Gotthold Ephraim Lessing
Fragmente und Fabeln
Gotthold Ephraim Lessing

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5. An den Herrn Marpurg, über die Regeln der Wissenschaften zum Vergnügen, besonders der Poesie und Tonkunst

Der Du für Dich und uns der Töne Kräfte kennst,
Der Kunst und der Natur ihr wahres Amt ernennst,
Maß, Gleichheit, Ordnung, Werth im Reich der Schalle lehrest,
Denkst, wo man sonst nur fühlt, und mit der Seele hörest,
Dein Ohr nicht kitzeln läßt, wenn Du nicht weißt warum?
Dem schwere Schönheit nur Lust bringt und Meistern Ruhm;
Freund, sprich, soll die Musik nicht alle Welt ergetzen?
Soll sie's – was darf man sie nach strengen Regeln schätzen?

Die grübelnde Vernunft dringt sich in Alles ein
Und will, wo sie nicht herrscht, doch nicht entbehret sein.
Ihr flucht der Orthodox; denn sie will seinem Glauben,
Der blinde Folger heischt, den alten Beifall rauben.
Und mich erzürnt sie oft, wenn sie der Schul' entwischt
Und spitz'gem Tadel hold in unsre Lust sich mischt.
Gebietrisch schreibt sie vor, was unsern Sinnen tauge,
Macht sich zum Ohr des Ohrs und wird des Auges Auge.
Dort steigt sie allzu hoch, hier allzu tief herab,
Der Sphär' nie treu, die Gott ihr zu erleuchten gab.
Die ist des Menschen Herz, wo sich bei Irrthums Schatten,
Nach innerlichem Krieg, mit Lastern Laster gatten,
Wo neues Ungeheu'r ein jeder Tag erlebt,
Und nach dem leeren Thron ein Schwarm Rebellen strebt.
Hier lass', Vernunft, Dein Licht uns unsern Feind erblicken,
Hier herrsche sonder Ziel, hier herrsch', uns zu beglücken.
Hier findet Tadel, Rath, Gesetz und Strafe statt.
Doch so ein kleines Reich macht Deinen Stolz nicht satt.
Du fliehst auf Abenteu'r ins Elend zu den Sternen
Und baust ein stolzes Reich in unermess'nen Fernen,
Spähst der Planeten Lauf, Zeit, Größ' und Ordnung aus,
Regierst die ganze Welt, nur nicht Dein eignes Haus.
Und steigst Du dann und wann voll Schwindel aus den Höhen,
Zufrieden mit Dir selbst, wie hoch Du stiegst, zu sehen,
So kömmst Du, statt ins Herz, in einen Kritikus,
Der, was die Sinne reizt, methodisch mustern muß,
Und treibst durch Regeln, Grund, Kunstwörter, Lehrgebäude
Aus Lust die Quintessenz, rectificirst die Freude
Und schaffst, wo Dein Geschwätz am Schärfsten überführt,
Daß viel nur halb ergetzt, und Vieles gar nicht rührt;
Das Fühlen wird verlernt, und nach erkiesten Gründen
Lernt auch ein Schüler schon des Meisters Fehler finden
Und hält, was Körner hat, für ausgedroschnes Stroh;
Denn Ekel macht nicht satt, und Eigensinn nicht froh.
Ist der Vergnügen Reich nicht klein genug umschränket,
Daß unser ekler Witz auf engre Marchen denket?
Treibt denn der Baum der Lust Holz so im Ueberfluß,
Daß man gewaltsam ihm die Aeste rauben muß?
Ist unsre Freud' ein Feu'r, das sich zu reichlich nähret,
Das uns, schwächt man es nicht, anstatt erwärmt, verzehret?
Ist das, was uns gefällt, denn lauter starker Wein,
Den man erst wässern muß, wenn er soll heilsam sein?
O nein! denn gleich entfernt vom Geiz und vom Verschwenden,
Floß, was Du gabst, Natur, aus sparsam klugen Händen.
Was einen Bauer reizt, macht keine Regel schlecht;
Denn in ihm wirkt ihr Trieb noch unverfälschlich ächt;
Und wenn die kühne Kunst zum höchsten Gipfel flieget,
So schwebt sie viel zu hoch, daß ihn ihr Reiz vergnüget,
So wie des Weingeists Gluth, weil er zu reinlich brennt,
Kein dichtes Holz entflammt, noch seine Theile trennt.

Freund, wundre Dich nur nicht, daß einst des Orpheus Saiten
Die Tiger zahm gemacht und lehrten Bäume schreiten;
Das ist: ein wildes Volk, den Thieren untermengt,
Hat, wenn er spielte, sich erstaunt um ihn gedrängt.
Sein ungekitzelt Ohr fühlt süße Zaubereien;
Ihn lehrt die Macht der Kunst die Macht der Götter scheuen,
Und was der Wundermann lobt, rathet und befiehlt,
Hat bei den Rauhesten den Reiz, mit dem er spielt.
Die Menschlichkeit erwacht; der Tugend sanftes Feuer
Erhitzt die leere Brust und wird die Frucht der Leyer.
Der Wald sieht sich verschmäht, man sammelt sich zu Hauf,
Man herrscht, man dient, man liebt und bauet Flecken auf.
So wirft ein Leyermann – und Gott weiß was für einer! –
Den Grund zum größten Staat und macht die Bürger feiner.
Doch war's ein Wunder? Nein. Dem unverwöhnten Ohr,
Das noch nichts Schönres kennt, kömmt Alles göttlich vor.
Jetzt aber ... wähle selbst, nimm Hassen oder Grauen,
Und sprich, ihr edler Stolz, wird er sich so viel trauen?
Er bessre, wenn er kann, das ungeschliffne Land.
Dem Junker und dem Bau'r fehlt noch gleich viel Verstand.
Er geh', sind sie es werth, und lehr' mit Opertönen,
Was sich nicht lehren läßt, den ohne Murren fröhnen,
Und jenen ohne Stolz ein Bauerkönig sein.
Der Priester räumt ihm gern dazu die Kirchen ein.
Doch er wird zehnmal eh die Karpfen in den Teichen
Als ihren dummen Bau'r und Bauerherrn erweichen.
Nicht, weil er schlecht gespielt, weil er kein Orpheus ist,
Deß Kunst die Billigkeit nach seinen Zeiten mißt;
Nein, weil jetzt (güldne Zeit!) der Pöbel auf den Straßen
Ein ekler Ohr besitzt, als Kenner sonst besaßen.
Erst drängt er durch die Wach' sich toll ins Opernhaus,
Urtheilt erbärmlich dann und strömt in Tadel aus.
Die Wendung war zu alt, die kam zu oftmals wieder;
Hier stieg er allzu hoch, hier fiel er plötzlich nieder;
Der Einfall war dem Ohr zu unerwartet da,
Und jener taugte nichts, weil man zuvor ihn sah;
Bald wird das Traurige zum Heulen wüster Töne,
Bald ist die Sprach' des Leid's zu ausgekünstelt schöne;
Dem ist das Fröhliche zu schäkernd possenhaft,
Und Jenem eben das ein Grablied ohne Kraft;
Das ist zu schwer gesetzt, und das für alle Kehlen;
Und Manchem scheint es gar ein Fehler, nie zu fehlen;
Das Wort heißt zu gedehnt, und das nicht g'nug geschleift;
Die Loge weint gerührt, wo jene zischt und pfeift.
Wo kömmt die Frechheit her, so unbestimmt zu richten?
Wer lehrt den gröbsten Geist die Fehler sehn und dichten?
Ist nicht, uneins mit sich, ein Thor des andern Feind?
Und fühlt der Künstler nur sie all' auf sich vereint?
Ist nicht der Grund, weil sie erschlichne Regeln wissen
Und auf gut Glück darnach vom Stock zum Winkel schließen?
Er ist's. Nun tadle mich, daß ich die Regeln schmäh'
Und mehr auf das Gefühl als ihr Geschwätze seh'.

Die Schwester der Musik hat mit ihr gleiches Glücke;
Kritiken ohne Zahl und wenig Meisterstücke,
Seitdem der Philosoph auf dem Parnasse streift
Und Regeln abstrahirt und die mit Schlüssen steift.
Der Schüler hat gehört, man müsse fließend dichten.
Was braucht der Schüler mehr, des Schweitzers Lied zu richten?
Grob, Lohensteinisch, schwer giebt seinen Worten Wucht.
Die Menge lobt den Wahn; das ist des Wahnes Frucht.
Ja, seine Tyrannei hat leichte Besserungen,
Nach langem Widerstand, ihm endlich abgedrungen.
Und bersten möcht' ich oft, wenn tadelndes Geschmeiß,
Das kaum mit Müh' und Noth die drei Einheiten weiß,
Den Plaut und Molièr' zu übersehen glaubet;
Das ist, dem Herkules im Schlaf die Keule raubet,
Und brächt' ihm gern damit schimpfsvolle Wunden an;
Nur schade! daß kein Zwerg sie mächtig führen kann.
Kunstwörter müssen dann der Dummheit Blöße decken,
Und ein gelehrt Citat macht Zierden selbst zu Flecken.
Ach arme Poesie! anstatt Begeisterung
Und Göttern in der Brust, sind Regeln jetzt genung.
Noch einen Bodmer nur, so werden schöne Grillen
Der jungen Dichter Hirn, statt Geist und Feuer füllen.
Sein Affe schneidert schon ein ontologisch Kleid
Dem zärtlichen Geschmack zur Maskaradenzeit.
Sein kritisch Lämpchen hat die Sonne jüngst erhellet,
Und Klopstock ward durch ihn, wie er schon stand, gestellet.

Tonarten, Intervall, Accorde, Dissonanz,
Manieren, Clauseln, Tact, Strich, Conterpunkt und Schwanz,
Mit hundert Wörtern mehr, die Tausend nicht verstehen,
Worauf sich Tausend doch pedantisch albern blähen,
Freund, sei so gut, verbräm' mein allzudeutsch Gedicht,
Damit man auch von mir als einem Kenner spricht.
Doch nein ... Es möchte mich ein Pfau zu rupfen fassen.
Wobei ich nichts gedacht, mag ich nichts denken lassen.
Zwar durch Bescheidenheit fliegt man nicht himmelan;
Dem Mädchen steht die Scham, und Prahlerei dem Mann.
Die Regeln sind dazu, daß wir nicht dürfen schweigen,
Wenn Meister emsig sind und sich in Thaten zeigen.
Wer hat so müß'ge Zeit und sitzet mühsam still,
Daß er erst Alles lern', wovon er reden will?
Ein Weiser braucht den Mund zum Richten und am Tische.
Wer schweigt, ist dumm. Drum sind das dümmste Vieh die Fische.
Bei einem Glase Wein kommt Manches auf die Bahn;
Da heißt es: rede hier, daß man Dich sehen kann.
Und reden kann man ja. Vom Setzen, Dichten, Malen
Lehrt auch das kleinste Buch, wo nichts verstehn, doch prahlen.

Der Schwätzer hat den Ruhm; dem Meister bleibt die Müh'.
Das ist der Regeln Schuld, und darum tadl' ich sie.
Doch meinet man vielleicht, daß sie dem Meister nützen?
Man irrt; das hieß' die Welt mit Elephanten stützen.
Ein Adler hebet sich von selbst der Sonne zu;
Sein ungelernter Flug erhält sich ohne Ruh'.
Der Sperling steigt ihm nach, so weit die Dächer gehen,
Ihm auf der Feueress', wann's hoch kommt, nachzusehen.
Ein Geist, den die Natur zum Mustergeist beschloß,
Ist, was er ist, durch sich, wird ohne Regeln groß.
Er geht, so kühn er geht, auch ohne Weiser sicher.
Er schöpfet aus sich selbst. Er ist sich Schul' und Bücher.
Was ihn bewegt, bewegt; was ihm gefällt, gefällt.
Sein glücklicher Geschmack ist der Geschmack der Welt.
Wer fasset seinen Werth? Er selbst nur kann ihn fassen.
Sein Ruhm und Tadel bleibt ihm selber überlassen.
Fehlt einst der Mensch in ihm, sind doch die Fehler schön,
Nur seine Stärke macht, daß wir die Schwäche sehn.
So kann der Astronom die fernen Sonnenflecken
Durch Hilf' des Sonnenlichts, und anders nicht entdecken.
Nachahmen wird er nicht, weil eines Riesen Schritt,
Sich selbst gelassen, nie in Kindertappen tritt.
Nun saget mir, was dem die knecht'sche Regel nützet,
Die, wenn sie fest sich stützt, sich auf sein Beispiel stützet?
Vielleicht, daß Feu'r und Geist durch sie ersticket wird;
Denn Mancher hat, aus Furcht zu irren, sich verirrt.
Wo er schon Vorsicht braucht, verliert er seinen Adel.
Er singet sonder Neid und darum ohne Tadel.

Doch jedes hundert Jahr, vielleicht auch seltner noch,
Kömmt so ein Geist empor und wird der Schwächern Joch.
Muß man, wenn man sich schwingt, stets adlermäßig schwingen?
Soll nur die Nachtigall in unsern Wäldern singen?
Der nebelhafte Stern muß auch am Himmel stehn;
Bei vieler Sonnen Gluth würd' unsre Welt vergehn.
Drum wird dem Mittelgeist vielleicht die Regel nützen?
Die Säul' war dort zur Zier, und hier ist sie zum Stützen.
Doch, Freund, belehre mich, wie den Apollo nennt,
Wenn er die Töne gleich als seine Finger kennt,
Besäß' sein schwerer Geist Eukliden und Cartesen,
Und Eulern könnt' er gar, wie ich Talandern lesen;
Allein er wagte nichts, allein er dächte nie,
Dem Führer allzu treu, und folgte wie das Vieh
Und täuschte nur das Ohr mit künstlichem Geklimper:
Wie nennt Apollo den? Wenn's hoch kommt: einen Stümper.
Auch Dichter kenn' ich g'nug, die nur die Regel macht.
Wer diesem Gott nicht dient, ist ihnen in der Acht.
Wagt sich ihr netter Geist in Molièrens Sphäre,
So kömmt kein Monolog, kein freier Knecht die Quere;
Gesetzt, er machte gleich die Augen thränenvoll,
Wo man nach Sitt' und Recht sich selbst belachen soll:
Was schad't das? Hat er doch die Regeln nie verletzet
Und gar, o seltner Ruhm, noch neue zugesetzet.
Die Richter preisen ihn und rufen: seht, da seht!
Wie auch ein großer Geist mit Reiz in Fesseln geht.
Allein, Freund, lachst Du nicht, daß ich von Stümpern spreche?
Wer Andrer Schwäche zeigt, verberg' erst seine Schwäche.
Doch ja, Du lachst nicht nur, Du gähnst auch über mich.
Gut, schlafe nur nicht ein. Ich schließ' und frage Dich:
Wenn der, der wenig braucht und minder noch begehret,
Bei seiner Armuth lacht und Reiche lachen lehret,
Der nichts verdrüßlich find't, auf Alles Zucker streut,
Die Freude sich nie kauft und sich doch täglich freut:
Wenn der zu preisen ist, ist der nicht auch zu preisen,
Deß Ohr sich nicht empört bei mittelmäß'gen Weisen,
Der bei des Hirten Flöt' und muntern Dorfschalmei'n
So freudig kann, als Du in Grauens Opern, sein?

Dies Glück, Freund, wünsch' ich Dir! und willst Du Dich bedanken,
So wünsch' mir gleiche Lust aus Hallern und aus Hanken.



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