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XVII. Kapitel.

Die Eröffnungsaufführungen seiner Singspiele vor etwas mehr als einem Jahr im neuen Pesther Theater waren ein Wendepunkt gewesen; er hatte Theresa wiedergesehen; die schönen Tage auf Martonvásár blieben unvergessen: alte Schwüre waren erneuert, das unzerreißbare Band der Liebe und Freundschaft aufs neue besiegelt worden – aber gerade dieses Wiedersehen hatte die Verstimmung des Meisters über sein materielles Mißgeschick und über die Prozesse mit Lobkowitz und den Erben Kinskys vertieft, und in dieser schlimmen Lage war ihm die rettende Idee einer Kunstreise nach England aufgestiegen, um dadurch seiner schlechten Lage aufzuhelfen und der endlichen Verbindung mit Theresa eine tragbare Grundlage zu geben.

Er hatte eine hohe Meinung von den Engländern; seine Kunst war dort keineswegs mehr unbekannt; er denkt immer wieder an die großen Triumphe, die Haydn in London feierte; es läßt ihm keine Ruhe: man muß erst im Ausland abgestempelt sein, um zu Hause recht zu gelten. Und überdies handelte es sich darum, in England Geld zu verdienen.

Aber eine so große Kunstreise kostet vorerst Geld, Geld und wiederum Geld, also das, was man nicht hat und erst holen müßte.

Er hat zwar ein kleines Kapital in Bankaktien angelegt; das hatte er jedoch vorerst in seinem Heiligenstädter Testament den Brüdern, und nach dem Bruch mit dem reich gewordenen Johann dem heranwachsenden Neffen Karl zugedacht; um keinen Preis würde er es anrühren, er ist etwas eigen darin, aber daran ist sein Familiensinn schuld, eine gewiß schöne Eigenschaft. Er betrachtet es also nicht als sein Eigentum mehr.

Nun klagt er seine liebe Not dem Mechanikus Mälzel, der das Metronom erfunden hat und für den Meister ein passendes Hörrohr konstruiert: es will nicht mehr gehen ohne diesen Behelf.

Mälzel, früher Musikus, weiß Rat.

Er hat im vorigen Winter ein »Panharmonikon« ausgestellt, mechanische Trompeter und andere originelle Musikapparate, für die sich der Meister lebhaft interessierte.

Der Mechanikus möchte selbst nach London, um seine Erfindungen bekannt zu machen, er möchte mit Beethoven reisen, dessen Name geeignet ist, das Publikum anzulocken – der Plan wird erwogen, von dem sich beide viel versprechen: aber auch Mälzel hat kein Geld; es handelt sich vorerst darum, die Kosten aufzubringen.

Eben kommt die Nachricht von dem großen Sieg Wellingtons bei Vittoria; Napoleons Armee in Spanien hat eine schwere Niederlage erlitten; alle Welt atmet auf, man ist in heller Begeisterung. Darauf gründet der erfinderische Mälzel die Idee, Beethoven möge eine große Schlachtenmusik für das Panharmonikon schreiben, eine musikalische Paraphrase auf den herrlichen Sieg: die Zeitströmung muß ausgenützt werden. Das Spektakelstück, zuerst in Wien zu Gehör gebracht, müßte ungeheuren Zulauf haben – das Reisegeld wäre gewonnen!

Das leuchtet ein; in dem geliebten Baden macht sich der Meister sofort an die Arbeit, über Hals und Kopf wird »Die Schlacht bei Vittoria« geliefert. Sie gefällt ihm selbst so gut, daß er sie vorerst für Orchester instrumentiert.

Mälzel sorgt für großen Tamtam; alle namhaften Künstler Wiens werden aufgeboten, die Sache in Szene zu setzen; bei der großen Akademie schlägt der Komponist Meyerbeer die Pauken, wobei sich herausstellt, daß er nicht Takt halten kann; der Meister meint, es sei nichts mit ihm, er habe nicht den Mut, zur rechten Zeit zuzuschlagen – –; Moscheles, der berühmte Prager Pianist, bedient die Becken, die Kapellmeister Weigl und Hummel dirigieren die verschiedenen zu beiden Seiten aufgestellten Orchesterpartien der Schlachtmusik; Spohr, Schuppanzigh und Mayseder sitzen an den Violinen – Beethoven zuliebe wirken alle gerne mit: er selbst leitet als Generalissimus mit seinem Feldherrnstabe die »Schlacht bei Vittoria«.

In Schlachtbegeisterung eilt der Genius seinen musizierenden Heerscharen weit voran: er kann den großen Teil des Orchesters nur mit der Phantasie hören – die musikalische Strategie kommt in Unordnung, Gefahr ist im Verzuge, die Schlacht bei Vittoria am Ende doch noch zu verlieren, aber Hilfe vom Himmel ist nahe: hinter seinem Rücken dirigiert Kapellmeister Umlauf und hält die Truppen unter geheimem Kommando – – Auf den Lippen des Meisters, der den rettenden Eingriff plötzlich bemerkt, erblüht ein Lächeln, so tragisch schön, daß es die Bezeichnung »himmlisch« verdiente.

Der Erfolg war beispiellos und stieg mit jeder Wiederholung.

Den Kopf wirbelnd von lauter Trommeln und Kanonaden, meldet der Meister seinem Freund und Bruder Brunszvik, daß ihn die Sache nach und nach aus dem Elend errettet, denn von seinen »Gehalten« (abgesehen von dem des Erzherzogs) habe er »noch keinen Kreuzer erhalten«.

Und als bald darauf der »Fidelio« erneuert wird, der durch den Regisseur Treitschke die letzte endgültige Fassung erhält, jubelt er dem Freund und Bruder zu: »Was mich angeht, ja du lieber Himmel, mein Reich ist in der Luft, wie der Wind oft, so wirbeln mir die Töne, so oft auch wirbelts in der Seele!«

Es wirbelt in der Seele wie der Wind in den Bäumen auf Martonvásár, der der horchenden Geliebten von dem neuen Frühlingshoffen erzählen könnte, das ihn bewegt; und so wirbeln auch die Töne, als er den eingerenkten Operntext abermals in die Arbeit nimmt, um, wie er sagt:

»Die verödeten Ruinen eines alten Schlosses wieder aufzubauen.«

Die Proben sind schon im Gange, die Vorstellung angekündigt; am Tage vorher, bei der Hauptprobe vormittags, ist die neue Ouvertüre noch nicht da. Man wartet und wartet, der Komponist erscheint nicht.

Treitschke wirft sich in einen Wagen und fährt in Beethovens Wohnung.

In höchster Eile stürmt er ins Zimmer:

Da liegt der Meister im Bette, fest schlafend, neben ihm ein Becher mit Wein, Zwieback darin, die Bogen der Ouvertüre über Bett und Fußboden zerstreut; ein ausgebranntes Licht als Zeuge, daß er bis tief in die Nacht gearbeitet hatte. –

»Warum geht's denn jetzt?!« So fragte der Meister, und so fragten die Freunde nach dem beispiellosen Erfolg, den die Oper nun, Ende Mai, errang und trotz der vorgeschrittenen warmen Jahreszeit in immer steigendem Maße hatte. Sie hatte früher absolut nicht ziehen wollen. Seit acht Jahren war sie wie tot und begraben gelegen, ein Schmerzenskind, das dem Meister soviel Verdruß und Enttäuschung bereitet hatte. Und nun feierte sie ihre Auferstehung mit unerhörtem Glanz.

»Warum geht's denn also jetzt?!«

Die Textverbesserungen Treitschkes sind keine hinreichende Erklärung. Die Frage findet keine plausible Antwort. Außer der, daß die Zeit reif werden mußte für das Werk. Es mußte in die Erde hineingestampft werden, mit dem Staub des Vergessens, der Vernichtung bedeckt, um hervorzubrechen wie das Samenkorn und hundertfältige Frucht zu bringen.

Nun arbeitete die Zeit für den Genius.

Geduld! Geduld überwindet alles! Auch den einstigen Widerstand der Zeitgenossen.

Der ungnädige Himmel hatte nun seine Schleusen geöffnet; es regnete Glück herab aus überreichen Füllhörnern.

Zuerst »Wellingtons Sieg«, der auch ein Sieg des Meisters wurde, und jetzt die Oper!

Mit einem Schlag war die drückende Notlage behoben; das kleine, ängstlich gehütete Bankkapital als dürftiger Notpfennig vervielfachte sich. Und wie ein Erfolg den anderen zieht, so wurde die Aufmerksamkeit auf die großen Werke des Meisters wieder rege, die man schon vergessen hatte. Besonders war man auf die neue klangheitere A-Dur-Symphonie neugierig, die von den Intimsten, die das Werk kennengelernt hatten, über den grünen Klee gelobt und gepriesen wurde. Wie ein befruchtender Regen hatte der Erfolg die schöpferische Ergiebigkeit des Meisters neu geweckt.

Was der Mensch und besonders der Künstler so notwendig braucht zu seinem Gedeihen und Schaffen, einen Tropfen Freude: dieser Tropfen fiel endlich in die lechzende Seele. Es ist der Sonnenstrahl der Gnade, der Leben, Fruchtbarkeit und Glück tausendfach weckt, daß alle Seelen teil daran haben. Fühle die Welt hierin die Notwendigkeit des göttlichen Genius! Fürwahr, die Göttlichkeit lernen wir durch ihn verehren.

Von der Londoner Reise war jetzt keine Rede mehr.

Nun kam aber Mälzel und bestand auf seinem Schein. Er wollte die Partitur für sein Orchestrion. Aber der Meister dachte nicht daran. Er hatte alle Hände voll zu tun und empfand die mechanische Wiedergabe als eine absurde Idee, die nur die Not eingegeben hatte. Die Not war dahin – er wollte sein Werk nicht auf unwürdige Weise preisgegeben sehen. Es gab einen häßlichen Streit; die Freundschaft ging entzwei. Es war nur ein kleiner Tropfen Bitterkeit, ohne den es im Leben nie abgeht, in dem großen Becher der Freude, der noch lange nicht geleert war, oh, noch lange nicht! Das Schönste und Beste kam erst nach.

Kongreßzeit! Festliche Wochen brachen im September an; alles, was Namen und Rang hatte, fand sich in Wien ein, diesmal das Stelldichein für ganz Europa.

Die Fremdherrschaft war abgeschüttelt; auf blutigen Schlachtfeldern war Napoleon geschlagen: Moskau und Leipzig sind die Zeichen seines Falles und Elba sein Gefängnis; der Komet war im Weltmeer auf der einsamen Insel so gut wie erloschen, die politischen Wirren hatten ein Ende; der Kongreß ist die Wiederherstellung legitimer Ordnung.

Eigentlich ein immerwährendes Fest; daß es freie Stunden gab, in denen auch gearbeitet wurde, ist schwer zu denken. Die Festvorstellungen in den Hoftheatern, die Bälle und Konzerte im Redoutensaal, die Kavalierskonzerte im Augarten, die den Morgen einleiten, sind an der Tagesordnung; daneben die Aufführungen der spanischen Reitschule, die eine ritterliche Tradition und eine equistrische Kunst aus der Maurenzeit als einzigartiges Beispiel in der Welt verkörpert, und der ebensoviel Bewunderung gezollt wird wie den Musikaufführungen im Palais Rasumoffsky, wo sich der Reigen gekrönter Häupter, voran das Zarenpaar von Rußland, das Kaiserpaar von Österreich, die Könige von Dänemark, Preußen, Württemberg und andere Fürstlichkeiten, der ganze Hochadel, dann die unabsehbare Schar der Würdenträger, Minister, Militärs, Diplomaten, Gesandten und vornehmen Industrieritter oder eleganter Hochstapler regelmäßig einfinden, so daß die ungelöste Frage offen bleibt, wann die Herrschaften eigentlich schlafen und von den Feststrapazen ausruhen – der ungewaschene Volkswitz will wissen: bei den Sitzungen!

Die Eröffnung des Kongresses vor einem Parkett von Potentaten steht im Zeichen des Genius Beethoven.

Der »Fidelio« ist zur Festoper ausersehen; im Redoutensaal stehen außer der Kanonadenmusik »Wellingtons Sieg« und der herrlichen siebenten Symphonie, die sich in dieser Nachbarschaft wunderlich genug ausnimmt, noch eine andere Gelegenheitsdichtung auf dem Festprogramm, die der Meister eilends vertonen mußte: »Der glorreiche Augenblick«, dem als Höhepunkt patriotischer Begeisterung am meisten zugejubelt wurde, ungeachtet der Schwächlichkeit der Musik und dem hohlen Pathos der Worte, die der Salzburger Alois Weißenbach, ein Freund und Verehrer des Meisters, gedichtet hat: »Was nur die Erde Hoch und Hehres hat – in meinen (Viennas) Mauern hat es sich versammelt – –«

Unbeschreibliches Entzücken der Zuhörer – o Ironie des Schicksals! Des Meisters glorreicher Augenblick hat er nun nicht seinen Meisterschöpfungen zu danken, sondern diesen Gelegenheitsmachwerken, durch die er plötzlich zum gefeierten Helden und zur welt- und stadtbekannten Berühmtheit wird, der man auf der Straße mit ehrfürchtiger Scheu aus dem Wege geht, und der Kaiser und Könige auf den Musikfesten im Palais Rasumoffsky die Kur machen!

O unberechenbare Laune des Geschicks! Das Sprichwort sagt: ein Unglück kommt selten allein; der Meister hat diese Wahrheit wohl erfahren.

Nun erfährt er die andere Wahrheit: daß auch das Glück eigensinnig sein kann und in der Wahl seiner Mittel ganz unbedenklich und oft so dumm als möglich verfährt.

Der Sarkasmus des Meisters ist gefährlich wach; der Zwiespalt seiner Gefühle malt sich deutlich in seiner Miene, mit der er die Huldigungen der Fürsten entgegennimmt, voll Selbstbewußtsein, aber gewissenhaft darauf bedacht: sich später sagen zu können:

»Daß ich mich stets vornehm dabei betragen habe – –«

Nur hat niemand in sein Inneres gesehen – oh, man hätte sich mit Grauen von ihm abgewendet. Es sah nicht heiter aus in ihm! Hat niemand die Trauer seines Gesichts bemerkt?!

»Nicht undankbar sein!«

Nein, das will er nicht. Wie früher das Unglück, so verfolgt ihn jetzt das Glück mit ausdauernder Hartnäckigkeit.

Demütig neigt er das Haupt, das er vor den Menschen so hoch erhoben trägt. Und denkt im stillen: »Was will es denn von mir, daß es mich so beharrlich verfolgt?!«

Er ist mißtrauisch und zittert, daß die launische Göttin, die keine Treue kennt, ihn so hoch erhebt, um ihn desto tiefer stürzen zu lassen – – –

Er ist auf der Hut.

Aber die Göttin meint es gut, und hat es auf Höheres abgesehen. Sie will ihm die Perle ihres Kronschatzes überreichen, den höchsten Preis, den sie zu vergeben hat.

Den Preis der Liebe und den Lohn der Treue.


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