Detlev von Liliencron
Poggfred
Detlev von Liliencron

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Zwölfter Kantus: Fantasio Peregrin.

Motto:

Ich bin arm, du bist reich,
Darum bau ich dir ein Schloß
aus meinen purpurnsten Träumen.

Richard Dehmel.

            In meinem Lohholz lag er, an der Eiche;
Kühl durch die Stille plätscherte das Wehr,
Die Blätterschatten huschten auf der Leiche.

Wer war der Fremde, und wo kam er her?
Der sich, antik, den Dolch ins Herz getrieben.
War ihm der Lebensweg zu lebensschwer?

Wer waren seine Freunde, seine Lieben?
Kein Brief, kein Zeichen seiner letzten Stunde?
Doch! Auf dem Zettel da steht was geschrieben:

»Ich machte auf der Erde meine Runde,
Ich bin durch vieler Herren Land gezogen,
Ich sah nur stets die große Menschheitswunde.

Gleichgültig treiben Wolkenzug und Wogen.
Bringt auch die Schwalbe ab und zu den Frieden,
Nie baute sie an meinem Fensterbogen.«

Ich hätte gern den blutigen Ort gemieden,
Doch bannte mich die Pflicht; ich blieb und bog
Mich nieder zu dem Mann, der hier verschieden.

Um die gebrochnen offnen Augen flog
Und zitterte noch das verglaste Leid,
Der letzte Schmerz, der sie ums Licht betrog.

Still! Seine Seele floh ihr Pilgerkleid;
Ich sah, sie küßte seine weißen Wangen,
Bereit zum Fluge in die Ewigkeit.

Doch eh sie in die Ewigkeit gegangen,
Umschwebte sie den Ort noch, webernd, wehte
Auf einen Zweig, da saß sie wie gefangen.

Mir graute, denn es summte wie Gebete,
Als schwächte jeden Laut ein dichter Flor;
Ich hörte anfangs nicht, um was sie flehte.

Dann klang mirs immer deutlicher zu Ohr.
Es war kein Flehn, es waren ruhige Sätze.
Sie sang: »Leb wohl, mein edler Garde du Corps.

Das Leben gab dir alle seine Schätze:
Kraft, Mannheit, Schönheit, vornehme Geburt,
Des Reichtums goldbeperlte Fischernetze.

Was rittest du nicht fröhlich zum Buhurt?
Genossest nicht den Zufall deiner Rechte?
Was suchtest du nach Grund bei jeder Furt?

Ach! Grübelei zerfraß dein Hirngeflechte;
Beständig gabst du dich Gedanken hin,
Das machte dich vom Ritterherrn zum Knechte.

Die Schärpe, deines Muts Begleiterin,
Den Helm, den Küraß schobst du in die Ecke.
Und wem zu Liebe? Wonach stand dein Sinn?

Wie Don Quijote zogst du, armer Recke,
Ein Narr der Freiheit, über Berg und Tal,
Bis du, dein eigner Sklave, kamst zur Strecke.

Was trieb dich denn nach Spanien, Mann der Qual?
Da schoß Don Amor dir ins Herz den Pfeil,
Du aber warst ein tumber Parsifal.

Leb wohl, du zolltest deinem Fleisch sein Teil;
Die Erde wird dein Irdisches zerstören,
Ich aber schwebe auf zu meinem Heil.«

Die Seele wich; es wollte mich empören,
Wie schamlos sie von ihrem Bruder schied.
Muß selbst der Tod noch Sittenpredigt hören?

Verklungen war das sonderbare Lied,
Da schob sich vor die Sonne feuchtes Grau,
Ein plumper Nebel sank auf Rohr und Ried.

Ich kenn mein nordisch Wetter sehr genau,
Und hab mich dran gewöhnt; doch seit ich denke,
So schnell wie heute fiel noch nie der Tau.

Und immer dunkler wurde das Gesenke,
Bis Finsternis mich manteldicht umschloß.
Da plötzlich färbt ein Bild die Wolkenbänke:

Granada! Auf befranztem Berberroß
Seh ich Aïscha, Abul Hassans Kind,
Der Gotenfürstin Egilone Sproß.

Mit ihren schwarzen Haaren spielt der Wind,
Ein Stahlhelm schützt sie vor den Sonnenstrahlen,
Wie Schnee der Sierra gleißt ihr Brustgebind.

Ihr brauner Hals trägt reich an Milchopalen
Ein schwarzblau Band; die Arme sind geschmückt
Mit Saphirspangen, die den Himmel prahlen.

Die Menge neigt sich, bis zum Knie gebückt;
Ihr Zelter, Andalusiens Edelstute,
Bäumt auf, von seiner stolzen Last entzückt.

Plötzlich: Was giert sie unterm Eisenhute?
Die straffe Hand, weshalb? ergreift den Speer,
Der eben zierlich noch am Bügel ruhte.

Erspäht ihr Funkelblick ein Christenheer?
Ists Don Tellez, der sie zum Kampfe reizt?
Der fremde Don mit Augen wie das Meer.

Ists Liebe, ist es Ruhm, wonach sie geizt?
Ah, Weiberlaunen! Wie die Lippen spielen!
Wie sie sich nun graziös im Sattel spreizt!

Sie lacht! Die märchennächtigen Augen zielen,
Nach wem? Sie lacht, sie wiegt sich, und sie lacht,
Und galoppiert auf bunten Krokusdielen.

Sie galoppiert durch ernste Lorbeernacht,
Durch frohe, frühlingstolle Mandelbäume;
Der Gießbach stürzt durch Goldorangenpracht.

Sie fällt in Schritt, und fällt in Traum und Träume;
Verheißung, wem? Wem gilt ihr Mondesblick,
Nach Tag und Tau und Abendrotgesäume?

Venus geht auf; es knüpft sich ein Geschick.
Lautlos. Es lärmen nur noch die Fontänen.
Träg blinzelt Sphinx hinauf ins Sterngestick . . .

Ich bin nicht mehr im Land der Sarazenen:
Mein Frösteln mahnt, daß ich in Poggfred bin,
Wo sich die dicken, dummen Nebel dehnen.

Die Sonne, eine matte Siegerin,
Dringt mühsam wieder durch die Wolkendeiche;
Ich nehm ihr Licht mit Dank und Ruhe hin.

In meinem Lohholz lag er, an der Eiche;
Wer mag der Fremde sein, wo kam er her?
Die Blätterschatten huschten auf der Leiche.

Kühl durch die Stille plätscherte das Wehr.


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