Mirok Li
Iyagi
Mirok Li

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37. Der Himmelsbote

Leise plaudernd gingen zwei junge Dichter durch eine alte Gasse in Seoul. Es war Nacht, der Mond schien. Keinen Menschen trafen sie. Plötzlich blieb der ältere an einer Mauer stehen. Er hörte eine leise betende Stimme hinter der Mauer. Nach der Stimme zu schließen, war es ein altes Mütterchen. Um etwas betete sie. Von Neugier getrieben. hielten sie ihr Ohr an ein Mauerloch. »Er ist doch kein schlechter Mensch. Er hat es bloß für seine Mutter getan, für diese arme Frau. Er ist auch so krank. Er kann nicht im Kerker leben. Lieber Himmelsherr, wirf nur ein Yang (frühere Geldeinheit) in meinen Hof, damit ich meinen Sohn aus dem Gefängnis holen kann. Lieber Himmelsherr, er ist wirklich kein schlechter Mensch . . . .« – »Ach, wenn ich nur ein Yang hätte!« sagte der ältere. Er stülpte seine Tasche um und zählte. Es waren bloß sieben Ton (ein 200 Zehntel-Yang). Der jüngere hatte aber kein Ton. »Nun ja, wenn auch bloß ein Teil!« murmelte der ältere und warf sein Geld in den Hof. Es klirrte und die betende Stimme verstummte.

Nach einigen Tagen ging der jüngere Dichter wieder einmal durch dieselbe Gasse um dieselbe Stunde. »Wird sie heute auch beten?« fragte er sich und ging leise und zögernd an der Mauer entlang. Tatsächlich hörte er wieder dieselbe betende Stimme. »Er ist wirklich kein schlechter Mensch. Wenn du nur noch drei Ton herunterwirfst, dann habe ich meinen Sohn wieder. Er ist wirklich kein schlechter Mensch. Er hat es ja bloß für seine Mutter, für diese arme Frau getan . . . .« – Diesmal hatte der Dichter zwar ein Yang in seiner Tasche; aber er mußte es morgen seinem Gläubiger geben. Vielleicht konnte er diesen mit nur sieben Ton befriedigen und jetzt doch drei Ton der armen Frau hinüberwerfen? »Ja, das tue ich!« sagte er zu sich. 201

Er wußte aber nicht, wie er nun seine große Yang-Münze in Kleingeld wechseln könnte. Es war bereits späte Nacht geworden. Kein Mensch ging vorbei. »Sie!« rief er durch das Mauerloch. Es wurde still hinter der Mauer. »Sie bekommen vom Himmelsherrn drei Ton. Er hatte aber kein Kleingeld; so gab er mir eine große Münze. Ich werfe sie jetzt hinüber. Sie müssen dann sieben Ton herüberwerfen.« Es klang im Hof. Ungeduldig wartete nun der Dichter auf das Herüberfliegen von sieben Ton. Aber es kam nichts. Nach einer langen Stille hörte er wieder die Stimme der Frau. »Ach, mein gnädiger Himmelsherr, du weißt auch, daß mein Sohn schon mehrere Tage nichts zu essen bekommen hat. Du bist ja so reich. Laß mir, bitte, die sieben Ton auch! So gerne möchte ich meinem Sohn ein gutes Essen geben. Er braucht auch einen dicken Anzug für den Winter. Er hat auch keine Schuhe . . . .«

Der Dichter wurde noch 202 ungeduldiger. Morgen wird der Gläubiger ihn einsperren lassen, wenn er ihm kein Geld gibt. Ach, wenn die Frau nur ein wenig bescheidener sein wollte! »Es geht nicht, liebe Frau, der Himmelsherr ist nicht so reich. Er braucht auch sein Geld. Werfen Sie, bitte, die sieben Ton doch herüber!« – »Ach, mein gnädiger Himmelsherr, du wirst doch nicht so arm sein wie ich. Mein Sohn ist so krank. Er muß Gutes zu essen bekommen. Mein gnädiger Himmelsherr, du kannst mir den Rest auch geben. Du bist ja doch nicht so arm wie diese alte Frau. Du kannst mir wirklich den Rest lassen . . . .«

»Meinetwegen!« schrie der ungeduldige Himmelsbote und ging weiter. 203

 


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