Gotthold Ephraim Lessing
Fragmente und Fabeln
Gotthold Ephraim Lessing

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6. Die Religion

Erster Gesang.

Vorerinnerung.

Die Religion ist schon seit verschiednen Jahren die Beschäftigung meiner ernsthaftern Muse gewesen. Von den sechs Gesängen, die ich größtentheils darüber ausgearbeitet habe, ist vor einiger Zeit der Anfang des ersten Gesanges zur Probe gedruckt worden. Ich wiederhole hier diese Probe, ohne etwas Neues hinzuzuthun, einige Verbesserungen ausgenommen. Zum Dichten braucht man Bequemlichkeit, und zum Ausarbeiten Zeit. Beides fehlt mir, und vielleicht wird es mir noch lange fehlen – – Mein Plan ist groß. Ich entwerfe ihn in den ersten achtzehn Zeilen selbst, von welchen ich im Voraus erinnern muß, daß einige von den Prädicaten daselbst auf die Religion überhaupt, nicht auf die einzige wahre Religion gehen. Der erste Gesang ist besonders den Zweifeln bestimmt, welche wider alles Göttliche aus dem innern und äußern Elende des Menschen gemacht werden können. Der Dichter hat sie in ein Selbstgespräch zusammengenommen, welches er an einem einsamen Tage des Verdrusses in der Stille geführt. Man glaube nicht, daß er seinen Gegenstand aus den Augen läßt, wenn er sich in den Labyrinthen der Selbsterkenntniß zu verlieren scheint. Sie, die Selbsterkenntniß, war allezeit der nächste Weg zu der Religion, und ich füge hinzu, der sicherste. Man schieße einen Blick in sich selbst; man setze Alles, was man weiß, als wüßte man es nicht, bei Seite; auf einmal ist man in einer undurchdringlichen Nacht. Man gehe auf den ersten Tag seines Lebens zurück. Was entdeckt man? Eine mit dem Viehe gemeinschaftliche Geburt; ja, unser Stolz sage, was er wolle, eine noch elendere. Ganze Jahre ohne Geist, ohne Empfindung folgen darauf, und den ersten Beweis, daß wir Menschen sind, geben wir durch Laster, die wir in uns gelegt fanden, und mächtiger in uns gelegt fanden als die Tugenden. Die Tugenden! Vielleicht ein leerer Ton! Die Abwechselung mit den Lastern sind unsre Besserungen, Besserungen, die die Jahre wirken, die ihren Grund in der Veränderung unsrer Säfte haben. Wer ist von diesem elenden Loose ausgenommen? Auch nicht der Weiseste. Bei ihm herrschen die Laster nur unter schönern Larven und sind wegen der Natur ihrer Gegenstände nur minder schädlich, aber ebenso stark als bei der verworfensten Seele aus dem Pöbel. Der Dichter darf die Beispiele nicht in der Ferne suchen. Alle sein Fleiß hat ihm nur die Zeit zum Uebelthun benommen, den Hang aber dazu nicht geschwächt. Unter andern Umständen würde er – – und wer muß nicht ein Gleiches von sich gestehen? – – vielleicht ein Schaum der Bösewichter oder das Muster eines Thoren geworden sein. Welcher Anblick! in dem ganzen Umfange des menschlichen Herzens nichts als Laster zu finden! Und es ist von Gott? Es ist von einem allmächtigen, weisen Gott? Marternde Zweifel! – – Doch vielleicht ist unser Geist desto göttlicher. Vielleicht wurden wir für die Wahrheit erschaffen, da wir es für die Tugend nicht sind. Für die Wahrheit? Wie vielfach ist sie? Jeder glaubt sie zu haben, und Jeder hat sie anders. Nein, nur der Irrthum ist unser Theil, und Wahn ist unsre Wissenschaft. Fügt zu diesem erbärmlichen Bilde des edelsten Theiles von uns auch eine Abschilderung des minder edeln, des Körpers. Er ist ein Zusammenhang mechanischer Wunder, die von einem ewigen Künstler zeigen. Ja, aber auch ein Zusammenhang abscheulicher Krankheiten, in seinem Bau gegründeter Krankheiten, welche die Hand eines Stümpers verrathen. Dieses Alles verführt den zweifelnden Dichter zu schließen:

                  Der Mensch? wo ist er her?
Zu schlecht für einen Gott, zu gut fürs Ungefähr.

Man stoße sich hier an nichts. Alles dieses sind Einwürfe, die in den folgenden Gesängen widerlegt werden, wo das jetzt geschilderte Elend selbst der Wegweiser zur Religion werden muß.

*

Was sich der grobe Witz zum Stoff des Spottes wählt;
Womit die Schwermuth sich in Probetagen quält;
Wodurch der Aberglaub', in trübe Nacht verhüllet,
Die leichtgetäuschte Welt mit frommen Teufeln füllet;
Das göttlichste Geschenk, das aus des Schöpfers Hand
Den schwachen Menschen krönt, noch über Dich, Verstand;
Was Du mit Zittern glaubst und bald aus Stolz verschmähest
Und bald, wenn Du Dich fühlst, vom Himmel trotzig flehest;
Was Dein neugierig Wie? in fromme Fesseln schließt;
Was dem zum Irrlicht wird und dem ein Leitstern ist;
Was Völker knüpft und trennt und Welten ließ verwüsten,
Weil nur die Schwarzen Gott, kein hölzern Kreuze grüßten;
Wodurch, dem Himmel treu, allein ein Geist voll Licht
In jene Dunkelheit mit sichern Schritten bricht,
Die nach der grausen Gruft in unerschaffnen Zeiten
Auf unsre Seelen harrt, die March der Sterblichkeiten:
Dies sei mein rührend Lied!

                                            Dein Feu'r, Religion!
Entflamme meinen Geist; das Herz entflammst Du schon.
Dich fühl' ich, ehrfurchtsvoll, gleich stark als meine Jugend,
Das thörichte Geweb' aus Laster, Fehl und Tugend.

Nach Wahrheit durstiger als durstig nach der Ehr',
Auf Kluger Beifall stolz, doch auf den meinen mehr,
Entfernt von Welt und Glück, in unbelauschten Stunden
Hab' ich den flücht'gen Geist oft an sich selbst gebunden
Und gab mir kummerlos, da, weil ich Hilfe schrie,
Mich Niemand kennen mag, mich selbst zu kennen Müh'.

Der ernsten erster Blick, die ich auf mich geschossen,
Hat mein erstauntes Herz mit Schwermuth übergossen.
Verloren in mir selbst, sah, hört' und fühlt' ich nicht;
Ich war in lauter Nacht und hoffte lauter Licht.
Nun zwanzig Jahr gelebt – – und noch mich nicht gesehen!
Rief ich mit Schrecken aus und blieb gleich Säulen stehen.
Was ich von mir gedacht, ist falsch, ist lächerlich;
Kaum glaub' ich, ich zu sein, so wenig kenn' ich mich.

Verdammte Schulweisheit! Ihr Grillen weiser Thoren!
Bald hätt' ich mich durch Euch, wie meine Zeit verloren.
Ihr habt, da Wähnen nur der Menschheit Wissen ist,
Den stolzen Sinn gelehrt, daß er mehr weiß als schließt.
Dem Irrthum in dem Schooß, träumt er von Lehrgebäuden
Und kann, stolz auf den Traum, kein wachsam Zweifeln leiden.
Das Forschen ist sein Gift, Hartnäckigkeit sein Ruhm;
Wer ihn bekehren will, raubt ihm sein Eigenthum,
Ihm, der stolz von der Höh' der aufgethürmten Lügen
Natur und Geist und Gott sieht unverhüllet liegen.

Warum? wer? wo bin ich? Zum Glück – ein Mensch – auf Erden.
Bescheide sonder Licht, die Kindern gnügen werden!
Was ist der Mensch? sein Glück? die Erd', auf der er irrt?
Erklärt mir, was Ihr nennt. Dann sagt auch, was er wird,
Wenn schnell das Uhrwerk stockt, das in ihm denkt und fühlet?
Was bleibt von ihm, wann ihn der Würmer Heer durchwühlet,
Das sich von ihm ernährt und bald auf ihm verreckt?
Sind Wurm und Mensch alsdann gleich hoffnungslos gestreckt?
Bleibt er im Staube Staub? Wird sich ein neues Leben
Auf einer Allmacht Wink aus seiner Asche heben?
Hier schweigt die Weisheit selbst, den Finger auf den Mund,
Und nur ihr Schüler macht mehr, als sie lehrt, uns kund.
Die Einfalt hört ihm zu mit starrverwandten Blicken,
Mit gierig offnem Mund und beifallsreichen Nicken.
Sie glaubt, sie höre Gott; denn sie versteht ihm nichts,
Und was sie halb gemerkt, stützt sie auf ein: er spricht's.
Auch ich, von ihr verführt, vom Hochmuth aufgeblasen,
Hielt für die Wahrheit selbst ein philosophisch Rasen,
Worin der irre Kopf verwegne Wunder denkt,
Ein Königreich sich träumt und seinen Traum verschenkt,
Die Schiff' im Hafen zählt und alle seine heißet,
Bis ihn ein böser Arzt der Schwärmerei entreißet.
Er wird gesund und arm; erst war er krank und reich;
Elend zuvor und nun – – Wer ist, als ich, ihm gleich?
Wer kömmt und lehret mich, was ich zu wissen glaubte,
Eh der einsame Tag Gott, Welt und mich mir raubte?

Durchforschet, Sterbliche, des Lebens kurzen Raum!
Was kommen soll, ist Nacht. Was hin ist, ist ein Traum.
Der gegenwärt'ge Punkt ist allzu kurz zur Freude,
Und doch, so kurz er ist, nur allzu lang zum Leide.

Schick', wer es mit mir wagt, den wohlbewehrten Blick
Zum unempfindlichsten, zum ersten Tag zurück.
Dort lag ich blöder Wurm! vom mütterlichen Herze
Entbundne theure Last, erzeugt im Schmerz zum Schmerze!
Wie war mir, als ich frei, in nie empfundner Luft,
Mit ungeübtem Ton mein Schicksal ausgeruft?
Wo war mein junger Geist? fühlt' er die Sonnenstrahlen
Das erste Bild im Aug' mit stillem Kitzel malen?
Mein ungelehrtes Schrein, hat mich es auch erschreckt,
Als es zuerst durchs Ohr den krummen Weg entdeckt?
Die mütterliche Hand, die mich mit Zittern drückte,
Ihr Auge, das mit Lust, doch thränend nach mir blickte,
Des Vaters fromme Stimm', die Segen auf mich bat,
Der, als ich nichts verstand, schon lehrend zu mir trat,
Der sein Bild in mir sah, mit ernsten Liebeszeichen
Mich dann der Mutter wies, ihn mit mir zu vergleichen:
Ward dies von mir erkannt, und was dacht' ich dabei?
Fühlt' ich, mir unbewußt, für sie schon Lieb' und Scheu?
Ach! Neigung, Sinn und Witz lag noch in finstern Banden,
Und, was den Menschen macht, war ohne Spur vorhanden.
Die Bildung nach der Form zum menschlichen Geschlecht
Gab auf den edlern Theil mir kein untrüglich Recht.
Wer sah durch Haut und Fleisch das Werkzeug zum Empfinden?
Ob kein unsel'ger Fehl im innern Bau zu finden?
Wer sah mein Hirn, ob es gedankenfähig war?
Ob meine Mutter nicht ein menschlich Vieh gebar?

Wie elend kümmerlich wuchs ich die ersten Jahre!
Zum Menschen noch nicht reif, doch immer reif zur Bahre.
Wie mancher Tag verfloß, eh vom geschäft'gen Spiel
Ein lächelnd heitrer Blick schief auf die Mutter fiel?
Eh meine Knorpelhand so stark zu sein begonnte,
Daß sie mit Jauchzen ihr das Haar zerzausen konnte?
Eh leichter Silben Schall ins Ohr vernehmlich stieß?
Eh ich mich, Stammelnde nachäffend, loben ließ?
Eh meine Wärterin die dunkeln Worte zählte,
Womit den langen Tag die kleine Kehl' sich quälte?
Eh, auf die Leitung kühn, mein Fuß, vom Tragen matt,
Mehr Schritte durch die Luft als auf dem Boden that?

Doch endlich sollt' ich auch das späte Glück genießen,
Das schlechtre Thiere kaum die ersten Stunden missen,
Die Lieblings der Natur, vom sichern Trieb regiert,
Der unverirrlich sie zum Guten reizt und führt.
Ich hörte, sah und ging, ich zürnte, weinte, lachte,
Bis Zeit und Ruthe mich zum schlimmem Knaben machte.
Das Blut, das jugendlich in frischen Adern rann,
Trieb nun das leere Herz zu leichten Lüsten an.
Mein Wunsch war Zeitvertreib, mein Amt war Müßiggehen;
Ich floh vom Spiel zum Spiel, und nirgends blieb ich stehen.
Nach Allem sehnt' ich mich, und Alles wurd' ich satt,
Der Kreisel wich dem Ball, der Ball dem Kartenblatt.
Zu glücklich, wär' mein Spiel ein bloßes Spiel gewesen,
Zur schlauen Larve nicht dem Laster auserlesen,
Worunter unentdeckt das Herz ihm offen stand.
Wer kann dem Feind entfliehn, eh er den Feind gekannt?
Stolz, Rachsucht, Eigensinn hat sich in Kinderthaten
Des Lehrers schärferm Blick oft männlich g'nug verrathen.
Ach! warum wüthete ihr Gift in Mark und Blut
Mit mich verderbender, doch angenehmer Wuth,
Eh der biegsame Geist die Tugend kennen lernte,
Von der ihn die Natur, nicht er sich selbst entfernte?
Nein, er sich selber nicht; denn in der Seele schlief
Vom Gut und Bösen noch der wankende Begriff;
Und als er wache ward, und als ich wollte wählen,
War ich, ach! schon bestimmt, in meiner Wahl zu fehlen.
Ich brachte meinen Feind in mir, mit mir herfür,
Doch Waffen gegen ihn, die bracht' ich nicht mit mir.
Das Laster ward mein Herr, ein Herr, den ich verfluche,
Den eifrig, doch umsonst, ich zu entthronen suche;
Ein Wüthrich, der es ward, damit ich sei gequält,
Nicht, weil er mich besiegt, nicht, weil ich ihn gewählt. – –
Himmlische Tugenden! Was hilft es, Euch zu kennen,
In reiner Gluth für Euch, als unser Glück, zu brennen,
Wenn auch der kühnste Schwung sich schimpflich wieder senkt,
Und uns das Laster stets an kurzen Banden lenkt?
Ich fühl' es, daß mein Geist, wenn er sich still betrachtet,
Sich dieser Bande schämt, sich Eurer werth nur achtet,
Daß, wenn von später Reu' mein Aug' in Thränen fließt,
Da ich sonst nichts vermag, mein Wunsch Euch eigen ist.
Du bist mir Trost und Pein, und an der Tugend Stelle,
Beweinenswerther Wunsch! mein Himmel! meine Hölle!
Du, nur Du bist in mir das Einz'ge reiner Art,
Das Einzige, was nicht dem Laster dienstbar ward.
Solch einen heißen Wunsch, solch marternd Unvermögen,
Die kann ein Gott zugleich in eine Seele legen?
Ein mächtig weiser Gott! Ein Wesen, ganz die Huld!
Und richtet Zwang als Wahl, und Ohnmacht gleich der Schuld?
Und straft die Lasterbrut, die es mir aufgedrungen,
Die ich nicht müde rang, und die mich lahm gerungen.
O Mensch, elend Geschöpf! Mensch! Vorwurf seiner Wuth!
Und doch sind, was er schuf, Du und die Welt sind gut?

So kenn' ich Gott durch Euch, Ihr Israel's Verwirrer,
Und Eure Weisheit macht den irren Geist noch irrer.
Umsonst erhebt Ihr mir des Willens freie Kraft!
Ich will, ich will ... Und doch bin ich nicht tugendhaft.
Umsonst erhebt Ihr mir des Urtheils streng Entscheiden.
Die Laster kenn' ich all', doch kann ich alle meiden?
Hier hilft kein starker Geist, von Wissenschaft genährt,
Und Schlüsse haben nie das Bös' in uns zerstört.
Er, der mit sicherm Blick das Wahrheitsreich durchrennet
Und kühn zur Sonne steigt ... Weg, den kein Adler kennet! – –
Wo er den innern Zug entfernter Welten wiegt,
Der sie, zur Flucht bereit, in ew'ge Kreise schmiegt,
Und aus dem Himmel dann sinkt auf verklärten Schwingen,
Mit gleicher Kraft den Bauch der Erde zu durchdringen,
Und in dem weiten Raum vom Himmel bis zum Schacht
Nichts sieht, wovon er nicht gelehrte Worte macht;
Er und der halbe Mensch, verdammt zum sauern Pflügen,
Auf welchem einzig nur scheint Adam's Fluch zu liegen,
Der Bauer, dem das Glück das Feld, das er durchdenkt,
Und das, das er bebaut, gleich eng und karg umschränkt,
Der sich erschaffen glaubt zum Herrn von Ochs und Pferden,
Der, sinnt er über sich, sinnt, wie er satt will werden,
Der seine ganze Pflicht die Hofedienste nennt.
Im Reiche der Natur zur Noth das Wetter kennt;
Sie, die sich himmelweit an stolzer Einsicht weichen,
Sie, die sich besser nicht als Mensch und Affe gleichen,
Sind sich nur allzu gleich, stiehlt, trotz dem äußern Schein,
In Beider Herzen Grund ein kühner Blick sich ein.
In Beiden steht der Thron des Uebels aufgethürmet,
Nur daß ihn der gar nicht, und der umsonst bestürmet,
Nur daß frei ohne Scham das Laster hier regiert
Und dort sich dann und wann mit schönen Masken ziert.

Mein Herz, eröffne Dich! Hier in dem stillen Zimmer,
Das nie der Neid besucht und spät der Sonne Schimmer;
Wo mich kein Gold zerstreut, das an den Wänden blitzt,
An welchen es nicht mehr als ungegraben nützt;
Wo mir kein sammtner Stuhl die goldnen Arme breitet,
Der nach dem vollen Tisch zum trägen Schlaf verleitet;
Wo an des Hausraths Statt, was finstern Gram besiegt,
Begriffner Bücher Zahl auf Tisch und Dielen liegt;
Hier, Herz, entwickle treu die tiefsten Deiner Falten,
Wo Laster, schlau versteckt, bei Hunderten sich halten;
Hier rede frei mit mir, so wie zum Freund ein Freund,
Der, was er ihm entdeckt, nur laut zu denken meint;
Kein fremder Zeuge horcht, geschickt, Dich roth zu machen,
Kein seichter Spötter droht ein nichtsbedeutend Lachen.
Dich höret, ist ein Gott, nur Gott und ich allein.
Doch rede, sollte gleich die Welt mein Zeuge sein!

Seitdem Neugier und Zeit mich aus dem Schlummer weckten,
Die Hände von dem Spiel sich nach den Büchern streckten,
Und mir das leere Hirn ward nach und nach zur Last,
Welch Bild hab' ich nicht schnell und gierig aufgefaßt?
Kein Tag verstrich, der nicht mein kleines Wissen mehrte,
Mit dem der junge Geist sich stopfte mehr als nährte.
Der Sprachen schwer Gewirr, das Bild vergangner Welt,
Zum sichern Unterricht der Nachwelt aufgestellt;
Der Alterthümer Schutt, wo in verlassnen Trümmern
Des Kenners Augen noch Geschmack und Schönheit schimmern;
Der Zunge Zauberkunst, die den achtsamen Geist,
Wie leichte Spreu ein Nil, dem Strom nach folgsam reißt;
Und sie, noch meine Lust und noch mein still Bemühen,
Für deren Blicke scheu unwürd'ge Sorgen fliehen,
Die Dichtkunst, die ein Gott zum letzten Anker gab,
Reiht Sturm und Nacht mein Schiff vom sichern Ufer ab: – –
Die sind's, worin ich mich fern von mir selbst verirrte,
Mein eigen Fach vergaß, begierig fremder Wirthe.
Indessen glimmte still, am unbekanntsten Ort,
Durch Nachsicht angefacht, des Lasters Zunder fort.
Gern wär' er, allzu gern, in Flammen ausgeschlagen,
Die in die Saat des Glücks Tod und Verwüstung tragen,
Und die kein Thränenmeer mit Reu' zu löschen weiß;
Doch Zeit zum Uebelthun versagte mir mein Fleiß.
So schien ich, in der Still' um Todte nur bemüht,
Mir tugendhaft und dem, der nicht das Innre sieht.

Die Thorheit, die mit Schall die stolzen Ohren nährt,
Mit Lob, das, reich an Pest, aus gift'gen Schmeichlern fährt,
Die Ruh' für Titel giebt und Lust für Ordensbänder,
Der flücht'gen Königsgunst vergebne Unterpfänder,
Die groß wird sich zur Last, und wahres Glücke scheuet,
Weil dies sich ungeputzt in stillen Thälern freuet,
Weil es die Höfe flieht, sein zu gewisses Grab,
Das keinen Raub zurück, gleich ihr, der Hölle, gab;
Die Ruhmsucht ... hab' ich sie nicht oft mit spött'scher Miene,
Die lächelnde Vernunft auf mir zu bilden schiene,
Mit Gründen, frisch durch Salz, für Raserei erklärt
Und unter andrer Tracht sie in mir selbst ernährt?
Mein Lied, das wider sie aus kühnem Mund ertönte
Und Fürsten unbesorgt in ihren Sklaven höhnte,
Das, bei der Lampe reif, die Ruh' des Weisen sang,
Von reicher Dürftigkeit, von sel'ger Still' erklang,
Mein Lied, wann's ohngefähr ein Kreis Bekannter hörte,
Und es der Kenner schalt, und es die Dummheit ehrte,
Wie ward mir? Welches Feu'r? Was fühlt' und fühlt' ich nicht?
Was malte den Verdruß im rothen Angesicht?
O Ruhmsucht, schlauer Feind! als ich Dich keck verlachte,
Lagst Du im Hinterhalt, den Selbstbetrug Dir machte.
Der zürnt, weil man ihn nicht hoch, würdig, gnädig heißt
Und ihm ein nichtig Wort aus seinem Titel reißt;
Ich zürn' ... zum Mindesten, weil unversorgte Jugend
Die Rennbahn mir verschließt zu Wissenschaft und Tugend?
Nein ... weil man mir ein Lob, ein knechtisch Lob versagt,
Daß ich ... wer schätzt die Müh'? ... die Reime schön erjagt.
Renn' sicher, stolze Schaar, Ruhmträume zu erwischen!
Der Spötter schweigt von Dir, sich selber auszuzischen!

Ihr Laster, stellet Euch! Aus Eurem wilden Heere,
Unzählbar wie der Sand, schlau zu des Uebels Ehre,
Such' ich die schrecklichsten! Euch such' ich, Geiz und Neid,
Die Ihr, flieht Wärm' und Lust, des Alters Seele seid!
Doch, Jüngling, Blüth' und Feu'r, das Deine Wangen hitzet,
Schließt ihren Wurm nicht aus, der tief am Kerne sitzet.
Er wächst und wächst mit Dir, bis er sich aufwärts frißt
Und der unsel'ge Grund zu zeit'ger Reifung ist.
Bav kleidet sich in Gold und trägt an Edelsteinen
Auf seiner dürren Hand den Werth von Meiereien;
Sein trotzig Dienerheer bläht sich am hintern Rad,
Im Feierkleid der Schmach, in ihres Herren Staat.
Wer geht vor ihm vorbei und bückt sich nicht zur Erde?
Er dankt, und lernt die Art von seinem stolzen Pferde;
Es schlägt das schöne Haupt zur Brust mit schielem Blick,
Und schnaubend zieht es schnell der straffe Zaum zurück.
Sein Reichthum giebt ihm Witz; sein Reichthum schenkt ihm Sitten
Und macht das plumpe Klotz auch Weibern wohlgelitten.
Des Pöbels Augenmerk! Bav, bist Du meines? Nein.
Sich selbst muß man ein Feind, Dich zu beneiden, sein.
Doch wenn der Löwe sich an keinen Esel waget,
Hat er drum mindre Wuth, wann er nach Tigern jaget?
Trifft Baven nicht mein Neid, trifft er drum Keinen? Ach!
Nacheifrung, wer bist Du? Sprich, mir zur Zier? zur Schmach?
Sinnreich, zur eignen Fall', die Laster zu verkleiden;
Betrogne Sterbliche, Nacheifern ist Beneiden.
Nimmt mich, ans Pult geheft, der ewige Gesang,
Durch den der deutsche Ton zuerst in Himmel drang ...
In Himmel ... frommer Wahn! ... Gott ... Geister ... ewig Leben ...
Vielleicht ein leerer Ton, den Dichter kühn zu heben! – –
Nimmt mich dies neue Lied ... zu schön, um wahr zu sein,
Erschüttert, nicht belehrt, mit heil'gem Schauer ein:
Was wünscht der innre Schalk, erhitzt nach fremder Ehre,
Und lächerlich erhitzt? – – Wann ich der Dichter wäre!
Umsonst lacht die Vernunft und spricht zum Wunsche: Thor!
Ein kleiner Geist erschrickt, ein großer dringt hervor.
Dem Wunsche folgt der Neid mit unbemerkten Schritten,
Auch Weisen unbemerkt, und unbemerkt gelitten.
Was hilft's, daß er in mir bei Unfall sich nicht freut,
Die Ruh' der Welt nicht stört? – – Ist er drum minder Neid?
Nicht er, der Gegenstand, die Neigung macht das Laster,
Stets durch sich selbst verhaßt, nur durch den Stoff verhaßter.
Auch Dich, o Geiz! – –

                                    Doch wie? Was stößt den finstern Blick,
Den redlichsten Spion, vom Grund der Brust zurück?
Ich werde mir zu schwarz, mich länger anzuschauen,
Und Neugier kehret sich in melancholisch Grauen.
Des Uebels schwächsten Theil zog ich ans scheue Licht.
Verwöhnter Weichling! Wie? mit stärkern wag' ich's nicht?
Doch bleibt nur in dem Schacht, den Ihr stets tiefer wühlet,
Je näher Ihr den Feind, die Selbsterkenntniß, fühlet.
Ihr schwärzern Laster, bleibt! Was die Natur verstecket,
Zieh' Unsinn an das Licht! ... Nichts hab' ich mehr entdecket,
Wenn ich auch eins vor eins die Mustrung gehen lasse,
Als daß ich sündige, und doch die Sünde hasse.

Doch wie? Das Alterthum, auf Wahn und Moder groß,
Spricht: Dein Loos, Sterblicher, ist nicht der Menschheit Loos!
Das kleine Griechenland stolzirt mit sieben Weisen
Und sahe Scythen selbst nach ihrer Tugend reisen.

Vergebens Alterthum! Die Zeit vergöttert nicht!
Und kein Verjähren gilt vor der Vernunft Gericht!
Die schöne Schale täuscht mich nicht an Deinen Helden;
Und selbst vom Sokrates ist Thorheit g'nug zu melden.
Wohin kein Messer dringt, das in des Arztes Hand,
In Därmen wühlende, des Todes Anlaß fand,
Bis dahin schick' den Blick, die Wahrheit auszuspähen!
Was ich in mir gesehn, wirst Du in ihnen sehen.
Großmuth ist Ruhmbegier; Keuschheit ist kaltes Blut;
Treu sein ist Eigennutz, und Tapferkeit ist Wuth;
Andacht ist Heuchelei, Freigebigkeit Verschwenden;
Und Fertigkeit zum Tod Lust seine Pein zu enden;
Der Freundschaft schön Gespenst ist gleicher Thorheit Zug,
Und seine Redlichkeit der sicherste Betrug!

Mir unerkannter Feind, und Vielen unerkannter,
O Herz, schwarz wie der Mohr und fleckicht wie der Panther;
Pandorens Mordgefäß, woraus das Uebel flog,
Und wachsend in dem Flug durch beide Welten zog!
Es wäre Lästerung, Dir Gott zum Schöpfer geben!
Lästrung, ist Gott ein Gott, im Tode nicht vergeben.



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