Detlev von Liliencron
Poggfred
Detlev von Liliencron

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Dreizehnter Kantus: Unsterbliche auf Reisen.

Motto:

– dann wirbelt noch durch unsre tiefste Ruh
als einzige Antwort aus der Ewigkeit
des Daseins grausige Unsicherheit.

Richard Dehmel.

                      Es kam der Herbst, des Sommers Gluten bleichen;
Blatt fällt auf Blatt, vom Spiel im Winde müd,
Und sinkt, Addio! zu den andern Leichen.

Viel tiefer als des Frühlings sanfter Süd,
Als seine Lämmer, Veilchen, Nachtigallen,
Dringt mir der Herbst zu Sinnen und Gemüt.

Die Wälder stehn wie lauter Todeshallen,
Drin Sterbelieder klagen und verklingen:
Zu Ende gehts mit deinem Erdenwallen.

Ah was, mein Herz, sei taub dem trüben Singen!
Der Sommer ging, du bleibst und fliegst aufs neue
Im nächsten Frühjahr mit den Schmetterlingen.

Noch bist du jung, noch fühlst du keine Reue,
Wie sie in düstern Klosterzellen leidet;
Noch trotzt in dir die alte Lebenstreue.

Noch bist du viel vom Plärrertroß beneidet,
Weil Gram und Elend dich nicht niederzwangen,
Dein Tanzfuß dich von ihrem Plumpschuh scheidet.

Halloh, ich will heut keine Grillen fangen.
Bertouch! Den Wagen vor! Ich will zum Deich!
Ans Meer treibt mich ein ungestüm Verlangen.

Mir winkt mein ewig neues Wasserreich.

Schnell ziehn mich meine Orlow-Traber fort,
Es klopft ihr Huf im Gleichklang auf den Klinkern,
Die Mähnen schüttern Beifall meinem Sport.

Ein leiser Zuruf, und in immer flinkern,
Graziösern Sätzen laufen meine Stuten;
Geschirr, Laternen, Lack und Räder blinkern.

Von Koog zu Koog, und endlich sind wir »buten«
Im letzten angekommen, wo der Deich
Wie Festungsbollwerk widersteht den Fluten.

»De Butendiek,« der See-, der Winterdeich,
Der Hort der fetten Marsch, der goldnen Ähre,
Legt zwischen Land und Meer ein Zwischenreich.

Er ragt am Himmelsrand in Luft und Leere,
Wie eine lange Mauer scharf gerissen,
Und doch im Schleier einer Wundermäre.

Und immer näher eil ich den Kulissen
Des seltsamen Theaters Terramare,
Wo Land und Meer zugleich die Flaggen hissen.

Was zeigt sich da? Ich komme nicht ins Klare:
Ein Riesenedelweiß an seiner Lehne?
Nein, Gänse sinds, die liebe Tafelware.

Der erste Regenpfeifer auf der Szene.
Tütvögel fliegen scheu und klagend auf;
Schon riecht das Wasser her. Sieh, wilde Schwäne!

Ich hemme meiner Pferde heißen Lauf,
Der Wagen hält, ich springe aus dem Sitz.
Die Krone winkt. Ich stehe obenauf.

Holl Ebb! Nur ferne, fern ein Wellenblitz;
Holl Ebb, so weit wie meine Augen reichen.
Im Vorland Schafe und der Schäferspitz.

Und Schlick und Schlamm. Die Krabbenfischer streichen
Mit ihren Netzen langsam durch die Prile;
Ihr Schiffchen gibt der See ein mürrisch Zeichen.

Die Möwen necken sich in zänkischem Spiele,
Die Buhnen strecken sich wie Finger vor,
Der Ebbe Sinken ist am letzten Ziele.

Der ewige Weststurm knattert mir ums Ohr;
Musik des Windes! Odins Gruß und Kraft!
Neptun, Tritonen singen mit im Chor.

Die Schwalbe flitzt vom Land her meisterhaft;
Als wollt sie mir die grauen Haare stutzen,
So nah macht sie mit mir Gevatterschaft.

Doch hui, der Wind wird gleich die freche putzen;
Pfeilschnell wirft er sie wieder hintern Deich,
Bis sie von neuem anfängt aufzutrutzen.

»Bischuern« regnets. Sonnenschein zugleich.
Und überm Ozean ein Regenbogen,
Erst voller Farben, bleicher dann und bleich.

Und unter ihm, weit, weit, die grauen Wogen,
Im Gischt, im Kampf die wilden weißen Kämme,
Und alles ist von Glanz und Gold umzogen.

Ein rotes Segel tanzt in dieser Schwemme,
Ein großes weißes Segel tanzt dazu,
Grell fällt ein Streifen aus der Wolkenklemme.

Helldunkel, dunkelhell und ohne Ruh,
So tanzen dort die zwei im feuchten Saal;
Das eine Boot blitzt wie ein Silberschuh.

Aus schwarzen Ballen noch ein schräger Strahl,
Dann feiern Sturm und Regenguß ein Fest,
Die Fische halten ihre Königswahl.

Die Sonne hat ein wenig Hausarrest.
Da endlich sprengt sie wieder den Verschluß:
Genug! Vom Tag gehört jetzt mir der Rest!

Dem Abend schenkt sie ihren Scheidekuß,
Der Wind entschläft, ein Lüftchen kraust die Wogen;
Im Süden spannt sich, nun Ade Verdruß,

Just mitten übern Deich der Regenbogen.

Weit, weit in einer einzigen graden Flucht,
Liegt jetzt vor mir nach Norden und nach Süden
Der Winterdeich; nirgends die kleinste Bucht.

Und wenn mich auch die Engel vor sich lüden
Und mir bewiesen: »sieh, der Deich läuft schief,«
Er streckt sich kerzengrad von Nord nach Süden.

Doch unten, unterm Regenbogen tief,
Ganz fern im Süden: quirlt dort eine Masse?
Lebendig wirds, wo eben alles schlief.

Was krabbelt da? Bald eine schwarze? blasse?
Verschwommne? klare Richtung? Seltsamkeit?
Was nähert sich auf meiner schmalen Gasse?

Nun schrumpft es ein, dann wird es wieder breit.
Sinds Menschen? Tiere? Wie sichs vorwärts schiebt!
Was springt denn vor? Fast wie zum Flug bereit!

Nun quetscht sichs eng zum Ball. Dann wie zersiebt.
Ich werd nicht klug aus dieser Quallengruppe.
Wie alles wieder auseinander stiebt!

Da springt ein Panther aus der Nebelsuppe.
Was? Endlich wird es meinen Sinnen klar:
Natürlich eine Tier- und Tänzertruppe.

Zwei Männer. Ihnen folgt ein Löwe gar
Und, hungerdürr wie durch die Winteröde,
Ein Wolf noch. Oder Wölfin? Sonderbar,

Mein alter Jägerblick verläßt mich schnöde.
Wer sind die Männer bloß? Der eine hinkt,
Der andre geht hochauf. Mein Blick wird blöde:

Das ist . . . Ja . . . nein . . . ob mir das Tollhaus winkt?
Was? Hier im Dunst auf meinem Winterdeich,
Wo silbern, fern im Watt der Seehund blinkt,

Wie? hier in meinem ewigen Regenreich,
Wo nie ein Ölbaum in der Sonne brannte,
Wo feucht die Birken tropfen, nebelweich,

Im Lande der Barbaren find ich – Dante?
Und neben ihm? Das ist doch nicht Virgil,
Der da herhumpelt an der Wasserkante?

Die Feder sträubt sich meinem Gänsekiel.
Ich sehe Byron! Arme Oberlehrer,
Euch schaudert wohl bei diesem Gaukelspiel,

Des klaren zierlichen Virgils Verehrer.
Ich bin nun einmal nicht in ihn verrannt,
Er ist mir spaßig wie ein Pudelscherer.

Oh, jetzt erkenn ich all den bunten Tand:
»Das muntre Pardeltier,« des Löwen »Wut«,
Der magern Wölfin gierigen Wünschebrand.

Und vor mir steht der Zug: daß all mein Blut
Zum Herzen stößt in wirbelnder Erregung,
Und ganz entstürzen will mir Mark und Mut.

Und mir entstürzt auch jede Überlegung.
Nur, wie sichs ziemt vor so erlauchten Geistern,
Verneig ich mich mit ruhiger Bewegung.

Und warte, bis mich einer von den Meistern
Anredet; und inzwischen steh ich starr,
Kann aber meine Neugier kaum bemeistern.

Ich fühle mich ein wenig hier als Narr,
Und warte weiter, wer das Wort beginnt,
Und komm mir vor, als wär ich ein Scholar.

Und Dante fragt mich finster: »Menschenkind,
Wer bist du?« Ich: »Du hast noch nie gelogen,
So geb ich Antwort dir aus Dir geschwind:

Und wer durchs Leben ruhmlos hingezogen,
Der läßt nur so viel Spur in dieser Welt,
Wie in den Lüften Rauch, Schaum in den Wogen.«

Und Dante lächelt: »Wenns sich so verhält,
Da will ich deinen Weg nicht weiter stören;
Langweilig ist mir solch ein fader Held.«

»Halt, bitt ich, laß mich eins noch von dir hören:
Du warst mit deinem Urteil oft zu strenge,
Das muß mich immer wieder sehr empören.«

Und Dante sprach: »Als ich noch durch die Enge
Der vollen Lebensgassen friedlos schritt,
Fiel mir am meisten auf im Volksgedränge:

Neid, Haß und Geiz, der Streber, der Bandit,
Bestechlichkeit, die Lüge und das Laster;
Ich sah, daß Gold allein den Sieg erstritt.

Jetzt, durch den Himmelsfensteralabaster
Seh ich den Menschen tiefer auf den Grund
Und denke milder, wie ein müder Raster.«

Hehr, hoheitsvoll, mit weich verschlossenem Mund,
So stand vor mir der edle Ghibelline,
Verherrlicht von des Lorbeers schmalem Rund.

Und vorwärts will der Großherr der Terzine
Mit seinem Anhang weiter sich bewegen,
Ein Kaiser ohne Pomp und Paladine.

Doch flehend streck ich meine Hand entgegen:
»Bleibt noch ein wenig! Eine Frage nur
Möcht ich dem großen Lord zu Füßen legen:

Wo blieb dein Herz, wo find ich seine Spur?
Beim letzten Kampf vor Missolunghis Toren,
Beim letzten Ausfall auf der Schwerterflur,

Da fiels in Türkenhand und ging verloren.
Wo liegt die Kapsel, wo ist ihr Versteck?
Verrätst dus mir, Balsam wärs meinen Ohren.«

»Mein Herz glitt aus der Kapsel auf dem Fleck,
Wos dem Hellenenhäuflein ward entrungen,
Und Berberhengste stampftens in den Dreck.

Ein schielender Tartar kam angesprungen,
Und hob das Kästchen, das von Silber ist,
Und hat es freudebrüllend hochgeschwungen.

Dem fing es weg ein Kerl aus Carpovist;
Und diesem, ohne Namen wars und Zeichen,
Entriß es rasend ein Serail-Gardist.

Nach einer Stunde waren sie schon Leichen.
Dann sah die Nacht, in greller Mondeshelle,
Mit Dolch und Dulbend einen Neger schleichen.

Dem waren all die Toten eine Quelle,
Die Ringe sprudelt, Geld und andern Klang,
Und auch die Kapsel wechselt ihre Stelle.

Statt daß ihn schmückt am nächsten Tag der Strang,
Verkauft der Mohr dem Pascha seine Beute,
Der schleunigst seiner Fatme schickt den Fang.

Die sich in Suez bald des Schmuckstücks freute;
Dort war vernarrt sie in Count Whiskydeep,
Und ists vielleicht, ich weiß es nicht, noch heute.

Und schenkte diesem braven Herzenslieb
Manch Andenken, auch jenen kleinen Schrein,
Der nun dem edeln Whiskydeep verblieb.

Doch ach, wer wirds dem Guten nicht verzeihn:
Er trugs, als einst ihm fehlten neunzehn Pfund
Zu einem Wuchrer gegen Zins und Schein.

Es einzulösen sah er keinen Grund.
So hats nun Ibrahim in seinen Klauen
Und hält geduldig Haus mit seinem Pfund,

Bis ein Gelehrter kommt und will beschauen,
Was wohl im Laden Seltnes ist am Platz.
Dem nähert sich der Jud mit Gottvertrauen:

Seht, Herr, in Herzform hier, ein hoher Schatz:
Darin lag König Chufus menschlich Herz,
Bei seiner Mumie lags im Bänderlatz.

Und der Gelehrte bebt vor Scham und Schmerz,
Und kaufts, his name is Mister Rapplepool,
Und führt es nach Old-England heimatwärts.

Er ordnets ein, und steigt auf einen Stuhl
Und stellt es hoch ins Schränkchen Nummer Sieben,
Zum Stiefelknecht des Prinzen Wailawul.

Da ist das Kästchen nun bis heut geblieben,
Und ruht im Dunkeln, Darktown heißt das Städtchen,
Und »König Chufus Herz« steht drauf geschrieben.

Drollig: In Darktown hatt ich einst ein Mädchen.
Oft ritt ich nachts zu ihr durch Korn und Ginster,
Und küßte gern und küßte viel mein Kätchen.

Darktown bei London City und Westminster.
Wie hat mein England mir das einst verdacht,
Und schneidet mich noch heute, keusch und finster.«

So sprach Mylord, und hat dabei gelacht.
Und vor mir stand er leuchtend wie noch nie
Und schön wie Satan in der Sündennacht.

Und eine Tuba herrschte: Das Genie!
Und Lorbeerblätter schneiten um sein Haupt.
Da hör ich eine sanfte Melodie:

Bei König David hätt ich mich geglaubt,
So klingen zärtlich Flöten her und Harfen:
Beim alten David, als sein Stamm entlaubt.

Ein Schrecken schlug mich: Bin ich unter Larven?
Und dennoch Klänge einer andern Welt,
Die seligen Brand in meine Seele warfen.

Denn hier: auf meinem kahlen Heimatfeld
Steht Beatrice aus der »Himmelsrose«
Und hat den ganzen Abend weit erhellt.

»Nicht Reif noch Schnee« kann der Apotheose
Enthüllten Glanz an Reinheit überstrahlen,
Wie mir erschien die lieblichste Mimose.

Die Feder sinkt, es ist nicht auszumalen;
»Errang ein Künstler je sein letztes Ziel?«
So bitt ich euch, erlaßt mir diese Qualen!

Denn einen Pinsel braucht ich, einen Stil,
Der einem höhern Stern entrissen wäre,
Wollt ich euch schildern dieses Märchenspiel.

Nur daß ich eines stümperhaft erkläre,
Und ich versuchs mit innerlichem Beben,
So schwankt im Wind die hochgeschossene Ähre:

Die Schleierschwingen Beatricens leben,
Vom letzten Flug noch angestrengt, und zittern,
Wie überm Gartenteich Libellen schweben.

Und wie Libellenflügel silbern flittern,
Wenn Rast sie halten auf der Wasserrose
Und ihre Schatten kraus im See zerknittern.

Und Dante lehnte sanft die makellose,
Die junge, fromme Magd an seine Brust,
Die zu ihm trat aus Gottes ewigem Schoße.

War sie dereinst auch meine Jugendlust?
Dies süße Antlitz hab ich ja gekannt,
In jenem Drange, der uns kaum bewußt,

Der spät zurück uns bringt ins Kinderland
Und uns auf unserm schweren Lebenswege
Erinnrungshold in frühste Kreise bannt,

Und den wir hätscheln wie die Blumenpflege,
Die uns erfreut im rauhen Tagesreigen,
Oasenquell im Wüstensandgefege.

Der ersten Liebe scheues, blödes Schweigen,
Der ersten Liebe knospenhafte Blüte,
Wie sie unschuldig lacht aus Lilienzweigen.

Bis die Natur sie rücksichtslos versprühte;
Dann ists vorbei, das Rätsel ist gelöst,
Kein Engel wacht mehr, daß er sie behüte.

Doch was uns aus dem Paradiese stößt,
Wir wissens nicht; nur grausam wird uns klar,
Daß wir entheiligt wandern und entblößt.

Der Sphärenglanz erlosch. Das Dichterpaar
Bereitet sich zum Weitergehen vor,
Umringt wie früher von der Bestienschar.

Noch stand der Abend vor dem schwarzen Tor,
Den letzten Dämmer grenzten graue Ringe,
Und aus den Wassern zogs empor und gor.

Die Flut schwoll langsam. Eine Möwenschwinge,
Kaum noch erkennbar, zögert durch die Luft
Und rüttelt wild, als säß sie in der Schlinge.

Der Zug verliert sich schon im dichten Duft.
Noch seh ich Danten im Gespräch mit Byron,
Dann nimmt sie wieder auf die Geistergruft,

Wo sie sich ernst und würdevoll verschleiern;
Doch glüht lebendig ihre Ruhmespracht,
Und Kränze schmücken dankbar ihre Leiern.

Genug! Der trübe Tag hat ausgewacht;
Sanft decken Rabenflügel Näh und Ferne
Und sargen mich in unbegrenzte Nacht.

Hoch oben aber funkeln frech die Sterne.


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