Detlev von Liliencron
Poggfred
Detlev von Liliencron

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Dritter Kantus: Großmutter Schlangenköchin.

Motto:

Ich stand und fühlte das Gesetz: wer lebt,
hilft töten, ob er will ob nicht.

Richard Dehmel.

                  Terzinen müssen wie granitne Mauern
Geprüft, gepaßt, gefügt, gemörtelt sein,
Damit sie jeden Sturmstoß überdauern.

Genau gepaßt, gefügt ruht Stein an Stein.
Nicht nur die Form, der Inhalt muß erst recht
»Wie angegossen« sich zusammenreihn.

Das konnte Dante nur! Ich Kleisterknecht
Dagegen: Welch ein mühsam Leimen, Schieben,
Und welch ein lochgeflicktes Felsgeflecht.

Nichts da von Dantes großen Hammerhieben!
Wie würde der die Nebelnornen zeigen,
Die sich in meinen Garten heut verlieben.

Poggfred im Nebel. Und er will nicht steigen.
Nur immer dichter hüllt er Strauch und Baum;
Naßgraue Tücher tröpfeln von den Zweigen.

Mein Herz treibt wie durch einen trägen Traum,
Mit schlaffen Segeln und gebrochnem Steuer,
Nach einem kahlen, feuchten Ufersaum.

Wo keine Sonne wärmt, kein Abendfeuer,
Wo jeder Herd schon längst zerfallen ist,
Zerfallen selbst die wetterfesteste Scheuer.

Trostlos schweigt dir das Meer zu: wer du bist:
Ein Nichts im Land der Hoffnungslosigkeit,
Wo Stunde nimmersatt die Stunde frißt.

Verschlingt der Nebel völlig Raum und Zeit?
Will er mich auch mit seinen Flossen fassen?
Durchs Fenster durch? Die Fenster auf! weit, weit!

Da hör ich eine Laute, lustverlassen,
Daß mir ein Schauder durch die Seele weht,
Weltfern aus irgend welchen Abgrundsgassen.

Ein Lied klingt her zur Laute, todberedt;
Es wird mit hoher Leidenschaft gesungen,
Dazwischen welkt ein süßes Veilchenbeet.

»Großmutter Schlangenköchin« ist erklungen:

    Maria, wo bist du zur Stube gewesen?
    Maria, mein einziges Kind!
        Ich bin bei meiner Großmutter gewesen,
        Ach weh! Frau Mutter, wie weh!

    Was hat sie dir dann zu essen gegeben?
    Maria, mein einziges Kind!
        Sie hat mir gebackne Fischlein gegeben,
        Ach weh! Frau Mutter, wie weh!

    Wo hat sie dir dann das Fischlein gefangen?
    Maria, mein einziges Kind!
        Sie hat es in ihrem Krautgärtlein gefangen,
        Ach weh! Frau Mutter, wie weh!

    Womit hat sie dann das Fischlein gefangen?
    Maria, mein einziges Kind!
        Sie hat es mit Stecken und Ruten gefangen,
        Ach weh! Frau Mutter, wie weh!

    Wo ist dann das übrige vom Fischlein hinkommen?
    Maria, mein einziges Kind!
        Sie hats ihrem schwarzbraunen Hündlein gegeben,
        Ach weh! Frau Mutter, wie weh!

    Wo ist dann das schwarzbraune Hündlein hinkommen?
    Maria, mein einziges Kind!
        Es ist in tausend Stücke zersprungen,
        Ach weh! Frau Mutter, wie weh!

    Maria, wo soll ich dein Bettlein hin machen?
    Maria, mein einziges Kind!
        Du sollst mirs auf den Kirchhof machen,
        Ach weh! Frau Mutter, wie weh!

»Großmutter Schlangenköchin« ist verklungen.
Geheimnisvolle ewige Schicksalsmacht!
Mit deinen Rätseln hab ich stets gerungen:

Bei der Empfängnis trittst du aus der Nacht,
Das ist der grauenvolle Grundakkord;
Ein Tier, ein Stern, das Flämmchen ist entfacht.

Dein Lebensweg ist tausendfacher Mord
An dir, von dir, wenn nicht dein Kindermund
Zur rechten Zeit ins Grab hinunterdorrt.

Und selbst dem Kind ist schon das Herzchen wund
Von Zorn und Eigensinn, versagtem Willen;
Noch arglos, schreit es seinen Schmerz gesund.

Doch lebst du weiter, wird in vielen schrillen
Mißtönen deine Seele oft erschrecken;
Und sind es Greuel nicht, so sind es Grillen.

Und was schläft nicht bei dir in Schlupf und Ecken:
Dein Herz ist eine Senkgrube voll Schmutz
Und Eitelkeit und hundert andrer Flecken.

Und dieser Senkgrube nützt kein Verputz,
Und sie zu säubern, nützen keine Siebe,
Und keine Schirme bieten sichern Schutz.

Zuerst quält dich ein Hunger: der nach Liebe.
Der »Ersten Liebe« unbewußt Begehr?
Das ganz gemeine Anklopfen der Triebe!

Ist alles »Stimmung« nicht? Bald hin, bald her,
In jede Richtung weisen ihre Fahnen:
Ins Winterland, ins Frühlingsblütenmeer.

Und immer öder werden deine Bahnen –
Halt! Keinen Schritt mehr auf der Jammerrutsche!
Ich weiß ein Wort in wilden Ozeanen:

Non timeo!
Verdammt und zugenäht! Ich wohn auf Erden!
So lang der Tod mich nicht am Kragen hat,
Will ich schon mit dem Krempel fertig werden.

»Non timeo« bohrt bis ans Pallaschblatt.
Auf meiner Klinge stehts: I fercht mi net.
Non timeo: das macht den Dornbusch glatt.

Auf meiner Brust trag ichs als Amulett.
In meinem Herzen steht es wie ein Turm.
Wenn ich erwache, ruhts vor meinem Bett.

Mein lieber Morgen, gibt es heute Sturm?
Gleichviel, ich stehe wurzelfest, ich warte.
Und käme selbst der alte Tatzelwurm:

Non timeo!

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