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Achtzehntes Kapitel

Fritzsche wartet jeden Abend auf Glubsch. Es sind acht Tage her, seitdem er bei ihm war. Er hat es nun schwarz auf weiß gelesen, was Herr Degenkolb über die Assoziation geschrieben hat. Fritzsche kann es sich nicht erklären, was Glubsch mit den Worten sagen wollte, die er beim Abschied herausstieß:

»Das soll er mir büßen! Wenn er unsre Genossenschaft in die Luft fliegen läßt, laß ich ihm seine Fabrik explodieren!«

Fritzsche darf sich eigentlich um all das nicht kümmern, – immer mehr Arbeit lädt ihm die Genossenschaft auf. Weder er noch sonst jemand konnte voraussehen, was es mit dem Beschaffen von Waren, Abwiegen und Einkassieren auf sich hatte. An den Tagen nach Lohnzahlung ist es am schlimmsten. Zu viert müssen sie Ware heranholen, abzählen, auswiegen. Will er seine Bücher fertigmachen, weil er doch jeden zweiten Abend abrechnen muß, so erscheint Wagner oder Vogel und legen ihm andre Arbeit vor. Fritzsche findet kaum Zeit, die neuen Mitglieder einzutragen.

Eines Tages bringt ihm Herr Wagner das fertig abgeschriebene Statut, – es sind über 50 Paragraphen. Nachdem er eine halbe Stunde darin studiert hat, gibt Fritzsche es auf.

»Hier, Wagner, habt Ihr es zurück! Ist es nicht grauenhaft, für so'ne einfache Sache 12 Seiten zu beschreiben und in einem Deutsch, das kein gewöhnlicher Mensch versteht?«

»Wie soll man's anders machen? Ihr wart' doch mit dabei und habt manchen Satz geändert!«

»Ja, es müssen die Grenzen abgesteckt sein, in denen Rechte und Pflichten festgelegt sind. Eigentlich brauchte man bloß zu schreiben: »Was du nicht willst, das man dir tu, das füg' auch keinem andern zu!«

»Ja, wenn die Menschen einmal so weit wären, dann hätten wir auch weniger Arbeit!« sagt eine wohlbekannte Baßstimme. »Guten Morgen, die Herren! Der Magistrat läßt fragen, wann und wo die nächste Versammlung stattfindet; es ist verfügt, Herr Assessor Färber solle ihr beiwohnen!« Polizeisekretär Hanisch sieht breit vor dem Ladentisch.

»Freut uns außerordentlich!« sagt Herr Wagner. »Wir wollen am 17. Februar in Kriegers Gasthaus, abends um neun Uhr, unsre neue Satzungen vorlegen und zur allgemeinen Unterschrift geben.«

»Seid so freundlich und schreibt mir das auf!« bittet Hanisch jovial.

»Augenblick!« ruft Herr Wagner, schreibt es auf,– Herr Hanisch nimmt das Papier und geht wieder.

Wagner und Fritzsche sehen sich verblüfft an, dann lachen sie beide aus vollem Hals.

»Ich glaub, Herr Bürgermeister traut seinem Polizeischreiber nicht mehr, da muß er schon einen Fachmann schicken!« sagt Herr Wagner. »Ich meine, er will Material suchen, um den Bericht des Herrn Degenkolb, diesem Schlechtachten, wollt sagen: Gutachten, beizulegen. Vielleicht will er auch bloß die Mitglieder einschüchtern lassen, – hu, ein leibhaftiger Herr Assessor! Da werden die braven Untertanen sich geschmeichelt fühlen!«

»Lieber Fritzsche, und die Arbeiter? Die bleiben aus! Darauf könnt Ihr Euch verlassen! Wenn es bekannt wird, daß der Magistrat einen Assessor schickt, kommen sie nicht!«

»Ich wollte grade die Einladung mit diesem Vermerk so geschrieben haben, daß jedermann vom Beisein des Assessors Bescheid weiß. Die Gelegenheit werden die Arbeiter benützen, einmal in der Gegenwart einer Magistratsperson kräftig auf den Tisch zu schlagen und den hohen Herren gründlich die Meinung zu sagen. Kollege Stolle zum Beispiel würde ...«

»Um Gotteswillen! Er würde am selben Abend wegen Majestätsbeleidigungen und hochverräterischen Reden ins Loch stiegen!«

»Also, dann macht, was Ihr für gut anseht!« giftet Fritzsche und arbeitet unmutig weiter. Plötzlich nimmt er die große Mitteilungstafel von der Wand und legt sie Herrn Wagner auf den Tisch: »So! Seid so gut und schreibt die Ankündigung für die Versammlung. Aber bitte genau, den 17. Februar, sonst geht es wieder wie im Oktober. Da hatte ich dem Polizisten den 15. angegeben und er mußte umsonst bei Krieger warten.«

Herr Wagner malt in wunderbar verschnörkelter Schrift die Ankündigung. So fein kann nicht einmal der Herr Lehrer. Fritzsche mahnt: »Und dann sagt dem Vorstand Bescheid. Ehe die Versammlung beginnt, soll er bei mir, Fritzsche zusammenkommen. Ich will noch die schon lange strittige Miete für das Lokal auf die Tagesordnung haben!«

Am 16. Februar treffen sich die Vorstandsleute. Fritzsche beginnt gleich mit seiner Mietforderung. Wagner ist für die Einberechnung in die Prozente: aber Fritzsche will Entschädigung und Miete, eine Summe, die noch gar nicht festgelegt ist, getrennt haben. Darin sind Vogel und Stolle sich einig, vorläufig soll die Genossenschaft nicht mit der Summe belastet werden. Das muß die ganze Mitgliedschaft beschließen. Solange ist es gegangen, es wird auch wohl noch bis zum Juli weitergehn. Fritzsche widerspricht, wird heftig, sagt es vorwurfsvoll und verbittert, daß er nicht einmal so viel an Prozenten herausbekomme, als der Lohn eines gewöhnlichen Tagelöhners ausmacht, der weder Axt noch Spaten zu stellen hat. Er aber gebe sein ganzes Hauswesen hin, seine Nachtruhe kürze er mit Schreib- und Rechenarbeiten, seine Frau müsse mitschaffen, er stelle Licht und Brand, Reinigung und Instandhaltung immer noch ohne Entschädigung.

Endlich schlichtet Herr Wagner den Streit und versichert Fritzsche, an dem Tag, wo der Entschluß der Regierung über Verbot oder Weiterbestehen der Genossenschaft bekannt wird, wird sofort mit der Entschädigung begonnen.

Alle verpflichten sich, für Fritzsche einzustehn. Nach dieser erregten Auseinandersetzung gehen sie um acht Uhr zu Kriegers Gasthaus. Bis halb neun warten sie, es sind über 50 Leute da. Bei der Rechnungsablage werden sie lebendig und klatschen jubelnd in die Hände, als sie so hohe Zahlen hören: Ersparnis 400 Taler, Umsatz 3000 Taler.

Dann spricht Färbermeister Vogel und mahnt die Anwesenden, doch alle Waren im Genossenschaftsmagazin zu holen. Wenn das so weiterginge, müßten die säumigen Mitglieder ausgeschlossen werden. Er wisse zwar ganz genau, daß sehr viele Familien sich zum Einholen Mittelspersonen bedienten und sich selber nie im Lokal sehen ließen, aus Furcht, ihren guten Ruf zu verlieren. Das sei eben verkehrt. Grade die Handwerker wollen nach außen hin nichts mit der Genossenschaft zu tun haben, weil ihnen die Kaufleute dann keine Aufträge mehr gäben. Die Kaufleute wüßten doch genau Bescheid über den Mehr- und Mindereinkauf der Kunden. Die Handwerker sollten sich offen und ehrlich zur Genossenschaft bekennen!

Während Vogel dies spricht, wird die Versammlung unruhig; es meldet sich, trotz Wagners Aufforderung, niemand mehr zum Wort.

Herr Wagner will beim Drucker Ossenhauer einige Tausend solcher Zettel bestellen. Diese würden im Lokal aufgelegt und wer sie verteilen wolle, könne sie dort mitnehmen.

Ein junger Handwerker steht auf und schlägt vor, als weiteres Mittel zum Bekanntmachen der Genossenschaft ein großes, öffentliches Stiftungsfest zu feiern, natürlich mit anschließendem Tanz. Schon am Nachmittag müßten die Kinder eingeladen werden; jedes bekäme einen großen Kringel aus Backwerk und die wohlhabenden Familien sollten Preise für Topfschlagen und Sackhüpfen stiften. So ein öffentliches Fest mache die Genossenschaft rühmlichst bekannt und so lernten viele Leute den Zweck des Vereins kennen.

Herr Wagner dankt auch diesem Mann und bittet die Leute, mit Erfahrungen auf diesem Gebiet zwecks sofortiger Vorbereitung eines solchen Festes am nächsten Sonntag Morgen bei Herrn Fritzsche zu erscheinen. Von zehn bis zwölf Uhr würden sie sich dann bereden können.

Dieser Vorschlag ermuntert die bisher stille Versammlung, es werden noch einige Ratschläge aus der Mitgliedschaft vorgebracht, dann schließt Herr Wagner die Tagesordnung. Viele Leute gehen heim, eine große Gruppe Arbeiter geht noch an den Vorstandstisch; Herr Fritzsche bekommt noch einen ganzen Stoß Zettel von Leuten, die Mitglied werden wollen. Es ist Mitternacht, als auch die Letzten nach Hause gehen.


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