Detlev von Liliencron
Poggfred
Detlev von Liliencron

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Siebenundzwanzigster Kantus: Der Gottfinder.

Motto:

Die Sonne taucht ins Meer; die Götter schweigen.

Richard Dehmel.

                Ich ritt durchs Feld an hellem Junitag.
Die Roggenernte naht. In allen Hecken
Verstummt gestillt der Nachtigallenschlag.

Der Heugeruch von weiten Wiesenstrecken,
Jasmingeruch, Geruch der Rosenglut
Vernisten sich in schwülen Gartenecken.

Es schwillt die Frucht, schon zirpt die erste Brut;
Alsbald befiehlt der Hunger ganz allein,
Verdunstet ist der Flitterwochen Blut.

Um mir den Weg zu kürzen, bieg ich ein
In meines Nachbarn Park, nicht unerlaubt:
Als Knaben teilten wir schon mein und dein.

Seit Jahren ist ihm der Verstand geraubt;
Seit sieben Jahren spricht mein Freund kein Wort,
Das Uhrwerk seiner Nerven ist verstaubt.

Er suchte Gott und Gottes Gnadenport
So brünstig, so mit glühender Leidenschaft,
Daß ihm dafür nun Leib wie Seele dorrt.

Sein Geist ward schwach durch die verpuffte Kraft.
Auf der Terrasse seh ich dumpf ihn sitzen;
Er stützt die Stirn, sie schimmert leichenhaft.

Wie ihn die Sonne, Tag und Licht umblitzen!
Ich halte meinen Gaul auf einen Ruck,
Daß Sand und Kieselsteine mich umspritzen.

Und stünd ich vor ihm auch in Cäsars Schmuck,
Mein armer Irrer hätt nicht aufgeschaut,
So unterjocht ihn seines Hirnes Druck.

Als säh er mich das erste Mal, mir graut:
Minutenlang hält er die Augen fest,
Bewegungslos und ohne Klagelaut.

Dann hält er seine Hand ums Kinn gepreßt,
Minutenlang; und dann, minutenlang,
Starrt er zum Himmel aus des Wahnsinns Nest.

Es kommt sein alter Diener sorgenbang;
Die dunkelroten Plüschgamaschen stechen
Wie Feuer durch den grünen Sommerdrang.

Er bringt ihm Wein, ich hör ihn deutlich sprechen:
Er bittet, er beschwört ihn, doch zu trinken.
Vergebens. Jener starrt zum Herzzerbrechen.

Nun läßt er schwer den Kopf aufs Tischtuch sinken;
Da liegt er, struppig wie ein dürrer Strauß,
Dem keine Auferstehungsfreuden winken.

Ich ritt betrübt in trägem Trott nach Haus;
Gedanken trabten mit mir hin, ein Heer,
Schwarz wie ein mitternächtiger Fratzengraus.

Am Abend galoppiert ein Reitknecht her:
Ich möchte doch so rasch wie möglich eilen,
Sein Herr befinde sich sehr übel! sehr!

In Todesahnung jag ich die zwei Meilen,
Und bin bei meinem Freund, eh ichs gedacht,
Die letzte Stundenflucht mit ihm zu teilen.

Es ruht die wundervollste, wärmste Nacht,
Nur von Fontänen, Quellen unterbrochen,
Die kindlich lallen durch die Blumenpracht.

Aus weißen Wölkchen kommt der Mond gekrochen,
Der volle Mond, und segnet Busch und Feld,
Sanft wie ein Himmelswort, unausgesprochen.

Es träumt das Fabeltier, die Sphinx: die Welt.
Faul, schläfrig dringt ihr Blinzeln durch den Schleier:
Das ewige Lichträtsel »Sternenzelt«.

Auf der Terrasse, bei der Sterbefeier,
Umstehn und stützen ich und Josef ihn,
Den endlich niederzwang der Allbefreier.

Auf einmal, jäh, als hätt ihm Kraft verliehn
Der letzte Tag, die allerletzte Stunde,
Reckt er sich auf, als ob ihn Geister ziehn.

Er ringt nach Worten, ringt nach einer Kunde,
Den Teufeln sie zu künden, seinen Siegern;
So stirbt er, wühlend in der Todeswunde.

Wie Mansfeld, stehend zwischen zweien Kriegern,
Hakt er um unsre Schultern seine Hände,
Ein trotzig Beispiel allen Unterliegern.

Sein Auge glüht wie ferne Fackelbrände,
Und plötzlich reißt, nach sieben langen Jahren,
Reißt seine Zunge ein die stummen Wände.

Er spricht, befreit sich, will sich offenbaren.
Verstand und Unsinn kämpfen, Zeit und Raum,
Die sich zu seltsamen Gebilden paaren,

Wie sich verschlingt, entwirrt, verschlingt ein Traum:

Im Erbstuhl, über meiner Dorfgemeinde,
Im Kirchenstuhl, vergittert, abgeschlossen,
Saß ich als Kind, verwahrt vorm bösen Feinde.

Saß auch die Mutter. Strenger Zucht entsprossen,
Mußt ich zur Kanzel jeden Sonntag mit,
Und habe viele Tränen da vergossen.

Und hab verlernt den lustigen Knabenschritt.
Denn schrecklich hing der Crucifixus dort,
Des Qual in meine junge Seele schnitt.

Ganz unnatürlich langgereckt, verdorrt,
Von Blut besudelt, mit verrenkten Gliedern.
Und furchtbar schnob des Predigers Donnerwort.

Und dann ein Ozean von Himmelsliedern:
Das Orgelschiff: Phantasterein und Tänze
Umrauschten mich mit bunten Prachtgefiedern.

Erzengel winkten: Ruhm und Lorbeerkräuze!
Die Welt durchziehn, ein Großer wollt ich sein:
O Rausch, o Ewigkeit und – Erdengrenze.

Ernüchtrung, Zweifel kam: Ist Alles Schein?
Trug der Erbarmer seine Dornenkrone
Für die Gewaltigen der Welt allein?

Zum Schutz für ihren Geldsack, ihre Throne?
Daß sich die blöde Masse nicht empöre:
Darum das Teufelswerk der Dogmenfrone?

Wenn ich des Heilands Liebeslehre höre,
So weiß ich, daß er den Geplagten sagt:
»Euch send ich meiner Pfingsten frohe Chöre.

Und wer es von den Erdgebietern wagt,
Für seinen Zweck durch mich euch zu mißbrauchen,
Der wird durch alle Höllen einst gejagt!«

Und Christi Flammenfluch kann nie verrauchen!
Das rief ehmals ein Priester in Sankt Veit,
Des gotische Türme in die Wolken tauchen.

Sankt Vitus, der Hradschin! Prags Herrlichkeit!
Eins aber ist noch herrlicher in Prag:
Der Wallenstein-Palast, o Sternenzeit!

Dort saß ich mal an einem Sommertag
Mit dem Genie und seinen Offizieren
In hoher offner Halle beim Gelag.

Im Garten vor uns, zwischen Pikenieren,
Tanzt ein Mongolentrupp in wildem Fluß,
Indessen wir erstaunlich pokulieren.

Da ballert plötzlich ein Kartaunenschuß;
Wie weggeblasen sind die Asiaten,
Und auf die Leere zeigt Oktavius.

Musik begleitet seufzende Kantaten,
Und seht: Da links, allein, tanzt nun der Tod.
He, Seni! wie ist der hierher geraten?

Trübselig, maulhängend stampft der Despot,
Schwenkt hin und her der Schwager sein Gerippe,
Mit einem Ausdruck wie ein Idiot.

Und eine Pfauenfeder statt der Hippe,
Schlank, lang und schwank wie eine Gerte, hält
Er überm Kopf mit lässigem Gewippe.

Und seht: Ein alter schöner Mann gesellt
Sich zu ihm, ernsten Blicks, mit wilden Locken:
Der Gott der Künstler hat sich eingestellt.

Mit einem Teller tritt er unerschrocken
An unsern Tisch und sammelt Batzen ein,
Von Gast zu Gast, und hat zerlatschte Socken.

Und wieder poltert die Kartaune drein:
Die beiden schwinden. Und ein Siegesbogen
Zeigt seinen kühnen Wuchs aus Marmelstein.

Da kommt der Tod noch einmal angezogen,
Und schwingt die Sense jetzt, mit Herrschermiene,
Und hat uns freundlich mitzugehn bewogen

In seine große Nacht; Lichtbaldachine
Erfüllten sie mit siebenfarbigen Prächten,
Da schliefen lächelnd seine Paladine.

Da schliefst auch du, mein Richard, ob den Nächten,
Du, Richard Dehmel, der das Wort ersann,
Das uns gewachsen macht den Schicksalsmächten.

Und dir zur Seite stand ein Rittersmann,
Sanctus Georgius, der am Bändel schleift
Das Ungetüm, der Hölle Guardian.

Und wie mein Blick hin zu dem Heiligen schweift,
Kommt mir ein Georgstaler in Gedanken,
Der wie mit Krallen in mein Leben greift.

Ein blutarm Mädchen tritt aus Frühlingsranken
Und spricht nichts weiter, nur: Ich liebe dich.
Und ihre Liebe kannte keine Schranken.

Ich nehms so mit, und spiel den Täuberich
Mit ihrem Herzchen eine kurze Zeit,
Und lass sie dann erbarmungslos im Stich.

Beim Abschied langt sie schluchzend aus dem Kleid
Den Reitertaler, ihren einzigen Schmuck:
Nimm! bat sie; denk an unsre Seligkeit.

Bald nach dem letzten Kuß und Händedruck
Vergaß ich sie. Bei einer Orgie später
Traf ich sie wieder. Wars Gespensterspuk?

Ich kam mir plötzlich vor wie ein Verräter.
Ich trat ans Fenster; mir im Rücken schrien
Die Tanzenden, wie Belialsanbeter.

Ich schaute finster auf ein Gärtchen hin,
Das, winzig klein, vor mir im Dämmer schleiert,
Kaum sichtbar noch, wie unter Musselin.

Ein dünner, milchigblauer Himmel bleiert,
Darin der feinste, blasseste Neumond steht,
Der seinen Eintritt in den Monat feiert.

Das einzige Beet, ein Sonnenblumenbeet,
Zeigt strotzend seine gelbe Gästeschar,
Die sehnsuchtsvoll das Haupt gen Osten dreht.

Und während hinter mir am Schmutzaltar
Die Lust, das Fieber schwellen bis zum Sieden,
Hör ich am Fenster deutlich, lauter, klar,

Tief aus der Weltstadt einen Glockenfrieden:
Fis – a – d – fis – a – d – fis – a – d tönt,
Unendlich sabbathrein und abgeschieden.

Das hat die Seele mir verklärt, versöhnt;
Ich schleiche weg und steh bald weit entrückt
Auf einem Berge, der ein Flachland krönt.

Noch hält die Dämmrung jede Sicht erdrückt;
Enthüllt doch seh ich einen Götterbaum,
Der einzig diesen hohen Hügel schmückt.

Dort sitzt, wie tief im Paradiesestraum,
Auf höchstem Zweig gekrallt ein Goldfasan,
Der sich scharf abhebt aus dem Sphärenraum.

Und um die Krone schwebt wie Taumelwahn
Lautlosen Fluges eine Rieseneule,
Schwebt langsam stets rundum in gleicher Bahn.

Und unterm Baum steht starr wie eine Säule
Ein Weib mit grauem Haar, in strenger Haltung,
Gestützt auf eine umgekehrte Keule.

Ihr braun Gewand, antik in der Umfaltung,
Hat feuerroten Saum, zwei Hände breit,
So steht sie wie in eherner Erkaltung.

Nun spricht sie wie aus Undurchdringlichkeit,
Spricht finster, nüchtern, langsam, gleich im Ton,
Und reckt sich und erbebt und prophezeit:

»Ich bin die Weltentrauer in Person,
Des ewigen Wechsels närrische Sibylle,
Ich schenk euch des Vergessens seligen Mohn.

Ihr glaubt an Gott, Gesangbuch und Postille;
Ihr Narren sehnt euch aus der Erdenpein,
Als ob im Jenseits andres sich enthülle.

Siehst du die Gräber nicht, die Gräberreihn,
Das große Trauerspiel von Strand zu Strand:
Grab ist des Grabes endlos Stelldichein.

Euch allen wie den Kälbern eingebrannt
Ist dieses Zeichen: Leb und stirb, du Tor!
Und jenseits herrscht derselbe Unverstand.«

Das Weib verstummte. Geisterhaft verlor
Die Eule sich in ferne Leicheuzüge,
Die Sonne würgt sich aus dem Nebelflor.

Ich aber jauchzte: Weiche von mir, Lüge!
Doch immer stand das Weib noch unterm Baum,
Als wenn den Schmerz der ganzen Welt sie trüge.

Da schrie ich auf: Ich glaube! Und wie Traum
Und Eintag schwand sie hin. Der Goldfasan,
Noch seh ich seiner Schwingen letzten Saum,

Blitzt auf zum Licht. Die Sonne bricht sich Bahn,
Der Nebel sinkt, der Zweifel sinkt, der Spott,
Und vor mir glänzt die Landschaft Kanaan:

Da find ich, da erreich ich meinen Gott!

Auf meine Schultern sank des Freundes Haupt,
Er war zu seinem Frieden eingegangen,
Sein letzter Hauch noch sprach: O glaubt, o glaubt!

Groß lag die Nacht, von Netzen wie behangen;
Nur tief im Osten trug ein schwacher Streifen
Zu immer hellrer Ausdehnung Verlangen.

Schon schirrt Apoll, um durch den Tag zu schweifen,
Die Rosse vor, der goldne Wagen loht;
Bald wird sein Furor nach den Sternen greifen,

Sein Atem glüht, es glüht das Morgenrot.


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