Gotthold Ephraim Lessing
Fragmente und Fabeln
Gotthold Ephraim Lessing

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Fragmente.

Die Fragmente zu 1–6 sind unter dieser Bezeichnung gesammelt im ersten Theile der »Schrifften« (1753) und mit dem Motto versehen:

– – – disjecti membra poetae.
                                  Horaz.

Die Anmerkungen zu 7 stehen in der Zeitschrift »der Naturforscher« vom Jahre 1748, wo sie einer mit »H.« unterzeichneten, gegen das Fragment zu 4 gerichteten Vertheidigung hinzugefügt sind.

1. Aus einem Gedichte über die menschliche Glückseligkeit

Wie kömmt es, daß ein Geist, der nichts als Glauben haßt
Und nichts als Gründe liebt, den Schatten oft umfaßt,
Wenn er die Wahrheit denkt in sichern Arm zu schließen,
Daß ihm zum Anstoß wird, was alle Kinder wissen?
Wer lehrt mich, ob's an ihm, ob's an der Wahrheit liegt?
Verführet er sich selbst? Ist sie's, die ihn betriegt?
Vielleicht hat Beides Grund, und wir sind nur erschaffen,
Anstatt sie einzusehn, bewundernd zu begaffen;
Sie, die der Dirne gleicht, die ihre Schönheit kennt
Und Jeden an sich lockt und doch vor Jedem rennt.
Auch dem, der sie verfolgt und fleht und schenkt und schwöret,
Wird kaum ein Blick gegönnt, und wird nur halb gehöret.
Verzweifelnd und verliebt wünscht sie die Welt zu sehn;
Stürzt Jeden in Gefahr, um Keinem beizustehn.
Ein Zweifler male sich ihr Bild in diesen Zügen!
Nein, sie betrügt uns nie! ... Wir sind's, die uns betrügen.

*

Ein Geist, der auf dem Pfad, den man vor ihm gegangen,
Nicht weiter kommen kann, als tausend mitgelangen,
Verliert sich in der Meng', die kein Verdienst besitzt,
Als daß sie redlich glaubt und, was sie weiß, beschützt.
Dies ist es, was ihn quält. Er will, daß man ihn merke.
Zum Folgen allzu stolz, fehlt ihm der Führer Stärke.
Drum springt er plötzlich ab, sucht kühn, doch ohn' Verstand,
Ein neues Wahrheitsreich, ein unentdecktes Land.
Ihm folgt ein leichter Schwarm noch zehnmal kleinrer Geister.
Wie glücklich ist er nun; die Rotte nennt ihn Meister.
Er wagt sich in die Welt mit Witz und frecher Stirn.
Und was lehrt uns denn nun sein göttliches Gehirn?
Dank sei dem großen Geist, der Furcht und Wahn vertrieben!
Er spricht's, und Gott ist nicht zu fürchten, nicht zu lieben.
»Die Freiheit ist ein Traum; die Seele wird ein Ton,
Und meint man nicht das Hirn, versteht man nichts davon.
Dem Gut und Bösen setzt ein blöder Weise Schranken,
Und ihr beglaubtes Nichts wohnt nun in den Gedanken.
Cartusch und er, der nie sein Leid und Meid vergaß,
Cartusch und Epictet verdient nicht Ruhm, nicht Haß.
Der stahl, weil's ihm gefiel, und weil er stehlen mußte;
Der lebte tugendhaft, weil er nichts Bessers wußte;
Der ward wie der regiert, und seiner Thaten Herr
War, wie ein Uhrwerk nie, auch nie ein Sterblicher.
Wer thut, was ihm gefällt, thut das, was er thun sollte;
Nur unser Stolz erfand das leere Wort: ich wollte.
Und eben die, die uns stark oder schwach erschafft,
Sie, die Natur, schafft uns auch gut und lasterhaft.« –
Wer glaubte, daß ein Geist, um kühn und neu zu denken,
Sich selber schänden kann und seine Würde kränken?

*

Der Menge Beifall ist zwar nie der Wahrheit Grund,
Und oft liegt ihre Lehr' in eines Weisen Mund,
Der, Alles selbst zu sehn, in sich zurückgegangen,
Des Zweifels Gegengift durch Zweifeln zu erlangen.
Doch macht den größern Theil auch das zum Lügner nicht,
Weil der und jener Narr von Gegengründen spricht.
Er, der die Wahrheit sucht, darf nicht die Stimmen zählen;
Doch wenn die Menge fehlt, so kann auch Einer fehlen.
Ich glaub', es ist ein Gott, und glaub' es mit der Welt,
Weil ich es glauben muß, nicht weil es ihr gefällt.
Doch der, der sich nicht selbst zu denken will erkühnen,
Der fremdes Wissen nutzt, dem Andrer Augen dienen,
Folgt klüglicher der Meng' als einem Sonderling ...

*

G'nug, wer Gott leugnen kann, muß sich auch leugnen können.
Bin ich, so ist auch Gott. Er ist von mir zu trennen,
Ich aber nicht von ihm. Er wär', wär' ich auch nicht;
Und ich fühl' was in mir, das für sein Dasein spricht.
Weh dem, der es nicht fühlt und doch will glücklich werden,
Gott aus dem Himmel treibt und diesen sucht auf Erden!

*

Beklagenswürd'ge Welt, wenn Dir ein Schöpfer fehlt,
Deß Weisheit nur das Wohl zum Zweck der Thaten wählt!
Spielt nur ein Ungefähr mit mein und Deinem Wesen,
Ward ich nur, weil ich ward, und bist Du nicht erlesen:
Was hält den feigen Arm, daß er beim kleinsten Schmerz
Zu seiner Rettung sich den Dolch nicht drückt ins Herz?
Stirb, weil Dein Leiden doch zu keiner Absicht zwecket,
Und Dich in Freud' und Leid ein häm'scher Zufall necket,
Der Dich durch kurze Lust ruckweise nur erquickt,
Daß Dich der nächste Schmerz nicht unempfindlich drückt.
Ein Weiser schätzt kein Spiel, wo nur der Fall regieret,
Und Klugheit nichts gewinnt, und Dummheit nichts verlieret.
Verlust ohn' meine Schuld ist ein zu bittres Gift,
Und Glück ergetzt mich nicht, das auch die Narren trifft.
Stirb und verlass' die Welt, das Urbild solcher Spiele,
Wo ich Pein ohne Schuld und Lust mit Ekel fühle.
Doch warum eifr' ich so? Gott ist, mein Glück steht fest,
Das Wechsel, Schmerz und Zeit mir schmackhaft werden läßt.

*

Die Wahrheit wird manchmal in Fabeln gern gehört;
So höre, was mich einst ein frommer Mönch gelehrt:
Zur gütigen Natur kroch mit Verdruß und Klage
Der Gärten fleiß'ger Feind, der ird'sche Feind vom Tage.
»Natur, dem Maulwurf nur warst Du stiefmütterlich?
Für Alle sorgtest Du? und sorgtest nicht für mich?«
»»Was klagst Du?«« ... »O Natur! das solltest Du nicht wissen?
Warum soll ich allein das Glück zu sehen missen?
Der Mensch sieht, ich bin blind. Mein Leben hängt daran;
Der Falle zu entgehn, gieb, daß ich sehen kann.«
»»Sei sehend, daß ich auch bei Dir entschuldigt werde!««
Er sah, und grub sich gleich in die geliebte Erde.
Hier, wo kein Strahl des Lichts die Finsterniß verjagt,
Was nutzt ihm hier sein Glück? daß er von Neuem klagt.
»Natur,« schrie er zurück, »das sind unmöglich Augen.«
»»Sie sind's, nur daß sie nicht für einen Maulwurf taugen.««

*

Und das, was in mir wohnt, was in mir fühlt und denket;
Das, was zwar mein Gehirn, doch nicht die Welt umschränket;
Das, was sich selber weiß und zu sich spricht: ich bin;
Was auch die Zeit beherrscht, und was mit der will fliehn,
Durch unsichtbare Macht auf heut und morgen bringet,
Und Morgen, eh es wird, mit weitem Blick durchdringet;
Das mich, dem die Natur die Flügel nicht verliehn,
Vom niedern Staube hebt, die Himmel zu umziehn:
Das, was die Stärk' ersetzt, die in dem Löwen wüthet,
Wodurch der Mensch ein Mensch, und ihm als Mensch gebietet:
Das wird des Uhrwerks Kraft, das im Gehirne geht,
Und seines Körpers Theil, weil man es nicht versteht.
Doch sprich, Du kluger Thor, wenn es die Körper zeugen,
Versteht man es dann eh, als wenn es Geistern eigen?
Du machest Schwierigkeit durch Schwierigkeiten klar,
Vertreibst die Dämmerung und bringst die Nacht uns dar.
Wie jetzo meinem Licht, das in den stillen Stunden
Mit meinem Fleiße wacht, der noch kein Glück gefunden,
Da ich es putzen will, die unachtsame Hand
Den Docht zu knapp gekürzt, die Flamme gar verschwand etc.



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