Detlev von Liliencron
Poggfred
Detlev von Liliencron

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Fünfundzwanzigster Kantus: Frerk Frerksens Werft.

Motto:

Wehe, der Mensch ist ein Säugetier.

Richard Dehmel.

                          Igitt, (o Gott), so heißt das edle Wort,
Das wir in Hamburgs Straßen vielmals hören.
Igitt, igitt, daß ich auch fort und fort
Mich lasse vom »realen Stoff« betören!
Muß denn dies Rattenzeug an meinem Bord
Sich unaufhörlich gegen mich verschwören?
    Mein Phantasus, sei flügelbreit bereit,
    Daß mich nicht unterkriegt die Wirklichkeit.

Drum rasch in See! Das Rattenvolk verrecke!
Halloh, halloh, wie weht hier frisch der Wind!
Mein Wikingschiff ist keine Wasserschnecke;
Wie die verfolgte Nixe schwimmts geschwind.
Das Segel schwillt. Schwarz droht die Wolkendecke.
Der Wimpel züngelt wie ein Schlangenkind.
    Das Nordmeer brüllt. Es fällt der Blitz. Geschmetter.
    Und meinen Arm breit ich entzückt dem Wetter.

Da brennts ja! Wo? Der Dreimastschoner? Nein!
Ists an der Küste? Nein! Die Hallig brennt!
Frerk Frerksens Werft. Da liegt sie! Ganz allein!
O wie allein! Von aller Welt getrennt!
Und keine Seele rings; nicht Stein noch Bein.
Die Flammen schlagen wild ans Firmament.
    Und keine Möglichkeit, daß wir dort landen;
    Die Watten hindern dran, wir würden stranden.

Nach einigen Tagen hört ich die Geschichte
Von diesem Brande; sie war grauenhaft.
Es grinste aus dem schlichten Tatberichte
Das ganze Höllenheer der Leidenschaft.
Saß hier ein Gott im Feuer zu Gerichte?
Bewies das Schicksal seine Keulenkraft?
    Nennts Schicksal, nennt es Gott, frei könnt ihr wählen;
    Ich habe nur die »Sache« zu erzählen.

Zwei Brüder lebten in Frerk Frerksens Haus,
Die er, selbst fern, als Schäferknechte hielt.
Sonst auf der Insel weder Mann noch Maus,
Nur Schafe, Schafe werden drauf »erzielt«;
Die rupfen rasch den magern Halligstrauß,
Bevor die Flut sich wieder näher stiehlt,
    Sich unaufhaltsam durch die Priele schlängelt
    Und auf die Werft die weiße Herde drängelt.

Stets, Tag für Tag, derselbe Stundenplan.
Die Brüder, Friesen, ernst, vernünftig, stumm,
Begnügen sich mit diesem Kanaan,
Als wärs ein unverfälschtes Tusculum.
Der eine schnitzt an einem Haifischzahn,
Der andre braut heiß Wasser mit viel Rum.
    Sie schlafen gern, sind gerne Zeitverschwender,
    Und beide lesen Bibel und Kalender.

Allmählich doch: Dies ewige Strümpfestopfen,
Dies ewige Nähn an Hose, Hemd und Knöpfen,
Dies immer enger sich zusammenpfropfen
Mit Hund und Lämmern, mit den Graupentöpfen,
Das waren schließlich keine Honigtropfen.
Und so beschlossen sie mit harten Köpfen:
    Wir lassen uns ein Weib herüberschicken,
    Die für uns fegen, kochen soll und flicken.

Und richtig, im September wars, da kam
Von Husum her ein Mädchen angesegelt
Mit ihrem Bett und Staat, und übernahm
Sofort den Haushalt; er war rasch geregelt.
Dann haben sich die Brüder wonnesam
Plumsbumsrums auf ihr Lager hingeflegelt.
    Breitschultrig, kräftig war die Küchenfei,
    Gutmütig, nur im Hirn was einerlei.

So lebten denn die drei, weitab der Welt,
Einträchtiglich, wie treue Freunde wohnen.
Bald hat sie Klöße auf den Tisch gestellt,
Bald gab es Linsen, Erbsen, Speck und Bohnen.
Nie tobte Zank noch Zorn in ihrem Zelt,
Sie dachten nur an essen, schlafen, fronen.
    Nachts lag das Märchenschloß, als wärs erstickt;
    Sogar der Tod schien leise eingenickt.

Ein schwerer Winter finsterte herein;
Die Flut begrub mit Schollen-Eis die Pläne,
Das liegen blieb, als wollt es dort gedeihn.
Einmal besuchten dreizehn wilde Schwäne
Das öde Eiland, doch im Abendschein
Verließen südsüdwestlich sie die Szene.
    Im dunklen, offnen Meer hebt sich mitunter
    Ein Robbenkopf, und taucht schnell wieder unter.

Wie einsam nun der kurze, kalte Tag,
Die Nacht wie lang, schier endlos schleicht ihr Ziehn.
Die Werft gleicht einem grauen Sarkophag,
Bedeckt vom Schneepelz wie mit Hermelin.
Zuweilen krorrahxt auf dem Herdenschlag
Ein Rabe; ach, du armer Peregrin.
    Der eine Bruder schnitzt am Haifischzahn;
    Der andre, bibelfest, ist Hauskaplan.

Zwei Fahnen liegen stets bereit zum hissen:
Die schwarze winkt bei Krankheit und bei Tod.
Dann kommt der Arzt mit seinen Feldmelissen;
Auch Kindesnöte kündet ihr Gebot.
Die gelbe ködert manchen guten Bissen,
Sie ruft dem Landvogt zu: Hilf, uns fehlt Brot;
    Wenns geht. Denn meistens türmt das Bröckel-Eis
    Ganz undurchdringlich seinen Herrschaftskreis.

Der Frühling siegt. Der Eiswall löst sich auf.
Auch hier bestickt die Erde sich mit Grün.
Das zarte Halligblümchen kriecht herauf,
Bis endlich alle Gräserrispen blühn.
Der Kampfhahn sträubt den Hals in drolligem Lauf,
Und selbst der Möwenvater zeigt sich kühn.
    Allleben bis ins kleinste Pflanzenröhrchen;
    Den Lämmern schimmern rosarot die Öhrchen.

Und unbekannte Vögel kommen an,
Mit grellen Farben, niemals noch gesehn.
Die singen fremd, wie keiner singen kann,
Und haben goldne Krallen an den Zehn.
Najaden huschen um die Hallig dann
Und lassen sichs am Strande wohlergehn.
    Am andern Morgen ist das Vogelvölkchen
    Spurlos verschwunden wie ein Abendwölkchen.

Ein Julitag. Die Sonne scheint so heiß,
Als schiene sie gemütlich am Äquator.
Fata morgana. Ferne flimmerts weiß;
Gleich schiebt sich aus dem Schlamm ein Alligator.
Wer zahlte jetzt nicht gern den höchsten Preis
Für einen patentierten Ventilator!
    Der Ozean liegt wie Spiegelglas so glatt
    Von Hollands Ufern bis zum Kattegatt.

Am Nachmittage fängt es an zu murren.
Der Himmel ist doch blau wie ein Türkis,
Ist wie zwei Löwen, die sich leis beknurren,
Nun wieder still wie einst im Paradies.
Die Fliegen stechen, die Insekten surren;
Ein Hammel klagt, als stäk er schon am Spieß.
    Auf einmal, bis zum Wasserrand gebogen,
    Beginnt die See zu dunkeln und zu wogen.

In dieser Stunde zeigt ein schwacher Schrei
Ein viertes Mitglied auf der Hallig an.
Die schwarze Fahne hängt am First wie Blei,
So hing sie schon vom frühen Morgen an,
Und niemand kam und stand der Mutter bei,
Ganz ohne Hilfe kommt das Söhnchen an.
    Betroffen stehn die Brüder vor dem Wunder,
    In ihren graden Herzen glimmts wie Zunder.

Wer ist der Vater? Wem gehört das Kind?
Sie schaun sich in die treuen blauen Augen.
Bin ichs? Bist dus? Sie stehn wie taub und blind,
Sie stehn und schaun sich in die treuen Augen.
Kein Wort wird laut, die Parze sinnt und spinnt;
Sie stehn und stehn und schaun sich in die Augen.
    Sie geben, wie zum Abschied, sich die Hand;
    Dann nehmen sie zwei Äxte von der Wand.

Und wandern an den Strand, der Sturm wird laut,
Die Dämmrung knüpft schon ihre Maschen dichter,
Die Flut rillt an, sie stehn im nassen Kraut;
O käme jetzt des Wegs ein weiser Richter.
Wo bleibt die Taube, alles Friedens Braut?
Der Bruder wird am Bruder zum Vernichter!
    Dumpf kracht die Axt, vom Himmel dröhnts wie Schrecken,
    Der erste Blitz sprang übers Wasserbecken.

Der erste Blitz traf auch das Hallighaus,
Wo warm im Mutterarm das Kindchen liegt.
Er traf sie gut mit seinem Feuerstrauß
Und hat sie beide eilends eingewiegt.
Nun bricht die Flamme in den Wettergraus,
Bis sie sich fest um jeden Balken schmiegt.
    Gerötet ist der Himmel weit und breit
    Und zeigt der Welt des Schicksals Herrlichkeit.

Am nächsten Morgen schien die Sonne klar,
Die Trümmer rauchten noch aus ihrer Wüste.
Es war, als stünde wartend ein Altar,
Des stille Glut die ganze Erde grüßte,
Als müßt ein Priester nahn im Festtalar,
Des Opfer jeden Frevel für uns büßte.
    Der Tag ging luftig wie auf Zephyrzehn,
    Ich habe keinen schönern je gesehn.


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