Detlev von Liliencron
Poggfred
Detlev von Liliencron

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Elfter Kantus: Die Leuchter.

Motto:

Alles Leid ist Einsamkeit,
alles Glück Gemeinsamkeit.

Richard Dehmel.

              In meinem Grabe hab ich heut gelegen
Den ganzen Tag. Stumm horchte die Natur,
Tief lag der Schnee ringsum auf allen Wegen.

Wenn nur ein Fuchs, wenn eine Krähe nur
Gekommen wäre durch den stillen Garten;
Er schwieg wie eine abgelaufne Uhr.

Kein Wind, kein Hauch. Und alles wie ein Warten,
Das nicht mehr Warten ist; es ist der Tod,
Um dessen Sense sich die Geister scharten,

Die unsichtbar, wie auf ein Machtgebot,
Geduldig, festgeschlossenen Auges schliefen,
Als hofften niemals sie ein Morgenrot.

Wenn meine Teckel nur im Traume liefen,
Als wären sie dem Rehbock hinterher
Und scheuchten ihn in dunkle Waldestiefen.

Der Himmel, überzogen kreuz und quer
Mit einem einzigen grauen Wolkenschleier,
Steht regungslos wie ein erstarrtes Meer.

Nun tritt die Dämmrung in die Trauerfeier;
Allmählich, nordisch, sinkt die schwere Nacht
Und frißt sich in die Erde wie ein Geier.

»Licht, Bertouch, Licht! Das Feuer angemacht!«
Ich klingle heftig. Und da hat er schon
Die schweren Schreibtischleuchter mir gebracht.

Licht stürzt sich wie von Gottes heiligem Thron
Durch meine Zimmer. Sonne, Mond und Sterne
Erheben sich für mich aus ihrer Fron.

Lebendig wirds in mir. In weite Ferne
Rückt mich wie über Zeit und Raum ein Sprung.
Es ist, als ob ich wieder fühlen lerne:

Die Leuchter brachten mir Erinnerung:

Wie lang ists her? Ah, Kirmes und Gedudel!
Ich war so knabenfrisch. Mein Herz, ein Quell,
Trug über Gold und Kiesel seine Strudel.

Spornstreichs mit Tralala und überschnell,
Das Leben wie ein junges Kalb genossen;
Wie Wind und Walzer war mein Naturell.

Den Liebesgöttern dient ich unverdrossen,
Vor schönen Frauen lag ich auf den Knien,
In jedes Mädel war ich gleich verschossen.

Glücklich und glücklos, wies der Tag verliehn:
Von Rosenketten allzugern umwunden,
Hab oft ich nachts aus Dornen aufgeschrien.

Der unglücklichen Liebe kahle Stunden,
Der Liebe auf den Strand geworfnes Wrack,
Ich habs, wie jeder Mensch, im Sand gefunden.

Was klingt mir da im Ohr? Ein Schabernack?
Mein Leuchter scheint die Arme auszubreiten.
Ein Orgelspiel? Äfft mich das Geisterpack?

Wo bin ich? Ach, in welchen Seligkeiten!
Ein unvergleichlich schöner Sommertag
Läßt seine Himmelswellen niedergleiten.

Des Luftzugs engelstiller Flügelschlag
Haucht über Gras und Beete seine Kühle
Und weckt viel tausend Rosen auf im Hag.

Und überall durchklingts im Stadtgewühle
Wie Lerchenjubel jede Menschenbrust,
Und selbst den Grämling stacheln Frohgefühle.

Zu klarem Denken wird Gedankenwust,
Die Seele führt den Geist zu Firnenplanen,
Das Herz entsetzt sich schier vor Liebeslust.

Vom blauen Äther hängen Seidenfahnen
Aufs grüne Blätterdach; im Teiche schnellt
Sich überwohl der Fisch aus seinen Bahnen.

So freut und weidet sich die ganze Welt.
Nur ich allein durchreite dies Entzücken
Mit tiefgesenkter Stirn, ich armer Held.

Ein schlechter Ritter, der auf Pferdesrücken
Sich Träumen hingibt und den Zügel schlafft
Und läßt den Gaul am Wegrand Gräser pflücken.

Ich steige ab. Und aus der Halfterhaft
Mag nun mein Tier sich selbst die Stalltür finden,
Ich geh zu Fuß auf meiner Pilgerschaft.

Die Sonne senkt den Lauf, die Stunden schwinden;
Versunken bleib ich immer wieder stehn
Und kann und kann die Qual nicht überwinden.

Verschmähter Liebe Qual. Unwürdig flehn
Mag ich nicht mehr. Mein Gott, wie halt ichs aus,
Daß du mich in die Wildnis ließest gehn.

Wo irr ich hin? Wie weit? Wo liegt mein Haus?
Ich such es, meid es, kann es nicht erreichen.
Bald macht die Nacht dem Tage den Garaus.

Wo bin ich nur? Die Wassertümpel bleichen,
Die ersten Sterne funkeln drohend auf.
Sind meine Leuchter da, die Gnadenzeichen?

Wer grinst mich an? Wer rennt um mich zu Hauf?
Hat mich des Wahnsinns Peitsche schon geschlagen?
Gestoßen wie von Furien ist mein Lauf.

Was blinkt das Lämpchen dort? Hör ich ein Klagen?
Aus dumpfen Mauern? Ach, es schweigt, es schweigt;
Ein Vogel hat den Ton wohl hergetragen.

Nun wieder ists, als wenn dort einer geigt,
Ein melancholisch Lied. Es ist verklungen;
Noch fern einmal, als wenns hinuntersteigt.

Mich friert; die ganze Welt ist frostdurchdrungen.
Taun nirgends denn die Veilchen vor mir auf?
Zum Kranze um dein schönes Haupt geschlungen?

Und ein Kapellentürchen tut sich auf.
Hinein! Zur mater dolorosa eil ich;
Wie tröstlich blinkt der Himmelskrone Knauf!

Und meine schweren Kümmernisse heil ich
Im Angesicht von Unsrer Lieben Frauen;
Auf Knien, in tiefer Andacht, Inbrunst weil ich.

Es gilt, das Allerheiligste zu schauen.
Der Kirchendämmer hemmt mir fast den Schritt,
Des Fliesenganges Echo macht mir Grauen.

Weit hinten steht, am Marmorrisalit,
Steht ein Altar mit welken Blumenkränzen,
Um den ein spärlich Lampenlabsal glitt.

Zwei große Leuchter, die wie Sterne glänzen,
Mit dicken Kerzen drin, die angezündet,
Rändern den schwarzen Tisch mit blassen Grenzen.

Und hinter diesen hellen Leuchtern kündet
Der Mutter Gottes und des Kindleins Bild
Das Wunder, das kein Sterblicher ergründet,

Das jeder Wunde schlimme Blutung stillt
Und sie beschützt mit einer sanften Decke,
Bis keine Quelle mehr des Schmerzes quillt.

Ich trete vor aus meinem Beichtverstecke,
Entwaffnet, wie sichs ziemt vor meinem Gott.
Da! Schlug ein Blitz ein, daß ich so erschrecke?

Was seh ich? Treiben meine Sinne Spott?
Ich wanke, wie geschubbst von einem Riesen,
Wie willenlos geschoben aufs Schafott.

Wer liegt da vor den Leuchtern auf den Fliesen?
Sie ists, die mir mein Herz in Stücke schlug,
Die mir den Weg der Einsamkeit gewiesen.

Ein Veilchenkranz schmückt, wie zum Frühlingszug,
Ihr schwarzes Haar, das um die bleichen Wangen
Verschleiernd bebt wie dunkler Schattenflug.

Die braunen Augen, tief voll Sehnsucht, fangen
Das süße Licht; fast sind sie ganz verdeckt,
Die weichen Wimpern zittern vor Verlangen.

Madonna hinterm Kerzenschein versteckt,
Erschimmert wie aus Paradiesesfluren,
Von keiner Erdensinnlichkeit befleckt.

Madonna vor den Leuchtern büßt die Spuren
Des schwachen Fleisches und der starken Triebe,
Wie sie gemein sind allen Kreaturen.

Doch beide bindet und vereint die Liebe.


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