Detlev von Liliencron
Poggfred
Detlev von Liliencron

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Achtzehnter Kantus: Der sonderbare Herr vom Mars.

Motto:

Seltsam, was hat der Mensch für Glieder!

Richard Dehmel.

                  Ein warmer, wundervoller Tag der Ruth.
Ich streife, schußgehalten mein Gewehr,
Im Drillichkittel, mit dem Jägerhut,
Durch Stoppeln und an Knicken hin und her,
Durch Kohl, Kartoffeln, wies der Jäger tut,
Wenn er im Herbst den Hühnern macht Beschwer.
    Die Hitze wächst, die Beute wuchs zu Hauf,
    Ich suche wieder plane Wege auf.

Und mich begleitet bald ein Frauenzimmer,
Ein Weib in togaähnlichem Gewand,
Stumm, ernst; wie sticht sie ab vom Sonnenschimmer!
Und ich geriet nicht außer Rand und Band,
Erschrak auch nicht, ihr Trugbild stört mich nimmer,
Bis ich den Blick von ihr doch mißlich fand.
    Wer bist du, fragt ich, bist du die Meduse,
    Willst mich versteinern? »Ich bin deine Muse.«

Und langsam sprach sie weiter: »Höre mich,
Was schiltst du unaufhörlich meine Güte
Und machst mich lächerlich? Besinne dich,
Was soll dein Spott! Ich brach dir manche Blüte
Vom grünen Baum, und gab dir schwesterlich,
Und sah, wie deine Stirn begeistert glühte.
    Und du, du schmähst mich eine alte Vettel,
    Verlachst, wie du es nennst, den dummen Bettel.«

Und sie verschwand, verworren blieb ich halten,
Gern hätt ich um Verzeihung sie gebeten,
Doch wars zu spät, und meine Bitten schallten
In leere Luft; und hätt ich auch Trompeten
Ihr nachgeschickt, Gekrach aus Wolkenspalten,
Sie wäre nicht zu mir zurückgetreten.
    Und sinnend ging ich fürder meinen Pfad:
    Bleib, Muse du, mein guter Kamerad!

Zwar Dichter sein in Deutschland: ist die Zeit
Nicht längst vorbei, wer hört und liest Gesänge?
Wer ist zu stiller Einkehr noch bereit
In unsrer Tage wüstem Marktgedränge?
Und doch, wer sehnt sich nicht hinaus, weit, weit
In eines sanften Tales schattige Gänge,
    Einmal der Weltenwirrnis zu entlaufen
    Und sich im Dichtergarten zu verschnaufen.

Mir fällt aus Byron eben ein: »Denn wißt,
Den goldnen Fittich zarter Poesie
Zerzaust der Erde Sturm und Zank und Zwist.
Ein Paradiesesvogel, schmachtet sie,
Heimwärts zu fliehn; sie findet schnell und trist,
Ihr Flügel stimmt zum Erdennebel nie.«
    So singt in Dantes Weissagung Mylord.
    Und noch von ihm ein andres hohes Wort:

»Poeten gibts, die ihre Poesie
Niemals geschrieben, und vielleicht die besten;
Sie fühlten, liebten, und dann starben sie,
Sie liehn der Welt ihr Feuer nicht, sie preßten
Den Gott zurück, von dem die Seele schrie,
Und kehrten lorbeerlos zu sternigen Vesten.«
    Das sang der Britte, von Apoll gefangen,
    Und mir ist die Zigarre ausgegangen.

Nun brennt sie wieder. Und ich schreite zu
Und freue mich des letzten Sommertages,
Der Felder, die, in Wochenbettesruh,
Der Frucht befreit, befreit des Sichelschlages,
Die Scheunen füllten; und in Schrank und Truh
Liegt blinkerblank der Segen des Ertrages.
    Der Bauer fährt ins Städtchen und kauft ein,
    Der Taler wandert und der Kassenschein.

Die Stare fliegen schon in ganzen Scharen
Und fallen in die hohen Pappelbäume,
Wies immer war seit undenklichen Jahren,
Eh sie nach Süden in das Land der Träume
Sich wegbegeben. Und bei seinen Laren
Schlurft sehnsuchtsvoll der Mensch durch seine Räume.
    An jener Esche mit den roten Beeren,
    Wer steht da? Will er Zehrkosten begehren?

Zurück, Diana, her zu mir! Sie wittert,
Sie sträubt ihr Nackenhaar; was hast du, Alte?
Was ist dir denn geheuer nicht? Sie zittert,
Als wenn der Vogel Rock sie fest umkrallte.
Nun wieder gibt sie wütend Hals. Erbittert
Die Furcht sie? Her zu mir! Warte doch, halte!
    Willst du wohl her, zum Donnerwetter auch,
    Seit wann wird Ungehorsam bei dir Brauch?

Wie sonderbar! Wie sieht der Wicht denn aus?
Der hat ja Flügel, hat sie festgenommen.
Nun, Lieber, sprich, wo bist denn du zu Haus,
Aus welchem Fabelland bist du gekommen?
Wer schickte dich, verlangst du Streit und Strauß,
Gehörst du zu den Engeln, zu den Frommen?
    Er glotzt mich an; genug nun des Gestarrs!
    Ich bin Bewohner, hub er an, des Mars.

Nicht heute kam ich an, und auch nicht lange
Bin ich auf Erden, etwa hundert Wochen.
Doch wird mir hier noch immer angst und bange,
Und meine Schläfen, meine Adern pochen,
Und mir ist schwül auf diesem seltnen Gange;
Ich magre ab, denn keiner kann mir kochen.
    Mich sandte her, was mußt du mich erinnern,
    Mich sandte der Minister her des Innern.

Wie? Was? fragt ich; habt ihr Minister oben?
Doch möcht ich erst noch wissen: die Kanäle,
Die wir dort sehen, sind sie ausgehoben
Von Menschen? wollt ich sagen, welche Seele,
Nein, wollt ich sagen, sind Geschöpfe droben,
Die sie auswerfen? oder ists Geschäle
    Natürlicher Gewalt, durch Windeswut,
    Durch Feuerschrecken oder Ebb und Flut?

Und er: Den Ländern fehlt Bewässerung,
Wir leiden Wassermangel, und so haben,
Das ist Kommando bei uns, Alt und Jung,
Das ganze Volk, bald hier bald dort zu graben,
Je nach der zeitigen Erledigung.
Doch merkst du nicht? ich will bloß Rübchen schaben
    Mit einem Wort: wollt ich dir das beschreiben,
    Wo würde deine arme Denkkraft bleiben.

Nur das: wir graben nicht. Das sind Maschinen
So wunderbarer Einrichtung, daß du
Sofort den Taumel hättest, wenn von ihnen
Ich dir berichtete. Laß mich in Ruh,
Ich kann dir mit Erklärungen nicht dienen;
Du wähntest doch, es sei Theatercoup.
    Im übrigen, im allgemeinen, ach,
    Ists wie bei euch: viel Schmerz und Ungemach

Wir keilen uns, daß uns der Rücken singt,
Wir haben Staatsanwälte, Schuster, Schreiner,
Hanswürste, aber alles ist beschwingt,
Geheimrat, Plumpudding und Gravensteiner,
Auch Dichter, die uns aber unbedingt
Mehr sind als euch, denn ihr schätzt Penny-a-liner
    Entschieden höher; ein Reporterheros
    Ist ja bei euch berühmter als Homeros.

Und eure Gräber? Eine Pulvertonne
Sprengt lustig unsre Toten, simplement.
Nur eine Göttin haben wir, die Sonne,
Die bitten wir bei Auf- und Niedergang:
Gib, Mutter, uns, so viel du kannst, an Wonne,
So viel dir möglich, unser Lebenlang!
    Und anders auch in unserem Getriebe
    Behandeln wir das Futter und die Liebe.

Die Liebe, nein, wie lächerlich ihr seid,
Wie spröde! Ihr betrachtets ja wie Schande
Bei euch im Deutschen Reich, das heißt, verzeiht,
Wohl auch in jedem andern »feinen« Lande;
Die afrikanische Sphinx lag mir zu weit,
Ich hatte keine Zeit nach ihrem Strande.
    Die Liebe auf dem Mars ist nur Natur,
    Uns fehlen Tugendheld und Troubadour.

Doch ich verplaudre mich, ich wollte eben
Zum Fluge, als du kamest, mich bereiten,
In meine schöne Heimat mich begeben,
Wo sich viel Arme mir entgegenbreiten,
Wo, magst dus glauben oder nicht, das Leben
Vernünftiger ist als eure Nichtigkeiten;
    Und mehr des Friedens auch, trotz alledem,
    Verwirklicht sich in unserem System.

Du möchtest gar zu gerne einen Blick
In meine Wunderlandschaft tun, nicht wahr?
So beuge nur ein wenig dein Genick.
Sieh meinem Aufstieg nach, dann wirst du klar
Dort meine Ankunft schauen; nur erschrick
Nicht allzusehr. Leb wohl, Herr Erdbarbar.
    Und wieder dann als kleiner roter Fleck
    Verschrumpft sich dir der Mars zu Himmelsdreck.

Zu Himmelsdreck, pfui, scheußlich! Und es bauschen
Sich seine Flügel, und mit mächtigen Schlägen
Durchfurcht mein Freund die Luft, ich hör ihn rauschen.
Empor, durch milde Abendröte, schrägen
Sich seine Schwingen, Rosenwölkchen lauschen
Auf seine Fahrt; aus Herrlichkeitsgehägen
    Taucht nun die Nacht, er segelt ruhig weiter,
    Und Flimmergold umglänzt ihn als Begleiter.

Zornfunkelnd blitzt der Mars; da, nicht zu sagen,
Erweitert sich der Stern, die Sonne gießt
Mit einem Mal ihr Licht aus, läßt es tagen,
Und wie sie so die fremde Welt erschließt,
Seh nackt ich einen schroffen Felsen ragen,
Der meilenhoch aus schwarzen Schlünden schießt
    Und dessen Fläche oben breit sich plattet,
    Von keinem Baum, von keinem Dach beschattet.

Inmitten steht ein kleiner Opferherd,
Von Quadern aufgesetzt. Sein weißer Rauch
Strebt kerzengrad ins Blau; und schützend wehrt
Als Polizei, das scheint hier Volksgebrauch,
Ein Ungetüm den Zutritt, scharf bespeert
Mit Stacheln rings um Rücken, Bein und Bauch.
    Nun reckts den langen Echsenhals empor,
    Der sich noch höher als der Qualm verlor.

Das Ungeheuer tutet. Wie das klingt!
So bläst ein Ichthyosaur ins Horn hinein?
Von überall her flattert, flügelt, springt
Ein Heer mit farbigen Fittichen, groß und klein,
Das munter durcheinander schmetterlingt.
Und von Geschöpfen schwirrt der Riesenstein,
    Die emsiglich sich hier zusammenscharten,
    Um meinen Gönner eifrig zu erwarten.

Und richtig, wieder kommt er mir in Sicht;
Schon stemmt er, wie die Vögel tun, die Füße,
Wenn sie sich niederlassen, vor. Da bricht
Der Jubel los, bis die Willkommengrüße
Vertönen in ein mächtiges Gedicht,
In eine Hymne, eine friedenssüße.
    Dann drängt sich das geehrte Publikum
    Begierig um den Reisenden herum.

Und er erzählt. So ists, wenn Anekdoten
Im Kreise einer vorträgt; alle hören
Andächtig zu, bis beim gelösten Knoten
Der Beifall klatschend tobt in Dankeschören,
Daß Brust und Zwerchfell zu zerspringen drohten,
Doch ließ sich dadurch nicht der Sprecher stören.
    Was gibt zum besten denn der Erdverächter?
    Endlos erschallt ein rasendes Gelächter.

Wie bei der Diebslaterne, deren Blende
Sich plötzlich vorschiebt, ists auf einmal dunkel;
Und wieder leuchtet nach der raschen Wende
Das Pünktchen feuerrot im Sterngefunkel.
Vorbei ist mein Geschichtchen und zu Ende,
Im Blattwerk über mir raunt ein Gemunkel:
    Geh mit Dianen ruhig jetzt nach Haus
    Und schlafe tüchtig deine Märchen aus!

Den Herd erstrebe ich mit müden Schritten,
Und das Geheimnis all der tausend Welten
Legt mir die finstern Fragen vor und Bitten,
An wen? Wer wird die Leiden einst vergelten,
Die täglich, unaufhörlich wir erlitten,
Die uns um manche schöne Hoffnung prellten.
    Kennst du der Stoiker klaglose Klage?
    Sie lächelt fremd: Ertrage und entsage.

Ertragen und entsagen! Ohn Begehr!
Es wird die Jugend niemals daran glauben.
Ein blonder König, äugst du, hart am Speer,
Von hohem Riff. Und deine wilden Tauben
Schickst du im Sturm aufs offne, weite Meer:
Bringt mir das Glück in meine Frühlingslauben!
    Ich koppel mir den Löwen an die Brust!
    Mein, mein die Kraft, die Liebe und die Lust!

Der Kampf beginnt. Der Ringplatz zeigt sich schon.
Ich will das Glück; was schwindets immer wieder.
Der Mensch, ein jeder, kämpft um seinen Thron.
Der stolze Adler schüttelt sein Gefieder.
Die Fänge wehren sich. Zum letzten Lohn
Schleudert das Schicksal in den Sand dich nieder.
    Ganz klein geworden, wirst du zitternd flehn:
    Laßt mich allein, ich hab genug gesehn.

Ertragen und entsagen. Nun, was meinst du?
Ists, was wir wünschen können, nicht das Beste?
Um all dein töricht Unternehmen weinst du?
Aus jeder Hoffnung wurden Gräberfeste.
Noch stemmst du standhaft dich, wehrst ab, verneinst du?
Sieh endlich deine kargen, welken Reste.
    Ertragen und entsagen. Dann der Tod.
    Ein Glöckchen bimmelt: Aus ist alle Not.

Aus ists! Grandios und grausam war die Schlacht!
Mensch biß sich mit den Menschen, bestiengleich.
Der blaue Blitz? Die goldne Sternenpracht?
Zwei Farben gab es nur: purpurn und bleich.
Wer hat aus Wolken gnädig dich bewacht,
Wenn du, blutüberströmt, verlorst dein Reich?
    Du grenzenloser Narr, was half dein Klagen?
    Du konntest nicht ertragen und entsagen.

Schon gut. Nur positiver Glaube rettet.
Doch ruhig wandle, wer nicht glauben kann,
Den Distelweg, ob auch von Neid umklettet,
Mit edelstem Gemüt, ein ganzer Mann,
Der Pflicht gehorchend, die allein ihn kettet,
Frei, stolz und stark, kein Weichling, kein Tyrann,
    Und tue Gutes, sei der Menschheit Stütze,
    Und meide vornehm Sündenpfuhl und Pfütze.

Ei, wie mir scheint, ich werde höchst moralisch.
Schenkt nicht die Erde so viel Seligkeiten,
Schrieb ich nicht eben etwas theatralisch?
Das macht sich so, wenn sich gewisse Zeiten
Einfinden; werden wir nicht klerikalisch,
Wenn wir auf Mittagshöh? Was, Albernheiten!
    Um Gotteswillen: Ich der heilige Anton?
    Nein, lieber Kesselflicker doch in Kanton!

So sei es denn. Ich esse noch und trinke,
Ich bin voll Fröhlichkeit, bin voll Humor.
Und eh in Mystik ich und Deutung sinke,
Komm ich euch, Freunde, Skaal! das Kelchglas vor.
Da fällt mir ein, ich hasse jede Schminke,
Mir klingt ein altes Lagerlied im Ohr:
    Wie ziehen die Soldaten in den Himmel?
    Täusch ich mich nicht, auf einem weißen Schimmel.

Wie kommen die Soldaten in den Himmel?
Auf einem weißen Schimmel
Reiten die Soldaten in den Himmel.
Kapitän, Leutnant,
Fähnrich, Sergeant,
Nimm das Mädel, nimm das Mädel,
Nimm das Mädel bei der Hand,
Soldate, Kamerade!

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