Gotthold Ephraim Lessing
Fragmente und Fabeln
Gotthold Ephraim Lessing

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7. Poetische Anmerkungen zu dem Gedichte von H.

Gedicht von H.

Mein Freund, wirst Du mich wol für zu verwegen halten?
Ich las jüngst Dein Gedicht vom Neuen und vom Alten;
Und siehe, selbst Dein Freund ist's, der Dir widerspricht,
Der glaubt, die neue Welt weicht jener alten nicht.
Es mag der Alten Ruhm gleich Babel's Thürmen steigen,
Man mag zu Tausenden urältre Weisen zeigen,
Aegyptens, Griechenlands, des stolzen Euphratstroms,
Chaldäens, Persiens und des gelehrten Rom's;
Ja, man vergesse sich beim Wachsen ihrer Zahlen;
Es mag der Humanist mit ihrer Weisheit prahlen;
Er rede vom Thalet, vom Plato und Homer,
Vom Pindar und EuklidWas? Pindar und Euklid? Ein allerliebstes Paar!
Das auch vom Faßmann nie so fein gewählet war.
und noch von Andern mehr;
Er zähle stundenlang die denkenden Lateiner,
Er schätze ihre Kunst, und es entfall' ihm keiner,
EinNum'? Die Verfasser, Freund, die die zwölf Tafeln schrieben,
Die haben auch gedacht; wo sind denn die geblieben?
Numa, Cicero, Virgil, Horaz, Catull,
Ein Plautus, Livius, Ovid, Terenz, Tibull,
Und wer sie alle sind, und suche zu beweisen,
Kein Neuer sei gelehrt wie diese Zahl zu heißen.
Ich kenne ihren Werth, ich schätz' auch ihren Ruhm,
Doch schätz' ich uns noch mehr als alles Alterthum.
Freund, den die Weisheit sucht, Du schmeichelst Jener Wissen
Und läßt der alten Schaar den Vorzug doch genießen!
»Stagirens Ehr' ist jetzt den Physikern ein Kind,
Wie's unsre Dichter noch bei alten Dichtern sind.«
So sprichst Du. Aber, Freund, kannst Du uns so beschämen?
Die Neuern winken mir, mich ihrer anzunehmen.
Ich sage, unsre Welt hat in der Wissenschaft
Mit jener ältern Welt noch immer gleiche Kraft.
Ich glaub' es, und man mag sich ewig darum zanken;
Genung, die Wissenschaft stell' ich mir in Gedanken
In diesem Bilde vor: Gott gab dem ersten Mann
Ein großes Stücke Erzt,Ein großes Stücke Erzt soll unser Wissen sein?
Ein reiches Gleichniß! Ei! So eines nimmt mich ein!
Kann ein Gelehrter nun noch über Armuth klagen?
Er darf sein Stücke Erzt nur in die Münze tragen.
der sah es gierig an
Und fand viel Artiges; er gab es seinem Erben,
Und der entdeckt schon mehr. Nach deß erfolgtem Sterben
Bekam's der dritte Mann, der fand mehr Seltenheit,
Und also ging es fort bis auf die heut'ge Zeit.
Man findet immer mehr und wird noch künftig finden,
Es müßte denn der Fleiß und der Verstand verschwinden.
Und stellt sich gleich an ihm stets etwas Neues dar,
So bleibt es doch das Stück, das es im Anfang war.
Wir Neuern haben denn Kraft, gleich der Alten Kräften,
Und imWas? im Gehirne Saft? Dafür bedank' ich mich.
Die Weisheit, die der zeugt, ist allzu jämmerlich.
Gehirne ist noch Saft, gleich der Alten Säften;
Denn sonst wär' unser Gott nicht, wie man ihn beschreibt,
Der Gott, der allemal der weise Schöpfer bleibt.
Sprichst Du, ein Töpfer kann ein guter Töpfer bleiben,
Pflegt er gleich manchen Topf von schlechtem Zeug zu treiben.
Ja, er verbleibe gut, doch wird sein Kram bestehn,
Wollt' er mit schlechtem Zeug stets auf die Märkte gehn?
Nein, Freund, es geht nicht an. Der Schöpfer jener Väter
Schafft uns, wie er sie schuf. Tompackner Uhren Räder
Sind wie der güldenen. Auch sind wir längst belehrt,
Es sei der Wissenschaft Erkenntniß weit vermehrt.
Sie gleichet jenen Fund, den Gürge ausgeeget.
Der Bauer war recht froh, so wie der Bauer pfleget.
Er nahm es, trug es heim und wies es seinem Schatz,
Und siehe, das war Gold, ganz grün vom nassen Platz.
Er trägt es zum Verkauf und macht den Handel richtig,
Der Goldschmied prüft es wohl und find't den Klumpen tüchtig.
Ein königlich Geschirr wird nun daraus gemacht,
Und voll Champagner-Wein aufs Königs Tisch gebracht.
So sah auch nur den Schein der Wissenschaft Erfinder,
So wie zu unsrer Zeit der Weisheit arme Sünder.
Zeit, Fleiß, Geschicklichkeit hat immer mehr gesucht,
Und keines Forschers Fleiß bleibt gänzlich ohne Frucht.
Ein ZufallAllein wir Neuern, wir erfinden nur durch Schließen,
Das wird Dein Landsmann wol, der Dresdner Tycho, wissen.
lehrete die Alten das Erfinden;
Allein beweisen sie das allemal mit Gründen?
Und hieß es nicht vielmals, die Gottheit giebt es ein,
Glaubwürdiger als sonst, Beweises los zu sein?
Glaubt unsre kluge Welt, und wird es uns wol nützen,
Wenn wir uns, statt Beweis, mit Gräter Märchen schützen?
Und da sich jene Welt hiermit betrügen ließ,
War sie so klug wie wir, die Welt, die gülden hieß?Die alte hieß nur das, was unsre neure ist,
Wo man Verdienst und Kunst aus reichen Kleidern schließt.

Und ist ihr Wissen nun die Wissenschaft zu nennen,
Da sie ohn' allen Grund viel' ihrer Sachen kennen?
Ihr heidnisch Auge war mit blauer Dunst umhüllt,
Ihr Meistes hat nur Kunst, nicht Wissenschaft, erfüllt.
Und diesem sollen wir in Wissenschaften weichen,
Wir, die wir längstens schon ihr Wissen übersteigen?
Ich leugne nicht, daß noch ihr großer Name grünt
Und ihr Bemühen noch Bewunderung verdient.
Ja, wir sind ihrem Fleiß viel Hekatomben schuldig,
Da sie durch eigne Kraft, hilflos und doch geduldig,
Dem menschlichen Geschlecht viel Nützliches erzeigt,
Das aber erst durch uns zu seinem Werthe steigt,
Und das durch künft'gen Fleiß der Enkel höher steigen,
Und was, dem unbewußt, der Enkel Enkel zeigen
Und so durch neuen Fleiß noch höher steigen wird.
Drum, Freund, verzeih es mir, Du hast Dich wol geirrt.
Die alte Welt ist zwar mit Ehrfurcht zu betrachten,
Doch brauchen wir uns auch in Keinem zu verachten,
Und die Physik ist's nicht allein, die unserm Werth
Vor ihnen, wie Du sprichst, ein höher Lob gewährt.
Nein, ihre Schwester hat weit stärker Licht bekommen,
Seitdem manch hoher Geist sich ihrer angenommen.
Und wer, wie Du selbst sprichst, kennt wol nicht MaupertuisDank sei dem lieben Reim, daß der beim Newton stehet,
Und in den letzten Fuß nicht unser Euler gehet!
Doch Newton hat den Ruhm und Maupertuis die Müh'.
Freund, Du hast doch wol Recht, insoweit passen sie.

Und Newton, und zugleich der Beiden Ruhm und Müh?
Soll uns ein Philosoph des Alterthums beschämen?
Kann Leibnitz und ein Wolf nicht Alle auf sich nehmen?
Wo zeigt uns jene Welt dergleichen Werkzeug an,
Als uns Tschirnhausen's FleißDu kennst der Alten Werth und schätzest ihren Ruhm,
Und kennst den Archimed nicht aus dem Alterthum?
zum Wunder zeigen kann?
Wer war so stark wie wir in Wissenschaft der Sterne?
Wer sah von ihnen so wie wir in alle Ferne?
Wer war so groß vom Geist, als unser Euler ist,
Wenn sein gewöhntes Aug' entfernte Größen mißt?
Wo hat ein Muschenbroek der Alten Ruhm vermehret?
Wo hat sie Einer so wie Gesner uns gelehret?
Und wo hat Aesculap Boerhaavens Kunst gehabt?
Wer war mit einem Geist wie Ludewig begabt?
Und selbsten das Gericht stirnrunzlichter Archonten,
Die die Gerechtigkeit am Besten drehen konnten,
(Wie mancher Richter noch gut durch die Finger sieht,
Wenn man ein Fäßchen Wein in seinen Keller zieht;)
Ist uns nicht gleich, seitdem uns ein Cocceji lebet,
Der Recht und Richterstuhl durch Wissenschaft erhebet.
Die Stützen unsrer Zeit, die Weisen jener Welt
Sind, die man Jener Ruhm von uns entgegen stellt,
Und unsre Zeit sieht noch so viele große Geister,
Die bei der Nachwelt noch der Wissenschaften Meister
Und große Weise sind. Die Dichtkunst kränkest Du,
Gestehst der alten Welt vor uns den Vorzug zu;
Allein, geliebter Freund, ist Glover kein Poete?
Reizt Dich nicht Hagedorn, klingt Dir nicht Haller's Flöte?Wem danken diese denn ihr göttlich Lied? Den Alten;
Drum ihnen gleich zu sein, muß man's mit Jenen halten.

Was war's, das des Homer's und Maro's Lied erhob?
Was schuf Anakreon's, Ovid's und Flaccus' Lob?
Ein abergläubisch Lied, vermischt mit tollen Lügen,
Die Nachwelt durch den Held geschicklich zu betrügen.
Ein Lied voll Schmeichelei, ein Lied voll geiler Brunst,
Ein Lied voll Thorheit und von sehr gemeiner Kunst.O, unsre Dichter sind wol alle keusche Seelen,
Die nur das hohe Lied zu ihrem Muster wählen!

So schrieb das meiste Volk der Dichter jener Zeiten;
Freund, ihre Lieder sind gelehrte Kleinigkeiten.Doch unsre Lieder sind voll Wissenschaft und Stärke,
Durch uns zeigt sich ein Gott der Weisheit Wunderwerke.

Komm, zeige mir den an, der wie mein Haller singt,
Wenn sein erhabner Geist sich auf die Alpen schwingt.
Die Sprachen, liebster Freund, die Sprachen jener Dichter
Vermehren nur ihr Lob beim unpartei'schen Richter.
Und sprächen wir wie sie, so könnt' es leicht geschehn,
Auch unser Lied wär' gut und gleich der Alten schön,
Wie, wenn ein Lied, das sonst im Englischen ergetzet
Und lauter Schönheit zeigt, ins Deutsche übersetzet,
Sehr arm und mager scheint, wenn es der Deutsche zwingt
Und nach dem Sprachgebrauch in reinste Schreibart bringt.
Gnug, jede Zeit ist gut und immerfort die beste,
Und jeder weise Mann, so lang' er lebt, der größte.
Das ist der Welt ihr Brauch und Lauf, und daß es so,
Belacht Herr Trivelin in seinem Marivaux.
Mein Freund, lass' unsrer Zeit auch ihr Recht widerfahren,
Denn die Erkenntniß wächst wie Mädchen mit den Jahren.
Allein, wird man am Erzt nichts mehr Verstecktes sehn.
Und hört das Finden auf, was wird alsdenn geschehn?Dann wird, vermuthe ich, der jüngste Tag wol kommen;
Dafür behüte Gott in Gnaden alle Frommen!



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