Detlev von Liliencron
Poggfred
Detlev von Liliencron

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Neunundzwanzigster Kantus: Heimfahrt.

Motto:

Fertig, Kinder! eingestiegen!
wollen in den Himmel fliegen!
futsch

Richard Dehmel.

                  In diesen Tagen sah ich einen Greis:
Er saß vor seinem Schloß auf der Terrasse
Und schaute mild und müd ins Frühlingsweiß,
Ins Blumenbeet der grünen Sträuchergasse:
Wie quillt und schwillt und dehnt sich jedes Reis,
Wie schöpft sich alles aus in Übermasse.
    Bald scheint, vertieft, er vor sich hin zu nicken,
    Bald einer Taubenschwenkung nachzublicken.

Was sinnt er nur? Was führt ihm die Gedanken?
Noch sieht er frisch und klar aus und gesund.
Und doch vielleicht schon denkt er an die Pranken,
Womit der Tod ihm plump zuschlägt den Mund.
Ihm fällt wohl ein, wie Hirsch und Keiler sanken
Ins Haidekraut, ins Waldmoos, weidewund.
    Und Schmerz und Lust, die beiden bösen Feinde,
    Verschmelzen ihm zur friedlichen Gemeinde.

Er ist schon drüber hin. Das wilde Leben
Lärmt zu ihm her in immer schwächern Tönen;
Es kann ihm keine Aufregung mehr geben,
Es ist nur Maske, kann ihn nicht mehr höhnen.
Wer stürzt und stirbt, kann sich nie mehr erheben;
Zu viele sah er schon an Gräbern stöhnen.
    Die letzten Stunden, die er noch gewonnen,
    Will er sich nur noch in sich selber sonnen.

Glückseliger, wie bist du zu beneiden.
Was jeder Tag uns bringt in seinem Lauf
An Glück und Unglück, Werden und Verscheiden,
Dir ist gleichwert Geriesel und Gerauf.
Du hast zu viel erlebt an Freud und Leiden,
Da hört dir endlich das Erkennen auf.
    Gelassen lächelst du ins Erdgewimmel,
    Als säßest du schon wohlgemut im Himmel.

Leb wohl, mein Greis. Ich geh durch deinen Park,
Den deine Güte jedem offen stellt;
Hoch in den Pappeln hadern rark und quark
Vier Raben um ein warmes Wipfelzelt.
Und Nachtigallen jodeln stur und stark
Ihr herrisch Brautlied in die Liebeswelt.
    Die alten Eiben streun einschläfernd Gift
    Und deuten so vergangner Zeiten Schrift.

Fast wärs mir unter diesen Rätselbäumen
Ergangen, wie es manchem schon erging:
Der nie mehr aufwachte aus seinen Träumen,
Wenn er sein Ränzel ins Gezweige hing,
Um hier den heißen Mittag zu versäumen,
Und den dafür der ewige Schlaf umfing.
    So macht ich schleunig mich auf die Gamaschen
    Und ließ mich nicht vom Sensenmann erhaschen.

Ich kam durch einen Teil vom großen Garten,
Wo Louis Quinze und Louis Seize noch weilten,
Wo rings Lenôtres Heckenkünste starrten.
Bis sich die steifen Bäume wieder teilten
Und ungestutzt im Wind die Äste knarrten,
Die allgemach von der Natur geheilten.
    Verdutzt stand plötzlich ich in einer Wildnis,
    Und vor mir zeigte sich ein seltsam Bildnis:

Das Bild: Ein Kirchlein lugt aus Farn und Gräsern,
Friedlich und stumm, vergessen, trösteweich.
Kein Ton von schrecklichen Posaunenbläsern
Schrak hier wohl je den Christen käsebleich.
Wer weiß, ein Trupp von frommen Bibellesern
Erbaute einst sich dieses Gnadenreich.
    Ich seh durchs Gitter, sehe Sarg an Särgen;
    Das Kirchlein scheint die Ahnengruft zu bergen.

Als ich nun niederschaute auf die Wappen,
Flüsterts herauf zu mir aus dem Quartier
Der Ritter, Edeldamen, Edelknappen:
Ach, wären wir im Sonnenlicht bei dir!
Und könnten lüften unsre Gugelkappen
Und wieder jauchzen unter Mensch und Tier!
    Ich wandte mich betrübt von solchem Gruß
    Und lenkte um die Mauern meinen Fuß.

Da fand ich, als ich um die Ecke bog,
Ein Wandgrabmal mit schlimmstem Mönchslatein,
Das mich sofort in tiefes Sinnen zog,
So prägten sich mir seine Verse ein.
Wie rührend klang der lange Epilog,
Ich mußte gleich dem Dichtersmann verzeihn.
    Animula beata Oligarde,
    Mit diesem Segenswort begann der Barde.

Klein-OellegaardOellegaard (Oligarda): dänisch-schleswig-holsteinischer Mädchenname, sprich: Óllegohr. , jetzt will ich dir erzählen,
Hör einmal her von deinem Engelsplatz,
Wie deine Mutter sich um dich tat quälen,
Du deiner Mutter letzter Lebensschatz.
Freilich, doch darum wirst du mich nicht schmählen,
Ich muß berichten von sehr wüster Hatz.
    Und mach ichs gut, wirf mir einmal zum Lohn
    Ein Kußhändchen von deinem Sternenthron.

Von vierzehn Kindern blieb der Mutter eins,
Ein Mädchen, Oligarda, dreizehn Jahre.
Auch diese starb. Nun hat die Ärmste keins.
Sie legt die Tochter schluchzend auf die Bahre.
Im huschenden Flackerglanz des Fackelscheins
Trägt man die kleine Leiche zum Altare,
    Um morgen ins Gewölbe sie zu betten
    Und mit den andern Truhen zu verketten.

Wie liegt sie nun vereinsamt in der Nacht;
Ists nicht, als wenn, horch, fernher Wölfe heulen?
Der Deckel hat sie noch nicht überdacht;
Ans Fenster schlagen neugierig die Eulen
Und mustern dumm des Sarkophages Pracht,
Das Kerzenlicht und die umglänzten Säulen.
    Die rote Mohnblume der Einsamkeit
    Hat Oligardens blasse Stirn geweiht.

Da brennts! Wo brennt es? Wie die Feuer lohen!
Der Himmel qualmt, der Schwede kam ins Land.
Die Stadt, das Dorf, die fernsten Weiler flohen,
Der ganze Horizont ist überflammt.
Betrunken wälzen sich die gierigen, rohen
Soldtruppen vorwärts, außer Rand und Band.
    Ans Kirchlein, näher, hör ich eine Trummen
    Ganz schwach, dann stärker, immer stärker brummen.

Und eine Abteilung kommt anmarschiert,
Und hält am Gotteshaus, um zu verschnaufen,
Und sieht erstaunt es drinnen lichtverziert.
Hinein stürzt spornstreichs der gesamte Haufen:
Sind Kameraden dort wohl einquartiert?
Vielleicht gibts da zu fressen und zu saufen.
    Halt, halt! Sie stutzen, glotzen. Was ist das?
    Der Raum ist leer, kein Futter winkt, kein Faß.

Nun stoßen sie zum Plündern weiter vor,
Aus aller Herren Ländern sinds Halunken;
Der Schwede goß sie zum erlesenen Korps
Und scheint mit dem Gesindel noch zu prunken.
Hier raubt ein Spanier, dort ein Tabumohr;
Ein Türke wirft zum Brand die ersten Funken.
    Ein Römer rast nach vorn und – schlägt das Kreuz
    Vor einem Sarge stockt er: ihn gereuts.

Und alle stehn im Umkreis um die Leiche.
Ein Augenblick, dann bricht der Satan aus:
Sie raffen sie, wie Linnen von der Bleiche,
Und kollern auf die Fliesen sie hinaus,
Und tanzen wild, wie um die Martereiche,
Und zerren ihr vom Latz den Veilchenstrauß.
    Und einer reißt ihr auf den süßen Mund
    Und gießt ihr Schnaps, ihr Heiligen! in den Schlund.

Da öffnet sich die Tür, sehr langsam, schwer:
Ein winziger Herr, im Pelz, von Gicht ganz krumm,
Noch jung, steht sprachlos da; wo kommt er her?
Und steht noch immer spukhaft starr und stumm.
Jetzt löst er die Pistole aus dem Wehr
Und schießt: ein Polack kugelt sich rundum.
    Blitz, der! Der Torstenson, genannt »der Schlag«,
    Traf eben ein im Holstenland aus Prag.

Das Fähnlein sockt davon. Die Trommel schallt,
Erst laut, dann schwächer, ferner, schwächer; Schweigen.
Die weißgetünchten Wände schauern kalt,
Verschwunden ist der fürchterliche Reigen.
Wie ein Gespenst durchscheint der Mond den Spalt
Und möchte sich voll Mitleid niederneigen.
    Die Morgenröte kriecht aus Wolkenwellen
    Und wagt es kaum, das Kirchlein zu erhellen.

Der Tag bricht an. Verzweiflung. Doch, ein Muß:
Sie wird von neuem in den Sarg gewiegt,
Wo ihr zu Häupten, nach dem Abschiedskuß,
Der rote Mohn der Einsamkeiten liegt.
Ein Wanddenkmal aus Marmor wird zum Schluß
Den kahlen Außenmauern angeschmiegt.
    Sankt Michael steht mit dem Schwert davor:
    Animula beata Oellegaard.

Leb wohl, Klein-Oellegaard, vergiß mich nicht.
Ich will nun wieder meine Wege gehn
Durch Junimittagsglanz und Sonnenlicht;
Heut bläst der Künder Gottes: Auferstehn!
Komm, Oligarda, mit in dies Gedicht:
Syringen, Goldregen, erschlossene Schlehn.
    Mein glücklich Seelchen schläft im Särgechor,
    Animula beata Oellegaard.

Als ich zurückging, fand ich noch den Greis;
Er saß wie vordem an derselben Stelle
Und schaute seinen Tauben nach, die weiß,
Schlehblütenweiß sich hoben aus der Helle,
Sich hoben aus dem blauen Himmelskreis,
Im Meer der Luft wie eine Silberwelle.
    Verlor sich eine aus dem kurzen Bogen,
    Kam bald sie pfeilschnell hinterher geflogen.

Von Kindheit an kenn ich den alten Herrn,
Von jeher hat mein Herz an ihm gehangen;
Auch hat er mich, ich weiß es, wirklich gern.
So bin ich denn zu ihm hinaufgegangen,
Zu ihm, der hoch schon in den Achtzigern,
Und ward mit leisem Freudenruf empfangen.
    Als treue Nachbarn sind wir eng verbunden,
    Viel Anregung hab ich durch ihn gefunden.

Heut schien er aufgelegt, und seine Lippe
Verschenkte mir viel Weisheit, Weltflucht, Wahrheit.
Vom Nacken saß ihm weit die Todeshippe,
So ruhig sprach er und mit solcher Klarheit.
Nur ganz zuletzt ward grob er wie Xanthippe:
»Das Leben ist halt eine einzige Narrheit!«
    Da fuhr mein Wagen vor. Die Exzellenz:
    »In Poggfred, bitt ich, meine Reverenz.«

Ah, solch ein Frühlingstag: Der Sommer streckt
Den heißen Arm nach immer frührer Stunde,
Die schneller, zeitiger den Schläfer weckt.
Und schon geht durch die Gärten frohe Kunde,
Daß sich das Land mit Rosen überdeckt;
Und Rosen sind ein Balsam mancher Wunde.
    Noch ein paar Nächte, und der Sommer hat
    Die sichre Herrschaft über Flur und Stadt.

Zwei Stimmen hinterm dichten Knick: »Johann,
Hest du de Hark ock mitbröcht?« »Dammig, nä,
Dat hev ick rein vergeten.« »Döskopp.« Dann
Hört die erstaunte Mitwelt ein Gekräh,
Das grade nicht als Beispiel dienen kann
Für eines sanften Umgangs A-B-C.
    Bald aber säuselts nur noch engelgleich,
    Denn mählich kam ich außer Lauschbereich.

Aus einer Kate steigt der Rauch empor,
Sie ist umhegt von einem Eschenkreise;
Die Wipfel sind des Friedens hohes Tor,
Der sachte Herdrauch macht die Himmelsreise.
Die Tür geht auf, die Kätnersfrau tritt vor
Und sieht sich um, sieht nach dem Fahrgeleise.
    Sie wartet wohl auf einen, den sie liebt,
    Und dem sie ihre Sehnsucht gab und giebt.

Und richtig, während sie noch steht und schaut:
Beurlaubt kommt dort ein Soldat gegangen,
Im Helm; ins rote Taschentuch, verstaut,
Hat er sein bißchen Notbedarf gehangen.
»Na, Jung, wo geit't?« Ein unterdrückter Laut,
Und Sohn und Mutter halten sich umfangen.
    Sein Dorfmädel lugt hinterm Schober scheu:
    Blieb er mir in der Garnison auch treu?

Mien Länneken, dat is'n beten »dröhnig«,
Es zeigt nicht offenkundig Lust und Schmerz;
Und das ist herrlich, wie wenn stolz ein König
In starren Panzer hüllt sein starkes Herz.
Die Andern halten ihn für recht eintönig,
Der durch die Tageswildnis geht in Erz;
    Und hat vielleicht ein mitleidig Gemüt,
    Das wie die Blume unterm Eise blüht.

Mein Heimatland, dich lieb ich nie genug.
Zwar hast du niemals dich um mich geschoren;
Na, kümmt all t'recht, dich lieb ich Zug für Zug.
In deinem Wälderschutz bin ich geboren
Und sah auf deiner Flur den ersten Pflug;
So hab ich mich für immer dir verschworen.
    Doch bin ich ganz vom Thema abgekarrt;
    Wo blieb ich stehn? Ah, bei der Heimkehrfahrt.

Die Sonne geht und auch der Tagesschein,
Ein schwerer Duft zieht über Rain und Rasen.
Die Luft ist lau, der Hügel ruht wie Stein,
Wo, himmelabgezeichnet, Kühe grasen.
Dort in den Garten tritt ein Prinz hinein,
Wo laubige Linden stehn um Marmorvasen:
    Ein Prinz mit großen blauen Dichteraugen,
    Die ernst die Märchenschönheit in sich saugen.

Nun hat der heitre Tag sich ausgelacht,
Die Farben schatten in einander über.
Der ganzen abendhellen Farbenpracht
Stellt sich ein finstrer Riese gegenüber
Und drückt sie langsam in den düstern Schacht;
Der dämmersatte Ton stirbt matt hinüber.
    Noch fern ein Stückchen letztes fahles Rot;
    Ein schwarz Gewölke harkt es in den Tod.

Ich fahre meinen Weg im Dunkeln weiter;
Im Dunkeln kommen mancherlei Gedanken,
Recht störend oft und lästige Begleiter,
Die sich um unsre Seele kriechend ranken.
Und die Gedanken werden immer breiter,
Je mehr wir sie im Innern niederzanken.
    So fiel mir aus der heutigen »Landpartie«
    Das Wort ein, das zum Schluß der Schloßherr schrie:

»Das Leben ist halt eine Narretei.«
Wie aber, wenn dem wirklich nun so wäre?
Wenn Alles nur ein gräßlich Einerlei?
»Nicht wert des An- und Ausziehns?« Zu viel Ehre!
Dann dank ich für die schale Mummerei!
Was nützt die Schule, oder sonstige Lehre?
    Der Zweck von alldem? Was ist Anfang? Endnis?
    O maßlos Weh der ödesten Erkenntnis!

Bin ich denn solcher Pessimist geworden?
Und schlimmer noch: ein Phrasendrescher gar?
Nein, lieber tret ich in den Bettelorden.
Man soll die Erde nehmen klipp und klar,
In Mollakkorden und in Durakkorden.
Sie bleibt dieselbe, wie sie ist und war.
    Von Anbeginn und bis in Ewigkeit
    Drehn sich, ein Karussell, Friede und Streit.

Zwar scheint die Molltonart oft überwiegend.
Wie wars doch, als ein Traum mich neulich plagte:
Aus einem Eden in ein Prachtschloß biegend,
Betrat ich einen Saal, der so hoch ragte,
Daß sich die Decke, durch die Wolken fliegend,
Fast mit dem Scheitel an die Sterne wagte.
    In Herrenchiemsee wird er heut noch prunken,
    Wo einst ein König schritt, von Schönheit trunken.

In solcher Halle ging ich auf und nieder,
Von ungeheuerm Lichtmeer übergossen.
In dieser Halle ging ich auf und nieder,
Von Einsamkeit in Überfluß umflossen.
Und in der Halle ging ich auf und nieder,
Als wär sie mir, und keinem sonst, erschlossen.
    Mein Fuß, der knarrend durch die Stille drang,
    Gab in der Stille auch den einzigen Klang.

Da hört ich, während meiner Wanderung,
Es zischeln hinter Sesseln, Wänden, Säulen:
Du Mörder, Wechselfälscher, Galgenstrunk.
Dann kam es leise wie aus Schlangenknäulen:
Du Hundsfott, wart auf deine Züchtigung,
Wir wollen das Erinnyenlied dir heulen.
    So gehn wir arglos durch den Menschensaal,
    Verfolgt vom ganzen Erdentribunal.

Lieblosigkeit und Neugier, Zwillingsschwestern,
Sie geben Tag und Nacht dir das Geleite;
Sie sind von morgen, sind von heut und gestern,
Und weichen keinen Schritt von deiner Seite.
Sie einigen sich zu würdigen Orchestern
Und tragen ihren Ton in Näh und Weite.
    Drum komm zuvor und mach dein Ohr leicht, Ohr licht;
    Denn überall heißts Vorsicht, Vorsicht, Vorsicht.

Verleumdung, Klatschsucht, auch ein edles Pärchen,
Und eng verwandt mit – doch ich werde dumm.
Die Psychologen spalten diese Härchen
Und drehn viel besser dann die Spitzen um.
Und die Moral schickt gleich ein Kommissärchen
Und hält geschwinde ein Colloquium.
    Nur eins noch möcht ich selber untersuchen
    Und es in diese Stolperstanzen buchen:

Ja, Vorsicht, Vorsicht! Ach, was soll sie nutzen,
Wenn jeder Augenblick uns töten kann!
Ob Paradiesestäler, ob Abruzzen,
Gleich kommt ein Räubersmann und fällt uns an
Und sticht uns tot, wie sehr wir ihm auch trutzen;
Vorsicht ist ein ohnmächtiger Tyrann.
    Wer Unglück hat, der strauchelt selbst im Grase
    Und bricht sich, wie das Verslein sagt, die Nase.

Noch halten heitre Träume dich umfangen,
Die nächste Stunde hast du Gallenfieber.
Noch prahlen blühend deine roten Wangen,
Und morgen? seh ich dich als Schattensieber.
Heut rasselst du mit goldnen Ritterspangen,
Und künftig Jahr? hm: bist du Karrenschieber.
    Nenns Fatum, Schicksal, Zufall, nenns Kismet,
    Wo wäre der, der jemals ihm entgeht?

Das Schwert hängt über uns stets laß und lose;
Ein Hauch, es fällt, still traf uns seine Tücke.
Es stach sich wer beim Pflücken einer Rose,
Zeitlebens ging er deshalb an der Krücke.
Auch mir begegnete mal eine Chose,
Ich sehe noch des kleinen Dolchs Gezücke.
    Das widerfuhr mir einstens in Marseille;
    Als ich dort ankam, blies man grad Reveille.

Das schrieb ich eben nicht des Reimes wegen,
Nein, es war wirklich so. Und nun: Beginn:
Ich fuhr durch der Provence Rosensegen
Und eilte südwärts, nach Marseille hin,
Um einen Kranz zu Füßen ihr zu legen,
Des mittelländischen Meeres Königin.
    Zwar »Königinnen« hat dies Göttermeer
    (Verzeih mir, Napoli) ein ganzes Heer.

Auf der Promenade de la Corniche war
Ich täglich Gast und schaute auf die Wogen.
Es war im März, der Himmel sommerklar;
Von drüben kam ein heißer Duft gezogen,
Von Afrika, vielleicht vom Nil sogar,
Den hab ich in mein heißes Herz gesogen.
    Vor mir stand Hannibal und sein Geschick,
    Und jene Königin mit dem Schlangenblick.

Massilia, was fiel mir damals ein,
Auf dieser wundervollsten Promenade:
Ich sahs in meinem Schleswig-Holstein schnein,
Der März ist da meist ohne jede Gnade;
Ich sah ein Haidehaus, im Torf, allein,
Es liegt im Moor wie eine Totenlade.
    Oft hab ich drin, nach mancher Jagd, geruht
    In eines hübschen Bauernmädchens Hut.

Das waren stille Tage, stürmische Nächte,
Ein Winterglück, ein Jägerglück, ein Traum.
Du liebes Mädel, deine flachsne Flechte,
Die frischen Lippen, deiner Wangen Flaum:
Wer mirs in dieser Stunde wiederbrächte!
Die Palme gäb ich um den Zwetschenbaum
    Vor unsrer Tür, gar wenn die Flocken stoben,
    Mit weißem Schleier ihn und uns umwoben.

Mit Wildbret kehrt ich heim vom Weidmannszug,
Im Dämmer führte mich der Abendstern.
Mettwurst und Ledderkäs, der Dorfbierkrug,
Als Dame d'honneur de schlankse Buerdeern.
Das samtne Mieder, das Gesine trug,
Das strotzend, streng sich strammte, trug sie gern.
    Seid unbesorgt, die Tugendtante wacht,
    Und damit sag ich allen Gute Nacht.

Mein Schleswig-Holstein, tief im Schnee versiegelt,
Wie lieb ich dann dich erst, mein Wiegenland:
Du hast die Türen alle fest verriegelt,
Und deine Knicks sind Wetterschirm und Wand,
Bis sich in deinen Fenstern wiederspiegelt
Des Sommers roter Abendsonnenbrand.
    Mein Schleswig-Holstein, tief im Schnee vermummt,
    Nie bist du laut, nun bist du ganz verstummt.

Vergebt, vom Meere mediterrané
Sprang ich nach Norden; schnell zurück den Sprung!
Kamelien blühn noch weißer als der Schnee,
Das blaue Meer bringt mich in alten Schwung:
Ich sag der Route de la Corniche Ade,
Und bin in andrer Straßengliederung.
    Dort fand ich, wegab, rings in Blumenbeeten,
    Ein zierlich Wirtshaus, und bin eingetreten.

Die Klinke halt ich schon in meiner Hand,
Da wird die Tür von innen aufgeschmissen!
Was ist? Ein Weib ist an mich angerannt,
Umklammert mich wie einen Leckerbissen.
Vier Kinder hängen ihr am Schürzenband,
Ein fünftes hat sie an die Brust gerissen.
    Die Linke halt ich unwillkürlich vor
    Und bin im Handumdrehn ihr Garde du Corps.

Ein Mann kommt funkelnd auf uns zugesprungen;
Ihr Ehgespons? Sein Messer blitzt wie Feuer,
Er sticht; ich hab nicht mal mit ihm gerungen,
So atemlos lief dieses Abenteuer.
Der Dolch hat meinen linken Arm durchdrungen,
Ich purzle und verliere Stab und Steuer.
    Im Fallen denk ich, sonderbarerweise,
    Im Sturz noch: Dazu also diese Reise?

Im Nu sind um mich viele Menschen schon,
Und schwarze Augen brennen sich in meine.
Sie würgen mich, ich hör ihr wütend Drohn,
Und alle rufen rasend im Vereine:
Er ist ein Dieb, ein Gauner, ein Spion,
Wir binden ihn, hier ist die Wäscheleine!
    Ich blute schwer, es schwindet mir der Sinn;
    Ich wache auf und weiß nicht, wo ich bin.

Im Kerker? Noch ist nicht mein Arm verbunden;
Wie lange, lange soll ich hier denn warten?
Ich hungre, durste, Schritte, bin gefunden:
Ein Hin und Her, Verhöre aller Arten,
Der Drahtbericht, die Botschaft, noch zwei Stunden,
Bis sich die wüsten Wirren offenbarten.
    Spielt so der Zufall? War das Schicksalstücke?
    Wer findet zwischen beiden je die Brücke?

Da fällt mir ein: »Der Wurm sprach: Ich verzichte.«
So steht es irgendwo bei Liliencron
In einem Robben-Räuber-Rundgedichte.
Das sagt ich auch mit sauersüßem Hohn
Und dampfte eilends ab nach der Geschichte,
Ich fand nicht mehr den rechten »Reiseton«.
    Und hier wie stets: Erfahrung macht den Meister.
    Wenn einer sorglos Schlitten fährt, entgleist er.

Das paßt ja gar nicht in dies Intermezzo;
Was soll Erfahrung hier für »meinen Fall«?
Doch da ich just das Wort Erfahrung jetzo
Beim Wickel habe, spiel ich mit ihm Ball,
Und finde diese Wendung auch ganz nett so
In ihrem fürchterlichen Reimeschwall.
    Erfahrung heißt die alte gute Trudel,
    Die uns herauszog aus dem Jugendstrudel.

Und aus Erfahrung wird man dann Philister;
Das klingt verzweifelt, ja, es klingt verdammlich.
Mir ists ein Trost, und gar nicht mal ein trister;
Das allerdings, hm, räuspre, hm, und stamml ich.
So werd ich gar am Ende noch Magister,
Und euern Spott auf meiner Glatze samml ich.
    Der »Bruder Liederlich« singt: Preis und Ruhm,
    Es lebe hoch, hoch das Philistertum!

Wir schmauchen »unser Pfeifchen«, wohl bekomm es,
Wir leisten uns ein bißchen Korpulenz.
Und unser Lebensfeuer: ach, verglomm es?
O nein, wir speisten es mit Abstinenz.
Wir werden sacht ein Tier, ein gutes, frommes,
Und alle Unruh wird uns Pönitenz.
    Der Lehnstuhl und die Zeitung sind die Losung,
    Und wie beim Karpfen mehrt sich die Bemoosung.

Was fällt mir ein? wo bin ich hingeraten?
Ich wollte doch vom Glück der Ehe schreiben,
Und wühle mich in allerlei Kantaten,
Die gar nicht passen in dies Kesseltreiben.
Der Leser stellt mich hin als Inkulpaten
Und ruft mir zu: Das lassen Sie hübsch bleiben!
    Verzeiht, dies Faseln ist mein Jagdrevier;
    Es tut mir leid, car tel est mon plaisir.

Zur Sache! Endlich! Ja, das war mein Zweck:
Vom Glück der Ehe wollt ich einmal künden,
Daß sie des Lebens Eiland ist und Eck,
Daß sie allein, wenn wir den Herd uns gründen,
Der Liebe gibt gesicherten Versteck,
Weil Eintracht und Verständnis sich verbünden.
    Vorausgesetzt, daß sie »vom Himmel« ist;
    Sonst ist sie teuflisch wie der Antichrist.

Ihr Götter, ja, ich spiel mit meinen Kindern;
Seht ihrer Unschuldsaugen Weihnachtssterne!
O, Götter, euch, euch alten Bürstenbindern
Gesell ich mich mit meiner Hauslaterne.
Kein »Schwarzer Mann« soll meine Kleinen hindern,
Sich tüchtig auszutoben bis zum Kerne.
    Dann schlafen sie mit heißen Bäckchen ein
    Und werden wohl bei Gott im Himmel sein.

An meinem Schreibtisch hatt ich heut Besuch:
Grimms Märchen trug mein Töchterchen heran.
Dies ewige Stören ist Familienfluch!
Ja, aber, wie, was? Bin ich ein Tyrann?
So bleib denn hier mit deinem lieben Buch
Und, Abel, höre zu! Und ich begann
    Mit Rotkäppchen. Dann andrer süßer Trödel.
    Noch nicht genug? Nein, nein. Schluß: Aschenbrödel.

Was? Noch mehr lesen? Nein, das ist zu viel!
Na, zeig mal her denn! Ah, der Fitzebutze!
Der treibt ein ganz entzückend Narrenspiel,
Und seine Weisheit mach dir recht zunutze!
Mein Freund, der Fitzebutze, kennt sein Ziel;
Ich glaube gar, daß ich mich mit ihm dutze.
    Nun, wähl dir aus. Das mit dem »Maulkorb« denk ich,
    Das macht mein Plappermäulchen wohl bedenklich.

Mein Söhnchen sitzt vor mir in seinem Stühlchen;
Was soll ich, Wölfchen, bloß mit dir anfangen?
Du hast bis heute ja nur ein Gefühlchen:
Nach Milch und Schlaf steht einzig dein Verlangen.
Nun, kleiner Wulff, paß auf, du Ridikülchen,
Vielleicht kann ich auch deine Gunst erlangen:
    Ich sing dir vor aus Carmen fesch und forsch.
    Er horcht mit offnem Mäulchen wie ein Dorsch:

            L'amour est enfant de Bohême,
            Qui n'a jamais connu de loi.
            Si tu ne m'aimes pas, je t'aime;
            Si je t'aime, prends garde à toi.

Er reißt entsetzt die Äuglein auf und – he:
In meinem Wagen sitz ich ja noch immer
Und fahre durch die Frühlingsnachtallee.
Ich sehne mich nach meinem Suppenzimmer;
Im Frack erschein ich ständig beim Diner,
Stets auch die Meinen im Toilettenschimmer.
    Ein wenig muß man tun für sein Decorum,
    Das sag ich mir vor meinem eignen Forum.

Da endlich: Poggfred leuchtet durch die Zweige.
Johann, fahr zu! Und reck dich mal empor!
Und »elegant« nimmt er die Gartensteige
Und fährt mit »tadelloser Grazie« vor.
Ihr Kinder, Weib, Magd, Knecht, Vieh, Alles zeige
Sich jetzt an meinem lieben Jagdhaustor.
    Hurra, die Tür ist mit Lampions geschmückt,
    Und meine Teckel blaffen wie verrückt.

Am Wagenschlag steht Bertouch, ganz schlohweiß,
Treu meinem Hause bis zum Höllenschlunde.
Und in der Halle, hell im Kerzenkreis,
Erwartet die Baronin mich im Bunde
Mit Wulff. Sie, meines Lebens Himmelspreis,
Soll bei mir sein auch in der letzten Stunde.
    Vadder un sien Familj. Klein Abel lacht:
    Papa, hast du mich auch was mitdebacht?


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