Gotthold Ephraim Lessing
Fragmente und Fabeln
Gotthold Ephraim Lessing

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Fabeln und Erzählungen.

Die Fabeln der ersten drei Bücher erschienen 1759 unter dem Titel: »Gotthold Ephraim Lessings Fabeln. Drey Bücher. Nebst Abhandlungen mit dieser Dichtungsart verwandten Inhalts, bei Christian Friedrich Voß.« Doch sind die Fabeln des dritten Buches zu 31-34 in jener Sammlung nicht enthalten; die zu 31-33 stehen im ersten Theile der »Schrifften« (1753), wo auch bereits die Fabeln: Buch I, 14, 17, 29, Buch II, 7, 8, 10 und Buch III, 15 aufgenommen sind; die Fabel Buch III, 34 findet sich in: »Gotthold Ephraim Lessing, sein Leben und seine Werke von Th. W. Danzel.«

Von den Fabeln und Erzählungen des vierten Buches stehen die zu 1-6, 8-13 unter »Fabeln« im ersten Theile der »Schrifften« (1753), sowie unter »Fabeln und Erzählungen« im zweiten Theile der »vermischten Schriften« (1784), und zwar auf denjenigen Bogen, welche noch zu des Dichters Lebzeiten gedruckt worden sind, die zu 7 zwar ebenfalls in beiden Sammlungen, jedoch 1784 auf einem erst nach Lessing's Tode gedruckten Bogen; die zu 14 und 15, welche in der Sammlung von 1753 fehlen, hat Lessing noch selbst in die »vermischten Schriften« aufgenommen; die zu 17-21 befinden sich in keiner der beiden Sammlungen.

Erstes Buch

1. Die Erscheinung

In der einsamsten Tiefe jenes Waldes, wo ich schon manches redende Thier belauscht, lag ich an einem sanften Wasserfalle und war bemüht, einem meiner Märchen den leichtesten poetischen Schmuck zu geben, in welchem am Liebsten zu erscheinen, Lafontaine die Fabel fast verwöhnt hat. Ich sann, ich wählte, ich verwarf, die Stirne glühte – – Umsonst, es kam nichts auf das Blatt. Voll Unwill sprang ich auf; aber sieh! – auf einmal stand sie selbst, die fabelnde Muse, vor mir.

Und sie sprach lächelnd: Schüler, wozu diese undankbare Mühe? Die Wahrheit braucht die Anmuth der Fabel; aber wozu braucht die Fabel die Anmuth der Harmonie? Du willst das Gewürze würzen. Genug, wenn die Erfindung des Dichters ist; der Vortrag sei des ungekünstelten Geschichtsschreibers, so wie der Sinn des Weltweisen.

Ich wollte antworten, aber die Muse verschwand. »Sie verschwand?« höre ich einen Leser fragen. »Wenn Du uns doch nur wahrscheinlicher täuschen wolltest! Die seichten Schlüsse, auf die Dein Unvermögen Dich führte, der Muse in den Mund zu legen! Zwar ein gewöhnlicher Betrug –«

Vortrefflich, mein Leser! Mir ist keine Muse erschienen. Ich erzählte eine bloße Fabel, aus der Du selbst die Lehre gezogen. Ich bin nicht der Erste und werde nicht der Letzte sein, der seine Grillen zu Orakelsprüchen einer göttlichen Erscheinung macht.



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