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XVIII. Kapitel.

Die Gräfin Erdödy bittet den Meister, der mitten in den Festspielen kaum zu Atem kommt, zu sich.

Er hatte in den letzten Wochen und Monaten kaum Zeit gehabt, die Freundin mehr als flüchtig zu sehen; seine Besuche, die ihn früher fast täglich abends in ihren Salon führten, so daß darob schon ein Bedientenklatsch entstand, sind selten geworden und dann ganz unterblieben; nun aber eilt er auf den Ruf der Freundin ungesäumt herbei.

Sie empfängt ihn mit geheimnisvollem Lächeln in den Mienen und mit scherzhaftem Vorwurf in den Worten:

»Verwöhnt von der Gunst, haben Sie, lieber Meister, Ihre arme Gräfin Erdödy vergessen – sie aber hat nicht Ihrer vergessen! Betrachten Sie mich als die Hoffnung, die Ihnen den Besuch des Glücks ankündigt, das Ihnen bisher noch das Beste vorenthalten hat: empfangen Sie es aus meinen Händen!«

Sie wendete sich lächelnd gegen die Tür des Nebenzimmers: dort stand Theresa, ein Lächeln auf den Lippen, Tränen in den Augen, hold und fast verschämt, einer griechischen Statue vergleichbar, der höchste Preis des Glücks:

Theresa!

Jetzt kam das lebende Bild in Bewegung und Fluß und ging zögernd einige Schritte ihm entgegen.

Mit dem Ausruf freudigster Überraschung stürzte der Meister auf sie zu und zog sie an sich.

»Du kamst nicht nach Martonvásár – also bin ich nach Wien gekommen, wie ich es versprochen habe«, sagte Theresa leise.

Der Meister hörte es nicht, die Liebesbotschaft drang nicht an sein Ohr.

Auch die Gräfin Erdödy lächelte unter Tränen.

Der Meister bemerkte es, daß die beiden Frauen weinten, obschon sie lächelten; er nahm die Tränen als Zeichen der übergroßen Freude des Wiedersehens.

Und obschon er selbst freudig bewegt war, zog ein Schatten von Trauer über sein Antlitz.

Und nun ging Frage und Antwort über das Nächstliegende hin und her. Wann Theresa gekommen sei, ob auch Franz hier wäre – und Mama?

Theresa war mit dem Bruder zu den Festlichkeiten erschienen wie auch der übrige ungarische Hochadel, der bei solcher Gelegenheit nicht fehlen darf – es täte Mama ungeheuer leid, bei diesem Anlaß zu fehlen, aber sie fühle sich seit einiger Zeit kränklich und konnte die Reise nicht wagen – Theresa sei bei der lieben Freundin Erdödy, Franz im Palais der ungarischen Leibgarde abgestiegen: beide seien bei den Eröffnungsfestlichkeiten Zeugen der Triumphe des Meisters gewesen und hätten sich innigst gefreut – – – Dabei wären sie lebhaft an die Ovationen im Pesther Theater erinnert gewesen. Aber dort war nur der Landesadel versammelt gewesen, hier die Fürsten Europas! Welches Glück! Und wie herrlich, daß sich alles so schön erfüllt habe, wovon man in Martonvásár kaum zu träumen wagte vor zwei Jahren, als man dort in den gemeinsamen stillen Betrachtungen Zukunftspläne schmiedete – – –

Während sie sprachen, hielt Ludwig die Hand Theresas in der seinigen. Es war ein Augenblick des Glücks, der Ewigkeiten maß und durch nichts anderes aufgewogen werden konnte. Still war es in ihm geworden; wunschlose Seligkeit als Gipfel des Glücks. Die Trauer wich aus seinen Zügen, sein Antlitz war durchleuchtet von innen her; fast wortlos genoß er dieses geruhsame Schweigen Hand in Hand unter dem Baldachin von Lorbeer und Liebe, den das Paar über sich wußte. Die Freundin sah es und hatte ihren stillen Teil an dem Glück.

Plötzlich wurde er unruhig, sein Gesicht verdüsterte sich; er sprang auf, lief einige Male hin und her und schickte sich an, zu gehen.

»Musikprobe!« stieß er unmutig hervor und fing auch schon an, sein Los zu verwünschen.

»So bin ich geplagt und gehetzt, anstatt im schützenden Kreis der Liebe und Freundschaft ungestört dem reinen Dienst der Muse zu leben. Sind wir denn die Sklaven dieses Genießertums mit ihrem ewigen Festtaumel, der doch nicht die Annäherung an die Göttin erlaubt oder auch nur ermöglicht?! Die schönsten Augenblicke des Lebens sind mir vergällt, so selten sie sind! Lebt wohl – ich muß fort; im Geiste bin ich bei euch! Unter den vielen Menschen bin ich am einsamsten!«

Er war dahin; Theresa fiel der Freundin schluchzend in die Arme – hier konnte sie sich ausweinen, und die Freundin weinte mit ihr.

»Warum diese Tränen?« fragte plötzlich die Erdödy. »Ihr seid ja glücklich und habt euch gefunden – ich bin eine arme verlassene Frau; weinen sollte ich über mich, freuen darf ich mich mit euch!«

Die arme Erdödy! Ihre Ehe war traurig; der Gatte weilte fern und kümmerte sich wenig um die verlassene, seelisch und körperlich leidende Frau – ihr einziger Trost waren die Kinder und die Musik.

Sie wußte es kaum, daß sie insgeheim den Meister liebte, der sich wieder zu leidenden Frauen, wie sie eine war, seltsam hingezogen fühlte; sie liebte ihn und genoß die leidende Liebe mit Entsagung, indem sie mit mütterlichem Feuereifer die Verbindung Ludwigs und Theresas zu ihrer Herzensaufgabe machte. Das Glück der beiden war ihr Glück; das Liebesfest der anderen war ihr eigenes Liebesfest, an dem sie doch die Darbende blieb – darum weinte sie.

»Aber warum weinst du? Du bist doch glücklich, Theresa! Du liebst und wirst wieder geliebt! Das ist doch das Schönste auf Erden!«

»Ach ja!« seufzte Theresa, »du hast wohl recht. Aber wer sagt dir, daß Liebe immer glücklich macht? Die Liebe ist ein Glück, das oft Tränen verdient. So ist unsere Liebe und unser Glück!«

Die Erdödy schüttelte den Kopf. »Unbegreiflich!«

Sie suchte die Freundin zu trösten.

»Ihr seid auf dem Gipfelpunkt eures Hoffens und Wünschens. Es ist der Augenblick der Erfüllung. Nun haltet es fest, dieses Glück! Heiraten müßt ihr – es ist an der Zeit. Versäumt es nicht – jetzt oder nie! Der Himmel ist für euch: was ihr gesucht, ist gefunden; die Umstände sind günstig, wie sie nie waren; alle Bedingungen sind gegeben: was zögert ihr noch? Versäumt den Augenblick nicht – so schön kommt es nie wieder. Froh solltest du sein und heiterer Dinge – – –!«

»Ich bin es ja – – aber – –«

»Was aber?!«

»Nun, du weißt ja, wie Mama ist!«

»Ach, Mama! Wenn du willst und alle Welt für euch ist, was hast du zu fürchten?«

»Das ist ja wahr – – – Ach, diese dummen Tränen!«

Nun lächelte sie wieder, und dann lachten beide zusammen und schalten sich als rechte Törinnen – –

»Nichts verpassen«, warnte nochmals die sorgende Freundin. »Mädel, du bist auch nicht mehr ganz jung – die Jahre gehen schnell dahin; das ewige Warten und Sehnen und Sichgrämen macht vor der Zeit alt. Nun, keine Angst, man merkt wirklich noch nichts; hübsch bist du, und dein Aussehen jünger als deine Jahre; aber das Altern merkt man inwendig: man altert zuerst in der Seele, indem man allzu bedenklich, allzu klug, allzu vernünftig wird. Du kennst das böse Wort: altjüngferlich! Es besagt alles. Darum, beeilt euch!«

Die gute Erdödy hatte leicht reden.

Theresa dachte: du würdest es ja doch nicht verstehen, wenn ich dir's auch sagen könnte.

Das mit Mama war natürlich eine Ausflucht, um die Inquisitorin auf ein gangbares Nebengebiet abzulenken. Was es eigentlich um ihr Inneres und das Geheimnis der Tränen ist, weiß sie selbst kaum in Worte zu fassen. Es ist ein Gefühl von unbestimmbarer Art, wofür es keine Vernunftgründe gibt – und die Menschen wollen vernünftige Gründe, als ob das in solcher Lage nicht das Allerunvernünftigste wäre. Es ist ein Gefühl, ja, eigentlich nur eine Ahnung; und da will man Vernunft! Es ist etwas wie die Liebe, die doch selbst aller Vernunft spottet!

Und was niemand sah, die Augen der Liebe haben die stille Trauer im Antlitz des Geliebten wohl gesehen, diese Trauer, die der alles beherrschende Ausdruck seines Wesens ist und auch nicht etwas ist, das sich mit »Vernunft« wegdisputieren läßt.

Diese leise Trauer hat sich bis zur tragischen Maske verdichtet.

Theresa hat den Triumph des Künstlers miterlebt, und sie hat zugleich diese furchtbare Tragik gesehen, die sich unlösbar mit seinem Ruhm und seiner Kunst verwob und die Schale um so tiefer niederzog, je höher die andere stieg. Und mit dieser Tragik war auch die ihrige verkettet.

Darum diese Erschütterung, darum diese Tränen in der Stunde des Wiedersehens und in der Stunde des Glücks!

Davon konnte sie nicht sprechen, nicht zu ihm und nicht zur Freundin, so feinfühlig und verstehend diese auch war; davon konnte sie nur mit sich reden oder mit ihrem verschwiegenen Tagebuch, diesem Spiegel ihrer Seele und ihres tiefsten Geheimnisses:

»Ich habe ihn gesehen, umrauscht von der Woge des Beifalls, umleuchtet von dem Glanz der Berühmtheit – er sah wohl unseren Jubel, aber er hörte ihn nicht. Und ich merkte die tiefe Traurigkeit in seinem Antlitz, die große Einsamkeit und Stille, die seine zunehmende Gehörlosigkeit wie undurchdringliche Scheidewände um ihn aufrichtet. Ich war bei unserem Wiedersehen in Ofen schon erschüttert; aber dann, die wenigen Tage auf Martonvásár, hatte ich mich ein wenig daran gewöhnt, so daß ich ihm meine Rührung über sein Unglück mehr verbergen konnte. Aber jetzt hat es mich wieder zu Tränen bewegt. Ich mußte gewaltig kämpfen mit dem eigenen aufquellenden Schmerz, als er mir davon sprach, daß er die Ohrenmaschinen womöglich zur Reife bringen und dann reisen wolle, um den Erfolg voll auszunützen und das sichere Fundament unseres Glücks für alle Zukunft zu legen – – dies sei er mir, sich selbst, den Menschen und Ihm, dem Allmächtigen schuldig – nur so könne er noch einmal alles entwickeln, was sonst in ihm verschlossen bleiben muß – – – ein kleiner Hof – er dachte an Martonvásár! – eine kleine Kapelle, von ihm angeführt, ›in ihr den Gesang geschrieben zur Ehre des Allmächtigen – des Ewigen, Unendlichen – – – So mögen die letzten Tage verfließen – – – Händels, Bachs, Glucks, Mozarts und Haydns Porträts in meinem Zimmer – – sie können mir auf Duldung Anspruch machen helfen – – – ‹; so ähnlich lauteten seine Worte. Ich wollte ihm sagen, daß es keiner solchen übermenschlichen Anstrengung bedürfe, er stehe jederzeit am Ziel, und meinetwegen brauche er nicht zu sorgen – lieber wollte ich entsagen und mich mit dem idealen Zustand begnügen, der mir schon das Höchste ist, die Freundin und Gefährtin seiner Seele zu sein, in ewiger Treue, ohne den Aufwand und die Unruhe, welche durch die reale Schließung eines Ehebundes verursacht wird und ihm gewiß eine Last bedeuten muß. Meiner Treue kann er sicher sein. Ich wagte aber nicht, ihm dies zu sagen aus Furcht, er könnte es als Zweifel und Verzicht auffassen, wie ich schon merkte, als ich daheim eine derartige Andeutung machte. Er war damals ganz niedergeschlagen und außer sich und meinte, ich wolle ihn verlassen, meine Liebe sei erkaltet und ich glaube nicht mehr an ihn: es sei ihm, als würde der Engel von seiner Seite weichen, der ihm bisher sein hohes Ziel gewiesen hat. O nein, dieser Engel will ich immer bleiben! Wie viel Mühe hatten wir doch, ihn dann in Martonvásár von seiner Hypochondrie zu befreien – – –«

Theresa ist Zeugin bei den Hofkonzerten im Rittersaal der Hofburg, wie der Meister am Klavier noch einmal den »Fidelio«-Kanon und die »Adelaide« begleitet, sein letztes Auftreten als Kammermusiker, sie ist in den Gemächern der Kaiserin von Rußland zugegen, die den Wunsch hat, den berühmten Künstler bei sich zu empfangen und ihn auf dem Klavier phantasieren zu hören; für eine eilig komponierte Polonaise und für die Widmung der Alexander-Violinsonate Op. 30 empfängt der Meister bedeutende Ehrengeschenke in Dukaten von der Kaiserin; auch die österreichische Kaiserin bekundet ihre Anteilnahme dem Künstler, der sich vom Hofe vernachlässigt wähnte, und erklärt, daß Wien mit Recht auf ihn stolz sein könne. Überall ist Theresa seine Begleiterin; sie genießt alle ihm zugedachten Ehren mit und kostet schon das Gefühl im voraus, als seine Lebensgefährtin an seiner Seite zu wandeln und die Sonne seines Ruhms vor aller Welt auch auf ihr frei erhobenes Haupt leuchten zu lassen. Alle Scheu und Ängstlichkeit ist geschwunden; man handelt mit voller Selbstverständlichkeit. Das streng gehütete Geheimnis von Martonvásár ist nun ein öffentliches geworden, obzwar noch keine offizielle Erklärung erfolgte.

Bei der großen musikalischen Soiree im Palais Rasumoffsky, am Jahresende, wendet sich der Fürst direkt an die Gräfin Theresa, um ihr Glück zu wünschen zu den Ovationen, die der gefeierte Meister von Kaiser und Königen empfängt, und bedauert nur, daß sein Schwager Fürst Karl Lichnowsky, der im Frühjahr gestorben ist, nicht mehr das Glück habe erleben können, seinen geliebten Freund nach Verdienst geehrt zu sehen; doch die verwitwete Fürstin Christiane gedenke von ferne in alter Herzlichkeit und Zuneigung des Meisters und freue sich über das Glück, das über ihn und die Gräfin Theresa ihr Füllhorn ausgieße.

Theresa denkt: »Woher weiß er das? Ah! diese Erdödy! Natürlich, die Erdödy hat sich hinter den Fürsten gesteckt!« Sie hört ihn lächelnd an und nimmt die Gratulation ohne Widerspruch entgegen, indem sie einfach sagt: »Ich weiß, daß die Fürstin uns beiden aufrichtig zugetan war und nichts mehr wünschte, als die Hoffnungen verwirklicht zu sehen, die sie für ihn und für mich hegte.«

»Nicht nur Christiane,« beeilt sich der Fürst aufs eifrigste zu erwidern: »auch wir, wir alle! Wir nehmen den innigsten und freundschaftlichsten Anteil und haben nur den einen Wunsch, die Reihe der offiziellen Festlichkeiten möge durch ein persönliches Fest des Genius gekrönt werden, das seinen Herzensbund vor aller Welt dartut und dies, während noch die Fürstlichkeiten anwesend sind, die Zeugen des Glückes sein sollen!«

Er tut so, als ob er vollständig eingeweiht wäre.

Theresa ist sprachlos.

Er läßt sich, unbekümmert um ihre sichtbare Verwirrung, das Versprechen geben, daß die offizielle Verlobung hier im Palais Rasumoffsky stattfinden soll, an einem Musikabend, wo alle Potentaten versammelt wären wie an dem heutigen Abend – es würde eine Feier von europäischer Berühmtheit werden, die der Geschichte angehören müsse.

Theresa weiß in ihrer Überraschung und Betroffenheit nichts zu erwidern als: »Ja, wenn es Ludwig recht so ist.«

Sie ist kaum ihrer Gedanken und ihrer Sinne mächtig.

Wie betäubt ist sie von der Botschaft.

So ist der Mensch, wenn plötzlich das Glück auf ihn niederstürzt.

Die Wucht ist zu groß. Nicht einmal freuen kann er sich in einem solchen Augenblick. Die Freude würde töten.

Allmählich kommt Theresa zu sich.

Der Bruder Franz ist in ihrer Nähe.

»Weißt du's schon?!«

Er nickt lächelnd: »Weiß alles! Gratuliere!«

Die Knie zittern ihr, sie glaubt umsinken zu müssen.

»Führe mich zu dem Sofa in der Ecke!«

Der Bruder bringt sie in einen kleinen Nebensalon, fern von dem Gewühl.

»Halt still, mein Glück, geh nicht vorbei!«

Sie sagt es nicht, das Übermaß der Freude hat keine Worte. Sie denkt es bloß und fühlt es in ihrer Seele.

Allerdings; sie hat sich die Erfüllung ihres Lebenswunsches anders gedacht: in aller Stille und Geborgenheit, auf Martonvásár; nur wenige vertraute Menschen um sich, in der köstlichen Einsamkeit des Parks mit den alten treuen Linden!

Die große Öffentlichkeit, die Schaustellung vor so vielen Menschen, ja vor den Mächtigen Europas, nein, das ist nicht nach ihrem Geschmack und gewiß auch nicht im Sinne Ludwigs – aber die Ehre ist groß und ungewöhnlich, man hat kein Recht, nein zu sagen; und außerdem die Rücksicht auf Mama – – – auf ihren Widerstand müßte man wohl gefaßt sein, aber unter solchen Auspizien ist ihre Zustimmung sicher, die sie sonst gewiß verweigern würde; also! »Das Schicksal meint es wirklich gut – eine Fügung des Himmels, wir allein konnten nichts tun!«

Demütig neigt sie ihr Haupt, zutiefst dankbar gestimmt – schwer, schwer lastet die Fülle von Segnungen auf ihrer Seele – – –

Der Bruder kehrt eben zurück, um wieder nach Theresa zu sehen, die er in ihrem tiefen Nachsinnen allein gelassen.

Sie ahnt bereits:

»Hast du Ludwig gesprochen?! Weiß er schon von der Absicht des Fürsten?«

Franz bejaht:

»Eben hat ihn der Fürst in Arbeit gehabt. Er ist ganz weg. Sie haben sich umarmt, förmlich berauscht von dem Gedanken. Rasumoffsky will gleich nach Neujahr das Verlobungsfest arrangieren. Spätestens zum Heiligendreikönigtag.«

»Und Ludwig?«

»Feuer und Flamme! Er läßt dir sagen, hier ist nicht der Ort, sich dir zu Füßen zu legen – morgen früh alles Weitere bei der Erdödy.«

»Gut, Franz; sei so gut, bring' mich zum Wagen; ich muß allein sein – die Menschen hier, ich halte es nicht länger aus. Oh, die liebe, gute Erdödy wird sich freuen!«

Die Soiree im Palais Rasumoffsky währte bis tief in die Nacht.

Am Morgen des folgenden Silvestertages lagen die Festteilnehmer in tiefer Ruh'.

Hornsignale und schauerliche Rufe: »Feuer-jo!« riß sie aus dem ersten süßen Schlummer.

Gellend tönte es durch die ganze Stadt: »Das Rasumoffsky-Palais in Flammen!«

Die Wiener erlebten das schrecklich-schöne Schauspiel eines verheerenden Brandes, dem der herrliche Palast gänzlich zum Opfer fiel. Kunde um Kunde kam: ein Kaminfeuer, das am Morgen nach dem Fest, als alles schlief, das hölzerne Gebälk des Baues erfaßte und durchglühte – – – Man sah von den Fenstern und Dächern hinüber, wo Rauch und Flammen aufschossen. Stunde um Stunde währte der Brand. Schließlich ein Krachen, eine Funkengarbe, die hoch zum Himmel loderte: das stolze Gebäude war nicht mehr; in sich zusammengestürzt lag es in einem Meer von Flammen – – –

Seit dem Schloßbrand von Bonn hatte Ludwig nicht Ähnliches mehr gesehen. Er stand am Fenster seiner hochgelegenen Wohnung und stierte mit entsetzten Augen hinüber.

Regungslos stand er, stierte und stierte.

Die Stätte seines Ruhms, seines Glücks, seines nahen Lebensziels war vernichtet. Das Brechen und Krachen der stürzenden Mauern ging mitten durchs Herz.

Dort lagen Glück und Hoffnung zerschellt und begraben. Und sein Herz mit dabei.

Vorbei, vorbei für immer. Ein Glück, wie es ihm dort erblühen wollte, kommt nimmer, nimmer!

»Nimmer!« Mechanisch wiederholte er nur dieses eine Wort.

Stundenlang stand er und blickte regungslos hin.

Er wußte nicht, wie lange er dort stand.

Die Flammen sanken, man sah nur mehr eine schwarze Trümmerstätte, auf der kleine Flämmchen zuckten.

So sah es in seinem Innern aus: ein grauenvoller, geschwärzter Trümmerhaufen, auf dem fieberhaft der Schmerz zuckte wie kleine Stichflämmchen.

Endlich wandte er sich ab von dem grausigen Bild, das ihm als ein Symbol seines Schicksals erschien.

Ein Stöhnen entrang sich seiner Brust, das Stöhnen eines Todwunden.

Es war Abend, als er im Hause der Geliebten erschien.

Ein Blick auf die beiden bleichen Frauen sagte ihm, was sie gelitten hatten. Es war ein stummes Wiedersehen, das man sich gestern abend jubelnd und glückselig gedacht hatte.

Theresa hatte keine Tränen. Sie schien ruhig und gefaßt.

Aber alle wußten, daß die Katastrophe die glanzvolle Krönung ihres Glücks zunichte gemacht hatte. Die Erfüllung des Lebenswunsches war abermals in eine unbestimmte Ferne gerückt.

Gräfin Erdödy schien am tiefsten getroffen; sie war ganz niedergeschmettert. Ihr Werk war es gewesen, das Werk heimlicher Liebe, das da zusammengebrochen war.

Theresa versuchte zu trösten, sich, den Geliebten, die Freundin.

»Es wird sich alles finden«, sagte sie. »Es ist vielleicht besser so. Ein Fest der Stille, später, wie wir es eigentlich wollten – es entspricht uns mehr.«

Ludwig erwachte nach und nach aus seiner Erstarrung. Sein Inneres kam in Bewegung; der zurückgestaute Schmerz löste sich, wie wenn Lawinen stürzen und Felsen bersten.

»Oh, oh, oh!« stieß er gewaltsam heraus und schlug bei jedem Ausruf mit der Faust auf die dröhnende Brust, »es ist nicht, weil mir diese Haupt- und Staatsaktion so sehr gefallen hätte – nein, auch ich hätte es mir lieber anders gedacht; aber es ist deswegen, weil das Glück – ha, ha, ha! – eine feile Dirne ist!«

Er lachte gräßlich dazu, und sein Gesicht verzerrte sich dabei zur unheimlich grinsenden Fratze, und dann schrie er fort:

»Darum hat es mich so zudringlich heimgesucht und täuschend umgaukelt, um mich dann desto elender zu machen und hohnlachend im Stich zu lassen!«

Wieder dieses entsetzliche Lachen, daß die Frauen erschreckt aufsprangen und ihn mit weiten Augen ratlos anstarrten, von Furcht geschüttelt und unschlüssig, ob sie aus dem Zimmer fliehen oder bleiben sollten – und standen wie gebannt mit flehend erhobenen Händen und sahen dem Toben zu – – –

»Der alte Fluch, der mich schon einmal getroffen – ahi! Der Dämon! Der Dämon!«

Kläglich wimmernd brach er plötzlich zusammen und deutete an sein Ohr, dann in die Lebergegend: »Hier – und hier, hier!«

Das Übermaß der Nervenaufregung hatte einen Schmerzanfall zur Folge, sein langjähriges Übel.

Bestürzt eilten die Frauen hinzu und brachten ihn mit Mühe auf das Sofa. Dort lag er stöhnend und klagte in beweglichen Worten sein Leid:

»Es hat uns übel mitgespielt, Theresa! Oh, ich habe es geahnt und habe nicht getraut diesem Glück! Ich fühlte es, daß ein Fürchterliches dahinter lauert! Wie ein Nachtwandler bin ich auf Höhen gegangen, im Traum – nun bin ich erwacht und liege zerschmettert in der Tiefe!«

Sein Stern hatte sich plötzlich verwandelt; er war zum Unstern geworden. Er sah die Zukunft schwarz in schwarz.

Unter der liebenden Fürsorge der ganz verängstigten Frauen erholte er sich von dem Anfall alsbald wieder und war sanft und lenksam wie ein Kind. In seiner vehementen Natur lagen diese elementare Wildheit und diese innige Frommheit dicht beieinander, wie in seiner Musik, wo auf ein stürmisches Presto, Prestissimo oft ein elegisches Largo zu folgen pflegte. Der Frieden nach dem Gewitter und das Hirtenlied mit dem Gebet.

Das leidensgetränkte Herz fühlte nun dankbar die Erquickung, die der liebereiche Zuspruch der beiden Frauen bot.

Wie schön wußte Theresa zu trösten und über der zerstörten Gegenwart das Zauberbild einer idyllischen Zukunft zu malen, für die man gern den Glanz hingab, der gestern noch gewiß schien. Man ahnte nicht, wie es eigentlich um ihr Inneres stand; erst als sie allein war, brach die mühsam bewahrte, lächelnde Fassung hilflos zusammen; sie klagte und weinte nicht, sie war ganz betäubt, zerschlagen, ein Bild stummer, schier hoffnungsloser Trauer. Erst nach und nach fand sie die Sammlung wieder und konnte die Gedanken ordnen, doch nur um die Größe des Unglücks auszumessen und damit das eigene persönliche Leid, das sich in ihrem Selbstbekenntnis spiegelte:

»Ich bin vor Schrecken wie gelähmt und von entsetzlichen Vorstellungen heimgesucht. Wenn ich abergläubisch wäre, müßte ich an eine üble Vorbedeutung glauben. Die Stätte, die nach den gestrigen Reden des Fürsten der Schauplatz unseres Ehrentages werden sollte: ein rauchender Trümmerhaufen; es ist mir, als lägen unsere Hoffnungen darunter begraben. Ein Fürstensitz, der alles enthielt, was Prachtsinn, Kunstliebe und Reichtum vermochte, ist der Raub wütender Flammen geworden, darunter die kostbare Bibliothek und der vielbewunderte Canova-Saal mit den Marmorbildern des großen Bildhauers! Die herrlichen weißleuchtenden Figuren zerschmettert unter dem Schutt der eingestürzten Decke. Unter diesen die rührend schöne Statue der Vestalin, von der der Fürst behauptete, daß sie mir ähnlich sehe. Hat die Vestalin das heilige Feuer im keuschen Dienst der Gottheit so schlecht gehütet, daß es zum verheerenden Brande werden konnte, der sie selbst wie zur Strafe vernichtete? Ist sie ihrem heiligen Berufe untreu geworden, indem sie ihren Sinn auf irdische Dinge wendete, anstatt dem reinen Ideal zu dienen? Ich habe ein Gefühl, als ob ich selbst zerschmettert unter den Trümmern läge – – – – – –«

Napoleon war aus Elba zurückgekehrt, neue Schlachten standen bevor; der Kongreß floh auseinander, er war ein vorübergehendes Aufleuchten alter Herrlichkeit gewesen, die mit dem schrecklichen Fanal endete, die Gemüter mit banger Sorge erfüllend. Die lodernden Flammensäulen kündeten mit feuriger Schrift das Ende der kunstreichen Barockkultur in Wien, die trotz Empirezeit und Klassizismus an den fürstlichen Stätten ihre große Tradition fortwirkte und im Kongreß zu kurzem Scheinleben erwacht war.

Die letzte große adelige Musikstätte Wiens war dahin. Das letzte fürstliche Musenheim in der großen Reihe der olympischen Bezirke, wo der Genius eines Gluck, eines Haydn, eines Mozart und schließlich eines Beethoven gefeiert wurde, und nicht nur eine Zuflucht, sondern sinnige, andachtsvolle Pflege fand.

Es war ein Schlußpunkt.

Der Meister fühlte, daß sein Genius von nun an verwaist auf Erden war.

Eines der vielen Zeichen und Wegweiser, die ihn fortdeuteten, hinein in noch tiefere Einsamkeiten.

Geheimnisvolles Schicksal! Ist es ein Fluch? Oder ein noch verborgener Segen?

Schwer lastet die Hand des Unerforschlichen auf ihm.

Nun rüsteten auch die Brunszviks zur Heimkehr.

Der Abschied war ein neuer Schmerz, der frische Wunden wieder bluten machte.

Man mußte mit dem Meister behutsam umgehen wie mit gebrechlichem Glas, das bereits einen Sprung hatte.

Theresa verstand es gut, mit dem Zartsinn vornehmer, fein empfindender Seelen.

»Beklagen wir nicht uns, beklagen wir unseren Freund, den Fürsten Rasumoffsky«, war das Wort, das sie Ludwig zu guter Letzt gab; »er hat alles verloren, sein Palais, sein Vermögen, seine glänzende Stellung, die mit seinem Reichtum dahin ist. Wir haben dagegen wenig oder nichts verloren. Unser Glück, das er vollkommen machen wollte, ist uns geblieben, es war ohne ihn und wird auch ohne ihn ferner sein. Er wollte es höher heben, das gelang ihm nicht. Wir haben es daher in unsere Hände zurückgenommen und müssen es selber bauen. Es liegt nur an uns, Ludwig. Andere können nichts tun für uns. Das haben wir gesehen. Schön wäre es ja gewesen, wie der Fürst es sich dachte, zu schön; darum konnte es nicht sein. Bescheiden und still, aber ganz unser eigen: ist es nicht besser so?!«

»Ja, ja,« murmelte er, »der Neid der Götter, das hätten wir wissen sollen. Was nun?«

»Kinder, Kinder!« rief die Erdödy ganz verzweifelt, »seid doch nicht so schwerfällig! Ihr braucht doch keine Protektoren!«

»Wir hätten sie gebraucht wegen Mama – es muß nun auch so gehen, und ich bin fast froh darüber!«

»Aber bald!« drängte die Erdödy, »sofort! Und dann?«

»Dann in Ofen oder auf Martonvásár!«

»Auf Martonvásár!« entschied Ludwig.

»O weh!« klagte die Erdödy, »dann kann ich nicht auf eurer Hochzeit sein – es ist zu weit für mich! Aber ihr schreibt mir alles und besucht mich dann als glückliche Neuvermählte!« – –

»Oh, du! Das liebe Dorfkircher!«, schwärmte Theresa. »Und die braven Leute in ihren schönen Trachten! Das sind mir liebere Hochzeitsgäste als alle diese Kongreßherrschaften.«

So ergingen sie sich in freundlichen Zukunftsbildern, um die Bitterkeit der Gegenwart und des Abschiednehmens zu versüßen.

Und selbst dem Meister gelang es, alle düsteren Zweifel zurückzudrängen und neue Hoffnung zu schöpfen.

»Auf Martonvásár also!«

Ein letztes liebes Wort, das sie sich gegenseitig zuriefen und das wie Musik in der Seele fortklang.

Theresa wollte ein Bild des Meisters besitzen. Sie hatte zwar einen Gipsabguß von seinem Antlitz zu eigen, den der Bildhauer Klein in dem Jahre abgenommen hatte, da Beethoven mit Goethe zusammengetroffen war. Ludwig hatte die Maske selbst nach Ofen und Martonvásár gebracht, um damit einen Wunsch Theresas zu erfüllen. Vor diesem Abbild feierte sie ihre wehmutvollen Andachten. Obschon Bruchstück der Naturwirklichkeit, enthielt der Ausdruck dieses Abgusses etwas, was zur Wehmut stimmte: das Tragische, Schmerzhafte, nach innen Lauschende.

Sie wollte indessen ein lebendigeres und zugleich ideales Bildnis von ihm haben, so wie sie ihn in ihrer Seele sah. Der Porträtkupfer, den Blasius Höfel nach einer belanglosen Bleistiftskizze von Latronne gemacht hatte und der beim Verleger Artaria zu haben war, wo der Kupferstecher den Meister öfter gesehen und skizziert hatte, sagte ihr nicht ganz zu, obzwar er eines der besten Bildnisse des Meisters war und viele Liebhaber fand. So lebendig und sprechend, wie er hier dargestellt war, sah man ihn in den Tagen des Glanzes, als er sich von Monarchen huldigen ließ: im besten Mannesalter, anscheinend strotzend von Gesundheit, mit vollen Backen und scharfgezeichneten, gerade blickenden Augen, die energisch und zielbewußt in die Welt schauen; Entschlossenheit in den Zügen und eine gewisse stolze Würde, die ausdrückt, daß er sich seines Wertes bewußt ist und sich als Großer unter Großen fühlt, wenn nicht als Größter.

Doch das war nicht ganz der innere, seelische Ausdruck, den Theresa kannte.

Franz Brunszvik hatte den jungen Maler Schimon beauftragt, ein Porträt des Meisters herzustellen. Aber man wußte, daß Ludwig nicht zu Sitzungen zu haben war.

Schimon hatte ihn aufs Korn genommen und war ihm auf Schritt und Tritt nachgeschlichen wie einem Wild; er hatte schon mehrere Studien in der Mappe, aber das genügte nicht. Er brauchte natürlich das lebende Modell vor der Leinwand. Die Staffelei wurde in Ludwigs Arbeitszimmer aufgestellt; von Sitzung war darum keineswegs die Rede; der Musiker nahm keine Notiz von dem Maler.

Aber der junge Akademiker packte die Sache geschickt an, um des Meisters Aufmerksamkeit zu erzwingen.

Unbekümmert legte er sein derbes, urwüchsiges Wesen an den Tag, tat als ob er in seinem Atelier wäre; grüßte nicht, wenn er kam, und sagte nicht adieu, wenn er ging – kurzum er schien das Widerspiel des Meisters selbst, dem er damit einen Spiegel vorhielt.

Der wunderliche Kauz von einem Maler reizte seine Neugier; sein Betragen machte Eindruck auf ihn, und er zog freundlichere Saiten auf, lud den Künstler zum Kaffee ein, ein Zeichen seiner Gunst.

Dadurch fand der Maler Gelegenheit, das Bild, das bis auf die Augen vollendet war, so zu vollenden, daß es vor dem Blick des Meisters bestehen konnte.

Theresa ist überglücklich; das Porträt, das im Klavierzimmer auf Martonvásár über dem Flügel einen Ehrenplatz an der Wand bekommt, zaubert ihr die leibliche Gegenwart des Geliebten vor; so lebendig ist der Ausdruck, so beseelt, daß sie meint, ihn wirklich vor sich zu sehen. Sie kann es nicht genug bewundern, davon gibt das Tagebuch Zeugnis:

»– – – und dann dieses wunderbare Augenspiel! Scheint auch das Auge für gewöhnlich klein, so öffnet es sich doch manchmal groß und visionär, sobald ihm irgendeine Idee durch den Sinn geht, was ihm ein sichtbar begeistertes, leuchtendes Aussehen gibt. Wie richtig hat es der Künstler verstanden, daß er den Blick nach oben gehen läßt, zur Decke oder zum Firmament, wo er in der Meditation oder im tiefen Gespräch haften bleibt. So habe ich ihn vor Augen, wenn wir draußen unter den Linden zusammensaßen und plauderten, oder auch nur gemeinsam schwiegen. Und dann der majestätische Bau der Stirn, der zusammengepreßte Mund, das muschelartige Kinn, das lebhafte Kolorit von Rot und Braun, das sturmbewegte Haar von der Farbe des blau angelaufenen Stahls, und wieder dieser ideale Blick, der nach dem blauen Äther schweift, ins Raumlose, Visionäre: ja, mein Geliebter, so bist du, wie dich meine Seele liebt ...«


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