Detlev von Liliencron
Poggfred
Detlev von Liliencron

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Vierzehnter Kantus: Mein Paradies.

Motto:

Erst wenn der Geist von jedem Zweck genesen
und nichts mehr wissen will als seine Triebe,
dann offenbart sich ihm das weise Wesen
verliebter Torheit: die große Liebe.

Richard Dehmel.

            Nur ein paar Blätter aus dem Lebenstanze,
Aus meinem Lebenssturme fing ich ein;
Nur ein paar Blüten aus dem Schicksalskranze,
Aus meinem Kranze, legt ich Reih zu Reihn,
Schob zu Terzine sie zurecht und Stanze,
Vielleicht nur einiger Jahre Lust und Pein.
    Erinnrung, Traum und Phantasie, drei Schemen,
    Beglänzten sie mit ihren Diademen.

Zwar: was ist Schicksal? Jedes Erdenleben.
Und wenns so nichtig ist und inhaltlos,
Wie meines war, wozu erst Verse weben?
Ich finde das wahrhaftig selbst kurios.
Der Eintagsfliege Auf- und Niederschweben,
Das nennt der Mensch »Schicksal« und tut sich groß.
    Doch alle Deutschen, wie bekannt, sind Dichter;
    Darum erlaubt auch mir den alten Trichter.

So schrieb ich denn getrost drauf los, hurra,
Was mir der Tag, was mir die Stunde schenkte;
Bald sang mein Herz falleri fallerallerallera,
Bald, wenn die Seele sich auf Halbmast senkte,
Trug ich der Trauer schwarze Tunika,
Bis wieder mein Humor die Mütze schwenkte.
    Auf a-a-a reimt sich auch Altona,
    Der Sinn für Kunst ist nicht weither allda.

Wozu auch Kunst? Wem gibt die Kunst Genuß?
Wer hat für große Kunst den großen Sinn?
Das »Volk«? Vom König bis zum Rustikus
Schätzt sie fast jeder ein nur auf Gewinn,
Gewinn an nützlichem Gedankenfluß.
Nur wenigen ist sie die Priesterin.
    Die Kunst dem Volke! schreit der Agitator.
    Die Kunst den Künstlern! quakt der Deklamator.

Der eine ruft: Heil allen Idealisten!
Der zweite ruft: Weg mit den Ideologen!
Der eine ruft: Ich mag die Realisten!
Der zweite ruft: Bleibt mir damit gewogen!
Meint ihr, den Wolkenkampf um eure »Isten«
Umzöge je ein gnädiger Regenbogen?
    Die Erde ist kein Rosenduftgerank,
    Die Erde ist ein einziger Gestank.

Das alte Streiten! Und es wird erst enden,
Wenn einst der letzte Mensch auf Erden stirbt.
Drum will ich schleunig mich zu anderm wenden,
Das mir die Eßlust weniger verdirbt.
Professor Wolff mag euch Ästhetik spenden;
Der löst die Frage, wenn er sie umwirbt.
    Er spinnt euch mit der Meisterschaft der Schule
    Die schönsten Paragraphen von der Spule.

Beginnt dein Rachezug, mein werter Rektor?
Ich steh in deiner »Neueren Geschichte«.
Oh lest, lest, lest den Büchervivisektor,
Lest, lest in seiner »Neueren Geschichte«:
Es schleift Emil-Achill mich armen Hektor
Im Staube seiner »Neueren Geschichte«.
    Er schleift um Ilium dreimal mich herum
    Und zeigt mich dem entsetzten Publikum.

Kritik heißt: sachlich eine Sache packen,
Und nicht persönlich seinen Stank beigeben.
Es steht dir frei, so viel du willst zu schnacken,
Dein dummes Zeug ans Himmelszelt zu kleben,
Dein süßliches Gesäure auszubacken,
Doch noch einmal: Hand weg von meinem »Leben«.
    Sonst – nun, ich will nicht weiter mit dir rechten;
    Ich lasse mir die Kunst von niemand knechten.

Freiheit der Kunst! Freiheit der Kunst vor allen!
Frei sei sie wie der Cowboy im Far-West!
Laßt euch den gräßlichen Vergleich gefallen;
Wenn nicht, dann hol euch allesamt die Pest!
An Bucking-Bronchos und Revolverknallen
Denk ich, an Lynchen und Banditenfest,
    An Lasso, Pferdediebstahl und Prairie!
    Freiheit! Da lebst du, echte Poesie.

»Der Kunst die Freiheit« und »die Cowboysippe«?
No, Sir: das geht selbst mir zu weit fürwahr!
O tertium-comparationis-Klippe,
Ich scheiterte an dir, ein Vershusar,
Der sich schon hundertmal brach jede Rippe
Im Rennen mit der edeln Richterschar.
    Doch immer steh ich noch auf beiden Beinen,
    Und lache, und die Professoren weinen.

Satis superque! »Lieblich lacht der Lenz,«
Der alte Wintersmann zog ab nach Norden
Und hat beim Kimmernkönig Pol Audienz;
Der schenkt ihm seinen Stern zum Robbenorden.
Dann trinkt er Tran, und zwar in Permanenz,
Bis endlich Thules Kaiser er geworden.
    Der Frühling, dieser liebenswürdige Junge,
    Zeigt hinterher ihm seine Zwitscherzunge.

Der Buchfink trillert herrisch seine Liebe,
Die Nachbarn tauschen Gartenwunsch und -gruß,
Bettzeug und Teppich kriegen draußen Hiebe,
Ol Vadder Hansen sünnt sick all vör't Hus,
Die rote Tulpe prunkt im Beetgetriebe,
Der Lyrifex besteigt den Pegasus,
    Die Schwalbe jagt die Gassen auf und ab,
    Der Tod versteckt sich in ein leeres Grab.

Jetzt, Richard, hätt ich gern Dich an der Seite,
Dich Treusten! daß du mit mir fühlst die Welt,
Aufatmest mit mir nach dem wüsten Streite,
Der Kunst und Leben auseinanderspellt,
Und mit mir lachst in jauchzendem Geleite,
Wo Sonnensturm die stolzen Segel schwellt.
    Komm, Richard! fernhin geb ich Dir die Hand:
    Komm, Freund, ich zeige Dir mein Heimatland.

Ich bin im Wald an meiner Lieblingsstelle:
Durch eine Wiese, die von jungen Eichen
Umstanden ist, klungklingklangt eine Quelle.
Die Stille fuhr dem Weltlärm in die Speichen;
Hier ist des Paradieses Geisterschwelle,
Wo Engel sich die kühlen Hände reichen.
    Ein Bienchen, oh der wählerische Rüssel,
    Schwankt zwischen Teufelsmilch und Himmelsschlüssel.

Der Abend sinkt. Die Frösche quaken leise.
Im Birkenhain sinnt ein versteckter Platz.
Zu Neste fliegt die letzte kleine Meise;
Noch schwingt der dünne Stiel des Weidenblatts.
Und schwärzer drängen sich die Schattenkreise;
Wer wartet da im Busch auf seinen Schatz?
    Es schiebt der Mond sich durch die weißen Stämme
    Und macht sich schmal, als säß er in der Klemme.

Wer nähert sich? Wer naht auf scheuen Sohlen?
Schon liegt das Mädchen an des Trauten Brust.
Ich irre abseits, einsam und verstohlen;
Sie schien sich ihres Weges kaum bewußt.
Es öffnen sich die schämigen Violen
Und schäkern mit der flammenden Sternenlust.
    Ganz ferne noch ein schwacher Peitschenknall,
    Dann singt ihr Siegeslied die Nachtigall.

Wie stand das Dirnlein sanft zurückgeneigt,
Ihr Auge sah zum Himmel wie verklärt;
Die Nachtigall verstummt, und alles schweigt.
Wie ein Verräter kommt der Wind und fährt
Erkältend, rauh durchs Ästewerk und zeigt
Die wehenden Blätter um den Opferherd,
    Auf dem ein Flämmchen eben geht zur Ruh;
    Die Morgenröte schaut gelassen zu.

Der Tag ist da, ich bin an alter Stelle:
Auf jener Wiese, die von jungen Eichen
Umstanden ist, durchklungen von der Quelle.
Die Stille fuhr dem Weltlärm in die Speichen;
Hier ist des Paradieses Geisterschwelle,
Wo Engel sich die kühlen Hände reichen.
    Die Sonne scheint durchs jungfräuliche Grün
    Auf Glockenblumen, die wie Kinder glühn.

Und meine Seele wird so klar und gut,
Unschuldig wie das Gras, worauf ich stehe;
Ruhig bewegt sich meine Herzensflut,
Versunken sind die vielen Ach und Wehe.
Mir wird so froh, so seltsam wohlgemut,
Als ob mir Überirdisches geschehe.
    Nur einmal klingt mir noch ein Sehnsuchtsleid,
    Ein Lied fernher, schon aus der Ewigkeit:

    »Na so wollnmrnochemal, wollnmrnochemal,
    Heirassassa,
    Lustig sein, fröhlich sein,
    Rassassassa!«

Verflüstert ist es. Keine Störung mehr.
Neid, Rache, Bosheit läutern sich in Reinheit.
Den Menschen, wie sie schütteln Gift und Speer,
Vergebe ich, vergesse die Gemeinheit.
Verzeiht auch mir! Wollt ihr? Wir sind bons frères,
Wir alle bilden ja die große Einheit.
    Emil selbst, komm! gib mir den Bruderkuß!
    Und damit end ich. Punktum. Löschblatt. Schluß.


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