig; ich finde das unerträglich – – –«

Tatsächlich schien die Fürstin Christiane auf den Augenblick zu warten, da sich der Meister nach ihr umwenden würde; ein Kranz von Damen um sie harrte gleichfalls einer solchen gnädigen Audienz; augenscheinlich Enthusiastinnen, die ihm irgend etwas Schönes sagen wollten; aber er war in die Notenblätter vertieft und schien völlig entrückt.

Dann ging sein Blick verloren über den Saal – lauter bekannte Gesichter, bis sein Auge plötzlich in größerer Nähe an einigen Erscheinungen haften blieb, die ihm völlig neu und ungewöhnlich waren.

Die Hohe, Schlanke, mit dem römischen Gesicht, die schweren Flechten schlicht ums Haupt gewunden wie eine Krone, fesselte seine Aufmerksamkeit. Wer mag die sein?!

Blick tauchte in Blick – nur eine Sekunde lang. Zwei dunkle Strahlen, die sich rätselhaft ins Herz senkten und eine seltsame Unruhe weckten. Sie schlug die Augen nieder.

Fast verwirrt glitt sein Blick ab und wanderte zur Nachbarin. Himmel, wer ist diese Zarte mit den feuchtschimmernden, träumenden Mignon-Augen?!

Wieder sah er zur anderen hin, und blickte bald auf die eine, bald auf die andere, indessen die beiden schönen Mädchen sich zulächelten und dann in anscheinend gutgespielter Unbefangenheit sich zur Fürstin wendeten, die nun einer älteren Dame mit hoher schneeweißer Frisur ein flüchtiges Wort gab.

Er glaubte zu bemerken, daß die beiden Mädchen sich im leisen Geflüster mit seiner Person beschäftigt hatten; er wollte schon unwillig werden und sich in den Hintergrund zu »Falstafferl« zurückziehen, denn er liebte das Begafftsein nicht – da bemerkte er endlich die Fürstin, die ihm mit dem Fächer einen leichten Wink gab.

Sofort stand er an ihrer Seite.

»Ich möchte Sie bekanntmachen, lieber Meister, neue Verehrerinnen Ihrer Kunst«, sagte die Fürstin leichthin und deutete mit dem Fächer auf die Matrone und die beiden Mädchen: »Gräfin Brunszvik und ihre Töchter Theresa und Josephine – – – die jungen Damen sind mit der Eilpost hergereist von dem Landsitz in Ungarn und rechtzeitig erschienen, um das Konzert nicht zu versäumen – – –«

Der Künstler reichte etwas derb der alten Dame die Hand – nein, Hofmann war er wirklich nicht, trotz des kurkölnischen Hofes zu Bonn, wo er aufgewachsen war –, dann schüttelte er Josephine und schließlich Theresa, jener mit der Haarkrone, ebenso stumm als kräftig die Hand.

Schmal und zart lag Theresens Hand in seiner starken Faust. Wieder ruhte Blick in Blick, ganz kurz; er wollte etwas sagen, aber die Worte versanken, und er wartete, daß sie ihre Lippen öffnen werde; aber sie senkte nur die langen Wimpern wie einen Schleier und stand hold verwirrt da, ohne die Hand zurückzuziehen, die er plötzlich losließ. Theresa lächelte. Ein leises, fast spöttisches Lächeln, das sich weghob zu Josephine hin. Er bemerkte es und kam sich recht plump und ungeschickt vor, eine ungemütliche Situation, der er damit ein Ende machte, indem er sich ziemlich brüsk umwendete, auf das niedrige Podium sprang und »Falstafferl« zurief: »Anfangen, anfangen!«

Dann nahm er selbst am Klavier Platz und schlug einen Ton an, für die anderen das Zeichen, daß es losging.

Man setzte sich zurecht: im Halbkreis saßen ihm zunächst, so daß sich ihre Blicke begegnen mußten, wenn er aufsah, Theresa und Josephine mit ihrer Mama und Christiane. Aber er sah nicht auf. Den Löwenkopf mit der dichten ungeordneten Mähne gesenkt – er trug keine Perücke wie der alte Haydn oder wie der Satanskünstler von einem Salieri – das Gesicht verschlossen, finster, so saß er da und lauerte wie auf dem Sprung.

Atemlose Stille im Saal. Dann brach die Tonflut hervor, nie gehörte Klänge, die aus ungeahnten Urwelten zu quellen schienen, wildes Sehnsuchtsweh, das in Klüften und Felsen von Einsamkeiten hallte und schrie, höher und höher schwellend, als wollten sie Götterthrone stürmen und die Himmlischen bedrängen. Das Lächeln über den ungeschlachten Meister versiegte, der Olymp bebte in seinen Grundfesten, die herrliche Umwelt zerfloß, zerschmolz in einer einzigen Träne, die er an den Wimpern der Gräfin Theresa schimmern sah, als er geendet und plötzlich aufblickte.

Nun war an ihm die Reihe zu lächeln. Ein Lächeln so fremd, so wunderbar wie ein Strahl aus einer anderen fernen sagenhaften Welt; ein Lächeln von ergreifender tragischer Schönheit über der wilden heroischen Landschaft seines Gesichtes.

Die Ertmann hatte sich zu ihrer Nachbarin gebeugt: »Nun, was sagen Sie jetzt?«

»Was ich sage? Unbegreiflich, unbegreiflich! Es ist wahr, ich sehe ihn jetzt mit anderen Augen an. Ich war blind, jetzt bin ich sehend geworden'«

Und sie sah ihn jetzt noch neugieriger an als je zuvor.

Das erste, das zweite Trio rauschte vorüber. Aber am höchsten griff das dritte in C-Moll, der spezifisch Beethovenschen Tonart. Pathetisch, männlich kraftvoll, heroisch, voll ungebändigter Leidenschaft, voll auflehnendem Trotz. Eine neue, gänzlich unbekannte Empfindungswelt.

Die andächtige Ergriffenheit ließ es nicht zu, am Schlusse der Aufführung zu applaudieren. Man hätte es als eine Entwürdigung des Werkes und der weihevollen Stimmung empfunden, in die alle Hörer versunken waren. Nur ganz allmählich löste sich der Bann, und das Erwachen aus dem Traum der Musik war zunächst peinlich und voll Verlegenheit. Alle Worte waren schal, kein Ausdruck fand sich.

Der Hausherr machte der Ratlosigkeit entschlossen ein Ende, indem er mit lauter Stimme Papa Haydn anrief. Er, der Altmeister, sei berufen, dem jungen Genius den Dank und den schuldigen Zoll der Bewunderung im Namen aller auszudrücken. Er allein sei berechtigt, über das Opus 1 des Künstlers, der zwar schon viele rühmliche Proben seiner ungewöhnlichen Begabung geliefert, aber mit diesem Werk einen neuen Anfang setzen wolle, wie schon die Ziffer 1 besagt, ein Urteil zu fällen.

Man atmete wie befreit auf und jubelte von allen Seiten: »Ja, ja, Papa Haydn!« Es erschien als das rechte Wort zur rechten Zeit.

Papa Haydn, dem Salieri eifrig zugetuschelt hatte, kam langsam und gravitätisch näher, umarmte den Künstler und sagte, daß er stolz darauf sei, den jungen Meister einst zu seinen Schülern zählen gedurft zu haben.

»Er hat uns ein unbestreitbares Meisterwerk beschert«, erklärte er neidlos; »das haben ihn nicht seine Lehrer gelehrt; das hat ihm ein Höherer geschenkt!«

»Bravo, bravo, Papa Haydn!« Der Fürst klatschte in die Hände voll Vergnügen über das rückhaltlose Lob, das aus so berufenem Munde seinem Freund und Schützling zuteil wurde; er fühlte den Ehrgeiz eines Sportmannes, der ein gutes Pferd laufen läßt und damit den ersten Preis erringt. Der Lorbeer des Künstlers gehörte sonach auch ihm.

Alle klatschten aus Leibeskräften mit und jubelten Papa Haydn zu; der Beifall, der eigentlich dem Künstler galt und vorhin durch eine unerklärliche Scheu gehemmt war, ergoß sich jetzt über das greise Haupt des würdigen Lobredners. Es schien, als sollten die anderen die Ehren einstreichen, die sich der Meister verdient hatte. Der saß indessen mit trotzig gesenktem Haupt am Klavier; das Ganze erschien ihm als eine überflüssige und unangenehme Komödie.

»Unser junger Meister ist weit über seine älteren Meister und Lehrer hinausgeschritten,« ließ sich Papa Haydn wieder vernehmen, »und das ist sein gutes Recht, das Recht der Jugend und der neuen Kraft; auch wir haben es nicht anders gemacht – – –«

»Bravo, bravo!« rief da und dort eine Stimme.

»Aber er ist zugleich auch seiner Zeit weit vorausgeeilt,« setzte Haydn fort, »und die Menge wird ihn darum nicht verstehen. Ich meine damit insbesondere das dritte Trio in C-Moll, gewiß das herrlichste von den dreien. Aber auch das Geheimnisvollste. Diese leidenschaftlich aufrüttelnde Musik wird mißverstanden werden, weil sie mit unserer Geschmacks-Ästhetik nicht zu messen ist. Mein wohlmeinender Rat geht darum dahin, der geniale Schöpfer möge dieses dritte Stück nicht veröffentlichen, wenigstens vorläufig nicht.«

Dieser Ausspruch wirkte wie eine kalte Dusche. Nur eine feine spitze Stimme rief: »Bravissimo!«

Salieri, natürlich.

Alle waren betreten über diese unerwartete Wendung, besonders der hochgesinnte Fürst, der bereits beschlossen hatte, die drei Kompositionen bei Artaria auf eigene Kosten stechen zu lassen und dem Künstler nebst einer Anzahl von Subskriptionsexemplaren auch eine ansehnliche Ehrengabe zuzuwenden, die als Verlegerhonorar gelten sollte.

»Aber, Papa Haydn!« rief der Fürst ganz betroffen, der von Salieri und Haydn in ein abseits geführtes Gespräch gezogen wurde.

Und von allen Seiten erhob sich jetzt ein verwundertes Fragen:

»Ja, warum nicht?! Warum nicht?! Warum sollte die Musikwelt dieses dritte Trio nicht zu hören bekommen?!«

»Warum nicht – –,« antwortete der junge Meister jetzt selbst auf diese Frage, indem er sich erhob und zu »Falstafferl« hinübersagte, daß es die Umstehenden hören mußten: »weil er es mir nicht gönnt. Es ist Neid!«

»Nein, aber das müssen Sie jetzt wirklich nicht glauben, lieber Meister Ludwig«, mischte sich die alte Gräfin Thun in die Debatte, indem sie auf den Künstler einredete und immer beteuerte: »Neid ist es wahrhaftig nicht, das liegt dem reinen Charakter des grundgütigen Haydn völlig fern! Es ist ihm vielleicht nur zu neu, zu kühn, zu revolutionär!« Und treuherzig fügte sie hinzu: »Na ja, wir alten Leut können halt net immer mit; das müssen S' doch einsehen!«

Der gemütliche Ton entspannte ein wenig und rief ein Gelächter hervor; das befreit immer.

Aber die Unmutsfalte saß zu tief auf des Meisters Stirn, und das unfreiwillige Geständnis der Gräfin war auch nicht dazu angetan, diese dräuende Wolke zu zerstreuen.

Da legte sich eine Hand ganz leicht und flüchtig auf seinen Arm; er zuckte ein wenig zusammen und wandte sich hastig um.

Gräfin Theresa stand vor ihm, sie sah ihn mit ihren ernsten dunklen Augen an, und wieder ruhte Blick in Blick, als sie langsam und leise sagte: »Ich danke Ihnen für so viel unaussprechlich Schönes und bitte Sie um das eine: bleiben Sie sich treu und lassen Sie sich nicht beirren von den anderen!«

»O mein Gott!« murmelte er und griff sich an die Stirn, als ob er eine Vision geschaut und eine Stimme aus höherer Welt oder auch nur die Eingebung seiner idealen Muse vernommen hätte. Er wollte seinen Dank stammeln und fühlte sich förmlich überschüttet von einem hochgelinden Regen des Trostes und der inneren Stärkung; doch als er die Hand von Stirn und Augen wegzog, war die Holde wie eine engelhafte Erscheinung verschwunden und mit ihr die schwärmerisch blickende Schwester Josephine und die stolze weißhaarige Mama. Er konnte sie, wie er auch in dem Gewühl umherspähte, nirgends erblicken, und in dem Lärm um ihn mußte er sich mehrmals fragen: »Wach' ich oder träum' ich?!«

Der Fürst Lichnowsky nahm ihn denn auch sofort in Beschlag, um ihm zu erklären, wie Papa Haydn das mit der Nichtveröffentlichung gemeint habe; aber der Meister, noch immer mißtrauisch und ärgerlich, obschon auch wieder übermütig und angriffslustig, rief mit starker Stimme:

»Papa Haydn meint, ich solle das dritte Trio nicht veröffentlichen; infolgedessen werde ich es veröffentlichen!«

Nun brach erst der donnernde Applaus los, dessen Ausbleiben vorhin den Künstler doch einigermaßen verstimmt hatte; aber der gutmütige alte Haydn selbst lachte und applaudierte am lautesten mit und bekräftigte seinen Beifall mit den Worten: »Recht so; das sind wir schon gewöhnt – mein lieber Großmogul!«

Nun hatte Haydn wieder die Lacher auf seiner Seite; der Spitzname »Großmogul«, womit der Alte die selbstbewußte Art des einstigen Schülers geißelte, der ihm ein unlösbares Rätsel, ein ewiger Aufruhr war, blieb sitzen; der Junge war eben schon zu sehr Meister gewesen, als er nach Wien kam und bei ihm Stunden nehmen wollte, und der Lehrer war auch schon zu alt, als daß der Schüler noch etwas hätte von ihm lernen können: sie zankten sich und liebten einander, aber ihr Widerspruch war der Zeiten Widerspruch; der Alte war Vergangenheit, Barock, Klassizismus – der Junge war Zukunft, Romantik.

Der Künstler, der vergebens nach Theresa ausgeblickt hatte, die ihm nun statt Leonore wie ein Sinnbild seiner Muse erschienen war, fand plötzlich, daß die Seele entflohen war, seit die Schöne unsichtbar geworden. Die Pracht des Saales dünkte ihn mit einmal leer und nichtssagend, die Menschen als Masken, ihre Worte bloßer Lärm ohne Sinn und Inhalt.

Unbemerkt entschlüpfte er durch eine der großen Portieren; ließ sich von dem Diener Hut und Stock geben und stürmte eilends davon, die Treppe hinunter, so schnell ihn die Füße trugen. Nicht einmal von der Fürstin hatte er sich verabschiedet, die es doch so gut mit ihm meinte; aber gerade darum mußte sie ihn verstehen und ihm verzeihen.

Und sie hatte schon so vieles in fein mütterlicher Weise verstanden und verziehen, wenn es überhaupt etwas zu verzeihen gab.

Der Meister kehrte nicht sogleich heim. Er lief aus der Enge der hohen Gassen hinaus durch das Basteitor ins Freie. Draußen auf dem Glacis, wo drüben der umbuschte Wienfluß sich hinwindet und über den Bäumen sich die Karlskirche mit Kuppel und Säulen erhebt, eine Madonna im Grünen, atmete er tief auf. Der Wind fuhr in grimmigen Stößen über den weiten Plan und peitschte die hohen Pappeln der Alleen, daß sie sich wie Gerten niederbogen; das tat ihm wohl. Er brauchte die Einsamkeit, die freie Natur; er brauchte den Sturm. Der bot seinem inneren Aufruhr ein Gegengewicht. Nur jetzt keinen Menschen sehen, nur nicht reden müssen – er mußte allein sein, um Zwiesprach zu halten mit den widerstreitenden Mächten in seiner Brust und fertig zu werden mit den wogenden Gedanken und Empfindungen. Er mußte sich rühren nach dem Rhythmus des allzu stark bewegten Herzens und tollte dahin wie ein Vollblutpferd, daß die Schöße flogen, und heulte und sang in den Sturm, der seine heiße Stirn kühlte und die Haare wie eine Mähne flattern ließ. So kam er daher wie ein ossianisch wilder Natursänger oder Barde mit wetterleuchtendem Antlitz von eigentümlicher, fast dämonischer Schönheit. Ab und zu blieb er stehen, zog aus den Frackschößen ein dickes Zimmermannsblei und ein beträchtlich großes Skizzenheft hervor und notierte sich den einen oder anderen Notensatz in ein paar hieroglyphischen Zeichen. So spazierte oder rannte er arbeiten, nach alter Gewohnheit. Und stapfte dann wieder ungestüm drauflos, brummend, taktierend, singend, heulend. Zuweilen murmelte er ein paar abgerissene Sätze oder Worte, oder schrie sie wie im Streit mit einem unsichtbaren Gegner, oder lachte hell auf, daß es ganz schauerlich war. Und wenn er lachte, zog sich das Gesicht breit und grinsend in Falten, daß es anzusehen war wie eine Fratze. Dann hatte er etwas von einem mythischen Fabelwesen, von einem Naturgeist wie Pan, der hinter den Nymphen, luftigen Phantasiegebilden einhertollte. Oder etwas von einem Kaliban, der ein verwandtes Elementarwesen ist. Dann aber trat wieder jenes eigentümliche, wehmütige Lächeln wundersam verklärend über sein Antlitz, das sich himmlisch verschönte, als ob der Lichtgeist Ariel in die Erscheinung treten wollte. Kaliban und Ariel, er vereinigte beider Wesen in sich, und mochte sich so recht als der Magier Prospero fühlen, der über beide Genien herrschte, und nicht zufällig gehörte Shakespeares »Sturm« zu seinen Lieblingsdichtungen; der Meister mochte eine innere Verwandtschaft fühlen.

»Wie sagte sie? Bleiben Sie sich treu und lassen Sie sich nicht von den andern – –« Er lächelte still und selig in sich hinein. »Theresa, du Holde, Himmlische!«

Ihr mildes Bild umschwebte ihn; selbst Leonore war verblaßt; eine andere hatte den verlassenen Thron seines Herzens eingenommen, die größer, königlicher, engelhafter war als selbst die vergötterte Seelenfreundin der Jugend, und diese andere war Theresa.

Jetzt konnte selbst der Ärger über den alten Lehrer Haydn keine rechte Macht mehr gewinnen, die schlimmen Schatten des Argwohns waren in Schranken gehalten.

»Oh, ich lasse mich nicht beirren,« wiederholte er im Selbstgespräch nach Art der einsamen Naturen, »nie, nie, nie! – – – Aber das waren Worte, die dir die Himmlischen eingegeben haben, du gute Theresa! Haydn – er mochte wohl fühlen, daß alle andere Musik daneben zahm und geistlos erscheinen mußte; darum wollte er nicht, daß ich das Trio veröffentliche – – – Ich, sein Schüler – –« Er mußte bei diesem Gedanken hellauf lachen, daß es schallte. »So scheint es wohl in den Augen der Welt, und der kindische Alte ist wohl stolz darauf – – Nur weiß es die Welt nicht, daß er mir so wenig geben konnte wie Mozart; sind die Menschen blind oder taub, daß sie nicht merken, wie unähnlich beiden mein Werk ist?! Theresa, du fühlst es – dein Blick sagte es mir, deine Tränen sagten es, mehr als es deine Worte sagen konnten – – – Oh, ich spüre diesen Blick, der warm in meiner Seele ruht, unvergeßlich; ich spüre deine Tränen wie einen sanften Regen, der die Fruchtbarkeit des Herzens weckt, die Liebe; ich spüre deine Worte und bewahre sie tief da drinnen wie ein heiliges Vermächtnis, ein Unterpfand – – – Ach, ein Mensch, der wirklich versteht in der ganzen Menge, ist das nicht genug? Eine Seele, die ein Echo gibt, ist das nicht alles? Ist das nicht unendlich mehr als der Beifallslärm aller übrigen?! Fürwahr, die Musen haben den Tag und das Werk gesegnet durch diese eine – bin ich nicht glücklich? Aber war es wirklich nur diese eine?!«

Das Gefühl wollte sich verwirren. Neben dem Idealbild Theresas tauchte der schwärmerische Zauberblick ihrer Schwester Josephine auf. Oh, die unergründliche blausamtene Nacht dieser wundersamen Augen, kindlich und zugleich verführerisch wie das Gesicht Mignons, das, dunkle Sehnsuchtsgewalten weckt und die Gedanken fortzieht, daß man ganz hilflos wird.

Der Meister wehrte sich gegen die Sinnenmacht dieser Augen, die behexen und Leidenschaften wecken konnten, aber nicht die erlösende, erhebende, beseelende Kraft hatten, die von Theresa ausging und rein, wunschlos, glücklich machte.

»Fort, fort, unbeherrschte, wilde Wünsche,« stieß der Meister hervor, »o Gott, wo gerate ich hin!« und er rannte querfeldein, als wollte er seinen eigenen Gedanken entfliehen. »Man könnte ganz unglücklich dabei werden,« dachte er, »und das soll nicht sein! Bleibe du mir, Theresa, himmlische Liebe, das macht mich fromm und gut! So will ich es, so muß es bleiben!«

Er hielt inne und zog Heft und Bleistift hervor. Rasch zog er ein paar Notenlinien, ein grauses Gemengsel von Punkten und Strichen war im Nu hingeworfen, ein musikalischer Gedanke, der ihm durch den Sinn ging. Dazu summte er ein paar Verse seines Lieblingsdichters Matthisson, die ihm gerade einfielen und die er unter das Notengestrüpp setzte. »Einsam wandelt dein Freund – – –«

Dann schrieb er seitlich das eine Wort »Adelaide« und entwickelte daraus den Sehnsuchtslaut der Melodie, lang hingezogen in allen Modulationen, bis sie dem inneren Klang, den er in der Seele spürte, entsprach.

Aus den Worten, die er rasch hinwarf, rankte blühend der Gesang hervor: »Vieles ist auf Erden zu tun, tue es bald. – Zeige mir die Laufbahn, wo an dem fernen Ziel die Palme steht! – Meinen erhabensten Gedanken leihe Hoheit, führe ihnen Wahrheiten zu, die es ewig bleiben – – –«

Die Muse segnete ihn. Sie gab ihm den Namen »Adelaide« zum Phantasiegeschenk und nahm die sanft-ernsten Züge Theresas an. Ihr mochten die Schlußzeilen des Liedes gelten, an sie dachte er, sie schwebte ihm vor, als sich die Worte fanden und zu den Worten die Töne:

»Einst, o Wunder! entblüht auf meinem Grabe
Eine Blume der Asche meines Herzens;
Deutlich schimmert auf jedem Purpurblättchen:
Adelaide!«

Was der Künstler empfand, strömte in Tönen aus; daß er gerade diese Verse wählte, daß sie ihm zwangsläufig in Sinn kamen wie ein Orakelspruch, das ist ein Geheimnis seiner Muse. Dabei ist alles folgerichtig, nichts ist zufällig. War es eine Schicksalsahnung, ein prophetisches Gefühl, das ihn diese Verse aus der Erinnerung finden ließ? War es ein Gelöbnis an Theresa, ein Seelenband, das sich schier von selbst geschlungen hatte und sanft hinleitete zu dem Erfühlen dessen, was möglich und zugleich heimlich oder unterbewußt empfunden war? Der Tondichter wußte es nicht und dachte auch darüber nicht nach. Aber insgeheim wußte es seine Seele, was ihm noch verborgen und höchstens unbestimmtes Sehnen blieb, und diese Seele wußte alles Kommende und Künftige; in ihr lag Schicksal und Bestimmung. Dieses Geheimnis lag in seiner Kunst und wirkte in dem Lied. Es war Leben geworden und hatte seinen eigenen Sinn. Darüber zu grübeln, war nicht Sache des Meisters.

Eine neue Schöpfung war ihm geworden; der Sturm war beschworen, er fühlte, daß er ruhig wurde in der Brust. Sterne zogen am dunkel gewordenen Himmel auf; es war Nacht, als der Meister in seine arme turmhohe Behausung am Petersplatz heimkehrte.

Arm, arm, arm war diese trostlose Wohnung.

Welch ein Kontrast zur Palastherrlichkeit der Fürsten, die ihn verhätschelten und mit ihrer Freundschaft auszeichneten! Daß sie sich gar nicht um ihn kümmerten, wie er wohnte und lebte!

Oh, er hätte es so haben können wie sie! Er dachte jetzt daran, als ihm selber der krasse Unterschied im äußeren Leben zum Bewußtsein kam. Er erinnerte sich der ersten Zeit in Wien, da er im Hause Lichnowsky wohnte, Diener und Reitpferd hatte und für alles gesorgt war. Und hatte sich doch nur gefühlt wie der Vogel im goldenen Käfig, wo er nur eines entbehrte zum vollen Glück, dieses eine, das freilich alles andere weitaus aufwog: die Freiheit! Unmöglich, die Mittagszeit, die im Hause Lichnowsky um ½4 Uhr festgesetzt ist, einzuhalten! Unmöglich, pünktlich zu Hause zu sein, sich umzukleiden, für den Bart zu sorgen! Das ergab immer Mißhelligkeiten; er pflegte einfach auszubleiben und im Gasthaus zu speisen, wenn es ihm paßte. Die Fürstin zwar vergab die Unart, aber auch sie versuchte ihn mit mütterlicher Liebe zu erziehen, und das ging so weit, daß sie schier eine Glasglocke über ihn machen ließ, damit kein Unwürdiger ihn berühre oder anhauche. Das war erst recht eine Unmöglichkeit für den Meister. Auch das Reitpferd war eine Unmöglichkeit. Anfangs hatte es ihm Spaß gemacht, es den Kavalieren gleichzutun. Aber bei der Arbeit vergaß er darauf und ward erst daran erinnert, als der Reitknecht die Futterrechnung brachte. Dann war es zu Ende mit der edlen Passion.

Nein also, die Freiheit war nicht zu teuer erkauft. Wenn er daran dachte, dann war ihm seine ärmliche Behausung doppelt lieb und wert, wenn auch heute nicht einmal ein dienstbarer Geist seiner wartete und noch alles in der greulichen Verwüstung lag, wie er es am Morgen verlassen hatte. Diese Bettelarmut war aber zugleich Freiheit. Und Freiheit war zugleich Muse. Er konnte nicht schaffen inmitten eines üppigen gesellschaftlichen Lebens. Und darum hatte er die fürstliche Wohnung preisgegeben, leichten Herzens, und die Mietmisere vorgezogen. Hier hatte er außer des hohen Gutes der persönlichen Freiheit noch etwas anderes, das ihm unschätzbar war: Fenster, die weit über die Dächer in die Landschaft und in die Ferne blicken ließen. Das brauchte er, darum wohnte er so hoch. Auf Luxus machte er keinen Anspruch, er störte ihn nur. Seine Wohnung war ein Arbeitsraum. Er wohnte den Wolken nah, und die Glocken von Sankt Peter und Sankt Stephan waren seine lieben Nachbarn.

»Mit dem Adel ist gut leben«, dachte er nun mit dankbarem Gefühl, als er die dunkle Wendeltreppe hinaufstieg und des verlaufenen Tages und aller früheren Wohltaten sich erinnerte, die er empfangen. »Aber man muß etwas haben, womit man ihm imponieren kann!«

Als er sich die Treppe hinaufgetastet hatte und an seine Wohnungstür trat, stieß sein Fuß an etwas Weiches, Lebendiges, das sich sofort rührte.

»Holla, was ist das?« Er strich rasch ein Wachshölzchen an und leuchtete einem Menschen ins Gesicht, der vor der Tür gelegen und eingeschlafen war.

»Was zum Kuckuck, sind Sie es, Ries?«

»Ja,« erwiderte der junge Mensch, »ich kam zu spät zu Lichnowsky, nachdem ich Zmeskall nicht zu Hause fand und erst nachmittags erreichen konnte. Da Sie noch nicht daheim waren, hielt ich es für das beste, hier zu warten, und wäre beinahe eingeschlafen. Es ist wohl spät geworden – – –«

Der Meister mußte lachen, aber insgeheim war er doch gerührt über diesen Beweis dankbarer Anhänglichkeit. Also hatte doch ein menschliches Wesen auf ihn gewartet.

»Hier bringe ich die gewünschten Sachen, den Spiegel, das Geld; und morgen wird sich Herzog, ein alter Diener mit guten Zeugnissen, vorstellen.«

»Nun kommen Sie herein, Ries,« sagte der Meister, indem er aufschloß; »wir wollen sehen, ob sich noch ein Tropfen Wein in der Flasche und ein kleiner Imbiß vorfindet. Ich habe Hunger, und Sie werden auch ein paar Bissen nicht verschmähen.«

Mit ein paar Handgriffen hatte Ries das Zimmer halbwegs in Ordnung gebracht und die Spuren der Morgentoilette hinausgeschafft, indem der Meister seine Vorräte musterte. Da standen noch ein paar halbgeleerte Weinflaschen umher, die Reste früherer Mahlzeiten, zwischen den Fenstern lag ein halber Laib Strachinokäse; ein tüchtiges Überbleibsel echter Veroneser Salami, eine ausreichende Krume Brot, wenn auch schon ziemlich hart geworden, fand sich vor, aber man hatte gute Zähne, und es dauerte nicht lange, so hieben die beiden wacker ein – es dünkte ihnen ein Göttermahl und schmeckte weitaus besser als an der reich bestellten Fürstentafel. Nach beendeter Mahlzeit erhob sich der Künstler und trat an das Klavier. Er vertiefte sich sofort in seine Notizen über die »Adelaide« und arbeitete die Komposition rein heraus.

Als er nach einer Stunde aufsah, saß Ries noch immer da, aufmerksam und treu wie ein Hund. »Ja, zum Teufel, jetzt machen Sie aber, daß Sie fortkommen und sich tüchtig ausschlafen! Das Geld von Zmeskall können Sie behalten; morgen springen neue Quellen!« Er merkte gar nicht, daß Ries sich empfahl, denn er war schon wieder tief in seine Arbeit versenkt, die sein königlicher Reichtum und sein Segen war.


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