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XIV. Kapitel.

Schloß Grätz bei Troppau war von französischen Truppen umwimmelt, die nach der Schlacht bei Austerlitz südwärts drängten und das Grenzland besetzten. Der kommandierende General hatte in dem Schlosse Aufenthalt genommen, französische Offiziere gingen ein und aus, saßen zu Gast, amüsierten sich; Fürst Lichnowsky mußte wohl oder übel den liebenswürdigen Wirt spielen, und um seine unerlaubten Gäste bei guter Laune zu erhalten, auf Abwechslung des Festprogramms bedacht sein.

Der General war musikliebend, er hatte durch die fürstliche Hauskapelle, die zur Tafel aufspielte, die Schöpfungen des Meisters kennengelernt. Der Fürst, in übergroßer Bereitwilligkeit, und um dem Land einigermaßen die Schonung seitens der Eindringlinge zu sichern, hatte alle möglichen Aufmerksamkeiten für den General und ihn zu verbinden gewußt. Teils seinetwegen und sich selbst zur Freude hatte er den Meister dringend eingeladen, und im Herbst traf sein ungebärdiger Liebling und musikalischer Abgott richtig ein.

Die Soldateska ist für den Meister eine unangenehme Überraschung; aber es findet sich ein abgelegenes, ruhiges Zimmer im Seitentrakt des Schlosses nach dem Park gelegen, wo man ungestört ist und von dem ganzen Rumor nichts merkt. Dort richtet sich Ludwig häuslich ein; er kann ungehindert und ungesehen in den großen Schloßpark gelangen, wo er kaum einem Menschen begegnet und nach Herzenslust herumtummeln mag.

Der alte Kastellan beobachtet ihn, wie er draußen mit bloßem Haupt herumrennt, auch wenn es blitzt, donnert und stürmt, und in den Aufruhr der Elemente, in den peitschenden Regen und heulenden Wind hineinschreit, lacht und mit schauerlicher Stimme hineinsingt, stampft und mit den Händen taktierend in der Luft herumschlägt; wie er dann wieder bei schönstem Wetter ganze Tage lang sich in sein Zimmer einschließt, ohne mit einem Menschen zu verkehren oder auch nur ein Wort zu sprechen, und kommt zu dem Schluß, den er mit einer bezeichnenden Handbewegung gegen die Stirn andeutet:

»Nicht recht bei Sinnen. Total verrückt!«

Die fremden Soldaten sind eine wahre Landplage. Um einige Erleichterungen zu erzielen, ist es gut, den General besonders gnädig zu stimmen. Er hätte den Meister gern auf dem Klavier phantasieren gehört, davon ihm der Fürst Wunder erzählt, allerdings mit dem Beifügen, daß der Künstler nur selten dazu zu bringen sei. Er verspricht ihm aber, den Genius zu bewegen, daß er abends nach dem Diner vorspielen werde. Der General ist erfreut und gewährt die verlangte Einstellung gewisser Requisitionen.

Man setzt sich zu Tisch, der ahnungslose Meister ist erschienen, da tut einer der Offiziere die etwas ungeschickte Frage an ihn, ob er auch Violon verstehe.

Der fürstliche Hausarzt, Doktor Weiser, der aus Troppau herüberkommt, sieht die empörte Miene Beethovens, der den Frager keiner Antwort würdigt. Majestätsbeleidigung ist nicht größer.

»Das geht gut an«, denkt Weiser.

Nach Tisch sitzen die französischen Gäste voll Erwartung auf den versprochenen Kunstgenuß.

Aber der Künstler fehlt.

Man sucht ihn im ganzen Schloß, er ist nirgends zu finden. Der Kastellan denkt, er fängt ihn im Schloßpark ab und entdeckt ihn schließlich in einem ganz entlegenen Teil auf dem turmartigen Auslug der Parkmauer, wo man weit ins Land bis zum Altvater- und Riesengebirge sieht.

Der Fürst läßt ihn dringend zu sich bitten.

Diesem Wunsch kann er nicht widerstehen, aber als ihn der Fürst bittet, er möge ihm zuliebe vor den französischen Offizieren spielen, da brechen alle Dämme der nur mühsam zurückgestauten Flut.

Ein energisches »Nein!« ist die Antwort. Der Fürst hätte bedenken sollen, was er verspreche; er sollte sich doch an die Gräfin Thun erinnern, die auch glaubte, daß der Künstler eine Spieluhr sei, die man beliebig aufzieht und repetieren läßt, als ob das verlangte Spiel nicht produktive Arbeit sei, zu der man innerlich bereit und fähig sein muß, wenn man sich inspiriert fühlt. Was man von ihm verlange, sei knechtische Arbeit, und dazu gebe er sich um keinen Preis her. Keine Macht könne ihn dazu zwingen, wenn es ihm selbst nicht gefalle.

Die Sache ist natürlich peinlich; der Fürst weiß nicht recht, wie er sich aus der Affäre ziehen soll: einerseits die Beschämung vor den Offizieren, anderseits eine begreifliche Empfindlichkeit, weil ihm der Freund eine Geringfügigkeit verweigert, wie er es nennt, die für den Hausherrn nun gerade schon Verpflichtung geworden ist – kurz, seine Autorität steht auf dem Spiel. Halb im Scherz, halb im Ernst droht der Fürst mit Hausarrest.

Damit hatte er aber dem Faß erst recht den Boden ausgeschlagen.

Spornstreichs läuft der Künstler weg.

Die Gesellschaft ist schon ungeduldig auf die erwartete Darbietung.

Man begibt sich neuerlich auf die Suche.

Doch diesmal vergeblich.

Der Haushofmeister bringt endlich die Nachricht, der Künstler habe sofort gepackt und trotz des furchtbaren Regens das Schloß heimlich verlassen.

Der alte Kastellan schüttelt den Kopf. Er hat es ja immer gesagt:

»Total verrückt!«

Ein Brief hat sich auf dem Zimmer vorgefunden, der dem Hausherrn überreicht wird.

In diesen Zeilen heißt es:

»Fürst! Was Sie sind, sind Sie durch Zufall und Geburt. Was ich bin, bin ich durch mich! Fürsten hat es, und wird es noch Tausende geben. Beethoven gibt es nur einen!«

Zu Fuß ist der Meister nach Troppau gewandert, wo er beim Doktor Weiser, der schon vor ihm nach der Stadt zurückgekehrt ist, Unterkunft findet. Das Manuskript der Appassionata, das er unterm Arm trug, ist vom Regen ganz durchweicht und beschädigt. Am anderen Tag ist er mit der Extrapost nach Wien geeilt.

Die Aufregung, der nächtliche Marsch im Regen, die Übermüdung haben eine schwere Erkältung zur Folge; seine Schwerhörigkeit hat sich verschlimmert.

Sein Aufruhr kennt keine Grenzen und fordert ein Sühnopfer.

Die Büste des Gönners steht auf dem Schrank.

Ein Schlag des Wütenden, und sie stürzt in Trümmern vom Schrank herab auf die Erde.

Da liegt sie in Scherben; und in Scherben die Freundschaft mit ihr.

Welch eine Freundschaft!

Der großherzige edle Fürst, der immer eine Stütze war!

Nun ist das Mütchen gekühlt.

Scherben hat es schon oft gegeben auf diese Art; fast alle Standbilder der Freundschaft sind mehr oder weniger beschädigt, gekittet und geleimt. Auch diese Scherben werden wieder zusammengefügt werden, wenn auch die Sprünge und Risse bleiben.

Nur in unversehrter Schöne strahlt daneben das Bild Theresas. Zeichen der opfernden Liebe, die fast nichts für sich begehrt und darum solchen Katastrophen seiner leidenschaftlichen Natur entrückt ist.

Tröstend mild blickt es auf ihn herab. Es ist, als ob es den Mund öffnete und mit ihm spräche und auf seine Fragen antwortete, wie der Lindenbaum auf die Fragen Theresas antwortet. Das Schloßereignis auf Grätz, bezeichnend für seinen äußeren Lebenskampf, und jenes andere auf Martonvásár als Symbol seines Seelenlebens, welch ein tragischer Gegensatz!

Seine Sehnsucht fliegt weit nach Ungarn, zur Geliebten, die liebreich auf ihn aus dem Bild herabblickt.

Sein Haupt möchte er in ihren Schoß legen unter den herrlichen Bäumen des träumenden Parks, das Antlitz der Holden über sich; ihre linde Hand fühlen, die streichelnd über Stirn und Haar gleitet und alle Müdigkeit, allen Schmerz und Krampf wegnimmt.

Ruhen, träumen, vergessen im Schoß der Liebe!

»Wäre ich doch geblieben!«

Und er denkt an die Flucht, fort von hier, nach Martonvásár!

Trost für die zerbrochene Freundschaft mit dem Fürsten sucht er bei der Gräfin Erdödy. Er ist jetzt regelmäßig Gast bei ihr, seit der Verkehr mit Christiane infolge des Zerwürfnisses aufgehört hat. Mit der Erdödy verbindet ihn ein Tieferes. Sie ist als sein »Beichtvater« die einzige Mitwisserin seines Herzensbundes mit Theresa, und übt eine gewisse Patronanz über diese Liebe aus. Mit ihr kann er von der Geliebten reden, ihr kann er seine Hoffnungen und Sorgen aussprechen. Sie ist eine so gute, feinverstehende Frau und weiß immer Trost und Rat.

Die Hoftheater-Intendanz hat sein Gesuch noch immer nicht beantwortet. Sie hüllt sich in Schweigen. Irgendwo gibt es einen Haken zu lösen. Die Erdödy hat vorsichtig herumgehorcht, da und dort ein Wort fallen lassen und versucht, die Entscheidung zu beschleunigen. Sie will erfahren haben, daß der Auftritt in der Theaterkanzlei böses Blut gemacht habe. Man glaubt, bei aller Verehrung für den Künstler, daß er nicht der rechte Mann auf einem solchen Posten sei; er müsse sich wie Pegasus im Joche fühlen. Man hege Zweifel über seine Befähigung, mit dem empfindlichen Bühnenpersonal umzugehen; seine Heftigkeit und dann, nicht zuletzt: seine Schwerhörigkeit – – –

Die Gräfin deutet dem Meister schonend an, er sollte seine Hoffnungen nicht auf die Karte setzen, die kein Trumpf ist – – –

Das Abenteuer auf Schloß Grätz und seine gesundheitlichen Folgen bedingen eine Kur in Baden. Die Schwefelbäder und Quellen in dem lieblichen Städtchen haben ihm wohlgetan; die Ruhe in den ländlichen Gartengassen mit den bescheidenen ockergelben Häusern, in den Weinbergen und in dem romantischen Helenental am Rande der Wienerwaldhöhen tun das übrige; der Blick wandert über das fruchtbare Wiener Becken weit nach Ungarn hinein, nach der Richtung, wo Martonvásár liegt.

Er vollendet seine C-Dur-Messe und holt einen Trunk aus der Unendlichkeit. Natur und Gott sind seine Zuflucht, wenn alles andere versagt. Hier plagt ihn auch sein Gehör nicht. Er schreibt darüber Theresa:

»Wie froh bin ich, einmal in Gebüschen, Wäldern, unter Bäumen, Kräutern, Felsen wandeln zu können.« Er empfiehlt ihr die schöne Natur als die große Friedensspenderin.

Und in sein Notizbuch notiert er:

»Allmächtiger – im Walde – ich bin selig – glücklich im Walde – jeder Baum spricht durch dich!«

Gottgedanken suchen ihn in solcher begnadeter Einsamkeit heim:

»O Gott, welche Herrlichkeit – in einer solchen Waldgegend – in den Höhen ist Ruhe – Ruhe, ihm zu dienen.«

Er wohnt im Johannisbad und ist ganz in seine Musica sacra versunken.

Er bemerkt es nicht, daß die Tür sich leise öffnet, das Klopfen hat er nicht gehört, und eine leichte Gestalt, dicht verschleiert, hereinschwebt.

Er blickt unwillkürlich auf und ist betroffen.

Vision? Oder Wirklichkeit?!

Er will seinen Augen nicht trauen.

»Zürnen Sie nicht, Meister,« flötet eine Stimme, »eine Freundin will Sie heimsuchen.«

Er wird unruhig:

Mein Gott! Diese Stimme! Wo habe ich sie gehört?!

Und dann, von einer Ahnung durchzuckt:

»Wer sind Sie? Was wünschen Sie?!«

Sie schlägt den Schleier zurück:

»Giulietta!«

Unwillkürlich ist ihm dieser Ausruf entschlüpft.

Er muß sich niedersetzen, so ist ihm der Schreck in die Glieder gefahren. Eine stumme Handbewegung ladet sie ein, Platz zu nehmen.

»Lange ist's her, daß wir uns nicht gesehen haben«, beginnt sie, und fängt an zu erzählen, von Neapel, von ihrer Rückkehr nach Wien, von ihrer Sehnsucht nach den Freunden und Bekannten in der Heimat. »Hier hab' ich Sie zum erstenmal besucht; denken Sie noch daran?«

Er hat Zeit, sie zu beobachten.

Sie ist noch immer schön, etwas voller, ein leiser Zug um den üppigen Mund, der ein schlimmer Verräter ist; sie ist vollendete Meisterin der Koketterie und weiß das Augen- und Mienenspiel zu gebrauchen. Verführerischer als je.

»Was führt Sie jetzt her? Woher wissen Sie, daß ich wieder hier bin?«

Sie hat es von der Erdödy erfahren. Vielleicht hat sie noch mehr gehört, denkt der Meister, und sie versucht es wieder wie damals! Die Zauberin!

Ihre Augen schimmern feucht, sie hat Tränen in der Stimme:

»Ich bin eine unglückliche Frau, Ludwig! Mein Mann – ach, er ist eine unfruchtbare Seele! Er hat mich betrogen – seine Liebesverhältnisse – –! Hat eine hintergangene Frau nicht das Recht, sich zu rächen?! Ihm gegenüber fühle ich mich jeder Schuld und jeder Pflicht entbunden. Wir leben – ja, wie man in solchen Fällen lebt, nach außen hin wohl, der Konvention zuliebe, einig – – – ansonsten genießt jedes seine Freiheit. Es ist der einzig erträgliche Zustand, den ich erwartet habe; ich habe ihn nie geliebt, wie du weißt. Geliebt habe ich nur einen – – – ach, Louis! Ich bin nur gezwungenermaßen, den Eltern zulieb, in diese nichtige Ehe gegangen – ich konnte dich nicht vergessen, hörst du, nie! Mein Denken war bei dir – dein Ruhm ist inzwischen in alle Welt gedrungen, auch in Neapel zählst du Bewunderer und Freunde, doch keine, die so innig deiner gedachten wie ich! Ich sehnte mich nach dem Glück, das uns gehört hatte – deshalb bin ich gekommen. Denke nicht schlecht von mir – begreifst du es, daß es den Menschen immer dorthin zieht, wo er glücklich gewesen ist, und wo er glaubt, es wieder zu werden – – – Erinnerst du dich noch des Abends beim Grafen Fries, als wir allein waren im Musikzimmer – ich habe unendlich viel Süßigkeit gesogen aus dieser Erinnerung, die mir teuer und unvergeßlich ist, einer der schönsten Augenblicke meines Lebens – – – ach, könnte ich doch noch einmal so glücklich werden nach so langer Zeit der Entbehrung und Trennung – – – hast du kein liebes Wort mehr für deine Giulietta? Ich bin es wie einst – – –«

»Ich möchte Ihnen, Gräfin,« erwiderte der Meister kalt, »einen anderen Augenblick ins Gedächtnis rufen: jene furchtbare Zeit, wo ich ins Grab des Schweigens gesunken bin und die Treue und Liebe geflohen ist vor dem Erlöschenden, den damals nur ein wahrhaftiger Engel herausgeführt hat in ein neues, anderes Leben – – – Ihnen, Gräfin, bin ich damals gestorben! Ich will Ihnen die Antwort am Klavier geben.«

Er trat an den Flügel heran und schlug machtvoll den Ton an:

»In questa tomba oscura – – – kennen Sie das italienische Lied?

In questa tomba oscura lasciami riposar;
Quando vivevo ingrata, dovevi a me pensar
Lascia che l'ombre ignude godansi pace almen
E non, e non bagnar mie ceneri d'inutile velen.

In dieses Grabes Dunkel, laßt entschlummert mich sein;
Ja, als ich lebte, Treulose, ach! mußtest du denken mein!
Oh, laß bei nackten Schatten friedlich ruhen mein Herz –
Und benetze weinend meine Asche nicht mit eitlem, eitlem Schmerz!

In diesem dunklen Grabe laß entschlummert mich sein!
Als ich auf Erden war, Falsche, o dachtest da du mein!
Du mein! Du mein! Du treulos falsches Herz!

Er entließ sie mit diesem Lied, das aus seinem tiefen Schmerz geboren war.

Sie weinte bei diesen Versen, bei diesen Klängen, daß ihn Mitleid, Rührung erfaßte – sie glaubte schon, ihn wiedergewonnen zu haben, und fühlte kaum die Verachtung, die in seinem Mitleid lag.

»Louis, ich lasse dich nicht! Wäre ich wiedergekommen, wenn ich treulos wäre und falsch? Dein Herz ist nicht tot, ich weiß es; es wird wieder erwarmen! Ich komme wieder, ich darf es, und du zürnst nicht mehr?«

Er sagte nicht ja und nicht nein.

Und horchte, wie ihr Wagen leicht davonrollte in die Nacht hinaus, bis der hellklingende Hufschlag wie Musik verklang.

»Ein Dämon in Engelgestalt«, flüsterte er erregt. »Oh, was würde geschehen, wenn du nicht wärest, Theresa! Und wenn ich meine Lebenskraft so hingeben wollte, was würde für das Edle, Bessere bleiben?!«

Giulietta kehrte alsbald wieder – und fand verschlossene Türen.

Der Meister war am Tage nach ihrem Besuch aus Baden geflohen, um sie nicht wiedersehen zu müssen.

Theresa pflegte auf Martonvásár ihren gewohnten Lindenkult. Kein Tag verging, wo sie nicht morgens und abends ihren Geliebten grüßte, indem sie sich still mit dem Baum unterhielt, der ihm geweiht war. Außer der Korrespondenz mit ihm, die nicht allzu rege war, weil er überhaupt ungern zur Feder griff, unterhielt sie einen Briefwechsel mit der Erdödy, die der freundliche Schutzgeist beider war und sie über die wichtigsten Dinge unterrichtete.

Das Wesentliche davon floß in das Tagebuch über.

»Jetzt weiß ich, daß der gute edle Louis ganz mir gehört. Er hat die Probe der Treue und Standhaftigkeit tugendhaft bestanden. Giulietta hat ihn besucht und ihre Verführungskünste vergebens angewendet. Sie ahnte unseren Bund und suchte ihn aufs neue zu zerstören. Sie ist am ehernen Panzer meines Gottgeliebten abgeprallt. Weinend kam sie zur Erdödy und klagte über seine abweisende Kälte und Verachtung; ihretwegen habe er Baden verlassen, um sie nicht wieder empfangen zu müssen. Die gute Erdödy hat ihr diese Niederlage gegönnt und meint, sie dürfte heilsam für die verirrte Giulietta sein. Wenn es noch eine Steigerung geben könnte, würde ich sagen, daß ich meinen edlen Louis nur noch mehr liebe. Josephine ist glücklich vermählt; es war ein schönes Fest in Ofen. Ich als stille heimliche Braut. Ich bin nicht ungeduldig und nicht verzagt deswegen. Ich weiß, wir gehören zusammen in alle Ewigkeit – – –«

Ludwig war von Baden direkt nach Eisenstadt entflohen; der Esterhazy wollte zur C-Dur-Messe Pate stehen, war aber nach der Erstaufführung im Schloß, die der Meister selbst zu leiten gekommen war, ganz verblüfft und mit ihm die Zuhörerschaft.

»Aber lieber Beethoven, was haben Sie denn da wieder gemacht!« meinte er, so ungewohnt war ihm die persönliche Färbung der heiligen Musik, die das liturgische Geheimnis zum innersten Erlebnis machte: Gott und ich! Das war zu neu.

Die Schicksals-Symphonie ist vollendet, neben der Messe das zweite Dankopfer nach der Heiligenstädter Tragödie. Das furchtbare Klopfmotiv mit seinen Todesschauern und der wunderbaren inneren Errettung, sein Heiligenstädter Testament in Tönen, sein eigentliches Lebenslied bildet einen neuen Gipfel in dem ungeheuren Beethovenschen Tongebirge, dahin ihm die Freunde und Zeitgenossen nur ahnend folgen können. Und mitten in diesen Schauern plötzlich die arkadische Lieblichkeit der Pastoralsymphonie, die nicht von der Heiligenstädter Tragik, sondern von dem Heiligenstädter Frieden erzählt.

Sobald die ersten Rosawölkchen auf dem fast noch dunklen Frühhimmel erscheinen, ist er schon auf und draußen. Vorher erfolgen die geräuschvollen Abgießungen, gelinde Überschwemmungen, in denen er spritzend herumschlägt wie ein Walfisch, daß die Nachbarschaft über das Poltern erwacht und ärgerlich schimpft über den »tärrischen (tauben) Musikanten«, aber schon ist er draußen, ehe noch die ersten Vogelstimmen erwachen. Er hört sie noch zur Not; sein Gehör ist bald besser, bald schwächer, je nach seinem sonstigen Befinden. Nun schweift er talauf, talab, emsig wie die Biene, summend und brummend, nie ohne Notizbuch, seine »Fahne«, und das dicke Zimmermannsblei. Ab und zu steht er still und macht Eintragungen. Oder sitzt zwischen Gebüschen und Bäumen, am Wiesenhang oder Bachrand, den gedankenschweren, wildschönen Kopf in die Hand gestützt, den Blick auf das Notenblatt geheftet, darin er runenhafte Züge eingräbt, während die Finger seiner linken Hand in den Zwischenpausen auf dem Knie trommeln. Möchte ihn nur dabei niemand stören, grüßen oder anreden! Man weicht ihm gern aus, dem finster blickenden Herrn Ludwig van Beethoven, der mit ossianisch wildem Haupt und wehenden Frackschößen durch die Wälder und Weinbergshohlwege um Grinzing und Heiligenstadt jagt und als »menschenfeindlich« verschrien ist.

Das rasche, sanft murmelnde Heiligenstädter Bächlein, an dem er immer gern entlang wandelte, am sogenannten »Beethovengangel«, plaudert nun in seiner Pastoralsymphonie, die hohen Ulmen wehen herein, und das Vogelkonzert mit der Goldammerin, den Nachtigallen, Wachteln und den Kuckucken: sie haben alle mitkomponiert. Die Goldammer hat eine größere Rolle auszuführen als die anderen: sie hat das G-Dur-Motiv in der »Szene am Bach« geschaffen.

Nicht nur das Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft am Lande als Inhalt des ersten Satzes dieser romantischen Naturpoesie, sondern auch der derbe urwüchsige Humor des »lustigen Zusammenseins der Landleute« fehlt nicht, ebensowenig die ehrsame Dorfkapelle als Erinnerung an das Ständchen am Verlobungsabend in Martonvásár, mit den Violinen, die vorausziehen, ebensowenig wie das Fagott, das sich drollig gebärdet. Endlich sind sie beisammen, Klarinetten und Hörner sind erschienen, der Tanz kann beginnen, ein lustiger Walzer, da melden schon die Tremolo der Bässe das Verhängnis: ein Gewitter zieht mit fernhin rollenden Donnern an, grelle Blitze zucken, Angstrufe gellen, ein wirres Dissonanzenchaos mit dem Gewitterwogen der Baßgeigen; die entfesselten Elemente rasen und verrauschen allmählich. Choralartig steigt das Dankgebet der aus ihrer Not Erlösten empor, ein Flötensolo leitet zum Hirtengesang des vierten Satzes über, »frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturm« beschließen das Werk mit religiös gehobener Stimmung und dem Schöpfer zugewendeten Gedanken und Betrachtungen. Die Naturliebe und Andachtsstimmung des Meisters ist Verklärung geworden. Seelenmalerei.

Glückliches Wien! Glücklicher Beethoven!

Das große Konzert am 22. Dezember im Theater an der Wien bringt nicht nur die Pastorale und die Schicksals-Symphonie in C-Moll, sondern auch Stücke aus der C-Dur-Messe, ein Klavierkonzert in G-Dur und eine Chorphantasie.

Der Meister setzt viel Hoffnung auf dieses Konzert, es soll ein neuer Sprung zur Erreichung seiner Lebensziele sein. Die Opernleitung wird sich nach dieser Genieprobe entscheiden müssen.

Aber das Haus ist fast leer, das Theater ungeheizt.

Der Meister steht am Dirigentenpult. Er hört die Töne nicht mehr recht. In seinem Ungestüm ist er ein paar Takte voraus. Seine Dirigentenart ist zudem etwas sonderbar. Beim piano bückt er sich ganz unter das Pult; beim crescendo richtet er sich nach und nach auf, und beim Anbruch des forte springt er hoch empor. Bei jedem sforzando reißt er die beiden Arme, die er vorher über der Brust gekreuzt hat, heftig auseinander: beim ersten sforzando fliegen beide Leuchter vom Klavierpult. Im Zuschauerraum hört man unterdrücktes Lachen. Sofort werden vom Bühnen-Inspizienten zwei Chorknaben mit Leuchtern in der Hand links und rechts neben dem dirigierenden Meister aufgestellt; beim nächsten sforzando aber hat der eine Knabe unversehens eine derbe Maulschelle von der ausfahrenden Rechten empfangen, daß er den Leuchter fallen läßt, während der andere, der mit ängstlichen Blicken die Bewegungen verfolgt, nur durch rasches Niederducken dem gleichen Schicksal entgeht.

Das Publikum tobt vor Lachen.

War der Meister schon beim forte, so stand das Orchester noch beim vorigen pianissimo; er starrt verwundert in das Orchester hinein, weil es das ihm allein hörbare forte schuldig blieb. Glücklicherweise fand man sich immer wieder zurecht, wenn das forte endlich kam.

Aber in der Chorphantasie gerät der tönende Himmelswagen bedenklich ins Rutschen; eine Katastrophe scheint unvermeidlich. Unbekümmert, wie der Meister ist, schreit er ins Orchester hinein, aufzuhören und von vorne anzufangen. So wird der verunglückte Wagen schließlich heil ans Ziel gelenkt. Aber die Musiker sind beleidigt. In der Hitze des Gefechts sind ihnen vom Dirigentenpult Beleidigungen zugeflogen; aber Ende gut, alles gut: der Meister gibt ihnen gern volle Genugtuung und schreibt die Schuld des Umsturzes bereitwillig seiner eigenen Zerstreuung zu.

Die öffentliche Erstaufführung seiner drei großen Werke, der C-Moll-Symphonie, der Messe und des Pastorale, der Schaffensinhalt mehrerer entscheidender Jahre, war fast eine Niederlage. Materiell ein gänzlicher Mißerfolg. Begreiflicherweise. Zwei Tage vor Weihnachten!

Der Mißmut des Meisters hat bedenkliche Formen angenommen, der düstere Entschlüsse zu reifen droht.

Er berichtet nach Martonvásár, daß die Intendanz seine Bewerbung um die Hoftheaterstelle beharrlich übergehe, trotz der Gönner im Direktorium, und daß er sich entschlossen habe, die Berufung an den Hof des Königs Jerome von Kassel anzunehmen.

Zum erstenmal erhebt Theresa ihre Stimme als Unheil kündende Kassandra.

Sie möchte den Geliebten nicht in die Ungewißheit der schwankenden Verhältnisse eines Parvenühofes und in die zweifelhafte Atmosphäre des oberflächlichen, leichtsinnigen Königs »Morgen lustig weiter« ziehen lassen; sie sieht bittere Enttäuschungen und das Unglück des Meisters voraus.

Ein innerer Konflikt mit dem geliebten Meister steht auf. Zum erstenmal.

Sie fühlt als Patriotin und kann sich nicht vorstellen, daß sie dem Geliebten als Gemahlin an einen fremden verhaßten Hof folgen solle, der ihr als Hohn auf das arme geknechtete Vaterland erscheinen muß und der seine Existenz nur der Laune eines übermütigen Siegers und Schicksalsgünstlings verdankt. Es käme ihr wie Verrat an allem Herkommen und an treu gehüteten Traditionen vor – nein, sie müßte sich ihrer Schwachheit schämen; lieber entsagen, entsagen allen liebreich gehegten Hoffnungen – – –

Aber sie fühlt auch als Liebende: muß sie nicht fürchten, den Meister für immer zu verlieren, sobald er seiner zweiten Heimat Österreich den Rücken für immer wendet? An eine Wiederkehr ist bei den bestehenden Auffassungen am Hofe und in der Gesellschaft doch kaum zu denken – – – Ach, dieser Gedanke allein hat bitteren Todesgeschmack! Grausam, einen geliebten Menschen durch den Tod zu verlieren, unendlich grausamer, ihn durch das Leben zu verlieren – es ist ein fortgesetztes Sterben.

Und sie fühlt ein solches Sterben in ihrer Herzensangst!

Theresa kämpft einen schweren Kampf, den Kampf zwischen Liebe und Pflicht. Sie kämpft ihn allein in der Einsamkeit von Martonvásár, die von ihren Seufzern und Tränen weiß und dieses Geheimnis für sich behält. Nur die stummen Bäume des Lindenplatzes wissen davon.

Händeringend sitzt die einsame Braut und heischt Antwort auf ihre bangen Fragen.

»Darf ich dem Künstler im Wege stehen, wenn ihn seine Pflicht, die ihm die Kunst auferlegt, dahin ruft, wohin ich ihm nicht folgen kann? Er gehorcht einem Müssen, dem wir anderen armen Sterblichen nichts entgegensetzen dürfen – – – Er will in die Fremde ziehen, weil es sein Genius verlangt, der daheim drückende Engen fühlt wie ein Baum, der nicht in die Höhe wachsen kann, weil ihm elendes Buschwerk rundum Licht, Luft und Sonne raubt! Er will in die Fremde ziehen nicht nur seiner Kunst wegen, auch meinetwegen, der Liebe wegen, um ihr einen Thron zu bauen und mich dann zu bitten, dort auf den hohen Stufen an seiner Seite Platz zu nehmen – – und ich, Elende, kann nicht seinem Ruf gehorchen und müßte nein sagen, wenn sein mühevoller Bau vollendet ist – – –! Verräterin bin ich, entweder an den Meinen, an dem Vaterland, an allem, was Charakter und Pflicht heißt, oder Verräterin an den heiligsten Schwüren der Liebe!

Oh, ihr alten treuen Bäume, die ihr Zeugen wart dieser Schwüre, und so oft die Stimme der Liebe hörtet, wenn ich in heimlicher Zwiesprache mit euch mich unterhielt über ihn, und ihm Grüße und liebe Gedanken sandte oder durch euch Tröstliches von ihm zu vernehmen glaubte: ihr alten Freunde, die mit tausend Blätterfingern die Gnade des Himmels und den Glanz der Sterne auf uns herabträufelten, um den Bund der Seelen zu segnen, zu euch flüchte ich wieder und nehme euch zu Zeugen für meine Bitten an den Ewigen, gebt Antwort meiner Ratlosigkeit und laßt mich in der Stille eurer weihevollen Gegenwart vernehmen, was ich tun soll! Zeigt mir den Weg, der aus dem unseligen Zwiespalt herausführt und mich rettet und ihn! Ihr Zeugen meiner Liebe, laßt mich nicht zur Verräterin an dem beschworenen Bündnis, nicht zur Verräterin an ihm und an mir selber werden!«

Die Bäume rauschten leise und blieben die Antwort schuldig wie die stumme Göttin der Träume in dem Park. Und das Tagebuch schloß wie ein versiegelter Schrein das Geheimnis in sich ein und wußte ebensowenig zu raten wie das Marmorbild und die flüsternden Kronen des Parkes. Nur die eigene Stimme vernahm ihr Echo in all diesen Dingen.

Der Himmel allein hatte ein Einsehen und schickte rettende Gedanken, während sonst alles versagte.

Wie eine Erleuchtung kam es über Theresa.

»Fort mit Seufzern und Klagen, die in dieser abgestorbenen grünen Verlassenheit doch nicht dahin dringen wo sie ihr Beschwörungswerk verrichten sollen! Wir müssen handeln! Ludwig darf nicht fort!«

Entschlossen sprang sie auf, von neuer Tatkraft beseelt, die sie aus ihrer Meditation im Grünen geschöpft hatte.

»Die Erdödy muß helfen! Ihre Stimme hat Macht über ihn.«

Noch am selben Abend schrieb Theresa an die Freundin und schüttete ihr das Herz aus. Alle ihre Sorgen, ihre Befürchtungen und Hoffnungen flossen mit rührenden beweglichen Worten in den Brief hinein. János mußte ihn in aller Frühe zur nächsten Eilpost bringen.

Die Erdödy war nicht unvorbereitet; sie wußte schon von der Absicht des Meisters. Er hatte sich nur unbestimmt geäußert; sie nahm es aber nicht sonderlich ernst, sondern hielt die ganze Sache nur für einen Ausfluß seiner Unzufriedenheit, die der vorherrschende Zustand des Meisters war und sich oft in wunderlicher Weise Luft machte. Daran war man schon gewöhnt.

Aber auf den Alarmbrief Theresas nahm sie ihn sofort ins Gebet und erreichte so viel, daß er die Entscheidung verzögerte und versprach, nichts zu unternehmen, ohne sie vorher zu unterrichten.

Indessen geht die Korrespondenz von Martonvásár auch mit der übrigen Wiener Aristokratie fort. Die Erdödy ist die wichtigste, treibende Kraft und hat alle Drähte in den Händen.

Alsbald ist der ganze Hochadel alarmiert: der Genius fühle sich in Wien unverstanden; die hiesige Aristokratie tue nichts für ihren Liebling, er wolle auswandern.

Die Erdödy schreibt es ungefähr mit diesen Worten auch an Erzherzog Rudolf.

Das hatte gewirkt.

Der erste, der erklärt, es müsse etwas geschehen, ist Erzherzog Rudolf. Es sei undenkbar, betont er in einer vertraulichen Sitzung mit den Häuptern des Hochadels, daß wir den Genius ziehen und uns von einem Spielkartenkönig beschämen lassen!

In dieser Meinung waren alle einig.

Aber wie soll man es anfangen, den Meister dauernd an Wien zu fesseln? Wie? Das war jetzt die Frage.

Die Sache mit der Hofkapellmeisterstelle kam zur Sprache. Darin war der Einfluß der Erdödy zu spüren, die in ihrem Brief an den Erzherzog diese leidige Frage wieder aufgeworfen hatte.

Der Meister sei offenbar verstimmt, weil dieser, sein Lieblingswunsch, nicht erfüllt worden sei, und darum sei es ihm mit einem Antrag ähnlicher Art aus Kassel so ernst geworden.

Hm! Einige Mitglieder der Kommission, die an der Hoftheaterleitung beteiligt waren, fühlten den Vorwurf eines Versäumnisses an dem Meister.

Immerhin, man hatte triftige Gründe einzuwenden. Seine zunehmende Taubheit, seine Erregbarkeit, die Empfindlichkeit des Künstlerpersonals – man hatte schon böse Erfahrungen gemacht: die »Fidelio«-Affäre wurde wieder aufgeworfen – auch die Unpünktlichkeit des Meisters in der Fertigstellung der Partituren wird geltend gemacht, bei aller Anerkennung der künstlerischen Gewissenhaftigkeit des Meisters, der lieber den Termin versäume, bevor er eine Arbeit aus den Händen gebe, die nicht seinen höchsten genialen Anforderungen entspreche: aber beim Theater müsse doch alles am Schnürchen gehen, auch wenn die Arbeit dabei weniger gründlich ausfalle, was hier eher ein Vorzug wäre, weil ja ohnehin kein Mensch die innere Qualität so recht zu beurteilen wisse als allenfalls der Genius selber – kurz und gut, der Meister würde hier am falschen Platz stehen, es wäre eigentlich schade um ihn, wenn er als Pegasus im Joche pflügen müsse, und man habe auch sein Interesse im Auge gehabt, als man sein Gesuch unerfüllt ließ – – –

»Gut, meine Herren, und zugegeben!« erwiderte der erzherzogliche Gönner, »aber was dann? Indem man ein solches Gesuch stillschweigend verneint, sei es auch im Interesse des Genius, hat man die Pflicht ihm gegenüber doch erst halb oder eigentlich noch gar nicht getan. Förderung der Talente war der Grundsatz meines großen Oheims Joseph II. und seines erlauchten Bruders, des köln. Kurfürsten Maximilian Franz, der uns den Meister als teures Vermächtnis anvertraut hat; der gleiche Grundsatz gehört zu den stolzesten Überlieferungen unseres edlen Hauses und der österreichischen Adeligen; wir haben einen Gluck, einen Haydn, einen Mozart in Obhut zu nehmen das Glück und den Vorzug gehabt, und wollen einem Beethoven die Türe vor der Nase zuschlagen, weil es seinem Genie angeblich draußen besser fromme als drinnen, wo er uns etwas unbequem zu werden scheint? Nein, meine Herren, ich fürchte, wir haben an dem Künstler einiges gutzumachen! Wir müssen nun Mittel und Wege finden, den Meister für den Entgang der Hoftheaterstelle, die wohl nicht das Richtige für ihn ist, ausreichend zu entschädigen. Er begehrte ein Gehalt von 2400 Gulden – ich meine, es müßte ihm dieser Jahresbetrag, ja noch mehr als dieser, ohne irgendwelche drückende Gegenleistung garantiert werden – – –«

Diese Worte hatten Eindruck gemacht, um so mehr als der Prinz sogleich die Bereitwilligkeit erklärte, aus eigenem ein Opfer bringen zu wollen.

Schließlich kam ein Beschluß zustande, demzufolge der Erzherzog und die beiden Fürsten Lobkowitz und Kinsky sich verpflichteten, aus eigenen Mitteln dem Meister auf Lebenszeit eine jährliche Pension von viertausend Gulden zu bezahlen, wogegen er sich nur zu verpflichten habe, Wien zum ständigen Aufenthalt zu wählen und Österreich ohne die Zustimmung seiner Protektoren nicht zu verlassen.

Der Meister war beglückt und stolz, als ihm dieser Vertrag, der ihm ein lebenslängliches, gesichertes Einkommen bot, überreicht wurde; er ließ Kassel endgültig fallen. Sofort mußte er es nach Martonvásár schreiben: sein Hierbleiben sei nun ehrenvoll für ihn geworden, und er fügt hinzu: »Der Titel als Kaiserlicher Kapellmeister kommt auch noch nach – – –« Er denkt dabei an die alte Gräfin-Mutter und ist der Meinung, daß ein solcher Titel ihren starren Standeshochmut beugen werde – – –

Theresa jubelt: »Gerettet! Gerettet!« und umarmt und küßt in ihrer grenzenlosen Freude jeden der alten Lindenbäume auf dem stillen Platz, der ihrer Liebe geweiht ist.

Der Meister rüstet nun in aller Stille zur Vermählung; er schreibt an Wegeler und bittet ihn, daß er ihm den Taufschein besorge. Die Sehnsucht nach Eheglück und Häuslichkeit ist mächtig geworden; er wähnt sich nahe am Ziele.

Da trifft eine Hiobspost ein, die vom Kriegsschauplatz kommt: der Feind zieht unaufhaltsam gegen Wien heran; man schreibt 1809, das große Kriegsjahr – wer kann, rettet sich beizeiten aus der bedrohten Stadt. Der Hof ist in aller Stille abgereist; der Hochadel ist nachgefolgt.

Wie ein Blitzschlag fährt Ereignis um Ereignis in den blau- und rosafarbenen Freiershimmel herein, der sich alsbald verdüstert; der Meister sieht, wie das so nahe Eheglück weit, weit abrückt bis zum wetterleuchtenden Horizont hinaus. Zunächst stürzen alle Pläne wie ein Kartenhaus zusammen.


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