Detlev von Liliencron
Poggfred
Detlev von Liliencron

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Neunzehnter Kantus: Die zwölf Trakehner und zuletzt der Jäger.

Motto:

Trotzig bellt ein Rehbock in der Ferne,
und ein Kuckuck lacht in meinem Walde.

Richard Dehmel.

                        Erinnrung lieb ich nicht; denn ist sie gut,
Fällt uns die Kappe Schwermut übers Haupt,
Und ist sie schlecht, gleich tobt uns dann das Blut,
Wir sind der frohen Stimmung schnell beraubt.
Drum bin ich immer sehr auf meiner Hut
Und hab ihr Eingang selten nur erlaubt.
    Vergessenkönnen heißt die große Kunst;
    Der, der sie kann, erfuhr der Götter Gunst.

Doch läßt Erinnern sich nur schwer vermeiden,
Auf Schritt und Tritt folgt uns der Leichnam nach
Und starrt uns an: sie möchte gerne weiden,
Die alte Kuh. Es werden Bilder wach,
Die oft zudringlich sind und unbescheiden;
Es springt ein Pförtchen im Gehirn, ein Fach.
    So heute Abend, als ich, wie mir schien,
    Unwichtiges verbrannte im Kamin.

Zwei Worte sah zuletzt ich in den Flammen:
»Der Liebesgartenschlüssel«, »Zwölf Trakehner«.
Die beiden paßten freilich nicht zusammen
Als Fetzen meines Tagebuches; jener
Nicht zu den Hengsten, diese auch verklammen
Sich mit dem Schlüssel nicht, sind nicht Entlehner.
    Der Reim hat mich geplagt, ihm fehlt das Blut,
    Verzeihung! diese Strophe klingt nicht gut.

Nie darf der Reim sich quälen. Wie die Katze
Zierlich mit dem gefangnen Mäuschen spielt,
Spielt auch der Dichter bei der Reimeshatze.
Wohl besser der Vergleich: er schiebt und zielt,
Wie man Maschinen auf dem Bahnhofsplatze
Einreiht, bis alles seinen Stand erhielt.
    Entsetzlich, wenn der Reim sich unrein gattet;
    Das ist den höchsten Meistern nur gestattet.

Daß manchmal richtig reimen schwierig ist,
Darf niemand merken, das ist erste Regel.
Es wäre der Poet ein schlechter Christ,
Der nicht sein Wort mit gutgestelltem Segel
Gewandt läßt kreuzen, wie ein Seeobrist,
Und nicht sein Auge hat auf Riff und Pegel.
    Besonders soll bei Stanzen und Ottaven
    Der Leser freundlich im Fauteuil einschlafen.

Mais retournons a nos moutons, das sind
Der Schlüssel und die Hengste. Diese zwo,
Als ich sie brennen sah, zeigten geschwind
Mir meine Villa, nicht in Mexiko,
Sondern am Elbestrand, wohin der Wind
Mich früher oft hinpustete, hallo!
    Ich liebte, liebe nämlich unser Hamburg,
    Betracht es fast, als wär es meine Stammburg.

Sie kostet hunderttausend Mark Kurant,
Liegt auf der Landstraße nach Blankenese,
Zu Anfang Flottbeker Chaussee genannt
Sie heißt, wer weiß weshalb, Cottage Therese;
Das war in Frühlingszeit vorweg mein Land,
Als ich mich noch nicht schund mit Exegese.
    O Hamburg mein, besonders o Charles Neale!
    Denn Ale und Porter trink ich gern und viel.

In Frühlingszeit! und dann die Metropole!
Ich meine Frühling hier dahin verstanden,
Daß ich noch jung war, mit der Tänzersohle,
Mit Blut im Herzen, wo noch Wellen branden,
Wellen der Leidenschaft, die Aureole,
Der Glutglanz meines Leichtsinns noch vorhanden.
    Wohin die Zeiten, wo sind sie geblieben,
    Als ich zugleich konnt zwanzig Madels lieben!

Ich übertreibe, denn die Prüderie,
Der wir in Deutschland immer sehr gewogen,
Kann ich vertragen nimmermehr und nie.
Die schärfsten Pfeile sendet dann mein Bogen,
Denn häufig ist es nur Bigotterie,
Von falschen Zielsystemen großgezogen.
    Das nebenbei; nun komm ich zu den Hengsten,
    Auch mir hat die Geduld gewährt am längsten.

Bei meinem Landhaus wohnt als Nachbarin,
»Gleich links,« Geheime Rätin Regentropf,
Kommerzienrätin; das liegt schon mit drin,
Faßt einer Handelsstädten an den Schopf.
Kommerz, Kommerz, o golden ist dein Sinn!
Sogar die Tugend trägt dort goldnen Zopf.
    Die Reiter selbst, wir wollen das beherzen,
    Wie Falke schreibt, sind »reitende Kommerzen«.

Ich weiß nicht, was soll stets das Übelreden
Auf einen reichen Kaufherrn; hat der nicht
Durch seine Klugheit Speicher voll und Reeden,
Durch seine Vorsicht, durch sein Suchelicht?
Wenn vom Äquator schwimmt sein Schiff nach Schweden
Und wohin noch, ist das nicht ein Gedicht?
    Und wenn er klüger ist als andre, nun,
    Wir würden alle ja dasselbe tun.

Die Frau Geheimerat war überreich,
Sie hatte hundertneunzig Millionen.
Doch ihr Gemüt blieb lieblich, gütig, weich,
Trotz des Gefolgs von Grafen und Baronen.
Sie gab und schenkte ohne Rangvergleich
Fortwährend ungezählte Doppelkronen.
    Ein kleiner Schalk im Nacken stand ihr gut,
    Witz, Laune, und ein leichter Übermut.

Nur eines konnte nicht die alte Dame
Vertragen: daß ich bessre Pferde schirrte.
Das deuchte, seltsamlich, ihr eine Blame,
Daß mein Geläut am Schlitten heller klirrte,
Daß, wehe, meiner Wagen wonnesame
Lack-Eleganz den Pöbel mehr verwirrte.
    Wir nannten sie die Königin der Chaussee,
    Das wußten sie und ihre Hauslivree.

Wir haben Alle unsre schwachen Seiten,
Wir Menschen. Dieser sammelt Münzen, Pflanzen,
Der Meißner Porzellan, der Nichtigkeiten,
Ein andrer sieht gern Balleteusen tanzen,
Ein andrer wieder muß die Welt durchschreiten,
Und der hat nur Gefühl für seinen Ranzen,
    Der ist Cellist, und der Gedichteschreiber;
    Ich liebe Grogk von Rum, Hasard und Weiber.

Nun kommts: Ich saß, es war noch früh am Morgen,
An einem heitern Sommertag im Parke,
Und hatte wahrlich keine weitern Sorgen,
Als daß mich stört des Gärtners Kratzeharke.
Ich brauchte nicht zu hungern, nicht zu borgen,
Da sah ich auf der Elbe eine Barke,
    Ein winzig Boot; ein Mann aus Övelgönne
    Ruderts, der Finkenwerder gern gewönne.

Kein Schiff ist sichtbar sonst, nur er allein
Zieht durch den Strom; so stand wohl jener Alte,
Der zu den Römern einst durch Dämmerschein
Im Einbaum fuhr, mit tiefer Kummerfalte,
Ein Seher seines Volkes, aus den Reihn
Der Edeln ausgewählt, zum Aufenthalte
    Bei ihnen, um sie flehend zu bestimmen,
    Den heiligen Fluß nicht feindlich zu durchschwimmen.

Und eine Stille wars, da schoß ein Satan,
Torpedodampfer, lautlos durch die Flut;
Von Wilhelmshaven kam der Leviathan,
Trotz seiner Kleinheit Leviathansbrut.
Er kam im allerschwärzesten Ornat an,
Bezaubernd sah er aus in seiner Wut.
    Unheimlich wars, es schien kein Mann an Bord,
    So pfeilt er durch das gelbe Wasser fort.

Wie war der Friedensmorgen wundervoll!
Die Nachtigallen schlugen wie verrückt.
Da dacht ich: ob ich heut nicht fahren soll
Den Sechserzug, die Hellfüchse, geschmückt
Wie Pferd und Muschelwagen von Apoll,
Wenn er den Himmel durch sein Pli entzückt
    Bei Jakob will ich frühstücken. Holla,
    Anspannen, Zügel her! Hurra, hurra!

Um freie Bahn zu haben, muß ein Neger
Aus meiner Dienerschaft vorgaloppieren,
Bimbo auf meinem Schimmel Paukenschläger.
Der Mohr, der Gaul, den türkische Flitter zieren,
Sind jedem stets Bewunderungerreger,
Fahr ich mit all dem bunten Zeug spazieren.
    Ich auf den Bock, die Welt ist mein, nun los
    Zeus hopst vor Freude aus dem Wolkenschoß.

O köstlich ists, im langen schlanken Trabe
So durch den Maienhag dahinzuflitzen.
Im Sonngefunkel schmollt der Tod am Grabe,
Wenn vierundzwanzig Silberhufe blitzen,
Die adelichen Rosse, Rad und Nabe
Ihn im Vorbei mit Kies und Sand bespritzen.
    Dann wird er böse sich nach mir erkunden,
    Doch lachend bin ich ihm schon längst entschwunden.

Das muß ich nachholen: Sehr aufgestört,
Vernahm ich, sollte Frau Geheimrat sein,
Als sie von meinem neuen Kauf gehört.
Flugs in Trakehnen traf ihr Käufer ein,
Ihr Stallmeister; sie war erzürnt, empört,
Und konnte mir den Handel nicht verzeihn.
    Ein Sonderzug bringt bald, kostbare Ware,
    Sechs Dunkelfüchse an, Prachtexemplare.

Bei Jenisch-Park, bei Teufelsbrück geschahs,
Den Vorreiter hat keine Schuld getroffen,
Da raste um die Ecke, ohne Maß,
Von Flottbek kommend, scharf, in wildem schroffen
Tollkühnen Henkersjagen, Dieu nous grâce,
Ein Ablenken war nicht mehr zu erhoffen,
    Der Frau Geheimrat funkelnd Sechsgespann
    In eins mit meinem, wie durch Hexenbann.

Und ein Geschling von Hälsen, Mähnen, Schwänzen,
Das wie das Chaos webert, wogt und ampelt.
Ich seh des einen Fuchses Lefzen glänzen,
Weitauf, der Zähne Schnee; er schlägt, er trampelt.
Ein herrlich Bild! vergebt, ich muß es kränzen.
Und alles zuckt und zappelt, strebt und strampelt.
    Der aufgeputzte Schimmel steht dazwischen
    Steilhoch, wo hell- und dunkelgelb sich mischen.

Ich spring zu Boden, eile an den Schlag
Der gnädigen Frau, doch ist sie schon entstiegen.
Sie lächelt wie ein milder Januartag:
»Nur meine Schuld, Baron.« Ich: »O, Sie siegen
Ein ander Mal. Nun zu den Hengsten! Plag
Mich Gott!« Sie: »Wie sie jämmerlich daliegen!«
    Ihr Hoffräulein, getroffen wie vom Blitz,
    Lag reizend ohnmächtig im Wagensitz.

In dieser heikelen Minute zogen
Grad über uns zwölf Schwäne hin durchs Blau.
Die Märchenprinzen? die einst fernher flogen,
Ihr Schwesterchen zu holen? Doch zu flau
War ihnen wohl das Hoffräulein; sie bogen,
Rechts steuernd, fort, wohin, wer sagts?
    Und schau: Merkwürdig, schon nach kürzest kurzer Zeit
    Ist Alles flott, zur Weiterfahrt bereit.

Am Nachmittag besuchte ich die Damen,
Mich zu erkundigen, wie die Angst bekommen.
Die Herrin schien ein wenig noch zu lahmen,
Das Fräulein hatte Hoffmannstrost genommen,
Sie dankten mir für Vorfrag und Examen;
Und wenn auch noch natürlich stark beklommen,
    Bat mich die Rätin doch, sie zu verbinden,
    Mich morgen Abend bei ihr einzufinden.

»Herr Meier bückt sich tief: Ich bin so frei.«
Es war Gesellschaft, eine große, volle;
Großhändler, Diplomaten, Maler Klei,
Baronin Obenaus und Gräfin Bolle,
Ein Literaturprofessor, Doktor Brei,
Den seit elf Jahren die Idee, die tolle,
    Nicht losläßt, einen Dichter auszugraben,
    Fritz Semmelhack, den langweiligsten Knaben

Von anno Tobak; gräßlich, wirklich gräßlich.
Dann Tante Mimi, Herr Assessor Starz,
Die Opernsängerin, sehr alt und häßlich,
Frau Colorat, Herr Pastor Siebenschwarz;
In Hamburg fehlt der Prediger nie. Unpäßlich
Hatte sich nur gemeldet Bankherr Harz.
    Ein General, der Oberleutnant Blander;
    Für Leutnants hab ich bis ans Grab ein Tendre.

Ein Flor von hübschen Mädchen, lauter Rosen,
Und jungen Herrn, natürlich vom Kommerz.
Daß ich ihn nicht vergesse: Rentner Plosen,
Ein Lebemann, war auch dabei. Und Herz,
Der fromme Kaffeemakler. Hannchen Klosen
Verreiste leider gestern, o der Schmerz!
    Und außer diesen waren, Sternenlichter,
    Geladen auch zwei »hehre« teutsche Tichter.

Der eine, mittelgroß, sah einem Jäger
Nicht unähnlich, mit derben Schulterknochen
Und blauen Augen; wars ein Pikenträger
Aus Landsknechtszeit? Dem mochte stürmisch pochen
Voll Leidenschaft der Puls; ein Harfenschläger
Der? hier? nein, niemals hätt ich das gerochen.
    Er trinkt und tanzt und lacht wie jedermann,
    Und keiner merkt ihm was Besondres an.

Der andre war ein Süßling, lang und schlank.
Er dreht sich hin, er dreht sich her, o je,
Die blasse Wangenfarbe macht mich krank;
Und gar die Löwenlocken, jemine!
Er flüstert, Augen hoch: »Ja, Gott sei Dank«
Und äfft geziert ein grauenhaftes Weh,
    Und lehnt gedankentief an eine Säule,
    Und düstert wie bei Tag die Kircheneule.

Den Pikenträger überrascht ich heute,
Grad als er hinter grünen Samtportieren
Heiß einem Dämchen, der Komteß zur Peute,
Die Hände küßte, und sie mochts nicht wehren.
Er bittet: »Darf ich, meine holde Beute,
Wenn sie von mir jetzt ein Gedicht begehren,
    Darf ich, das ich heut morgen schrieb, dann sagen?
    Es ist an dich, ein wildes; darf ichs wagen?«

Und sie: »Das sollst du, Fred, du mußt, ich will,
Es weiß ja keiner –« eine Ampel schwankte,
Sie lag in seinen Armen, stumm und still
Vor Seligkeit; ein Palmenbäumchen rankte
Sich um die zwei, aus Eden ein Idyll,
Und eine Nachtigall im Garten dankte.
    Ich schlich mich weg, als hätt ich Gift gesehn,
    Und blieb erst wieder am Büffette stehn.

Entzückenderes hab ich nie geschaut
Als dies Komteßchen: von des Ganges Fluten
Ein Hindumädchen, eine Hindubraut.
Der Himalaya-Augen dunkle Gluten!
Wie auf dem Helfant, dem sie sich vertraut,
Die kleinen Hände allerliebst sich sputen,
    Gold, Perlen, Blumen unters Volk zu streuen,
    Um am Gewimmel kindlich sich zu freuen.

Und diese Fürstentochter will ein Dichter,
Der Kerl, wie soll ich sagen, frech blamieren,
Dem ihre Gunst sie schenkte? Wär ich Richter,
Ich ließ ihn peitschen, ließ ihn strangulieren.
Begreif ihn, wer es kann, den Ehrvernichter;
Taktvoller sind Bekunkas und Baschkiren.
    Doch las ich irgendwo, daß die Poeten
    Aus Wahnsinn und Genie den Teig sich kneten.

Sei ihm verziehn. Am Ende auch: wer ahnt,
Daß, wenn nun sein Poem vom Stapel gleitet,
Daß er grad ihr die Huldigung geplant,
Daß grad für sie er seinen Teppich breitet,
Daß grad für sie er tausend Wimpel fahnt,
Für sie der Hölle Schrecknisse durchschreitet.
    Ich bin ein Gentleman, ich weiß zu schweigen
    Und stumm mich vorm Geheimnis zu verneigen.

Die Opernsängerin sang majestoso,
Ich glaube eine Arie von Gluck.
Assessor Starz gluckst würdevoll-pomposo
Sein Immerlied: Fern auf der Donaubruck.
Herr Plosen, stets ein bißchen spirituoso
Auf Soireen, lallt: Mädel, ruck, ruck, ruck.
    Bis Tante Mimi vorschlägt, daß Musik
    Sich jetzt verwandeln soll in Versgequiek.

Der Pikenträger wird zuerst gebeten,
Und er verbeugt sich. Was? Ist das der Jäger?
Wo sind ihm Hirsch und Hasen? Sie verwehten;
Das ist ein veritabler Harfenschläger!
Bescheiden sprach er, ohne Lärmtrompeten;
Nur ganz zuletzt ward er zum Himmelsfeger.
    Und glühend schloß er: »Uns beschützt, bewacht
    Heimlich und huldvoll die herrlichste Nacht!«

Aus einem Raubzug.
                Nahst du aus Ninive, schimmernde Schöne?
Nicht einen Schritt mehr, sofort machst du Halt!
Gleich auf den Thron hinauf, daß ich dich kröne!
Sperrst du dich, hab ich des Sultans Gewalt.

Trauernde, träumende indische Augen,
Trinkt ihr aus Herzen und Seele mein Blut?
Wenn sich zum Kusse die Lippen versaugen,
Sage mir, wird aus der Liebe dann Wut?

Wollen zwei Panther sich rasend zerreißen?
Feuer und Flammen entlodern der Haft:
Ringen und Raufen und Balgen und Beißen,
Sinkende Wimpern, entstürzende Kraft.

End ohne Ende. Nach kurzem Ermatten
Fliegen die Pfeile von neuem empor.
Fülle der Jugend und Sehnsucht erstatten,
Was sich verschwendrisch im Spiele verlor.

Grinsen der Schädelburg greuliche Zinnen
Deinen Triumph in die Lande, Despot?
Leichen, in Särgen verfaulendes Linnen?
Leben ist Alles! Verwesung der Tod!

Küsse mich, küsse mich, denk nicht ans Sterben,
Noch ist mit Rosen die Welt überdacht!
Heimlich beschützt uns vor Dorn und Verderben,
Heimlich und huldvoll die herrlichste Nacht.

              Ein Schweigen fror durch die gedrängten Reihen,
Entsetzen packte alle Hörer an.
Der greise General, dem hundert Weihen
Bellona gab, in Ohnmacht fiel der Mann.
Assessor Starz schreit wütend: Das verzeihen
Die Deutschen nie, den Staatsanwalt heran!
    Auf Polsterkissen, Sesseln und auf Stühlen
    Siehst die Geladnen du in Krämpfen wühlen.

Indessen alle hart nach Atem ringen,
Aus der Betäubung langsam, schwer erwachen,
Niest Tante Mimi; ihre Löckchen springen
Vor Aufgeregtheit, sie kennt keinen schwachen
Zustand, die Sache soll ihr wohl gelingen.
Deutschland, ruft sie, soll wahrlich nicht verkrachen;
    Heran, heran der andre Strophenbauer!
    Der lag schon wie die Spinne auf der Lauer.

Der Längling tritt hervor, die Hand im »Busen«.
Er streicht die Mähne, seine Augen »wallen«.
Gleich kommt das Dichter-»e«; o helf»e«t, Musen!
Im Schwunge läßt er seine Rechte fallen.
Nur einen Reim noch hab ich: Kellinghusen;
Einsam sind Haide dort und Buchenhallen.
    Erhaben blickt er, und im Zuckerton
    Beginnt sein Lied der lange Lyrasohn:

Die Linde.
        Im Abendwinde
Lispelt die Linde;
Er sitzet bei ihr.
Er tanzet, er springet,
Er wallet, er singet:
O Liebchen, mein Zier.
Es krächzet der Nachtsturm,
Es kreischet der Wachtturm,
Der Mond scheinet hell.
O Liebchen, es taget;
Was hab ich gewaget,
Hörst Hundegebell?
        Ein Donnersturm bricht los, der Beifall braust,
Das Fahrzeug fährt jetzt wieder in der Richtung.
Wie der Orkan den Eichenbaum zerzaust,
Das böse Wetter droht ihm fast Vernichtung,
So jubelt Alles, lärmt und trinkt und schmaust;
Gerettet ist so Vaterland wie Dichtung.
    Tantchen Mimi gebührt die Ehrenrose;
    Heil ihr, bengalisch Licht, Apotheose!

Wo aber blieb der Jäger? schlich er fort
Beschämt, geknickt? er muß es tief empfinden.
Wo blieb Komteß? mein Gott, ich fürchte Mord!
Sind beide in der Elbe schon zu finden?
Getrost! sie leben. Noch ein letztes Wort:
Ich sehe sie nach Othmarschen verschwinden,
    Da kenn ich Wege, heckenstill und gut,
    Wo satt und matt sich küßt verliebtes Blut.


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