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XI. Kapitel.

Schikaneder hat ihm eine Dienstwohnung im Theater an der Wien eingeräumt, die er gemeinsam mit Bruder Karl bezieht, den er jetzt mehr als je nötig zu haben vermeint. Die Arbeiten an der Oper nehmen ihren Anfang.

Eine Veränderung ist mit ihm doch vorgegangen. Seine Miene und Haltung nimmt jenen gespannten, lauernden, lauschenden Ausdruck an, der den Schwerhörigen verrät. Er glaubt, man merkt es nicht; aber da und dort flüstert man bereits von dem Verhängnis; das streng gehütete Geheimnis wird offenbar und bekommt flinke Beine, die es weit herumtragen.

Auch äußerlich hat sich etwas verändert. Die gelegentliche Kavaliermäßigkeit der Kleidung verschwindet, er vernachlässigt jetzt oft seine äußere Erscheinung, seit der Umgang mit Frauen aufgehört hat.

Ganz kann er ihrer nun doch nicht entraten; es ist jetzt die Gräfin Erdödy, die ihn immer häufiger zu sich bittet. Sie legt eine warme, aber behutsame Teilnahme an den Tag; er fühlt sich wohl in dieser sanft mütterlichen Atmosphäre und verbringt jede Woche einige Abende in ihrem kleinen Salon, meistens ganz allein mit ihr, in vertrauter Unterhaltung. Er braucht den klug leitenden Einfluß hochstehender edler Frauen; gerade jetzt ist ihm diese Seelenfreundschaft ein besonderes Bedürfnis.

Die liebe Erdödy weiß wirklich so außerordentlich geschickt zu fragen, daß sie bald heraus hat, was sie wissen möchte. Er hat Vertrauen zu ihr; nach und nach beichtet er alles, was er auf dem Herzen hat, die unglückliche Liebe zur Guicciardi, das heimliche Verlöbnis, die Untreue der Geliebten.

»Sind Sie froh, daß alles so gekommen ist,« sagt sie als weiblicher Beichtvater, wie er sie fortan nennt, »es wäre kein Glück gewesen, für keines von beiden.«

Immer wieder bringt sie das Gespräch auf die Brunszviks zurück, die sich gar nicht mehr in Wien sehen lassen; sie ist von Theresa überaus begeistert.

Graf Franz Brunszvik ist allerdings häufig in Wien. Er sucht wieder den Meister Ludwig auf und ist ganz selig, den Freund in guter Verfassung zu finden, gar nicht mehr »misanthropisch«. Sie unterhalten sich übermütig laut; Ludwig, anfänglich noch still und verhalten, wird schließlich ganz aufgeräumt; er ist fast wie in früheren Tagen.

Jetzt redet der Meister von Theresa und Josephine, er kann sich nicht genug tun mit Fragen und begeisterten Worten.

Warum sie gar nicht nach Wien kämen? Ob sie ihn ganz vergessen hätten? Es war doch eine so schöne Zeit, diese gemeinsamen Musikstunden; soll sie unwiederbringlich vorüber sein?

Es wäre doch eigentlich jammerschade um das schöne Talent der Schwestern, sie sollten doch die Pflege und Fortbildung ihrer Kunst, dieser herrlichen Trösterin, nicht ganz fallen lassen! Ob sie fleißig übten, und wie es auf Martonvásár zuginge?

Franz ermahnt ihn dringlich, doch selbst zu kommen und nachzusehen! Es wäre ein Fest auf Martonvásár, und eine Ehre für alle, einen so illustren Gast zu empfangen.

Der Meister lächelt nur; er sagt gar nichts. Er erzählt von seinen neuen Arbeiten, von der Oper, von der dritten Symphonie, die dem Buonaparte zugedacht und nahezu fertig sei – er arbeite wieder, nach längerer Unterbrechung, mit Feuereifer.

Abends sitzen beide im »Schwan«, Graf Brunszvik trinkt mit Ludwig Brüderschaft.

Am andern Tag berichtet er den Schwestern nach Martonvásár, welche glücklichen Stunden er mit dem Meister verlebt habe.

Theresa, die eine rege Korrespondenz mit Wien führt, hat interessante Neuigkeiten erfahren, davon das Wesentliche, soweit es ihr eigenes Leben betrifft und ihre Seele berührt, einen Niederschlag in ihrem Tagebuch findet. So schreibt sie:

»Eben erhalten wir eine Anzeige: Giulietta mit Gallenberg verlobt! Ich war ganz betroffen: glückselig und niedergeschmettert zugleich! Also kann es doch nicht wahr gewesen sein, was man sich allgemein erzählte über eine mögliche Verbindung der Kusine mit dem Meister! Sicher hat die Fama wieder einmal gelogen! Wenn alles Täuschung, Irrtum war, o Gott! wieviel Unrecht haben wir ihm getan! Welches Leid haben wir uns selbst zugefügt durch unser vorschnelles Urteilen und übereiltes Handeln! In welche namenlose Unruhe bin ich aufs neue gestürzt, wenn ich bedenke, wie anders alles hätte sein können und was ich mir verdorben habe – durch eigene Schuld! Wie sehne ich mich wieder nach Wien! Ihn zu sehen – Ihn! Es muß sein, und zwar bald! O wäre doch der Sommer schon vorüber! Der arme Graf Deym ist wieder hier, und ganz unglücklich. Er wartete auf ihr Jawort, aber Josephine ist doch zu sonderbar! Sie vertröstet ihn nun schon zum zweitenmal. Ich verstehe gar nicht, was sie eigentlich vorhat?!«

Meister Ludwig ist in den Sommermonaten wieder hinausgeflohen in die geliebte Landeinsamkeit am Fuß des Kahlenbergs, um dort zu vollenden und auszureifen, was er an Ideen und Entwürfen schon lange mit sich herumträgt.

Von draußen schreibt er an Ries, daß die »Eroika« fertig ist, und läßt ihn wegen der Kopiatur zu sich kommen mit der Weisung: »Es ist ein stimmungsvoller Hof, Oberdöbling Nr. 4, wo man den Berg hinunter nach Heiligenstadt geht.«

Die Partitur liegt sauber geschrieben auf dem Tisch; auf das Titelblatt ganz oben hat der Meister das Wort »Buonaparte« hingeschrieben und ganz unten »Luigi van Beethoven«. Kein Wort mehr.

Franz Ries betritt das Zimmer und bringt ihm als erster die Nachricht, daß Buonaparte sich zum Kaiser habe ausrufen lassen. Und ist ganz verschüchtert, als er den komischen Wutausbruch seines Meisters sieht, der über diese Neuigkeit in den Harnisch gerät, als ob ihm eine persönliche Schmach angetan worden wäre.

Ganz außer sich schreit Ludwig:

»Ist der auch nichts anderes als ein gewöhnlicher Mensch?! Nun wird er auch alle Menschenrechte mit Füßen treten, nur seinem Ehrgeiz frönen; er wird sich nun höher wie alle anderen stellen, ein Tyrann werden!«

Schnaubend vor Wut stampft er hin und her und dann mit einem Satz zum Tisch, packt die Partitur, und ritsch! reißt er das Titelblatt mit der Widmung in Fetzen: da liegt es!

Jetzt ist ihm leichter. Ein neuer Titel wird geschrieben: Sinfonia eroica.

»Was würde Giulietta sagen?!« dachte er unwillkürlich. Ein ganzes Stück Zukunft war auf diese Symphonie aufgebaut, die die Gunst Buonapartes erwerben sollte. Und wieviel größer als der Konsul würde der Kaiser Napoleon Buonaparte diese Widmung zu lohnen wissen?! Giulietta fände es als herrlichen Glücksfall, sie würde es als Verrat an ihrer Liebe empfinden, daß er dem Kaiser verweigerte, was er dem Konsul zugedacht hatte, und würde sagen, daß er sein Glück und das ihrige mit Füßen trete! Würde er aber noch so handeln, wenn es für ihn noch eine Giulietta gebe?

»Es hat doch sein Gutes, daß es keine Giulietta mehr für mich gibt«, dachte er insgeheim, obschon ihn noch manchmal das Liebesweh heimsuchte und seine Ruhe erschütterte; »Freiheit geht doch über alles!«

Bei der Aufführung des Werkes verbreitete sich dennoch die Kunde, das Werk sei eine Verherrlichung Napoleons. Die Sache wurde bei Hofe übel genug vermerkt, zumal sich die französischen Heere in Siegesmärschen auf die Reichshaupt- und Residenzstadt Wien herbewegten. Der Hof blieb fortan kühl gegen den Tondichter, doppelt verwunderlich bei der warmen Freundschaft, deren sich der Künstler seitens des Hochadels und des Erzherzogs Rudolf erfreute.

In der Bierwirtschaft »Zum Blumenstock« im Ballgäßchen, wo sich im Hinterzimmer regelmäßig eine bestimmte Debattiergesellschaft einfand und der Meister die Zeitungen zu lesen pflegte, wurde davon gesprochen. Es fanden sich viele Musiker und Kunstfreunde ein, darunter das »Falstafferl«, Schuppanzigh, gelegentlich Hummel und der Musiker de Olivera; die Zeiten waren bewegt, es wurde nicht wenig politisiert. Ludwig tat sich keinen Zwang an und schimpfte weidlich über die Zustände. Besonders das mit dem Hofe ärgerte ihn.

»Man nennt dich einen Republikaner«, meinte Falstafferl. »Und einen Erzdemokraten.«

»Warum das?«

»Nun wegen deiner Freiheitsideen!«

Der Meister verteidigte sich: »Ich schwärme für die englische Verfassung«, sagte er. »Sie ist Freiheit und Gesetz und der Ausdruck eines reifen gebildeten Volkes.«

Er war den Engländern gewogen; in London machten seine Kompositionen Aufsehen; Franz Ries, sein einstiger Lehrer und Vater seines jetzigen Schülers, konzertierte bei den Londoner Philharmonikern und leistete ihm Pionierdienste.

»Übrigens meine Freiheitsbegriffe sind nichts Politisches,« bewies er, »sondern in erster Linie etwas Sittliches. Die natürliche Freiheit des gottgewollten Menschen. Insofern bin ich ›Republikaner‹, wenn man dies so nennt. Ich verehrte den Konsul Buonaparte, weil er der Pöbeltyrannei und ihren falschen Freiheitsphrasen ein Ende machte. Ich verabscheue den Tyrannen Napoleon aus den gleichen Gründen, weil ein Tyrann auch die sittliche Freiheit stürzt, Seelenfreiheit, Gewissensfreiheit und auch die sittliche Freiheit der Kunst, um sie an seinen Triumphwagen zu spannen und sich selbst zu vergotten. Insofern bin ich eigentlich ›Aristokrat‹. Ohne Autoritätsgefühl und Hoheitsgefühl geht es weder im Staat noch in der Kunst.«

Das war sein politisches und künstlerisches Glaubensbekenntnis. Es beruhte auf seiner sittlichen Grundauffassung der Welt. Daß er sich als Aristokrat fühlte, war bei ihm, dem Freunde der Fürsten, nicht verwunderlich. Es gehörte zu seinem ausgeprägten Persönlichkeitsgefühl.

Wie stark dieses Gefühl seiner persönlichen Würde als Künstler von Gottes Gnaden war, hatte er bald Gelegenheit, aufs drastischste zu betonen.

Prinz Louis Ferdinand war auf einer Reise nach Italien nach Wien gekommen. Der Meister hatte auf seiner Kunstreise nach Berlin, wo er vor dem Hofe spielte, den »ritterlichen, poetisch schwärmerischen Prinzen«, der ihm als der »menschlichste Mensch« erschienen war, kennengelernt und seine Freundschaft im Nu erobert. Der Prinz, der selber komponierte, hatte in seiner Gegenwart bei Hofe vorgespielt, und auf dessen Frage hatte der Meister freimütig geantwortet:

»Sie haben meine Erwartungen bei weitem übertroffen, Hoheit; Sie spielen gar nicht prinzlich, sondern wie ein tüchtiger Klavierspieler!«

Die Hofschranzen waren über diese Kühnheit entsetzt; aber der Prinz reichte ihm gerührt und geschmeichelt die Hand und sagte:

»Ich danke Ihnen; es ist das schönste Lob, das mir je zuteil geworden.«

Seither war ihm der Prinz in aufrichtiger Freundschaft zugetan.

In Wien hatte er die »Eroika« gehört und war ganz begeistert.

Eine musikalische Abendunterhaltung folgte auf die andere; der Meister durfte nicht fehlen.

Die Gräfin Thun ließ sich's nicht nehmen, den Prinzen auch bei sich zu feiern; als man zum Abendessen ging, waren nur für die hohen Adeligen Gedecke aufgelegt; der Meister ging leer aus.

Sie hatte es ihm auf diese Weise heimgezahlt, daß er sich damals bei Lichnowsky kniefällig vergebens bitten ließ und nicht ihr gehorchte, sondern Theresa. Obendrein dachte sie, er sei für eine prinzliche Tafel nicht fein genug.

Der Meister war aufgebracht, sagte einige Derbheiten, darunter die Bemerkung fiel:

»Genie macht legitim, und Geistesadel ist nicht weniger als Geburtsadel. Mit Menschen, die das nicht erkennen, kann ich keinen Umgang haben.«

Nahm seinen Hut und ging.

Einige Tage später gab der Prinz ein Essen; auf der einen Seite neben ihm erhielt die alte Gräfin ihren Platz, auf der anderen der Meister. Auf diese Weise gab ihm Louis Ferdinand, der »menschlichste Mensch«, eine glänzende Genugtuung, die zugleich eine feine Lehre für die Gräfin war.

Im Winter bezieht der Meister wieder seine Dienstwohnung im Theater; die Oper macht Fortschritte und wird endlich im Sommer darauf in Hetzendorf unter der gabelförmigen Linde des Schönbrunner Parkes, wo sein »Christus am Ölberg« entstanden war, vollendet. Seine Wohnung auf der Seilerstätte hatte er längst aufgegeben. Vorübergehend hatte er mit Steffen Breuning, seinem Bonner Jugendfreund, der nun im Hofkriegsamt unter Erzherzog Karl tätig war, eine gemeinschaftliche Wohnung im »roten Haus« in der Alservorstadt, neben der Schwarzspanierkirche, also jenseits des Glacis, inne; aber die Empfindlichkeit und Reizbarkeit des Meisters in Zeiten strenger Arbeit war groß, er vertrug das Zusammenwohnen selbst mit einem so lieben Menschen, wie dem Bruder Leonorens, nur schlecht; es gab Streit und Zerwürfnisse aus geringfügigen Anlässen; Knall und Fall war der Meister wieder ausgezogen und nach Baden zur Erholung gegangen. Ries hatte ihm inzwischen eine neue Wohnung im Hause des musikliebenden Barons Pasqualati auf der Mölker Bastei verschafft, die ganz den Wünschen des Meisters entsprach. Im dritten Stock gelegen, boten die Zimmer eine herrliche Fensteraussicht über das Glacis, über die Vorstädte bis zu den Kahlenberghöhen, über die Donau, die Praterauen und das Marchfeld, einen weiten Himmel, »wo seine Gedanken wie Sturmvögel alles Irdische überfliegen und in die Ferne streben und seine Flammenaugen Ausschau halten konnten weit über die rauschenden Gipfel des Wienerwaldes, die Schneehäupter der Alpen, den blauen Dom des Firmaments und seinen Sternen«. Das hatte der unermüdliche, findige Ries wieder einmal gut gemacht.

Also hatte der Streit mit Breuning doch wieder sein Gutes gehabt; der Meister schickt ihm sein eigenhändiges Bild mit versöhnender Widmung.

Aber der Weg zur Bühne, wo der ersehnte Lorbeer winkt, ist voll Fallgruben und Fußangeln. Ludwig lernt die Leiden der dramatischen Autoren kennen.

Die Oper ist fertig, die »Leonore«, die später »Fidelio« heißt, ein Stoff ganz nach seinem Sinn: eine Rettungsgeschichte voll Edelmut, Heroismus, ehelicher Treue, die Leiden unschuldig Verfolgter, darin die Schreckenserinnerungen an die Revolution nachklingen, romantisch sentimental mit starkem sittlichem Pathos und heroischer Tragik – nur leider wenig dramatisch behandelt.

Schikaneder ist inzwischen verkracht, das Hoftheater hat die Aufführung übernommen.

Der ungeduldige Meister hat seine liebe Not mit den Sängern bei den Proben, er weiß nicht recht mit ihnen umzugehen; das Orchester kommt über die Ouvertüre nicht hinweg; es gibt Ärger und Zank; nichts klappt – die Aufführung im November ist ein schlecht verhüllter Mißerfolg. Auch sonst war die Zeit ungünstig: die Franzosen waren in Wien eingezogen, Napoleon hat sein Hauptquartier in Schönbrunn aufgeschlagen; der Hof und der größte Teil der vornehmen Gesellschaft ist aus Wien geflohen. Auch bei den Wiederholungen ist das Theater fast leer; im Parkett sitzen hauptsächlich französische Offiziere.

Ein Unstern waltet über dieser Oper, auf die so große Hoffnungen gesetzt waren. Alles, was irgendwie mit Giulietta zusammenhing, und die gemeinsame Zukunft mit ihr hätte begründen helfen sollen, ging schief.

Kein Zweifel, die Oper, mehr Oratorium als Musikdrama, hatte Längen und bedurfte einer Neubearbeitung. Es war nicht leicht, den Meister zu überzeugen.

Da bewies sich wieder die Fürstin Christiane als Schutzgeist seines Genius und Musenführerin, wie auf ihre Art die Gräfin Erdödy sein »Beichtvater« und mütterlicher Anwalt in seinen Herzenskümmernissen war.

Steffen Breuning hatte den Text zusammengezogen; im Palais Lichnowsky wurde die Sache geprobt.

Da saßen nun wieder die Freunde in dem kerzenschimmernden Musiksaal unter den Altmeisterbildern in schweren geschnitzten Goldrahmen und den geschlossenen gelbseidenen Draperien; nach und nach erschienen die Musiker, Sänger und Sängerinnen; der Meister legte endlich die Partitur auf das Klavierpult, wo die Fürstin saß und selbst spielte – die Aufführung begann.

Man schlägt Kürzungen vor; aber der Tondichter schreit sofort:

»Nicht eine Note!« und verteidigt jeden Takt mit beleidigter Künstlerwürde.

Mitternacht ist vorüber; die Fürstin erhebt einen flehenden Blick zu dem Meister:

»Und die Kürzungen?«

»Nicht eine Note darf fehlen!« erwidert er düster.

Halb kniend, ihn halb mit ihren Armen umfangend, ruft sie beschwörend:

»Beethoven! So darf Ihr größtes Werk, so dürfen Sie selbst nicht untergehen – – – Dies will der Geist Ihrer Mutter nicht! Tun Sie es für sie, tun Sie es für mich, für Ihre einzige, für Ihre treueste Freundin!«

Hier der Olympier, vor ihm die engelbleiche Muse; was will er tun?

Ein Blick zum Himmel und fast schluchzend:

»– – – für Sie und für meine Mutter!«

Er hebt die Fürstin mit Ehrfurcht zu sich empor und reicht dem Fürsten die Hand wie zum Gelöbnis. Eine Gruppe ernster Rührung. Alle fühlen den großen Augenblick.

Die Flügeltüren des Speisesaales öffnen sich; die Künstler spüren wütenden Hunger und atmen auf.

Der Meister ißt auffallend wenig und ist stumm; er ist in Gedanken bei seiner Oper.

Aber auch in ihrer neuen, vorteilhafteren Gestalt erweist die Oper bei ihren nächsten Aufführungen im März und April keine rechte Zugkraft.

Es ist wie verhext damit. Die Einnahme ist gering.

Der Meister ist mißtrauisch und macht dem Intendanten Baron Braun in der Hoftheaterkanzlei Vorwürfe.

Dieser will ihn beschwichtigen und meint, mit der Zeit würden sich bei zunehmender Popularität des Werkes auch die oberen Ränge füllen.

Diese Bemerkung reizt die Empfindlichkeit des Meisters noch mehr.

»Für die Galerie schreibe ich nicht!« gibt er pikiert zur Antwort. »Geben Sie mir die Partitur zurück!«

Der Baron ist betroffen über das glühende Gesicht des Zürnenden, der mit wachsender furchtbarer Leidenschaft immer wiederholt:

»Ich will meine Partitur – auf der Stelle meine Partitur!«

Der Intendant zieht die Glocke und sagt dem Diener mit vornehmer Ruhe:

»Die Partitur der gestrigen Oper für diesen Herrn!«

Und dann zu dem Komponisten:

»Es tut mir leid, allein ich denke, daß Sie bei ruhigerer Überlegung – – –«

Der Meister hat dem Diener den Riesenband aus der Hand gerissen und hört nicht mehr auf diese Worte; in einem Satz durch das Vorzimmer und die Treppe hinunter. Kein Wort der Beruhigung will er mehr hören – – –

Von dem Theaterteufel, der ihn schon solange besessen hat, ist er vorläufig geheilt; es ist ihm fast, als steckte der Sirenengeist Giuliettas dahinter – er flüchtet wieder in reinere Sphären der Muse.

»Es müssen Erschütterungen kommen, Liebe oder Leid – dann wird's Musik«, das waren seine Worte an Giulietta in den Tagen des glücklichen Wahns.

Sie waren gekommen, die Liebe und das Leid; sie fanden tönenden Ausklang; das war der schließliche Segen aus soviel Ungemach, das sein Genius in dieser Form zum Guten wendete.

Die furchtbaren Heiligenstädter Erlebnisse zitterten noch in seinem Schaffen und wurden musikalisches Gleichnis. Das Pochen in den Ohren – das Schicksalsmotiv, zum erstenmal unbewußt aufgeklungen in dem Klavierwettkampf bei Fries, wurde zum unheimlich düsteren Klopfmotiv in der Appassionata, das sich im tiefen Baßklang wiederholt, ein dämonischer Anfang, dem ein Sturm der Leidenschaft folgt. Ein gebetartiges Thema spinnt sich aus, ganz wie im Heiligenstädter Testament: die traumhafte Erscheinung des guten Genius, Weihegedanken an Theresa, die Bitte an die Vorsehung: laß einmal den reinen Tag der Freude mir erscheinen! Dann wieder Ungewißheit, Zweifel mit dem Aufschrei der Leidenschaft, eine Steigerung zur grausamen Wildheit, wahre Seelenstürme. Ein Abbild seines inneren Lebens, diese Sonate, sein musikalisches Tagebuch und Bekenntnis. Es ist eine Opfergabe, die er den Brunszviks zugedacht hat. Eine Abbitte an den guten Liebesengel Theresa in der vieldeutigen Sprache der Musik. Aber schon schwebt ihm Größeres vor: eine symphonische Gestaltung dieses Gedankens, das Heiligenstädter Testament in Tönen, seine Vierte, die in den ersten Umrissen entsteht.

»Der reine Tag der Freude«, den er von der Vorsehung erfleht, will nun wirklich anbrechen. Wie Morgenrot des kommenden Tages erscheint Franz mit – Josephine. Sie hat den Bruder nach Wien begleitet; sie hat mancherlei zu besorgen und ist voll Geschäften wie eine angehende Hausfrau. Theresa ist auf Martonvásár geblieben.

Es sind schöne Frühlingswochen. Fast als ob die traumhaft schöne Zeit von früher zu flüchtigem Besuch wiedergekehrt wäre. Nur Theresa fehlt.

Franz berichtet nach Martonvásár:

»Beethoven kommt sehr häufig, er unterrichtet Pepi, das ist etwas gefährlich, gestehe ich dir – – –«

Über der Musik hat Josephine schier alles vergessen, was sie sonst in Wien wollte.

Und wieder schreibt Franz:

»Beethoven ist fast täglich bei uns, gibt Pipschen Unterricht – vous m'entendez, mon cœur!«

Von Theresa kommt bald die bängliche Antwort:

»Aber sage mir, Pepi und Beethoven, was soll daraus werden? Sie soll auf ihrer Hut sein! Ich glaube, in bezug auf sie unterstreichst du im Klavierauszug die gewissen Worte: ihr Herz muß die Kraft haben, nein zu sagen, eine traurige Pflicht, wenn nicht die traurigste aller!«

So geht die Korrespondenz zwischen Franz und Theresa hin und her. Sie haben ein Komplott gegen Josephine und den Meister geschmiedet. Sie soll ihren Wiener Aufenthalt abkürzen und unter irgendeinem Vorwand von Franz zurückgebracht werden. Zugleich wird beschlossen, im Frühsommer, wenn die Haute-Saison vorüber ist und der Adel seine Sommersitze aufsucht, den Meister nach Martonvásár zu entführen.

Pipschen ist fort mit Franz; der Alltag mit seinem störenden Kram drückt wieder schwer auf den Meister, er hat Verdruß mit dem Bruder Karl, der dumme Streiche macht. Auf einem Maskenball hat er ein hübsches Frauenwesen kennengelernt und sich in sie verliebt. Nun will er seine Johanna Reiß heiraten.

Ludwig ist von dieser Eröffnung wenig erbaut. Er fühlt sich als Familienoberhaupt, holt Erkundigungen ein und erfährt, daß sie eine etwas leichtfertige Person von gewöhnlicher Herkunft ist. Der Meister ist in diesem Punkt empfindlich. Er sucht sein Frauenideal in den höheren, gebildeten, adeligen Ständen und fühlt es als eine Entwürdigung, daß der Bruder eine so geringe Wahl trifft. Er findet die Person unerträglich, falsch, lügenhaft, es gibt kaum eine schlimme Eigenschaft, die er an ihr nicht entdecken würde. Fast ist ihm, als trete ihm in dieser Johanna das niedere, verzerrte Gegenbild seiner Giulietta entgegen. Fast dasselbe Spiel, ungeachtet des Abstandes: hier die verschleierte Fremde – dort die unbekannte Maske auf dem Ball. Beide als Sinnbild geheimnisvoller Verlockung, die die Sinne gefangennimmt. Dann die Unbedenklichkeit der abenteuerlustigen Giulietta – und in ihrem niedrigen Gleichnis die Leichtfertigkeit des Kindes aus dem Volke. Das andere ergibt sich zwangsläufig: Untreue, Verrat, Enttäuschung.

Diese Parallele mit seiner eigenen Lebenserfahrung genügt dem Meister, um der Braut des Bruders mit vorgefaßter Feindseligkeit zu begegnen und ein energisches Veto einzulegen.

Und wieder dieselbe Erscheinung, die er schon aus eigener Erfahrung kennen sollte: der Widerstand vermehrt nur die Standhaftigkeit der Liebenden.

Umsonst, daß Ludwig dem Bruder haarscharf beweist, daß er im Begriffe sei, die größte Dummheit seines Lebens zu machen.

»Lieber dumm als schlecht«, erklärt Karl und zielt dabei geschickt auf Moralgrundsätze, die Ludwig hochhält. Karl kann nicht mehr zurück, wenn er auch möchte. Denn ein Kind ist bereits unterwegs, dem er einen ehrlichen Namen geben will. Ludwig hat die Partie verspielt, mit diesem Argument ist er zum Schweigen gebracht. Aber der Bruch ist trotzdem unvermeidlich.

Ludwig, empört über den Bruder, ist nun gegen ihn zu größerem Mißtrauen als bisher gestimmt. Karl hat drei Sonaten an einen Leipziger Verleger verkauft, die der Meister nach Zürich versprochen hatte.

Auf einem Spaziergang in Heiligenstadt, wo Ludwig die schönen Maiwochen nach Brunszviks Abreise verbringt, kommt die Sache zu einer erregten Aussprache. Der Unmut über Karls Liebesverhältnis tut dabei sein übriges. In der Grinzinger Allee, zwischen der engen Akazienreihe, kommt es zu einer schlimmen Szene. Denn beide sind Hitzköpfe. In diesem Punkt ist Karl seinem Bruder ähnlich, es geht auch ihm zu leicht das Temperament durch. Plötzlich setzt es Tätlichkeiten. Ludwig vergißt, daß der Bruder nicht mehr der kleine Junge ist, wie einst in Bonn, und glaubt auch jetzt von dem väterlichen Züchtigungsrecht Gebrauch machen zu können, wie damals.

Es setzt Hiebe auf beiden Seiten; die Brüder laufen feindlich auseinander.

Am anderen Tag schreibt Ludwig dem Bruder allerdings einen verzeihenden Brief, darin er ihn zugleich in verachtenswürdiger Gestalt zeigt und ihm eine üble Zukunft weissagt.

Statt aller Antwort kündigt ihm Karl seine Vermählung für Ende Mai an.

Ludwig ist froh, dem Hochzeitsfest unter einem guten Vorwand entgehen zu können.

Franz von Brunszvik ist erschienen und hat ihn in seinem Reisewagen mitgenommen.

Nach Martonvásár.


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