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XII. Kapitel.

Ein reines Liebesglück fing spät an zu erblühen unter den hohen alten Linden.

Oft und oft steht Theresa auf dem Söller des Schlosses und späht über die weite Landstraße hinaus, die sich mit ihren Pappelreihen in endloser Ferne verliert.

Von dort her müssen sie kommen!

Dann ist es wieder Pipschen, die Ausschau hält, und von drinnen fragt eine Stimme:

»Siehst du nichts?«

Und wieder die gleiche trübselige Antwort:

»Ich sehe nichts!«

»Seltsam,« meinte Theresa, »sie müßten längst hier sein. Graf Deym wollte doch schon vorgestern ankommen.«

»Ach!« seufzte Pipschen und verzog den Mund, »darum ist mir nicht bang. Der kommt noch früh genug.«

»Ich meinte, du siehst nach ihm aus«, bemerkte Theresa. Und Josephine flink:

»Nach wem siehst denn du aus? Ich meinte, du siehst auch nach Louis aus!«

Es war eine harte Geduldprobe.

Endlich, eines Nachmittags, rief Pipschen mit jubelnder Stimme:

»Sie kommen, sie kommen!«

Und ließ ihr weißes Tüchlein flattern. Zog aber ihr Fähnlein alsbald wieder ein und machte ein schmollendes Gesicht:

»Ah! Es ist nur der Deym!«

Die Reise war lang. Immer dasselbe einschläfernde Bild: die Akazie, der Pußtabaum, längs der sandigen Wege, Flieder, gelbe Maisfelder; in der Ferne Hügelketten, blauduftig; Stationen in der barocken Krönungsstadt Preßburg, in Raab; endlich winkte das Ziel.

Knirschend fuhr der Wagen den Kiesweg zur Schloßrampe zwischen Kübelpflanzen, Oleander und Lorbeer hinauf.

Niemand am Söller, kein Frauenbild, kein wehendes Tüchlein, das Schloß still, wie ein verwunschenes Dornröschen. Mittagschlaf.

Der Schäferhund schlug an; im Nu ward es lebendig.

Diener stürzten heraus und halfen ihrem Herrn und seinem berühmten Gast aus dem Wagen, der sofort in seine Zimmer geleitet wurde, die im ersten Stock des rechten Flügels nach der Garten- und Parkseite lagen, mit dem Blick auf den runden Platz mit den Linden und steinernen Bänken. Das Gepäck ward alsogleich hinaufgeschafft, alles lief und stürzte durcheinander, der Herr Verwalter, die Gutsbeamten, die alle zu spät in atemloser Eile angerannt kamen; man hatte die Ankunft nicht um die frühe Nachmittagsstunde erwartet, gewöhnlich pflegte doch der Herr Graf um die sechste Stunde anzukommen. Daß man sich in der letzten Station fast gar nicht aufgehalten und die Pferde laufen ließ, was sie konnten, zumal sich in Wien die Abreise um ein paar Tage verzögert hatte, das alles war nicht in Betracht gezogen.

»Wir haben gnädigen Herrn Graf schon vorgestern erwartet«, keuchte der Herr Verwalter kurzatmig; »sind auf der Lauer gelegen zwei Tage lang und ist nichts gekommen, das heißt, ist gestern Graf Deym eingetroffen, bitte ganz gehorsamst!«

Der Meister sah sich in seinem Zimmer um; weiße Mullvorhänge an den Fenstern und an dem Himmelbett, zierlich gerafft, mit goldenen Pfeilern als Träger, Empirestil; goldene Rokoko-Ornamente an dem weißen Holzgetäfel; der zylinderförmige weiße Porzellanofen in der Nische, obenauf eine kniende antikisierende Mädchenfigur; in dem größeren Zimmer nebenan ein Klavier, altmodische bequeme Polstermöbel mit hellem verschlissenen Damast bespannt, ein großer einfacher Schreibtisch, Bücher, Glasschränke mit Porzellangegenständen; alte Stiche in goldenen Leisten, hell, freundlich, vornehm, und behaglich einfach – zum langen Verweilen eingerichtet. Der mächtige weiße Ofen in der Ecke nicht zu vergessen, vom Flur aus zu heizen, neben dem offenen Marmorkamin, der außer Gebrauch schien. Ein gemütlicher Aufenthalt bei strahlender Ofenwärme, wenn's draußen stürmt und schneit; drinnen Musik, herrliche Gedanken, Arbeitsstille, köstliche Ruhe – der ganze Raum, die Gegenstände schienen solche Vorstellungen geradezu einzuflüstern, Sommernachtsträume und Wintermärchen: man fühlte sich hier zu Hause und hatte nur den einen Wunsch, gar nicht mehr fortzugehen.

»So, nun wären wir hier, endlich einmal!«

Der Meister machte sich's bequem; er hatte keine Eile. Nur zuerst den Reisestaub abwaschen, die Kleider wechseln; vor allem die schöne gestickte Wäsche, von so teuren liebreichen Händen verfertigt, anlegen – sie waren wie ein kostbares Gut gehütet worden bis zu diesem Tage, wo man damit Staat machen konnte; endlich war man fertig mit der Toilette, helle, tadellose Beinkleider, blauer Frack mit Messingknöpfen, die Lieblingstracht des Meisters: blau paßt gut zu dem braunen Gesicht und macht es noch einen Schatten dunkler; das wirre, mähnenartige Haar, das die mächtige Stirn ossianisch umflattert, ein wenig geordnet vor dem großen graublauen Spiegel im weißen goldverzierten Rahmen; die weiße Halsbinde kunstvoll geschlungen: und nun hinunter über die steinweiße Treppe, auf deren Balustraden einige Putten umherkauern und hohe schmiedeeiserne Lampen tragen, in den Musik- und Empfangssaal, wo man gewiß schon erwartet wird.

In dem Saal ist niemand.

In den abgeteilten elfenbeinweißen Flächen der Wände, von leichten Stuckornamenten anmutig gerahmt, alte etwas dunkle Bilder, ideale Landschaften; sparsame schwellende Sitzmöbel an den Wänden, seitlich vor den Fenstern ein freistehender offener Damenschreibtisch auf hohen, sanft geschwungenen Beinen, an der Längswand zwei Klaviere, links und rechts vom Eingang; Quartettinstrumente; an den Schmalseiten des Saales links und rechts hinter offenen Bogen je ein kleiner Salon – – –

Die Schönheit des Saales ist der Gartenblick. Hohe Fenster in der ganzen Front, in der Mitte, weit geöffnet, die Glastür nach der breiten Terrasse, die mit sanften Stufen in das Gartenparterre hinabführt. Die Blumenpracht der Beete leuchtet still herein, die Rosen duften, der Springbrunnen rauscht durch die Stille. Hohe Baumreihen im Hintergrund führen den Blick weiter, wo in der Tiefe eine weiße Gartenfigur aufschimmert. Ein italienischer Traum in der ungarischen Ebene – – –

Gebannt von dem klassischen Zauber des Gartenbildes tritt der Meister näher zur Terrasse.

Ein leichter Schritt hinter ihm auf dem Teppich, ein feines Kleiderknistern; er wendet sich um: Theresa, die aus dem seitlichen Salon getreten ist, steht vor ihm, schön und etwas bleich, das dunkle Haar mit einem Stirnband zurückgebunden, keusch und lieblich ernst wie eine Vestalin.

»Willkommen auf Martonvásár«, sagt sie dem Meister, der ihre Hände küßt.

Sie hatten sich Jahre nicht gesehen und waren sich doch so nah; aber das Wiedersehen nach so langer Zeit litt zuerst unter einer fremden Scheu; die ersten Worte nach der Begrüßung gingen um die üblichen Fragen, wie die Reise war, ob er wohl zufrieden sei mit den Zimmern, ob er Wünsche habe in bezug auf Bequemlichkeit, man hoffe, daß er sich wohl fühle und recht, recht lange bleibe.

Und damit war alsbald die frühere gewohnte Herzlichkeit gefunden, besonders als Pipschen kam und ihn mit unbekümmerter Vertraulichkeit begrüßte, trotz des Grafen Deym, der hinter ihr einherkam und sich als ein feiner, liebenswürdiger und aufmerksamer Kavalier erwies. Josephine behandelte ihn schlecht; er blieb immer gleich freundlich und geduldig.

Die Gräfin-Mutter, die Faden abschneidende Parze, erschien wieder grau in grau; sie war bedeutend gealtert, versteinert, aber sichtlich bemüht, die allerfreundlichste Miene aufzuziehen. Sie reichte den Tee in einem der kleinen seitlichen Salons, wo sich's gemütlich plaudern ließ; Franz, der vom Wirtschaftshof herüberkam, brachte einen lauten, ungezwungenen Ton in die Unterhaltung; der Meister tat sich leicht und fühlte kaum seine störende Harthörigkeit, denn sie sprachen alle ein etwas langsames, gut betontes Deutsch, gemäß der scharfen Akzentuierung der ungarischen Landessprache; er verstand sie mühelos, auch wenn sie leise sprachen, wenn er nur auf ihre Lippen sah. Er fühlte sich wie erlöst von seinem Leiden und sichtlich gehoben in dem feinen wohlgestimmten Kreis, der ihn mit einer Atmosphäre von Verehrung, Freundschaft, Liebe umwob.

Gegen Abend schlug Theresa einen Spaziergang durch den Park vor; sie ging mit dem Meister voran; Josephine folgte etwas unwirsch mit dem Grafen Deym; Franz entschuldigte sich und sah nach den Ställen und nach der Schweinefarm; der elegante Kavalier war draußen auf dem Gut ganz Landwirt. Mama blieb mit ihrer unentwegten Nadelarbeit im Salon vor den offenen Fenstern sitzen, in weiche Schals gehüllt.

Sie gingen zwischen den Rosen nach dem Hintergrund durch die hohen Baumreihen, in deren Tiefe die Statue weiß leuchtete.

Ein runder Platz mit niederem Mauerrand weitete sich, von Linden umsäumt; die Mauer reichte tief hinab, man sah weit ins Land hinaus über Weingärten, Getreidefelder und Wiesen, wo Pferde, Schweine, Schafe, Büffel, Rinder weideten, bis zu fernen blaudämmernden Hügelketten, wo die Abendsonne ihr Strahlennetz spann und das einen paradiesischen Frieden atmende Bild in warmen goldenen Schein hüllte.

»Es ist mein Lieblingsplatz,« sagte Theresa, »und diese Linden sind meine Freunde. Jede trägt einen Namen; auch der Ihrige ist darunter, so konnte ich mich mit Ihnen unterhalten, obschon Sie fern waren.«

»Und was sagte der Baum?« wollte Ludwig wissen.

»Er sagte mir viel Glückliches, aber auch viel Leidvolles«, erwiderte sie andeutungsweise.

»Er hätte Ihnen sagen müssen, daß ich immer an Sie gedacht habe, Theresa,« sagte er ernst, »und daß ich unglücklich war, Sie so fern zu wissen. Aber jetzt begreife ich, daß man in diesem Eden die Stadt und die Freunde dort vergessen kann.«

»Hätte ich mit dem Baum gesprochen, wenn ich vergessen hätte?!« fragte sie.

Josephine kam mit Deym nach; sie hatte heute einen etwas ärgerlichen Humor und nahm sich ihren Kavalier zur Zielscheibe.

»Hier ist die Gesellschaft erlesener Menschen, jeder durch einen Baum symbolisiert; aber glauben Sie ja nicht, Deym, daß Sie darunter sind!«

»Sie will Sie nur necken«, warf Theresa ein, um ihn zu trösten; »glauben Sie ihr kein Wort!«

»Im Gegenteil, Komtesse,« versicherte der Graf bereitwillig, »ich wüßte nicht, wodurch ich mir die Ehre verdient hätte, hier ein Denkmal zu erhalten. Aber ich will es ernstlich versuchen.«

»Geben Sie sich nur keine Mühe«, plänkelte Pipschen.

Im artigen Kreuzfeuer ging es weiter.

Man wendete sich zurück.

Seitlich unter Bäumen breitete sich ein Teich, im Rechteck sauber eingefaßt. Der rotgoldene Himmel spiegelte sich darin, und die dunklen Baumstämme mit ihren Schattenkronen.

Alles, was man sah, war Poesie.

Dieser helle Wasserspiegel im Rückblick, die einsame weiß leuchtende Statue als Göttin der Träume – wie ein Abbild der Seele Theresas erschien es dem Meister.

Schweigend gingen sie dem Schlosse zu, das ihnen festlich entgegenleuchtete.

Jedes war in Gedanken, die unaussprechbar waren.

Der Abend nach dem Essen gehörte der Musik.

In Tönen ließ sich eher sagen, was der Mund verschwieg.

Die warme Juninacht wälzte Wolken von Rosendüften herein.

Ludwig hatte neue Lieder gebracht, Josephine sang, er begleitete sie.

»An dir allein, an dir hab' ich gesündigt,
Und übel oft vor dir getan.
Du siehst die Schuld, die mir den Fluch verkündigt;
Sieh, Gott, auch meinen Jammer, meinen Jammer an!«

Es war sein Bußlied nach den Versen Gellerts.

Die Liederkomposition des Meisters lag auf dem Nebentisch; nur selten drängte es ihn zur lyrischen Gattung. Dann aber lag ein Sinn darin, der für sein Leben Bedeutung hatte; das Persönliche bestimmte die Wahl der Verse.

Dadurch wurde sein Lied zur Seelenbeichte.

Theresa saß in einem antik geschweiften Stuhl, zuhörend.

Ludwig mochte es bedünken, wenn sein Blick schnell über sie hinflog, daß sie jener träumenden Muse draußen im stillen Park glich.

Dann spielte er die Appassionata und auswendig Teile seiner neuen, noch unvollendeten Symphonie.

Zum Schluß reichte der Diener Erfrischungen herum, man blieb noch eine Weile beisammen sitzen; es gab allerlei Kurzweil.

Höchst amüsiert erzählte Franz, warum sie sich mehrere Tage verspätet hatten.

»Daran ist Ludwig schuld. Wenn es aber nach ihm gegangen wäre, lägen wir noch auf der Strecke. Vielleicht, daß wir in acht Tagen landeten!«

Er lachte aus vollem Halse, und der Meister lachte mit, daß es schallte.

»Stellt euch vor,« erklärte Franz und erweckte immer neue Heiterkeitsausbrüche, »einen ganzen Möbelwagen voll Sachen wollte er mitschleppen, Berge von Noten; am liebsten hätte er sein Klavier mitgenommen! Ich fragte nur, wie wir das alles in den Reisewagen verstauen sollen? Er aber unentwegt: es geht schon, es geht schon! Natürlich brachten wir nur ein Zehntel unter, und gerade das Unwichtigste. Also wieder abladen und auswählen. Aber der gute Meister verteidigte jedes Stück. So kämpften wir zwei Tage miteinander, bis wir endlich einig waren. Es war freilich noch immer zuviel, wir hatten schwere Fracht, und János fürchtete schon, daß wir nicht weiterkämen.«

»Ach, János fürchtet immer«, wandte Theresa ein.

»Aber wie schade,« rief Josephine, »warum habt ihr doch nicht alles mitgenommen! Gewiß sind noch herrliche Sachen in Wien geblieben! Wir können gar nicht genug Musik haben!«

»Allerdings ist schade«, meinte auch Franz. »Am besten, wir hätten dich ganz übersiedelt. Aber das nächste Mal, Louis, reisen wir mit dem Frachtwagen.«

Man sagte einander bald »gute Nacht« und ging früh genug zur Ruhe.

Ludwig konnte lange nicht schlafen. Die Nachtigallen schluchzten in den Büschen die ganze Nacht hindurch; er konnte es in der Stille bei dem halbgeöffneten Fenster deutlich vernehmen.

Drüben im linken Flügel brannte noch lange ein Licht hinter dicht verschlossenen Vorhängen.

Es war Theresas Zimmer.

Sie war mit ihrem Tagebuch beschäftigt.

Der Tag war reich an tiefen Eindrücken, es drängte sie, die denkwürdigen Augenblicke und ihre Gefühle zu verewigen, die sie empfand, als sie nach Jahren wieder dem heimlich geliebten Manne entgegentrat.

»O Gott,« begann sie mit ihrer Aufzeichnung, »was muß der arme Louis gelitten haben! Zwar sieht er gesund aus; er ist stärker, voller geworden, das Bild einer kraftvollen, selbstbewußten Männlichkeit. Aber die unendlich rührende Trauer in seinem Gesichtsausdruck! Man sagte, ich glaube es irgendwo gelesen zu haben, daß die Melancholie genialen Männern eigentümlich sei. Die leise Traurigkeit seines Ausdrucks hat mich früher schon so seltsam ergriffen und zu ihm hingezogen, ich wußte aber nicht recht, was es sei; diesmal sah ich es ganz klar; sie ist der eigentümliche Zauber seines Gesichtes und seines Wesens! Wie habe ich geweint, als ich von seiner Taubheit hörte, was mich ganz niederbeugte; ich stellte es mir schrecklicher vor, als es scheint; ich fürchtete, daß seine Musik darunter leiden würde, aber das ist nicht der Fall; im Gegenteil, sie ist tiefer, mächtiger, ungeheuerer geworden; er dringt in Regionen, wohin man ihm kaum folgen kann. Sein inneres Gehörvermögen ist vielleicht eher geschärft, wenn er die Töne auch nur unvollkommen hört; übrigens wird Musik aus dem Geiste geboren und mit Geistesohren vernommen! Sein ›Bußlied‹ hat mir alles gesagt, was ich wissen wollte; ich möchte nicht, daß es in Worten ausgedrückt würde. In der Musik wird alles edel, freilich nur, wenn ein edler Geist daraus spricht. Entsetzlich, diese dröhnenden Schläge in seiner neuen Symphonie! Ich fühle alle Schauer der Verdammnis und mußte mich plötzlich nach der Gartentür umwenden in Furcht, als ob jeden Augenblick der steinerne Gast aus der Tiefe der Nacht erscheinen müßte. Jetzt erst konnte ich das unermeßliche Leiden ahnen, das den armen Meister überfallen. Wie muß seine Seele gerungen haben! Dieses furchtbare Klopfen des Schicksals, das alle Schrecken in der Brust aufjagt und Verzweiflung weckt. Und immer wieder der Kampf mit den dämonischen Mächten. Diese Seufzer, dieses schmerzliche Klagen und Hinsinken. Aber dann diese sieghafte Zuversicht, dieser engelhafte Sang im Glauben an den Sieg des Guten und Schönen, dieses himmlische Triumphlied, das schließlich alle Schauer überwindet und das grauenvolle Schicksalspochen übertönt – seine Seele ist stark und kühn; das Leid hat ihn geläutert und geklärt. – Er sagte mir draußen unter den Linden, als wir zurückgingen, so leise, daß es Josephine vor uns nicht hören konnte: der Gedanke an mich sei ihm in den finstersten Stunden eine Tröstung, eine Rettung gewesen. Oh, wenn ich denken könnte, daß ich ihm soviel bedeutet habe – nein, nein; fort, ihr Träume, so hold ihr mir auch seid! Er wollte mir etwas Liebes sagen, weil er gut zu mir ist; aber ich darf nicht wieder törichte Hoffnungen hegen. Nun gute Nacht, mein Lieber! Ich bin ruhig und glücklich, zu wissen, daß wir nun unter einem Dache schlafen! Wer hätte das gedacht! Alle meine Gedanken und Gefühle liefen sonst in die Vergangenheit zurück; jeder neue Morgen war mir eine neue Qual; jedes Gestern ein Scheidegruß – nun drängt meine Sehnsucht in die Zukunft, in den kommenden Tag: oh, wäre es nur schon morgen!«

Sie war schon früh auf und kam von den Linden her, als man sich zum Frühstück versammelte.

Die Tage gingen still vorüber, der Meister versuchte zu arbeiten, es ging aber nicht recht damit; er lief, alter Gewohnheit gemäß, auf stundenlangen Wanderungen umher, folgte Franz auf seinen Wirtschaftsgängen und Inspektionen, bekundete allerlei Interesse, hatte es aber im nächsten Augenblick wieder vergessen; gelegentlich ritt er mit dem Grafen Deym aus; die meiste Zeit aber verbrachte er doch am Klavier mit Theresa und Josephine, ganz wie in alter Zeit, und Deym fühlte sich höchst unglücklich, daneben stehen zu müssen, von Josephine kaum beachtet.

Getreulich zeichnete Theresa alle Vorkommnisse und Gespräche mit dem Meister auf, um sie dem Vergessenwerden zu entreißen und sich die kostbaren Stunden in ihrem Tagebuch wie in einem Weihegefäß aufzubewahren, ihre Gegenwart im Geiste zu verewigen und im Nachgenuß sich daran zu erfreuen.

»Es tat mir weh im Herzen,« so schreibt sie nieder, »als mir Ludwig gestern mit dem Ausdruck tiefsten Schmerzes gestand, daß es mit seiner Laufbahn als Virtuose nun für immer vorbei sei. Ich tröstete ihn, indem ich sagte, daß um so höher sein Ruhm als Tondichter steige, dies sei das Größere. Er dankte mir, indem er meine Hand ergriff.«

»Täglich spazieren wir zum Platz unter den Linden hinaus und sitzen dort oft stundenlang, in Gespräche vertieft, oder im stummen Betrachten der Natur. Am schönsten ist es, wenn ich mit ihm allein bin. Dann öffnet sich sein Gemüt zum Aussprechen edelster Gedanken. Wie oft muß ich den Reichtum und die Tiefe seines Geistes bewundern! Seine Naturbegeisterung ist grenzenlos. Er empfahl mir sein Lieblingsbuch: Betrachtungen über die Werke Gottes in der Natur, von Sturm. Und dann sagte er: Mir geschieht nur dann wohl, wenn ich in der freien Natur bin. Er liebt das Elementare. Immer neue Freuden schöpft er aus diesem Heilquell. Und dann wiederholt er: Kein Mensch kann das Land lieben so wie ich. Geben doch Wälder, Bäume, Felsen den Widerhall, den der Mensch wünscht! Der kindlich fromme Papa Haydn nannte ihn einmal einen Atheisten. Das ist gottlob! nicht wahr. Der Meister ist eine tief religiöse Natur. Seine Aussprüche, seine Naturbegeisterung lassen es mich immer wieder erkennen. Auch sein Bußlied. Und überhaupt seine ethische Lebensauffassung. Seine Kunst vor allem. Er klagte, daß man seine Oper so schlecht behandelt habe. Ich bin ganz begeistert von dem Leonorenmotiv. Ich fühle mit der heroischen Liebe dieser herrlichen Frau zu ihrem Fidelio – wie gern wollte ich ihre Leiden tragen für meinen Fidelio! Nun hat er auch eine Ouvertüre für Collins: Coriolan geschrieben. Er liebt die großen sittlich erhebenden Stoffe. Und sittlich erhebt auch seine Musik, indem sie zugleich erschüttert. Neulich machte er eine treffende Bemerkung, ganz seiner würdig, über Mozarts Don Juan: Die heilige Kunst sollte sich nie zur Folie eines so skandalösen Sujets entwürdigen lassen! Im Gegensatz zum Don Juan nannte er die Zauberflöte Mozarts größtes Werk. Das ist ein Sujet, das auch ihn gereizt hätte. Er ist nach solchen Stoffen auf der Suche. Hier ist alles, was er wünscht: Gehorsam, Tugend, Treue, Überwindung, standhafte Liebe! Wie bin ich ihm dankbar für solche Worte! Er spricht es aus, was ich nur dunkel empfinde. Wie glücklich bin ich, daß er mich armes Ding solchen Vertrauens würdigt und mich an seinem Inneren teilnehmen läßt, wie vielleicht sonst keinen Menschen. Als wir bei den Linden auf dem niederen Mauerrand allein beisammen saßen, äußerte er plötzlich: ich möge so zu ihm reden, wie ich zu dem Baum spreche, der seinen Namen trägt. Ich war ganz betroffen, das Herz schlug mir gewaltig, ich wurde rot und wußte nicht, was ich sagen sollte. Schließlich erwiderte ich: er solle so zu mir sprechen, wie der Baum zu mir zu reden pflegt. Er besann sich einen Augenblick und bemerkte dann: nur eine Frau, die an seinem Schaffen und seinem inneren Leben vollen Anteil nehme, könne er für sich denken und wünschen! Diese Äußerung geht mir gar nicht mehr aus dem Sinn. Ich bleibe den ganzen Tag über in schweren Gedanken. Ob ich unbedeutendes Geschöpf ihm je das sein könnte?!«

»Graf Deym ist auf dem Punkte, abzureisen. Der Arme sieht ganz schlecht aus. Pipschen ist auch zu abscheulich mit ihm. Ich bin froh, daß sie mich jetzt mehr und mehr mit Ludwig allein läßt. Immer wenn sie kommt, nimmt das Gespräch eine andere Wendung, die mir nicht lieb ist. Dann ist der schöne tiefe Ernst dahin und endet in nichtssagenden Scherzen. Nun glaube ich wohl selbst, Pepi ist nicht die Frau, die ihn verstehen würde und die er braucht. Franz ist außer sich und will Deym nicht ziehen lassen. Ich soll Pipschen ins Gewissen reden; dieses ewige Hinhalten hat doch keinen Sinn. Heute abend vor dem Schlafengehen nahm ich sie ins Gebet. Sie war recht schnippisch und wollte mich mit den Worten abfertigen: ich möge mich nicht soviel um sie kümmern; sie kümmere sich auch nicht um mich und meinen Ludwig! Meinen Ludwig! Ich verwies ihr diese vorlauten Redensarten. Wer dürfte sagen: meinen Ludwig! Ich habe so wenig Recht darauf wie sie. Unseren Ludwig, das dürften wir allenfalls uns zu sagen erlauben. Er gehört allen und der ganzen Welt und eigentlich niemand. Dann gab es Tränen, so daß ich sie wieder trösten mußte, das törichte Mädel! Sie ist ja so herzensgut und umhalste mich voll stürmischer Liebe, indem sie erklärte, sie wünschte nichts als mich glücklich zu wissen. Beinahe hätte ich auch geweint. Bin ich denn nicht glücklich? Am glücklichsten in der Wunschlosigkeit. Aber ich fände doch, daß Pepi und Deym gut zusammenpaßten und ein schönes Paar bilden können. Sie hörte mir stumm zu und sagte mir dann kurz gute Nacht! Ich glaube, daß sie sich's nun doch zu Herzen nimmt.«

»Deym hatte eine ernste Aussprache mit Pepi. Ich sah sie auf dem Lindenplatz und merkte, daß etwas vorgehe. Ich zog mich zurück und beobachtete später Josephine, wie sie hochrot ins Haus flog und sich einschloß. Von Franz erfuhr ich, was geschehen war. Deym hatte zum letztenmal auf Entscheidung gedrängt: ja oder nein. Er würde sonst abreisen, und zwar sofort, um nie wiederzukommen. Sie erbat ein paar Tage Bedenkzeit noch, bis Ende der Woche. Bis dahin wolle er noch warten und also vorläufig bleiben. Franz ist es zufrieden. Ich hoffe das Beste für sie!«

»Mit Louis in der Dorfkirche. Es war vormittags, das Gotteshaus still, Schwalben schwirrten um den geschnitzten Hochaltar mit dem Gnadenbild der Madonna. Wir gingen auf die Empore hinauf, der Meister begann die alte Orgel zu spielen. Er erzählte mir, daß er in Bonn schon als siebenjähriger Knabe an der Orgel der Franziskanerkirche saß und später regelmäßig den Hoforganisten, seinen Lehrer, an der Orgel vertrat. Wie anders klang jetzt das Instrument unter solchen meisterlichen Händen. Er spielte Teile seiner C-Dur-Messe, seiner ersten, die im Entstehen begriffen ist. Er sagt, in der liturgischen Musik und den lateinischen Messetexten lägen himmlische Kräfte, deren er zum Weiterbauen bedarf. Seine vierte Symphonie könnte er gar nicht so vollenden, wie er sie dächte, wenn er sich nicht in der Musica sacra durch einen tiefen Trunk aus den Himmelsquellen gestärkt hätte. Auch sollte sie ein Dankopfer an den Schöpfer sein für die wunderbare Errettung aus den Verzweiflungsstunden während seiner Krankheit. Wieder ein Beweis für seine religiöse Grundstimmung. Man sollte doch die Menschen nicht nur nach ihrer äußeren Frömmigkeit beurteilen! Man würde dabei dem Meister leicht Unrecht tun können, wie es dem guten Haydn passiert ist. Ich bin ganz besonders erfreut, in Ludwig diese Tiefen nicht verschüttet zu finden, was ja auch kaum anders zu denken war. Seine Auffassung sagt mir ganz besonders zu. Nach seiner Meinung ist die Kirchenmusik allzu sehr ins Opernhafte geraten. Eine spielerische Koloratur auf das Miserere nobis zu setzen, ist Sünde in seinen Ohren. Er spielt dabei auf den göttlichen Meister Mozart an. Ludwigs Messe entspricht mehr der symbolischen Handlung. Zugleich spricht etwas Menschliches darin, das Ich im Gegenüber von Gott, dem unnahbar Ewigen. Das wird vielleicht einmal mißgedeutet werden. Ich war ganz ergriffen davon und in Andacht versunken, wie kaum sonst in der sonntäglichen Messe.«

»Josephine meidet uns. Ludwig und ich meistens allein bei den Linden. Deym ist mit Franz gewöhnlich zu Pferd draußen. Wir sehen uns alle nur bei Mahlzeiten und abends im Musikzimmer. Wir spielen Ludwigs Rasumoffsky-Quartette, die sich der Fürst bestellt hat. Ich am Klavier, Ludwig beim Cello, Franz die erste Geige; Deym humpelt mit, aber es geht halbwegs. Die Musik enthebt uns der Worte, und das ist oft eine Wohltat. Besonders jetzt. Es liegt etwas in der Luft, das uns in Spannung hält. Ich bin ganz ängstlich und doch glücklich.«

»Wenn ich glaube, daß meine Liebe erkaltet und einem allgemeinen unverbindlichen Freundschaftsgefühl gewichen sei, so war das ein Irrtum. Mit Schrecken werde ich es gewahr, daß mich mit Ludwig etwas verbindet, das nur der Tod lösen kann. Ich weiß, daß er leidet, daß er oft trüb in die Zukunft blickt und sich schwere Gedanken macht über die Unheilbarkeit seines Ohrenübels, obzwar es nun eher gemildert als verschlimmert scheint, dann erfaßt mich tiefes Mitleid, und doppelt stark fühle ich dann, wie sehr ich ihn liebe. Ich erkenne immer mehr, was und wie ich für ihn empfinde: trösten und pflegen möchte ich ihn, sein Leiden zum Vergessen bringen, ihm tragen helfen. Seit ich um seinen Krankheitszustand weiß, fühle ich mich ihm näher und näher. Karitas möchte ich meine Liebe nennen; zu den Leidenden, Kranken und Schwachen hat es mich immer hingezogen, und diese Liebe kann nicht ermatten, sie entzündet sich immer mehr, je mehr das Leiden wächst. Ich sehe ihn oft düster und wortkarg; ich fühle, er trägt etwas auf dem Herzen, das er aussprechen möchte und doch wieder scheu in sich verschließt. Ob er es ahnt, was ich fühle? Ob er – – still! Übermorgen muß sich Josephine entscheiden. Wir leben alle unter einem Alpdruck. Es muß eine Wende kommen. Wir fühlen, daß das Schweigen unerträglich wird – – –!«

»Etwas Ungeheures ist geschehen! Ich bin noch ganz verwirrt davon und weiß nicht, soll ich mich freuen oder – – –? Die Worte wollen diesmal nur schwer aus der Feder – – – Ludwig hat sich erklärt! Wir standen gegen Abend an der Mauerbrüstung; es war ein herrlicher Sonnenuntergang, wir beide schweigend in den überwältigenden Anblick versunken. Dort in der Ferne müssen sich unsere Gedanken begegnet haben. Er faßte mich plötzlich an der Hand und stieß in ungeheurer Erregung hastig und zugleich stockend hervor: Theresa, hat Ihnen dieser Baum nie von meiner Liebe erzählt?! Hat er Ihnen nie erzählt, wie verzweifelt ich war, als Sie damals unvermutet abreisten?! Hat er Ihnen nicht gesagt, daß ein lichter Engel über meinem Leben schwebte in den düsteren Zeiten, wo ich ein Ende machen wollte mit mir, ein Engel, der mich rettete, und dem ich Ihren teuren Namen gab? Theresa, seit jener Stunde, wo ich dich zum erstenmal sah an jenem Abend bei Lichnowsky, der mir unvergeßlich ist durch dich, fühlte sich meine Seele ganz beheimatet bei dir – ich fühlte mich als der glücklichste und unglücklichste Mensch zugleich, mit Tränen ging meine Sehnsucht zu dir – sie wollte eine dreifache Schranke überfliegen: den Standesunterschied – mein Übel, diesen Dämon, der mich zerstörte – die Ungewißheit, die mich quälte, du würdest mich verschmähen – – – Im nächsten Augenblick lag ich in seinen Armen und gestand ihm, daß ich ihn gerade um seines Leidens willen noch mehr liebe und einen Standesunterschied nicht gelten lassen könne – – – Wir haben uns gefunden – – –! Er stammelte: ewig mein – ewig uns! und war selig! Und ich – – –? Ich war so verwirrt, daß ich ihn bat, mich allein zu lassen, und floh auf mein Zimmer, um meine Gedanken, meine Gefühle in Ordnung zu bringen. Abends nach dem Essen, die Mutter war früh zu Bette gegangen, bat ich ihn flüchtig, sich meinem Bruder Franz anzuvertrauen. Ich hatte mit Franz bereits gesprochen, wir beschlossen, unsere Verlobung einstweilen geheimzuhalten; Mama soll davon vorläufig nichts erfahren; nur Josephine und Deym sollten ins Vertrauen gezogen werden. Sie muß etwas gemerkt haben, obzwar sie noch nicht eingeweiht worden ist; sie schützte Kopfschmerzen vor und zog sich alsbald zurück. Ich bin wohl glücklich, aber ich fühle es noch nicht so wie ich möchte; wenn ich mir je diesen ersehnten und doch für so unwahrscheinlich gehaltenen Moment in kühnen Träumen ausmalte, glaubte ich, die Erfüllung meines Herzenswunsches könnte mir eine große Ruhe bringen, die ich so lange entbehrte – aber nun, da es geschehen, bin ich weiter als je von Ruhe entfernt! Schlafe süß, mein Geliebter! Nichts soll uns mehr trennen, was auch kommen mag!«

»Der bang erwartete Samstag ist endlich gekommen und nun auch glücklich vorüber. Am Morgentisch begrüßten wir uns wie gewöhnlich; sein Händedruck sagte, was wir noch verschweigen mußten. Pipschen war blaß; sie hatte rotgeweinte Augen, die Arme. Deym war still, gefaßt, aufmerksam. Er erhob sich bald mit einer stummen Verbeugung und ging in den Garten; er suchte Pipschen, die sich kurz vorher entfernt hatte. Wir blieben allein mit Franz und besprachen unsere Zukunft. Ludwig fing selbst davon an. Er spricht davon, daß er sich um die musikalische Leitung der Oper beworben, das Adelskomitee, das an der Spitze der Hofbühnen stehe, mit dem er persönlich befreundet ist, könne das Gesuch gar nicht abschlagen; überdies sei ihm durch den Grafen Truchseß-Waldburg eine Berufung an den Kasseler Hof angetragen; er habe beschlossen, in der Fremde so lange umherzuirren, bis er ganz mit mir leben könne und die Lebensgrundlagen gesichert habe. Ich war fast erschrocken über diese Äußerung, und auch Franz gab ihm zart zu verstehen, er solle sich an seiner Kunst genügen lassen; die Brunszviks seien nicht arm, um die materielle Zukunft brauche sich Louis keine Sorgen zu machen. Das verletzte ein wenig seinen Stolz; er wies diesen Gedanken fast heftig zurück: er wolle von seiner Gemahlin nicht abhängig und sein eigener Herr sein. Das gefiel mir von ihm; auch wegen Mama ist es zu wünschen, daß einigermaßen durch äußere Stellung das Prestige gewahrt bleibe; bis dahin soll unsere Verbindung vor ihr geheimgehalten werden. Während wir unsere Pläne besprechen, kommen Arm in Arm Josephine und Deym glückstrahlend vom Lindenplatz durch die Allee herab. Wir ihnen sofort entgegen, um das Brautpaar zu beglückwünschen und dann sofort zu den Linden zurück, um die beiden unter den heiligen Bäumen in das Geheimnis unserer eigenen Verlobung einzuweihen. Hier wurden vor den Zeugen die Gelöbnisse ewiger Treue erneuert und recht eigentlich unser Herzensbündnis in der Sozietäts-Republik erlesener Menschen gefeiert. Die gute Pepi! Sie umarmte mich und freute sich kindlich: das war ja immer mein sehnlichster Wunsch, euch beide glücklich vereint zu sehen, beteuerte sie, ihr gehört zueinander und verdient euch! Am glücklichsten schien der liebe Deym. Daß wir nun alle du einander sagten, versteht sich unter Menschen, die durch das Band innerer Verwandtschaft so eng verbunden sind. Pepi erinnerte mich an die Prophezeiung vor Jahren, als wir uns beim Wäschenähen in den Finger stachen. Nun waren wir wirklich zwei Bräute zugleich geworden. Für Mama, die ganz selig war, existierte freilich nur die eine; am Abend aber bei festlicher Tafel feierte ich mit Louis und unseren Vertrauten unsere eigene verschwiegene Verlobung mit und hatten nicht wenig Kurzweil dabei. Köstlich war die Dorfkapelle, die sich nicht nehmen ließ, ein Ständchen zu bringen; Ludwig hatte ein ausgesuchtes Vergnügen dabei; er notierte sich die Stimmen, die nie zusammenkamen und nicht gleichen Schritt halten konnten; es war ein köstliches Durcheinander. Ich fühle mich heiterer, zufriedener, glücklicher als gestern.«

»Urplötzlich brachte Mama das Gespräch auf unsere Kusine Gallenberg-Guicciardi. Es war mir peinlich, den Namen Giuliettas hören zu müssen. Sie lebt mit ihrem Mann in Neapel, der Intendant des dortigen Hoftheaters ist. Mama hat Briefe erhalten, die sich mit ihr beschäftigen. Ihre Ehe soll recht unglücklich sein. Man spricht von allerlei skandalösen Dingen, infolge deren Gallenberg seine Position verläßt und sich nach Wien begibt. Giulietta wird mit einer Liebesaffäre in Verbindung gebracht, die den Fürsten Pückler-Muskau betrifft. Das ist möglicherweise Klatsch, wie alles, was ich früher über sie hörte, ehe sie noch verheiratet war. Gefallsüchtig und leichtfertig war sie ja immer. Louis nahm kaum Notiz von den Dingen, die Mama etwas breit und betont vorbrachte. Ich habe besorgt auf ihn hingeblickt, er blieb vollkommen gleichgültig, ganz unberührt. O ich bin überzeugt, daß fast alles, was man damals munkelte, bloßes Geschwätz war, von dem wir uns damals so sehr düpieren ließen zu unserem eigenen Schaden! Aber der Name Giulietta macht mich immer unruhig.«

»Josephine ist ganz verändert. Sie hat ihre Frische und Lebensfreudigkeit wiedergewonnen, hat den Kopf voll Ausstattungssorgen und ähnlichen Dingen, um die ich mich für meinen Teil gar nicht kümmere. Wir können warten! Ich bin zufrieden, daß wir unseren idealen Zustand nicht durch solche Alltagsfragen stören lassen brauchen, wenigstens vorderhand nicht. Wir leben wie im Himmel; ein Tag seliger als der andere!«

»Fürst Lichnowsky will uns meinen Louis entführen! Er hat ihn dringend auf Schloß Grätz bei Troppau eingeladen. Seine Abreise steht unmittelbar bevor. Er ist voll Feuereifer und will seine Ernennung an den Hoftheatern beschleunigen, um unseren Brautstand abzukürzen und eine baldige Vermählung herbeizuführen. Ein Leben an der Seite dieses Mannes, seinem persönlichen Wohl und damit zugleich dem Dienst seiner hehren Kunst geweiht, an seinen Ehren und Triumphen teilnehmen zu dürfen – welches wahrhaft beglückende Ziel, von dem ich sonst nur zu träumen wagte und das in so greifbarer Nähe vor mir steht! Ich ahne doch zugleich, daß uns eine lange Trennung bevorsteht, ehe wir sagen dürfen: es ist erreicht!

Mama denkt mit Pipschen und Deym nach Ofen zu gehen und die nötigen Vorbereitungen für den Hausstand des jungen Paares zu treffen. Die glückliche Pepi ist näher am Ziel als ich! Sie landet in einem sicheren Hafen nach den wirren Stürmen ratloser Liebe. Es ist mir eine Beruhigung, sie gerettet zu wissen. Das kann ich von mir, die noch im weiten Meer der Ungewißheit herumtreibt, noch nicht sagen, wenn auch das ersehnte Land meiner Hoffnung in der Ferne schimmert. Wenn alle fort sind, herrscht wieder Einsamkeit auf Martonvásár, die ich fast liebgewonnen habe; dann sind meine einzigen Genossen die schönen Linden in dem melancholischen Park, und ich halte wieder Zwiesprache mit dem Baum, der seinen Namen trägt und mir alle seine unvergeßlichen Worte wiederholen wird – – –«

»Die Abschiedsstunde schlägt, mir ist so weh zumute! Er hat mich um mein Bild gebeten – er möchte etwas von mir haben, das ihm meine Gegenwart ersetzt und zu dem er täglich die Augen erheben kann. Sein Wunsch macht mich stolz und glücklich; er soll das Porträt haben, das in meinem Zimmer hängt, das mit dem Stirnband, das ein wenig schmeichelt; es ist das beste Bildnis von mir! So möchte ich immer vor seinen Augen stehen – er liebt das Bild und nennt es die Verkörperung seiner Muse – unsterbliche Geliebte! Ich dachte mir den Abschied leichter – ich bin unsagbar traurig – und die Zukunft steht dunkel vor mir, voll banger Fragen. Es ist heute die letzte Nacht, daß er unter unserem Dache weilt; morgen früh, wenn der Reisewagen hinausfährt, winken dir unsere Tränentüchlein nach – möchtest du bald wiederkehren, innigst Geliebter!«


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