Mirok Li
Iyagi
Mirok Li

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33. Die Wette, die niemand gewinnt

Fressenwetten sind nicht selten. Einer rühmt sich, sechs Kommisbrote auf einem Sitz heruntergeschlungen zu haben; der andere vielleicht sechs Pfund Reis.

Etwas anders ist die Wette der Entsagung, die gewisse Weinwirte in China in früher Zeit (ob jetzt noch, weiß ich nicht) ersannen und geschickt zur Anlockung der Gäste benützten. Wenn ein Gast einen Tag in einem Weinhaus weilte, ohne etwas zu genießen, so durfte er am nächsten Tag essen und trinken soviel er wollte, ohne zu zahlen. Viele unternehmungslustige Männer erproben ihre Willensstärke und viele neugierige Zuschauer füllen das Haus des Wirts. Jeder glaubt, einen Tag in dieser Entsagung leben zu können. Oh, nein, das kann nicht jeder. Vom Morgen bis zum Abend sitzt er vor den verlockenden Delikatessen, der 188 verführerischen Weinflasche. Den ganzen Tag umschmeichelt ihn der Duft der Hühner- und Fasanbrühe, besonders verlockend, wenn es dem Abend zugeht. Wo er hingeht, wo er sich setzt, kommt sofort ein Diener mit den schönsten Sachen und fragt, ob der Gast nach diesem oder jenem Verlangen habe. Er bekommt Appetit, Lust zum Essen, Hunger quält ihn; er muß aber noch den ganzen Abend und die Nacht aushalten. Kann er es wirklich? Lohnt sich das? Was wird, wenn er jetzt etwas ißt? Er muß zahlen, was er verzehrt, nicht mehr als sonst. Ist die beste Belohnung der Entsagung nicht die, daß man beim ärgsten Hunger etwas Gutes zu essen bekommt? Es ist doch gescheiter, er ißt jetzt mit bestem Appetit. So gut wird es ihm selten schmecken und wenn er will, kann er am nächsten Tag noch einmal wetten. Er ruft den Wirt. Dieser kommt und tröstet den Gast über den ausgestandenen Hunger. Er freut sich, daß die Kunst seiner Köche selbst von 189 diesem willensstarken Mann verehrt wird.

Der Wirt freut sich aber auch, wenn er selbst die Wette verliert. Er bewirtet seinen Gast am nächsten Tag mit allerfeinsten Speisen und Getränken und läßt nur die schönsten Mädchen den Sieger bedienen. Erst, wenn die letzte Stunde naht, bietet der Wirt noch eine Wette an, und zwar eine ganz andere. Der Wirt hat nämlich den Tag über still beobachtet, ob dieses oder jenes Mädchen mit dem Herrn Blicke wechselte. Die Wette wird angenommen. Der Gast verweilt eine Nacht im selben Haus, aber diesmal nicht allein. War er nicht standhaft genug gegen die Versuchung der Frau, so hat er die Wette verloren. Dies ist aber nicht weiter schlimm. Denn er braucht ja nicht mehr zu verlieren, als wenn er eine Nacht in irgendeinem anderen Frauenhaus verweilt hätte. Bleibt er dagegen Sieger, so wird er noch mehrere Tage vom Wirt frei verpflegt. 190

Aus dieser Wette ist aber bis heute keiner als Sieger hervorgegangen. 191

 


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