Detlev von Liliencron
Poggfred
Detlev von Liliencron

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Zweiundzwanzigster Kantus: Die ausgehungerten Klosterfrälein.

Motto:

Himmelsblau? Potzsapperlot,
innen brennts doch höllenrot!

Richard Dehmel.

        Der müde Tag in Poggfred trieb mich heute,
Ballast und alte Briefe zu verbrennen.
Aus einem klang es schwer wie Grabgeläute.

Die Unterschrift war nicht mehr zu erkennen.
Unleserlich. Mein Gott, was schadets auch,
Was braucht man jeden Namen gleich zu nennen.

»Nun fällt mein letzter Blick auf Strand und Strauch.
Von meinen Bäumen will ich Abschied nehmen,
Von meines Herdes heimatruhigem Rauch.

Der Friede wars. Der Friede sonst: ein Schemen,
Ein Schattenring, der stets voran uns rollt,
Wird niemals sich um unsre Stirn bequemen.

Die Kindheit, schön, die haben wir durchtollt,
Und ahnten nichts vom spätern Wetterschlag,
Der immerwährend aus der Ferne grollt.

Was trotzige Erfahrung auch vermag,
Wir alle, ohne Ausnahme, verneigen
Uns demütig vor jedem Leidenstag.

Ich hab genug von diesem einzigen Reigen,
Der alle Menschen aneinanderkettet,
Und will hinübergehn ins schwere Schweigen,

Und bin aus allem Drang und Druck gerettet.

»Lebt wohl, ihr meine Bilder, meine Möbel,
Der alte Junggesell will euch verlassen;
Den Erben fallt ihr zu, vielleicht dem Pöbel.

Fi donc! o mein Empire: auf allen Gassen!
Das ich umklammert hab, ins Herz geschlossen
So lange, lange Zeit; kaum kann ichs fassen.

Uns Menschen hab ich nun genug genossen!
Die Liebe? Was ist Liebe? Höchstens nur
Die Liebe zur Familie, zu den Sprossen.

Wen lieben wir denn sonst? Und die Natur:
Geschlechtsdrang: Bis die letzte Perle fiel
Von dieser wundervollen Venusschnur.

Und aus ists mit dem wilden Gürtelspiel.
Und weiter? Konnten wir zu jeder Zeit
Wie Hunde schlafen, wars uns nicht ein Ziel?

Doch wem gelang diese Gelassenheit?
Nicht das einmal! Selbst in den Traum hinab
Peitscht uns des Daseins drohende Dreistigkeit.

Der Drache Tod speit uns wie Schmutz ins Grab,
Er überfällt das arme Lamm des Lebens,
Er reißt uns aus der Faust den Pilgerstab.

Ich sah den Geifer seines ewigen Strebens.
O Neid, setz deine gelbe Mütze auf:
Du hemmst mich nicht, dein Halten ist vergebens.

So ruf ich selbst mir: stopp! auf diesem Lauf;
Besinne dich nicht mehr, vorbei das Rennen,
Das Ganze war ein lästiges Gerauf.

Ists denn so schwer, von allem sich zu trennen?
Den Schlüssel her! Geschlossen ist mein Haus!
Zu gründlich lernte ich uns Menschen kennen.

Und lieber als der Mensch ist mir die Laus.

»Doch möcht ich nichts von einem Abschied wissen
Von meinen Pferden und von meinen Hunden;
Da fühl ich tiefen Schmerz, sie zu vermissen.

Mit euch verlebte ich die besten Stunden.
Treu wart ihr, Kameraden, ihr bewährten;
Das will ich hier ausdrücklich noch bekunden.

Und wenn an mir Schwermut und Kummer zehrten,
Ihr ließt mich nicht mit eurer Tröstung warten.
Drum sag ich euch betrübt: Lebt wohl, Gefährten.

Niphetosrosen, und mein ganzer Garten,
Ihr beiden von mir hergepflanzten Eichen
Aus fernem Walde, Odins Wachtstandarten.

Du mächtige Balsampappel, Erdlustzeichen.
Ihr Rieseneschen. Kleine Vögel ihr,
Die twiht, twiht, twiht im Herbst vorüberstreichen:

Lebt alle wohl, ihr lieben Freunde mir.
Ihr Schwäne mein: wie krause Fähnchen wehn
Die obern Federn eurer Flügelzier,

Wenn sich mit Stolz die kräftigen Schwingen blähn.
Leb wohl, mein Meer: ich hör hierher die Wucht,
Seh deine Wikinger am Ufer spähn.

Die Rabenfahne flattert aus der Bucht.
Nun gehts in See! Wem gilt die Räuberfahrt,
Wo landet ihr, in welcher Nordlandschlucht?

Euch Allen: Gute Nacht. Der Friede harrt
Auf mich und schickt sein heitres Blumenboot:
Schenk deine Zukunft uns und Gegenwart.

Ich scheid kalt und ruhig in den Tod.«

Tralalala! Was sind das für Grimassen!
Wie konnte Jener solchen Unsinn schreiben!
Wer wird die Welt ob ihrer Rätsel hassen
Und liebster Art mit schwarzen Segeln treiben.
Gemach, gemach, wir werden schon erblassen;
Was wollen wir uns freiwillig entleiben.
    Ich höre hellen Sang vorüberziehn
    Von Schwärmern, die den Totengräber fliehn:

        Und dabei fällt ein lustig Stück mir ein,
Ich will es ohne weitres hier erzählen.
Ein Jungfernkloster liegt im Heiligenschein,
Wo, Gloria in excelsis, zarte Kehlen
Sich ablösen mit rauhem Mönchslatein;
Hart schreit es in die jungen Nonnenseelen,
    Der Priorissa Gubernaculum.
    Conventus Sanctimonialium.

Ach, alle diese blassen Klosterlilien,
Wie müssen sie sich mit den Horis plagen.
Und in der Nacht erklingen die Vigilien,
Erklingt es leise durch wie Sehnsuchtsklagen
Nach ihren Spielen, Gärten und Familien;
Wie mag ihr Herz nach Lust und Liebe schlagen.
    Doch streng in Zucht hält Messe, Sakrament
    Den Liebreiz im hochadlichen Konvent.

Nur eine Freude haben sie im Jahr:
Ist gut das Heu zum Einfahren gereift,
Dann holen sie es selbst. Die Fräuleinschar
Wird dann vom frischen Juniwind gestreift;
Noch schlägt die Nachtigall am Brautaltar,
Die Drossel flötet und der Starmatz pfeift.
    Und hoch auf ihren Wagen, bandgeschmückt,
    Kutschieren sie zurück, frühlingsentzückt.

Reich ist das Kloster an Besitz und Zehnten,
Die überall aus Marsch und Geest herkommen.
Wohin sich auch die Ländereien dehnten,
Es muß den Einkünften zum Segen frommen.
Und wenn die Fürsten mild mit Gut belehnten,
Ward es von ihnen nie zurückgenommen.
    Doch was der Grundzins trug den Chanoinessen,
    Das wurde ihnen kärglich zugemessen.

»Und sind Euch sonst zu Gnaden wohlgewogen«,
So spricht die Priorissa stets am Schluß;
»Ihr seid durch Fasten nicht genug erzogen,
Für Nonnen gibt es keinen Überfluß.«
Die jungen Damen blieben drum betrogen,
Und schmeckten nur Mariens keuschen Kuß.
    So grämten sich die magern Jungfern weiter
    Und klommen höher auf der Himmelsleiter.

Da kommt ein Unglücksjahr. Die Deiche brechen,
Die Wasser reißen in die See das Land;
Und was die wüsten Wirbel nicht durchstechen,
Das wird von Sturm und Hagel übermannt.
Nun will der rote Hahn auch noch mitsprechen,
Und rings sind Stall und Scheunen aufgebrannt.
    Das reichste Kloster geht als Bettler aus
    Vor jede Tür, vor jedes Bauernhaus.

Das ist zuviel! Es sehen froh die Nonnen
Der Arbeit Schweiß, das Brot, der Arbeit Lohn.
Da tauchen selbst sie in den Lebensbronnen
Und helfen mit, und sind dem Zwang entflohn,
Und sind den Leibessorgen bald entronnen;
Sankt Paul entsetzt sich drum, ihr Schutzpatron.
    Sie aber graben, jäten Feld und Acker,
    Und sind umschrien von Gans- und Huhngegacker.

Und Abel, Jutta, Silk, Lange Kerstine,
Ruth, Gesche, Wybe, wie sie alle heißen:
Den Anfang machen Heilwig, Beeke, Gine,
Die mit dem Landmann sich zusammenschweißen
In treuer Ehe, fleißig wie die Biene,
Und ihre Kraft in franker Fron verschleißen.
    Und aus den längst verfallnen Klostermauern
    Erwächst ein Kerngeschlecht von freien Bauern.


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