Detlev von Liliencron
Poggfred
Detlev von Liliencron

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechsundzwanzigster Kantus: Graf Johann der Andere von Kiel und seine Kinder. 1315.

Motto:

Schicksal hämmert mit blinden Schlägen:
Wachs bleibt Wachs, Gold läßt sich prägen,
Eisen wird Stahl, Glas zerspringt –

Richard Dehmel.

                  Allein, verschwunden und vergessen sein,
Selbst wenn die Tage uns noch Blumen streuen,
Das Beste ists in all der Lebenspein.
Nur darf man den Entschluß dann nicht bereuen;
Sonst wird des kahlen Gipfels nackter Stein
Als unbequemer Sitz uns nicht erfreuen.
    Zukunft und Gegenwart sind immer jung,
    Griesgrämig altert die Erinnerung.

Denn spärlich sind die holden Schmetterlinge,
Mit denen die Erinnrung uns umflattert.
Zumeist umschließt sie uns mit einem Ringe,
Der uns wie Zaun und Eisenzahn umgattert,
Und hält uns fest in dieser harten Schlinge,
Worin ein unbequemes Völkchen schnattert.
    Wie Lady Macbeth wäscht sich wohl mal jeder
    Das sehr geehrte eigne Fingerleder.

Ja, die berühmten »schwarzen Punkte« bleiben,
Sie sind nicht immer eine Episode.
Es kann sich keiner sie vom Leder reiben,
Wegsingen kann sie keine Büßer-Ode.
Selbst Religion kann Heilung nicht verschreiben;
Religion ist Furcht vor Gott, vorm Tode.
    Ob wir allein, ob wir zusammen wandern,
    Gilt Goethes Wort: Was weiß ein Mensch vom andern.

Vergangenheit, Erinnerung: zwei Gräber.
In einem schläft die Ewigkeit getrost.
Im andern ruht scheintot ein Schleierheber:
Geist der Erinnrung heißt er, und erbost
Rührt sich und peinigt uns der Stimmungsweber
Mit dem, was uns das Schicksal zugelost.
    Vergangenheit schläft traumlos durch die Nacht,
    Erinnrung träumt und wälzt sich und erwacht.

Vergangenheit steht nie aus Särgen auf.
Erinnrung hebt den Deckel oft und lugt
Und sieht euch gehn und eilt in raschem Lauf
Und fällt euch um den Hals ganz unbefugt.
Bald tanzt sie spukhaft, ein Gespensterhauf,
So sehr ihr auch das Pack zusammenschlugt.
    Bald schleicht sie hoffnungslos wie manches Sehnen,
    Und eure Augen füllen sich mit Tränen.

Und kommt sie her mit deinen Jugendzeiten,
Zeigt dir dein Spielzeug, deine alten Plätze,
Wo »Räuber und Soldat« sich wütend streiten,
Dein liebes Elternhaus und seine Schätze,
Dann kann sie dich am Gängelbändchen leiten,
Dann hat sie dich in ihrem stärksten Netze.
    Und gräbt wer noch so sehr nach Feldgewinn,
    Er legt minutenlang den Spaten hin.

Heut flüsterte sie bebend mir ins Ohr:
Denkst du denn niemals deiner Vaterstadt?
»Was sollt ich nicht, nur mach ich mir nichts vor:
Die gegenseitige Neigung ist recht matt.«
Mein teures Kiel mit seinem Hafenflor
Hat mir von je gesagt: Sapienti sat.
    Was soll ich mich denn viel um sie bekümmern,
    Die Kindheitsstätten liegen längst in Trümmern.

Nach Krusenrott, Dorfgarten (Alles hin.)
Will ich nicht mißvergnügt die Schritte lenken;
Und Düsternbrook lag niemals mir im Sinn,
Ich hasse es, so lang ich nur kann denken.
Pannkokenkrog, ja, »da liegt noch was drin,«
Da wollen wir die roten Rosse tränken:
    Bertouch, die persischen Füchse vor den Wagen!
    Die sollen leicht uns durchs Gelände tragen.

Durch mein geliebtes Schleswig-Holstein fort,
Querdurch, vom Nordsee- bis zum Ostseestrande.
Jetzt langsamer! Nicht gradeaus! Ja, dort!
Sonst kommen wir zu nah dem Kieler Rande.
Bieg nach Cronshagen ab, nach Kathenort,
Nur zu! Hier kenn ich jeden Stein im Sande.
    Hurra! Pannkokenkrog blitzt aus den Blättern,
    Ich rieche meine guten Kieler Vettern.

Zuerst muß ich die beiden Wäldchen sehn,
Die nördlich, südlich von der Straße liegen,
Will unter ihren lichten Wipfeln stehn,
Mich in nachzitternder Stunden Schaukel wiegen,
Wie einst auf diesen schmalen Steigen gehn,
Dann weiter ins Gehölz durchs Farnkraut biegen,
    Und immer weiter bis zu jenem Fleck,
    Der mir zur Sicht auf Kiel dient als Versteck.

Ist denn von mir geplant ein Überfall?
Indianermäßig schleich ich zögernd vor,
Und mache Halt im Knick auf einem Wall:
Da ragt der biedre Nikolaus empor,
Da dumpft die Küterstraße und ihr »Stall«,
Wo ich für alle Zeit Homer verschwor,
    Für alle Zeit sein göttliches Gedicht,
    So jämmerlich war unser Unterricht.

Und da das Schloß, der große alte Kasten,
Notdürftig von Sonnin zurechtgeflickt.
In jedem Schlosse bebts wie zaudernd Hasten:
Hochmut und Demut, Alles ist verquickt.
Doch jedes Dasein wimmelt von Kontrasten,
Vom Zufallslotto überreich beschickt,
    Gleichgeltend im Palast und in der Hütte,
    An goldner Krippe, an der Waschfraubütte.

Ein jedes Haus, ob glänzend groß, ob klein,
Vornehm, gering, ist eine Schicksalsgruft.
Es reden Säle, Zimmer, Stall und Stein,
Geheim und schweigend, Kammer, Kellerluft;
Es atmet jede Wand von Pest und Pein,
Von herrlichen Herzen, und von Schelm und Schuft.
    Im Kieler Schloß hat auch einer gewohnt,
    Den hat kein Weh, kein Erdenfrost verschont.

Leb wohl, mein Kiel, ich will nicht mürrisch scheiden,
Ich wünsche Rosen dir und viel, viel Glück,
Viel frohe Spiele, wenig Tränenweiden,
Viel braune Lappen, Gold- und Silberstück;
Möge selbst Hamburg dich darum beneiden.
Ich aber kehre gern zu mir zurück
    Und will in Poggfred jenen Fürsten rufen,
    Der so zertreten war von Schmerzenshufen.

Da stehn die Perser, steht mein Viererzug.
Wie sie nervös die Rasseköpfe schnellen!
Der Schaum bespritzt Gebiß und Bein und Bug,
Um ihre Flanken spielen Lichterwellen.
Sie scharren renngierig: Geduld genug!
Und möchten flüchtig werden wie Gazellen.
    Na, denn man to. Und dann Graf Jan, sonst keiner.
    Er war der großen Schauenburger einer.

Up sinem Hus tom Kyle (Schloß in Kiel)
Horcht Graf Johann der Zweite, achtzigjährig,
Und hört ein dünnes Kastagnettenspiel.

Es beugt sich einer über ihn, willfährig:
»Bon jour, Seigneur. Den schwarzen Meilenstein,
Den oft dein siecher Schritt erwünscht, gewähr ich.«

Auf seinem Söller sitzt im Sonnenschein
An einem wundervollen Julitag
Der Greis, und ist mit seinem Gram allein.

Erblindet. Und noch hat ein Schicksalschlag
Ihm jüngst den grausam letzten Stoß gegeben,
So arg wie Menschentücke nur vermag.

Ziehn sanfte Bilder jetzt aus seinem Leben
An ihm vorbei? Sinds lichterfüllte Stunden?
Will nicht ein liebes Bild vorüberschweben?

Er hebt sich aus dem Stuhl, er schreit aus Wunden,
Schreit lautlos in die leere Luft hinaus,
Als möcht er seiner Qual Unmaß bekunden:

Vor zwanzig Jahren ritt er einmal aus
Auf seinem Grauschimmel ins Frühlingsfeld,
Wehrlos, im leichten himmelblauen Flaus.

Plötzlich wird er wie arglos Wild umstellt:
Sechs Ritter, schwer in schwarzen Schuppenschienen,
Im Topfhelm, mit geschlossenem Augenzelt,

Sechs Ritter lassen ihre Lanzen dienen
Und strecken, jede ist ein Kitzelstock,
Sie vor, und dröhnend spricht einer von ihnen:

»Gib dich gefangen! Bei Sankt Paul am Block!
Freiwillig, daß sich dein Geschenk verschöne,
Zerschneid uns sechsen deinen Fürstenrock!

Teil uns dein Land! Und daß dein Werk sich kröne:
Teil's augenblicklich unter uns sechs Rittern!«
Das Gatter hoch: die sechs sind seine – Söhne.

Der Handstreich glückte. Hinter Eisengittern,
Im Kieler Schlosse, das sie ihm gelassen,
Muß täglich er vor seinen Henkern zittern.

Die Himmelspolizei weiß gut zu fassen:
Sie läßt die Söhne ohne Gnade sterben,
Kein einziger darf in seinem Bett erblassen.

Durch Mörderhand, in einem Jahr, verderben
Sie alle sechs, und haben keine Brut;
Man huldigt dem Papa als einzigem Erben.

Weißhaarig taucht er aus der Elendsflut,
In Händen den gestohlnen Zarenschlüssel
Von seiner Söhne unmenschlichem Blut,

Und setzt sich wieder an die eigne Schüssel.

Graf Alf, der älteste der Gaunermagen,
Ward, wie uns grimmig der Chronist berichtet,
Vom Ritter Hartwich mit dem Beil erschlagen,

Weil ihm der Graf sein Töchterlein vernichtet.
Auch schreibt uns der Chronist, wie zum Gebet,
Und seine Schilderung ist nicht erdichtet:

Als Hartwich vor dem toten Grafen steht
Und finster auf sein blutig Opfer nickt,
Indes sein Helmbusch leicht im Winde weht,

Entdeckt er, und sein Puls im Hals erstickt,
Des Grafen Pagen, seinen eignen Sohn,
Ohnmächtig neben Alfen hingeknickt.

Da übereist ihn harsch ins Herz der Hohn.
Und er erschlägt sein Kind mit einem Hiebe,
Und ragt hochauf, als stünd er auf dem Thron:

»Daß keinen einst die böse Zunge triebe:
Mein Sohn sei der Verräter seines Herrn.«
Und beugt sich auf die Leiche voller Liebe.

Welch ein antikes Bild, von Roma fern.

Des Königs Erichs schlanke Witwe gab
Dem alten Grafen nun die Hand zum Bunde,
Nachdem er »rückgeerbt« den Herrschaftsstab.

Aus dieser Ehe brachte eine Stunde
Den kleinen Christof an, und dann zwei Schwestern:
Ein Zwillingspaar, Wulffhild und Wittemunde.

Die Mutter starb beim Schenken dieser Schwestern.
Die schossen froh in Saat, und schliefen weich
Wie Vögelchen in ihren Flaumennestern.

Beim Spielen oft in ihrem Kinderreich,
Quer durch den Garten, tanzen sie und springen
Im Pas de deux, wahrlich den Elfen gleich.

Ganz reizend anzusehn ist dies Umschlingen,
Wenn um die Schultern sie gelegt die Hand
Und sich nun jubelnd durch die Wege schwingen.

Der ganze Hof bestaunt den süßen Tand,
Und selbst der alte Vater, voll Entzücken,
Lehnt lauschend manches Mal am Fensterrand.

Die Zeit verläuft, die Stundenfresser rücken,
Geburtstagsmorgen kommt, der achte Mai:
Der Frühling will die Zwillingsschwestern schmücken.

Die ersten sieben Jahre sind vorbei.
Wie ist die Frühe schön, zart dampft der Tau,
Die ganze Welt ist jung und kummerfrei.

Wo sind die Schwestern, sind sie auf der Au?
Wer ließ sie weg, wohin sind sie gesprungen?
Und emsig suchen Knecht und Kinderfrau.

Ist nicht am Gartenteich ein Schrei erklungen?
Und alles stürzt dahin; vielleicht, daß dort –
Ja: dort ist eine Spur durchs Schilf gedrungen.

Mau sucht, mau findet; es erlischt das Wort.
Und aus dem Wasserschlamm zieht man die beiden.
Zu spät. Sie sind erstarrt. O Schreckensort!

Im Schatten liegen sie der Uferweiden,
Noch Hand in Hand gekrampft und Arm um Arm,
Zwei Blumen, roh gerauft aus lieber Haiden.

Wehklagen kreischt, das Unglück schlägt Alarm;
Wer ruft den Fürsten, wirds ins Ohr ihm tropfen?
Doch der steht lange schon im Dienerschwarm

Und schluchzt und kann den Tränenquell nicht stopfen.

Es bleibt ihm nur der junge Christof über,
Der wie die Buchensäule wuchs zum Baum;
Die lustigen Knabenjahre sind vorüber.

Sein Steppenauge schaut zum Himmelsraum
Stur in die Sonne, ohne Liderzucken.
Einst hat er einen sonderbaren Traum:

Er muß sich vor den Freunden niederducken,
Indes sie Pfeil auf Pfeil den Wolken schicken.
Kaum kann er mehr die Schmach hinunterschlucken.

Er wirft sich hin und her, er will ersticken.
Und er erwacht. Rasch springt er auf vom Lager,
Und ist befreit aus allen Teufelsstricken.

Den Eibenbogen her, des Köchers Schwager.
Er prüft die Sehne, dann ein Ruck und Zug,
Sie strammt sich straff; er kennt keinen Versager.

Hinaus in Morgenstrom und Lerchenflug;
Des Hafens Brisentür steht frisch erschlossen,
Im Acker furcht den ersten Strich der Pflug.

Den Turm hinauf, schnell, zu den Schußgenossen.
Er will sie lachend aus den Decken treiben,
Und dann wird um den Ehrenpreis geschossen.

Und oben – Feinde? Will man wen entleiben?
Vermummte, Blut, Schrein, Zerren, Schwerterwettern
Es wird in Ewigkeit ein Rätsel bleiben.

Vielleicht die geld- und ländergierigen Vettern?
Sie werfen ihn vom Turm wie Pfennigware
Und lassen auf den Fliesen ihn zerschmettern.

De herlik Junkhere liegt auf der Bahre;
Stumpf glast sein Auge durch den Wimpernschleier,
Tief erdhin hängen seine gelben Haare.

Wie Siegfrieds Zug zögert die finstre Feier,
Und aus der Höhe stößt, ein Wunder, nieder
Auf Christofs Herz ein kahler Königsgeier.

Und krallt sich ein und schüttelt das Gefieder,
Bis mit Gewalt die Träger ihn entkrönen,
Und weiter jammern ihre Klagelieder.

Der Vater hörts. Auch der von seinen Söhnen!
Wie Masken zieht es über seine Züge,
Er kann nicht weinen mehr, nur leise stöhnen:

Des Schicksals Wahrheit ist des Lebens Lüge.

Auf seinem Söller sitzt, im Sonnenschein,
An einem wundervollen Julitag,
Der blinde Greis, mit seinem Gram allein.

Die Welle seines weißen Bartes lag
Auf seiner Brust. Die Runzelstirn sank schwer.
Denkt er an seines Lebensbaums Ertrag?

Er merkt nicht, wie sich mählich um ihn her
Sein Hof versammelt, ehrfurchtsvoll und leise,
Daß niemand trübe sein Gedankenmeer.

Da wagt es einer aus dem Sporenkreise:
»Herr, aus der See naht Lübecks Orlogsflotte,
Um dich zu ehren auf der Wisby-Reise.«

Galeeren, Kraken, Koggen und Galliotte,
Kriegsmärsche, Flaggen, Trommeln, Ruder, Rah,
Zum großen Jux und Ulk der Kieler Sprotte.

Noch eine blanke Schwenkung, sie sind da.
Die Anker rasseln polternd auf den Grund,
Die Mannschaft brüllt, der Himmel wankt, Hurra!

Doch der, dem immer Lübecks Freundschaftsbund
Unschätzbar war, ist eben still entschlafen.
Umflorte Tuben gebens eilig kund.

Gott sei uns gnädiger als diesem Grafen.


 << zurück weiter >>