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VI. Kapitel.

Liebliche Schalmeienklänge ertönen, eine Bläsergruppe vereinigt sich mit Streichern zu einem anmutigen Spiel. Sie ziehen wie eine fröhliche, übermütige Gesellschaft durch eine parkähnliche Landschaft im Gebirge, in deren Hintergrund ein barockes Schloß einladend steht. Der Violine begegnet die Klarinette im munteren Reigen, der Bratsche das Horn, dem Cello das Fagott, der Kontrabaß brummt dazu und gibt dem Tanz einen kräftig führenden Takt.

Zu traumhaften Höhen rufen die Bläser, die erste Geige schwebt selig empor nach einem seligen Ziel. Und dann wiegen sich alle im Menuett; eine sehnsuchtsvolle Melodie ertönt, dazwischen schäkert feiner behaglicher Humor; was die Klarinette singt, wird von der Violine aufgenommen und weitergetragen, ein reizendes Geplauder entsteht, ein Schwärmen, Flüstern und Kosen von Gruppe zu Gruppe wie in einem Parkfest ancien régime: das Abbild des aristokratischen Gesellschaftslebens, an dem der Meister so vielfach teilgenommen.

Es ist das Septett, das als liebliches Intermezzo durch das ernste, gewaltige Beethovensche Tongebirge zieht, die Erinnerung an eine sorglose, leicht beschwingte Kavalierzeit, ein Abschluß vielleicht und zugleich ein neuer Anfang, der den Ruhm des Komponisten, nicht nur des Virtuosen, in die weite Öffentlichkeit trägt. Es ist das erste eigene Konzert des Künstlers, das der Dreißigjährige im Hoftheater aufführt. Der Erfolg ist glänzend. Ganz Wien spricht von dem Kunstereignis.

Ziemlich um dieselbe Zeit wird eine Ballettmusik von ihm: »Geschöpfe des Prometheus«, zur Aufführung gebracht. Es gibt Begeisterung, aber auch Neid und Gegnerschaft.

Der englische Pianist Cramer, der auch von den Trios begeistert ist, ruft emphatisch aus: »Das ist der Mann, der uns über den Verlust Mozarts trösten wird.« Allerdings witzelt er auch schon über die beginnende Beethovenbegeisterung: »Wenn Beethoven sein Tintenfaß über ein Stück Notenpapier ausschüttete, so würden sie es bewundern!«

Gallenberg wurde grün und gelb, mit ihm das ganze Chor von Wiener Klaviervirtuosen und Pädagogen, dreihundert an der Zahl, die sich früher hinter Mozart, jetzt hinter Haydn verschanzten und gegen den kühnen Neuerer Front machten.

Haydn indessen, der sich immer wieder erkundigte, was »unser Großmogul« mache, und gleichzeitig über dessen Selbstgefühl ärgerlich ist, hat doch alle Anerkennung für ihn. Er zetert zwar:

»Ich werde bald aufhören müssen, selber zu komponieren; der glaubt rein, daß ihm keiner mehr gleichkommt – dieser Großmogul!«

Aber er hält es doch nicht mit den Gegnern, deren Häupter außer Gallenberg die böhmischen Musiker Dolezalek und Kozeluch sind; als Kozeluch über das Trio bemerkt: »Nicht wahr, Papa, wir hätten das ganz anders gemacht«, fertigt ihn der Altmeister mit feiner Ironie ab:

»Ja, wir hätten das anders gemacht!«

Er hat gehört, daß Meister Ludwig sich über die kurz vorher stattgefundene Erstaufführung von Haydns »Schöpfung« mißfällig geäußert habe. Der Alte ist verletzt.

»Das ist nicht recht von unserm Großmogul! Was hat er denn eigentlich geschrieben? Etwa das Septett?! Aber freilich, das ist schön, ja herrlich!«

Und er spricht sich nach dem Konzert mit unverhohlener Bewunderung zu dem jungen Meister aus.

Meister Ludwig tut die etwas selbstgefällige Äußerung: »Das ist meine Schöpfung!«

Das verletzt wieder den Altmeister.

Doch verwindet er den Ärger und sagt:

»Nun, gestern habe ich auch Ihr Ballett gehört, es hat mir sehr gefallen.«

Ludwig will sich wieder verbessern:

»Oh, lieber Papa, Sie sind zu gütig! Aber es ist noch lange keine Schöpfung!«

Das klingt beinahe wieder wie Hänselei.

»Das ist wahr,« meint Haydn, »es ist noch keine Schöpfung, glaube auch schwerlich, daß es dieselbe je erreichen wird.«

Jetzt ist wieder an dem jungen Meister die Reihe, ärgerlich zu sein. Einlenkend meint Papa Haydn:

»Nun ja, das habe ich schon bei den Trios anerkannt, daß die Instrumente nicht mehr unselbständig vom Klavier abhängen. Das Akkompagnement ist unstreitig neuartig. Aber das haben Sie in Wien gelernt; Sie haben unstreitig große Fortschritte gemacht!«

»Aber lieber Papa Haydn«, erwidert der junge Meister wieder mit großartigem Ichbewußtsein: »Ich bin gewissermaßen mit dem Akkompagnement geboren!«

Da hatte er's wieder. Der Alte und der Junge sind eben zu verschieden.

Die Umstehenden, lauter Todfeinde, wie Meister Ludwig sagt, haben das Gespräch mit angehört.

»Dieser Beethoven hat ein furchtbares Maul,« sagt einer von ihnen, »seine Kritik ist zu fürchten!«

»Nichts ist zu fürchten,« erwidert Gallenberg, »es kommt der Tag, wo unsere Sache glänzend zum Sieg geführt wird gegen diesen Günstling. Gebt acht, bei Philippi sehen wir uns wieder.«

Die Verschwörung ist längst im Gange, die auf den Sturz des viel Beneideten abzielt. Und die Gegner reiben sich schon vergnügt die Hände.

Trotzdem, zwischen den Großen gibt es keine Feindschaft. Sie sind einander wohl unähnlich, aber sie achten die Geniemarke und erweisen sich die schuldige Ehre. Es sind nur die Kleinen und die Mitläufer, die unablässig schüren und Parteien bilden.

Bei der Festaufführung der »Schöpfung«, wo der 76jährige Haydn Gegenstand großer Ovationen ist und in einer Sänfte von den Adeligen eigenhändig in den Universitätssaal getragen wird, ist Meister Ludwig unter jenen, die ihm solche Ehre erzeigen.

In der großen Gesellschaft werden beide, der Vertreter der alten Zeit und jener der neuen Zeit, mit gleicher Auszeichnung behandelt. Bei Lichnowsky spielt indessen die junge Kraft die erste Violine.

Der eine oder andere Abend in der Woche gehört den fürstlichen Freunden. Christiane als mütterliche Freundin will den unartigen Liebling der Musen wenigstens einmal die Woche bei sich sehen; es sind die schönsten Stunden der leidenden Frau, die sie am Klavier verbringt und unter der Anleitung und Aufsicht Meister Ludwigs seine Sachen spielt. Oft aber vergeht die Zeit in Gesprächen; wenn Ludwig in entsprechender Stimmung ist, dann ist es auf alle Fälle ein großer Gewinn, seine Ansichten über Kunstdinge zu hören. Ohne eigentliche Schulbildung, die in der Jugend über der Beschäftigung mit der Musik ziemlich ins Hintertreffen geriet, ist er doch sehr belesen und hat über die mannigfachen Zweige des Wissens, besonders aber auch über Literatur, ein selbständiges treffendes Urteil. Das bewundert die Fürstin, die in ihren Kreisen gerade in dieser Hinsicht nicht allzu verwöhnt ist.

Es sind dann in der Regel nur ganz wenige Intime anwesend, die solche kleine musikalische Hausandachten oder gelegentliche Gespräche über Kunst und Philosophie lieben.

Die Mama, Gräfin Thun, ist gewöhnlich anwesend, zuweilen auch ihre andere Tochter Elisabeth, Fürstin Rasumoffsky, neuestens auch die Brunszviks. Man fühlt sich im engsten Familien- und Freundeskreis; demgemäß ist die Unterhaltung ungezwungen und vertraut.

Wenn nicht gerade der Fürst anwesend ist, der die Geige leidlich streicht, und ein kleines Trio oder Quartett zustande kommt, an dem sich Rasumoffsky beteiligt und Baron Zmeskall, der »Musikgraf«, zugezogen wird, dann erfreut Meister Ludwig zuweilen die Anwesenden durch seine freien Variationen auf dem Klavier, darin er unerreicht ist. Aber freilich muß er bei Laune sein und es aus eigenem Antrieb tun können, und das ist nicht immer der Fall. Er schenkt frei, dann aber königlich, und für die Anwesenden ist es dann immer ein Fest. Aber man weiß, daß man ihn nicht nötigen darf.

Was nur heute der Gräfin Thun einfällt, daß sie sich durchaus einbildet, der Künstler müßte ihr etwas vorphantasieren!

Theresa merkt es schon, daß Ludwig nicht bei Stimmung ist; vielleicht ist er müde, oder auch nur verdrießlich, kurz, er verhält sich schweigsam und finster und schenkt der alten Thun, die immer wieder von neuem einen Anlauf unternimmt, kaum Beachtung. Mit einer entschiedenen Handbewegung wehrt er ab.

»Der Meister bedarf heute der Schonung«, flüstert sie der Gräfin zu. Aber die alte Dame hat auch ihren Eigensinn und will ihren Kopf durchsetzen.

»Nun, mir wird er es nicht abschlagen«, entgegnet sie im Bewußtsein ihrer besonderen Anrechte auf dankbare Willfährigkeit, die sie bei ihrem Schützling zu haben glaubt; sie meint wirklich, ohne sie wäre der Meister gar nicht ans Ziel gekommen. Sie war es ja, die ihn zuerst eingeführt hatte.

»Aber Mama«, ruft ihr Christiane abwehrend zu; doch Mama will nicht verstehen.

Josephine sieht interessiert zu und sagt bloß:

»Da wäre ich doch neugierig!«

»Oh, Sie werden gleich sehen!« meint die Gräfin siegesbewußt.

Der Meister sitzt ahnungslos auf der einen Seite des Sofas in dem kleinen blauen Musikzimmer an der Stelle, die früher Haydn einzunehmen pflegte; er merkte kaum etwas von dem Geflüster der Damen, die das Klavier umstehen, ab er plötzlich die exzentrische Thun vor sich sieht, die sich auf den Knien vor ihm niederläßt und ihn mit hocherhobenen Händen bittet, ihrem Wunsche gnädigst zu willfahren.

Sie tut es in einer halb ernsten, halb komischen Weise und meint, Künstler sind eben hohe Herren, die sich gerne bitten lassen.

Das war nun weit gefehlt. Der Meister empfand es als Hohn, und überhaupt: schon seit seiner Kindheit hatte er den Zwang zum Vorspielen gehaßt, und wenn er sich dem gewalttätigen Vater fügen mußte, der manchmal Gäste zu diesem Zwecke empfing und sich dafür von ihnen gut bezahlen ließ, dann geschah es nur mit Widerwillen und ohne eigentliche Inspiration, so daß niemand etwas Rechtes davon hatte. Denn die Muse läßt sich nicht nötigen. Um so herrlicher war es freilich, wenn der innere Antrieb dazu da war.

In die Ecke des Sofas gedrückt saß Ludwig starr da und entgegnete mit einem schroffen »Nein!«

Die alte Dame, etwas überspannt, wie sie war, erhob sich nicht aus ihrer knienden Stellung. Die Hände emporgestreckt, verharrte sie unbeweglich wie ein lebendiges Bild des Flehens.

Theresa und Josephine sahen unruhig auf die ebenso komisch wie peinlich wirkende Szene; auch Christiane sah besorgt hin und ließ wieder ihren Warnruf ertönen:

»Aber Mama!«

Doch Mama wollte nicht hören.

Der Ausgang war ungewiß, und die Schroffheit des Meisters, dessen Kanten und Rauheiten eben allen bekannt waren, ließ ein unerquickliches Ende fürchten.

Und richtig, da hatte man alsbald die Bescherung.

Der Meister erhob sich mit einem Ruck, schritt fast über die kniende Gräfin hinweg und ging mit raschen Schritten zur Tür, um sich zu entfernen.

Ganz bestürzt erhob sich die Gräfin; auch die übrigen Anwesenden waren so konsterniert, daß niemand wußte, was in der allgemeinen stummen Verlegenheit zu tun war.

An der Tür wandte sich der Meister um, machte schweigend eine leichte Verbeugung gegen Christiane, die hilflos die Hände erhob, wie um den Enteilenden zurückzuhalten und übrigens keines Wortes fähig war.

Theresa stand aufrecht hinter ihrem Stuhl, ganz dicht beim Klavier; ihr Gesicht war geradezu eine antike Maske tragischen Schmerzes geworden. Und ohne daß sie überlegte, was sie tat, schlug sie mit der linken Hand auf dem Klavier ein kleines Motiv aus der »Adelaide« an, das ihr zufällig haften geblieben war.

Der Meister, eben schon im Gehen, wandte sich plötzlich um, sah sie groß und verwundert an und trat einen Schritt ins Zimmer zurück.

Ein unbeschreibliches Lächeln verschönte sein Gesicht, auf dem eben noch die finsteren Geister des Unmuts, des Trotzes und Widerwillens gethront hatten.

Sanft, fast demütig schritt er auf das Klavier zu und nahm dort Platz.

Seine Finger glitten über die Tasten und fingen zunächst das von Theresa angeschlagene Motiv auf. Allmählich blühten und sprühten feurige Garben von Tönen hervor, ein goldener Strom von zarten und leidenschaftlichen Klängen wand sich sinnberauschend um die Häupter der Zuhörer, über denen sich der Himmel öffnete mit all seinen niederstürzenden Wonnen, mit seinen Donnern und Stürmen, mit seinen Engelchören und jubelnden Ekstasen.

Frau Muse hatte ihn gerufen und gesegnet.

Wohl über eine Stunde dauerte die tönende Ätherflut der dichterischen Eingebung; seine Seele hatte sich weit geöffnet und ungeahnte verborgene Schätze an Schönheit und tragischer Lust geoffenbart.

Alle Anwesenden waren in der Überzeugung einig, daß sie den Meister, wie hinreißend er auch sonst zu spielen vermochte, noch niemals, selbst in seinen besten Stunden nicht, so überwältigend phantasieren gehört hatten. Alle saßen in Tränen da, von einem geheimnisvollen, glückseligen Weh übermannt.

Der Meister sagte nichts. Er sah zu Theresa hinauf, die ihm zunächst stand. Es war ein Blick voll Dankbarkeit und Verehrung.

»Nur dir zuliebe, und für dich allein«, wollte er damit sagen.

Ob sie verstand?

Oh, sie mußte verstehen, dachte der Meister.

Sie sagte nichts, sondern drückte ihm stumm die Hand.

Die Fürstin Christiane zog Theresa zu sich heran und küßte sie.

»Du Wunderbare,« flüsterte sie ihr ins Ohr, »welche Zaubermacht hast du doch über den Meister Ludwig? Das hat noch niemand über ihn vermocht! Ich könnte eifersüchtig auf dich werden, wenn ich mich nicht so freuen würde darüber, daß alles so herrlich sich gewendet hat – durch dich. Aber, sag' mir, Liebste, was geht eigentlich vor zwischen euch?« Sie drohte lächelnd mit dem Finger. »Du mußt mich morgen besuchen, wenn ich allein bin; gegen elf Uhr vormittags, ich erwarte dich!«

Die Sache hatte nicht nur Eindruck gemacht, sondern auch weithin Aufsehen. Man begann zu munkeln. Der gesellschaftliche Klatsch, der immer auf neue Nahrung erpicht ist, hing allerhand Kombinationen daran; die Geschichte wurde pikant.

Schließlich aber hatte auch Christiane nichts anderes herausbekommen, als daß eben Meister Ludwig ebenfalls den Schwestern Brunszvik Unterricht erteile, weiter nichts.

Theresa blieb ihrem Tagebuch treu. Fast jeden Tag machte sie ihre Aufzeichnungen, die größtenteils den geliebten Meister betrafen. Jedes kleinste Vorkommnis wurde notiert, nichts erschien ihr unbedeutend in seinem Leben.

»In dem Dasein eines Genies ist nichts zufällig,« schrieb sie nieder, »alles hat irgendwie einen Sinn, und was bei gewöhnlichen Sterblichen alltäglich ist, scheint hier in eine Sphäre des Ungewöhnlichen erhoben, das immer interessant ist.«

Sie hatte ihm in ihrem Herzen einen Altar errichtet, vor dem sie täglich ihre Andachten feierte. Sie war bedeutend ruhiger geworden seit der Aussprache mit der Schwester; hatte sie nun doch einen Menschen, mit dem sie wieder über ihn reden und sich das übervolle Herz erleichtern konnte. Und wenn sie auch zuhörte und auf die Ergüsse der Schwester horchte, so war dies schon ein Labsal; das Tagebuch wies fortab weniger Reflexionen über die eigenen Seelenzustände auf. In ihren Gesprächen über Ludwig hielten sich indessen beide gern an das Tatsächliche, das ihnen der Tag zutrug; sie vermieden es, in einen allzu schwärmerischen Ton der Begeisterung zu geraten. Doch redeten sie fast ausschließlich von ihm, und das gab beiden eine tiefe Befriedigung; war er doch auf diese Weise unter ihnen, auch in den Stunden, wo er nicht persönlich anwesend war.

Es gibt freilich Dinge, die man nicht mit der Freundin, nicht mit der Schwester, nicht einmal mit dem vertrautesten Herzen zur Sprache bringt, und die man auch nicht vor sich selber aussprechen und kaum denken würde, sondern die man nur der Verschwiegenheit des Tagebuchs anvertraut, das fortan sorgfältig versperrt blieb.

»Es ist eine Freude zu sehen und mit zu erleben, wie der Ruhm des lieben B. täglich wächst; Fürsten und Prinzen wetteifern um seine Gunst; der regierende Fürst von Lobkowitz macht alle Anstrengungen, ihn den Lichnowkys streitig zu machen und sein Palais zum ersten Kunstzentrum des Musiklebens zu erheben, trotz Rasumoffsky; er gibt wahnsinnige Summen aus, man sagt, daß es zuweilen seine reichen Einkünfte übersteigt. Der arme Lobkowitz! Von Jugend an auf beiden Beinen gelähmt, humpelt er auf zwei Krücken hin und her, und zwar schneller als andere mit gesunden Beinen. Aber er ist ein so guter, edler Mensch, voll Begeisterung für unsern lieben B. Trotz seines Gebrechens ist alles Bewegung an dem kunstsinnigen Fürsten, und der große Musiksaal seines Palais ist neben dem berühmten Canova-Saal Rasumoffskys auf der Landstraße einer der schönsten der Residenz. L. ließ sich's nicht nehmen, in seinem Hause einen Ball zu veranstalten, vielleicht wegen Ludwig, dessen Ballettmusik es ihm angetan hatte, und weil er wußte, daß Ludwig leidenschaftlich gern tanzt. Freilich nicht gut, obschon er bei einem Tanzmeister Unterricht genommen hat; der eintönige Rhythmus ist seiner Natur zuwider; ich machte einige Runden mit ihm, aber wir kamen immer wieder aus dem Takt. Er tanzte hauptsächlich mit Pepi, die es besser verstand; ich begnügte mich mit der Rolle der Zuschauerin und schlug alle anderen Tänzer aus, indem ich vorgab, schwindlig zu sein. Pepi schien ganz glücklich; o wie ich es ihr gönne! Ich saß neben der Gräfin Erdödy; die Arme kann sich auf ihren geschwollenen Beinen kaum fortbewegen und mußte dem Tanzvergnügen ganz entsagen; sie ist seit ihrer Verheiratung leidend und lebt nur ihren drei herzigen Kindern, die wie Kletten an ihr hängen; ich empfinde großes Mitleid für sie. Ich glaube, ihre Ehe ist nicht glücklich; vom Grafen sieht und hört man nicht viel. Er verbringt die meiste Zeit auf seinen Gütern in Ungarn. Wir beide zogen es vor, still in einer Nische auf schwellenden Kissen zu sitzen und uns an dem munteren Gesellschaftsbild in dem kerzenschimmernden Saal zu ergötzen. Von unserem Versteck aus konnten wir ungestört alle Vorgänge beobachten und die Menschen studieren; die feinen Bemerkungen der Erdödy machten mir viel Spaß!«

Einige Tage später.

»Die Sonne seines Ruhms, die höher und höher steigt, beginnt auch auf mich einen Abglanz zu werfen. Seit jenem Vorfall bei Lichnowsky, der sich rasch herumredete, bin ich der Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit. Ich bin fast stolz und glücklich darüber; aber es macht mich auch ängstlich. Ich möchte mir um Himmels willen mein Geheimnis nicht entreißen lassen! Alle kommen zu mir, wenn sie über Beethoven etwas wissen wollen: was er für Arbeiten vorhabe; ob die neue Oper, die Schikaneder vom Theater an der Wien bei ihm bestellt habe, bald fertig sei; ob er viel bei uns verkehre; wie seine Lebensgewohnheiten seien. Sind doch diese Menschen neugierig! Bin ich denn seine Vertraute? Man tut so, als ob ich alles wissen müßte. Ich komme mir freilich groß und wichtig dabei vor, aber ich werde mich hüten, allzuviel zu verraten. Wenn nur Mama nichts erfährt! Sie ist furchtbar auf Prestige! Und hat ohnehin bald dieses, bald jenes an unserem Ludwig zu bemängeln, dessen frische natürliche Art der ihrigen geradezu entgegengesetzt ist. Diese Gesellschaft ist obendrein schrecklich indiskret und klatschsüchtig – –«

Es folgt eine ganze Zeile mit Gedankenstrichen.

Und dann heißt es weiter:

»Seit meinem Triumph bei Lichnowsky gegen die Gräfin Thun hat mich die Fürstin Christiane zu ihrer Freundin erwählt. Ich liebe sie; sie ist voll mütterlicher Sorge für B., das gefällt mir an ihr so sehr. Immer kommt sie auf ihn zu sprechen und fragt mich, ob ihm nichts fehle, ob er glücklich sei usw. Sie beneidet uns um seine häufige Gesellschaft. Aber sie ist ohne Falsch; sie möchte nur, daß der Meister nach Verdienst anerkannt und geliebt werde. Der Fürst sorgt überdies für ihn mit großer Freigebigkeit. Neulich hat er ihm einen Quartettsatz von alten italienischen Instrumenten geschenkt, Cello, Violine und so weiter. Auch die Gräfin Erdödy hat mich in ihr Herz geschlossen. Sie bewohnt ein Stockwerk im Palais Lichnowsky, doch scheint sie sich mit Christiane nicht gut zu verstehen; ich kenne den Grund des Zerwürfnisses nicht und getraue mich auch nicht zu fragen. Sie ist wie eine gute Mutter zu mir, die für alles Verständnis und Interesse hat. Ihr gegenüber habe ich oft das Gefühl, daß ich meinem Herzen Luft machen könnte, es drängt mich förmlich dazu; dann aber heißt mich wieder eine innere Stimme schweigen. Es ist besser so. Vielleicht kommt eine Zeit, da ich bei ihr Zuflucht suchen muß. Es ist gut zu wissen, daß es eine verstehende Seele gibt, an die man sich wenden darf, wenn es nicht anders mehr geht. Ich sitze oft in ihrem kleinen hübschen Salon, wo sie vom Sofa zum Pianoforte hinkt, und häufig Ludwig empfängt, der besonderes Vertrauen zu ihr hat und ganze Abende bei ihr verbringt. Meist sind ihre reizenden Kinder um uns. Da sitzen wir zusammen und plaudern – von ihm! Sie weiß so hübsch zu erzählen. Auch spielt sie seine Sachen recht gut und singt mit angenehmer Stimme. Bei einem Lied: »Freudvoll und leidvoll – –«, das sie mit innigem Ausdruck vortrug, entquollen mir plötzlich heiße Tränen; ich hing an ihrem Halse und fand keine Worte, mein inniges Entzücken auszudrücken. Sie glaubte, mich trösten zu müssen, und streichelte mich, indem sie sagte: Sie liebes, gutes Kind! Es wird noch alles gut werden! Mein Gott, was sie nur denken mag!«

Wieder einige Tage später.

»Der arme Louis! Er war ganz außer sich. Er spricht immer mit kindlicher Verehrung von Erzherzog Rudolf, seinem Schüler, der sich dem geistlichen Stande zugewendet hat. Nur das Warten im Vorzimmer, wenn er kam, um seinem erzherzoglichen Zögling Unterricht zu geben, ist ihm unerträglich. Er war voll Entrüstung, als er uns heute die Geschichte erzählte, die ihm passiert ist. Der Haushofmeister und sonstige Personen des Hofstaates wollten ihn belehren, welche Rücksichten er zu beobachten habe, und daß er einfach warten müsse, bis er angemeldet und Seine Kaiserliche Hoheit bereit sei, ihn zu empfangen. Er erklärte, zum Antichambrieren sei er nicht gekommen, die Hoheit wisse, wann Stunde sei, er habe Rücksichten nicht zu beobachten, sondern zu fordern, kurz es gab einen Wortwechsel; aber Ludwig, im Bewußtsein seines guten Rechtes und seiner Würde, schob einfach das Personal weg und stürmte unangemeldet in die Gemächer des Erzherzogs, der ihn denn ohne weiteres freundlich empfing. Also war es nur eine Schikane des Haushofmeisters und der Bedienten. Während der Unterrichtsstunde konnte der Meister allerdings seine Ungeduld nicht bezähmen; der erlauchte Schüler spielte unaufmerksam und wurde dafür tüchtig auf die Finger geklopft. Das war nun freilich Seine Hoheit nicht gewöhnt und verwies ihm ernst aber immerhin freundlich solches Gehaben, indem er ihn zur Geduld mahnte. Kaiserliche Hoheit, hatte ihn darauf der Meister belehrt, ich bin nicht gekommen, um hier strenge Etikette zu lernen, sondern dafür zu sorgen, daß Sie ein tüchtiger Klavierspieler werden. Wo aber soll ich noch Geduld hernehmen, wenn sie fast schon ganz mit dem Warten im Vorzimmer aufgebraucht ist! Er habe für die erzherzogliche Person gewiß alle mögliche Ehrfurcht, aber man solle ihn um Gottes willen mit all den Vorschriften in Ruhe lassen, die man ihm im Vorzimmer täglich zur strengen Beobachtung gebe; sie seien durchaus nicht seine Sache! Der Erzherzog mußte ihm schließlich recht geben und belobte ihn auch noch wegen seiner Offenheit. Er lachte noch recht herzlich dazu, als ihm der Meister die Vorzimmergeschichte erzählte, und gab sogleich Befehl, man solle ihn künftig unbehelligt lassen; der Meister sei nun einmal so und nicht anders, und wenn der Erzherzog es zufrieden sei, dann können es wohl auch seine Untergebenen sein.

Mama schien es freilich weniger zufrieden, sie entsetzte sich über den Vorfall, und als Ludwig uns verlassen hatte, ging es über ihn her in ihrer gewohnten Weise: das sei wieder ein Beweis seiner Überheblichkeit und so weiter. Wir waren fein still und gingen bald aus dem Zimmer. Als ich mit Pepi allein war, freuten wir uns innig über die ganze Sache; ich muß ihn nur noch mehr bewundern, daß er die Menschen alle gleich behandelt, das heißt nach ihrem Verdienst, und auch vor den Größten nicht unterwürfig dienert. Wahrhaftig, er ist der Größte unter den Großen!«

Einige Tage verstrichen ereignislos; nur kurze Anmerkungen wurden gemacht, die Unwesentliches betrafen; dann aber kam folgende längere Aufzeichnung:

»Welche abscheuliche Szene mußten wir doch gestern bei Lobkowitz erleben! Dieser taktlose sächsische Gesandtschaftsattaché, der zufällig zu Besuch anwesend war! Man redete über Dichter, Künstler und über die Fragen des Einkommens, da beklagte sich unser lieber B. über seine Verlegersorgen. Er deutete auf Goethe und Händel hin, denen die Verleger ein bestimmtes Einkommen hätten bezahlen müssen. Da hatte der Attaché die Vermessenheit, dem Künstler einen Verweis erteilen zu wollen: Mein lieber, junger Mann, begann er hochmütig, Sie müssen nicht klagen; denn Sie sind weder ein Goethe noch ein Händel, und es ist nicht zu erwarten, daß Sie es je werden. Solche Meister werden nicht wieder geboren! Ich sah schon, wie sich infolge dieser Insolenz die Augenbrauen des Meisters zornig zusammenzogen; sein dunkles Gesicht wurde noch einen Schatten dunkler. Er stand wortlos auf und rief sofort den Fürsten, mit dem er im Nebenzimmer sich über den Attaché so laut beklagte, daß dieser es unbedingt hören mußte, obzwar er keine Miene verzog. Der Fürst suchte den Meister zu beruhigen, indem er meinte, daß man augenblicklich wohl vielfach der Ansicht sei, solche gewaltige Menschen würden nicht wieder geboren. Um so schlimmer, antwortete der aufgebrachte Meister; aber mit Menschen, die keinen Glauben und kein Vertrauen zu mir haben, kann ich keinen Umgang haben! – Vom Herzen mußte ich ihm wieder recht geben, und ich freute mich über seinen Ausspruch, der mir so wohl tat, obschon ich darunter litt, daß dem edlen Manne ein solches Unbill angetan werden konnte.«

Theresa unterbrach für einige Zeit die gewohnten Eintragungen, sie kam nicht dazu. Jetzt hatten beide Schwestern die Hände vollauf zu tun. Sie saßen oben in Josephinens Zimmer und nähten und stickten ohne Unterlaß. Feine Wäsche. Es soll eine Freude werden für den lieben Meister.

Viel träumerische Gedanken wurden in die Leinwand hineingenäht und hineingestickt, Stich um Stich, Wünsche, Hoffnungen, liebendes Gedenken.

Theresa zuckte mit der Hand und preßte aus dem Finger ein Tröpfchen Blut.

»Ich habe mich gestochen!«

»Dann wirst du Braut!« sagte Josephine; »ein Sprichwort sagt es.«

Theresa beugte sich tiefer auf die Arbeit nieder; sie war rot geworden.

In diesem Augenblick schrie Josephine auf:

»Au! Jetzt hab' ich mich selber gestochen!«

»Siehst du!« lachte Theresa. »Auch du wirst Braut!«

»Zwei Bräute, statt einer! Wie soll das zugehen?!«

Jede hing schweigend ihren Gedanken nach.

»Sonderbar!« sagte nach einer Weile die eine.

Und darauf die andere:

»Allerdings, sonderbar!«

Sie hatten sich damit verraten, daß beide das gleiche gedacht hatten.

An ihn hatten sie gedacht.

Immer dasselbe Spiel! dachte Theresa. Was ich bin, ist auch sie. Immer steht sie an meiner Stelle!

Denselben Gedanken hatte Josephine. Ich orakle für mich, und sie trifft es.

»Wenn es sich darum handelt: ich oder du,« bemerkte jetzt Theresa, »dann stehe ich gern und freiwillig zurück.«

»Du irrst dich, Theresa, wenn du glaubst, daß ich das zugeben würde. Wenn es sich darum handelt: ich oder du, dann versteht es sich von selbst, daß ich zurückstehe.«

So ging es im edlen Wettstreit eine Weile hin und her, ohne daß damit die Schicksalsfrage auch nur um ein Haarbreit der Entwirrung näher kam.

Die Situation blieb immer annähernd die gleiche.

Bald darauf trat ein neues Ereignis ein, das Theresa mit zitternder Schrift in ihrem Tagebuch verewigte.

In lapidarer Kürze stand die Tatsache schwarz auf weiß:

»Heute, als Ludwig bei uns war, erschien plötzlich unangemeldet Giulietta. Um meine kürzlich wiedergefundene, mühsam bewahrte Ruhe ist es nun geschehen!«

Keine Reflexionen, keine Selbstbetrachtungen hatte Theresa daran geknüpft; nur die Tatsache vermerkte sie. Aber die Schrift verriet mehr als Worte.


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