Gotthold Ephraim Lessing
Fragmente und Fabeln
Gotthold Ephraim Lessing

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18. Zeus und das Schaf

Fab. Aesop. 119.

Das Schaf mußte von allen Thieren Vieles leiden. Da trat es vor den Zeus und bat, sein Elend zu mindern.

Zeus schien willig und sprach zu dem Schafe: Ich sehe wol, mein frommes Geschöpf, ich habe Dich allzu wehrlos erschaffen. Nun wähle, wie ich diesem Fehler am Besten abhelfen soll. Soll ich Deinen Mund mit schrecklichen Zähnen und Deine Füße mit Krallen rüsten? –

O nein, sagte das Schaf; ich will nichts mit den reißenden Thieren gemein haben.

Oder, fuhr Zeus fort, soll ich Gift in Deinen Speichel legen?

Ach! versetzte das Schaf, die giftigen Schlangen werden ja so sehr gehaßt! –

Nun, was soll ich denn? Ich will Hörner auf Deine Stirne pflanzen und Stärke Deinem Nacken geben.

Auch nicht, gütiger Vater; ich könnte leicht so stößig werden als der Bock.

Und gleichwol, sprach Zeus, mußt Du selbst schaden können, wenn sich Andere Dir zu schaden hüten sollen.

Müßt' ich das! seufzte das Schaf. O, so lass' mich, gütiger Vater, wie ich bin. Denn das Vermögen, schaden zu können, erweckt, fürchte ich, die Lust, schaden zu wollen; und es ist besser, Unrecht leiden, als Unrecht thun.

Zeus segnete das fromme Schaf, und es vergaß von Stund an, zu klagen.



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