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Sechzehntes Kapitel

Vor Weihnachten sind die großen Tage der Genossenschaft. Fritzsche hat schon seit Wochen ein Schild ausgehangen; er bittet, die Wünsche für Weihnachten zeitig zu äußern und die Sachen zu bestellen. Den ganzen Tag muß er Waren abwiegen und hat das Lokal voller Leute; da reicht der Vorrat nicht aus. Zu guter Letzt besorgt – Kanitzky die fehlenden Mengen.

Die Frauen haben die Freude zu sehen, daß ihnen die früher unerreichbaren guten Dinge fast so billig kommen, wie das grobe Brot und die tägliche Grütze. Vom Land her ist der schönste Speck gekommen, Fritzsche staunt, wie die Familien, die bisher nur das Notwendigste kauften, sich wirklich ein Fest leisten. Einige Frauen erklären ihm, sie hätten ihren Männern nicht gesagt, daß sie in die Genossenschaft eingetreten sind und das Ersparte an die Seite gelegt haben. Nun braucht der Mann nicht, wie sonst vor Weihnachten, in der Fabrik um Vorschuß zu bitten; sie können drei Tage festlich leben, wie es sich für einen Menschen zu Weihnachten gehört.

Seinen Plan, durch die Erhöhung der Preise einen Grundstock zum Ankauf der Mühle einzurichten, hat Fritzsche vorläufig aufgeschoben. Wenn die Genossenschaft doch verboten werden soll, dann sollen es die Arbeiter auch wieder direkt am Brotschrank spüren; selbst von den ersparten 300 Talern hat er 100 mit in das Betriebskapital gesteckt und solche Dinge, dem Volke sonst unerreichbar, wie Schinken und feinsten Käse zum Preise von gewöhnlichem Speck und Landkäse abgegeben. Wie ein Abschiedsfest kommt ihm dies Weihnachten vor:

»Freut euch Leute, einmal sollt ihr euch sattessen nach Herzenslust!«

Zu dem Zweck hat er sogar einigen ganz armen Familien Pakete ins Haus bringen lassen, jedes Stück im Wert eines Talers. Er hat die Freude, zu sehen, wie auch in den andern Geschäften die Preise sinken: in den Nachbarschaften wird erzählt, im neuen Jahre könnten Fritzsche und Genossen nicht mehr konkurrieren, denn der Handel hat sich ebenfalls fest zusammengeschlossen und will die Preise so billig setzen, daß die Lebensmittelgenossenschaft gänzlich überflüssig wird. Fritzsche lacht diese unkenden Genossen aus und sagt:

»Überflüssig sind nie die Konsumenten, aber Leute, die das Volk nicht kennen!«

Nach dem Fest kann er die Mitglieder wie mit Schaufeln aufnehmen: bis Neujahr sind 200 neu Einzutragende auf einem Wust von Zetteln eingereicht. Jetzt versucht Fritzsche einen neuen Schlag: er will dem Magdeburger Kaufherrn für das nächste Jahr einen Vertrag vorlegen, nachdem er als alleiniger Lieferant für die Genossenschaft die vorgeschriebenen Waren in bestimmter Menge und Güte liefern soll. Dafür muß er ihm mit dem Preis entgegenkommen. Er legt ihm in einem langen Brief auseinander, daß er, nachdem er nun 600 Familien hat, es mit Leichtigkeit so weit bringt, eine Bevölkerung, so stark wie die Stadt Eilenburg, zusammenzuschließen.

»Knapp 10 000 ist die Zahl der Einwohner, die ihren Bedarf bei uns decken werden,« schreibt er, »die restlichen Eilenburger, die nie und nimmer bei uns eintreten, werden durch den Anschluß von drei großen Dörfern wettgemacht. Es wird dann in der Folge das Geschäft der vorhandenen Kaufleute ohne Ertrag und ohne Gewinn sein, es wird kein Kleinhändler mehr in Eilenburg bestehen können. Dann fallen uns auch die restlichen Personen, wie Beamten- und Fabrikanten-Familien zu.«

Er läßt dem Kaufherrn durchblicken, daß der kräftige Schlag nur für einmal durchgeführt werden müsse; ein Risiko sei nicht dabei, weil die Mitglieder sich an den Kauf gegen bar überraschend schnell gewöhnt hätten und durch die billigeren Preise auch dazu in den Stand gesetzt wären. In einem Vierteljahr sei dann aller Handel auf die Genossenschaft und durch diese auf ihn übergegangen.

Zwei Tage nach Neujahr kommt der Kaufmann, er verspricht sich den großen Erfolg, weil er ja die Mengen, die der bisherige Handel von ihm bezogen hat, kennt. Ein bißchen neugierig besieht sich der Händler das Fritzsche-Erbe samt Garten und Wiesen und fragt ungeniert nach seinem sonstigen Eigentum, nach Hypotheken und sonstigen Privatschulden.

»Denn,« sagt er ganz offen, »wenn Sie, lieber Meister, daran bankrott gehen, muß ich ja doch die Genossenschaft und Ihr Haus übernehmen!«

Da weiß Fritzsche, daß er zu weit gegangen ist. Von dem Augenblick an ist er entschlossen, die Verbindung mit dem Herrn abzubrechen. Der Kaufmann merkt es und verabschiedet sich mit höflichen Redensarten.

Fritzsche muß nun doch wieder mit seinen Leuten aus Delitzsch arbeiten. Er kutschiert an einem klaren Wintermorgen nach Delitzsch, stellt im »Adler« ein und besucht seine Freunde. Als er zu Mittag in das Gasthaus zum Essen kommt, liegt da ein Schreiben des Landratsamtes; Fritzsche wird höflichst gebeten, bei Herrn Landrat von Pfannenberg vorstellig zu werden. Nach dem Essen findet sich im »Adler« eine Anzahl armer Handweber ein, die sich nach dem Stand der Genossenschaft erkundigen. Sie kommen überein, daß Fritzsche ihnen bei dem Bäckermeister Klotzte eine Abgabestelle einrichtet. Es müßten nur einige Delitzscher Leute in den Eilenburger Vorstand gewählt werden. Am nächsten Sonntag wollen sie die Eilenburger Genossen besuchen. Die Weber bringen ihn bis ans Amt; er wird sogleich in das Büro des Herrn Landrats geführt. Als Fritzsche dieses glattrasierte Gesicht, die strengen Falten und den höflich lächelnden Mund sieht, erinnert er sich der Warnung Wagners, aus einem Behördezimmer keine Volksversammlung zu machen, sondern diplomatisch zu antworten.

Leider stellt ihm der Landrat keine Fragen, sondern bittet ihn sehr höflich, etwas aus seiner Praxis als Geschäftsführer zu erzählen. Fritzsche hat dazu eine halbe Stunde nötig. Zum Schluß spricht er vom Weihnachtserfolg und überzeugt den Landrat, daß nur die Genossenschaft dem Volk die Schwierigkeiten dieser schlechten Zeit überwinden hilft. Als er den Warenbestand mit 3000 Talern angibt, da unterbricht ihn der Landrat und meint, es könnten auch wohl 4000 sein. Fritzsche überkommt der Gedanke, daß der Landrat ja viel mehr weiß, als er vorgibt. Auf die Frage nach dem Barbestand der Überschußkasse gibt Fritzsche die tatsächliche Höhe von 75 Talern an. Da schüttelt der Landrat den Kopf und schlägt eine Aktenmappe auf, sagt gleich:

»Waren es nicht vor Weihnachten 375 Taler?«

Da muß Fritzsche bekennen, daß er 100 Taler für die Prozente des Geschäftsführers, weitere 150 für Miete und Licht fürs vergangene Jahr, noch 50 Taler für die Bemühung des Kontrolleurs und des Vorstandes, abgerechnet hat. 50 Taler hat er für die Verbilligung eingesetzt, außerdem von dem Betrag einer Anzahl von ganz armen Familien, in denen Krankheit und Not herrscht, zu Weihnachten Lebensmittelpakete gesandt. Wenn er diese Summen hinzurechnet, würden es an 400 Taler sein. Der Landrat liest ein Schreiben der Merseburger Regierung, das vor einem halben Jahr an das Landratsamt ging und sucht in diesem eine Verbindung mit Fritzsche. Er liest da »staatsgefährlich, kommunistisch-demokratische Lehren und Bestrebungen –« Und nun steht solch ein Agitator vor ihm, ein ganz gefährlicher, der sogar diesen Hochverrat unter der Maske eines gemeinnützigen Vereins betreibt und hier, unter seinen Augen, in Delitzsch ein ebensolches Proviantamt der Revolution und eine Kriegskasse des Kommunismus errichten will. Wahrlich, die Demokraten haben sich da einen braven Mann ausgesucht; der Landrat möchte gern untersuchen, ob er sich dieses Hochverratsversuches bewußt ist, er will ihn aber auch nicht vorzeitig warnen.

Dann fragt er, ob in der Vereinigung zu Eilenburg die Handwerker oder die Fabrikarbeiter überwiegen. Darauf muß Fritzsche erklären, daß im neuen Jahr sich so viele Arbeiter neu gemeldet hätten, daß die Handwerker nun in der Minderzahl seien. Jetzt kommt das von Fritzsche gefürchtete Frage- und Antwortspiel:

»Ist Ihnen bekannt, daß es einen Verein »Arbeiterverbrüderung« gibt?«

»Jawohl, Herr Landrat! Aber er ist aufgelöst.«

»Sind Mitglieder dieses Vereins Mitglieder der Lebensmittelgenossenschaft? Und wie groß ist der Prozentsatz!«

»Die ehemaligen Mitglieder der Verbrüderung sind nicht festzustellen. Da unser Verein 610 Familien als Mitglieder hat, kann ich nicht wissen, welche davon in die Verbrüderung gehört haben!«

»Besteht eine Verbindung zwischen Verbrüderung und Lebensmittelgenossenschaft?«

»Wie soll ich das verstehen?«

Hier weiß der Landrat im ersten Augenblick auch nicht die Art der Verbindung zu benennen. Er blättert in den Akten und sagt:

»Besteht eine Vereinbarung, nach der die Mitglieder des einen Vereins auch Mitglieder des andern sein müssen? Oder angehalten werden, gegenseitig sich in die Vereine hineinzuagitieren?«

»Nein, Herr Landrat!«

»Sind Sie über die Ziele der Arbeiterverbrüderung unterrichtet!«

»Ich interessiere mich nicht für aufgelöste Vereine, doch es besteht eine gewisse Feindschaft zwischen den ehemaligen aus der Verbrüderung und uns.«

»Geht oder ging die Feindschaft gegen eine Person oder gegen die Sache?«

»Gegen beides. Wir sind Handwerker; ich bin der Meinung, daß unsre Sache eine rein ökonomische darstellt und nur den Zweck verfolgt, die Mängel der schlechten Löhne durch eine geeignete Verwendung dieses Arbeitslohns etwas auszugleichen. Auf die Höhe des Lohnes und des Ertrages, respektive Gewinns, an der Handwerksarbeit, haben wir keinen Einfluß. Wohl aber sind wir imstande, durch geeigneten Einkauf und Verteilung ein Viertel bis ein Drittel am Konsum zu ersparen. Um nichts anderes sind wir zusammengetreten. Ich habe auf die Gefahr hin, die Mitglieder abzuscheuchen, darauf gedrungen, Erörterungen politischer, sozialer und religiöser Natur nur außerhalb unserer Lokalitäten und Versammlungen zu machen.«

»Und das geschieht?«

»Jawohl!«

Jetzt sieht der Landrat wieder in die Akten, blättert herum und steckt sich eine Zigarre an. Dann fragt er:

»Gesetzt den Fall, es werden durch ökonomische Bestrebungen die Inhaber der Kaufläden nicht mehr imstande sein, die Existenzmittel zu erwerben, was sollen diese zweifellos ehrlichen und schuldlosen Menschen beginnen?«

»Sie werden dasselbe tun müssen, was wir Handwerker tun, die durch die mechanischen Industrien brotlos geworden sind. Sind wir nicht auch ehrliche und schuldlose Menschen, deren Existenz untergraben ist? In Eilenburg sind allein 150 Schuhmacher, deren Erwerb zu wenig zum Leben einträgt, es sind an 200 Weber da, die durch die Tuchfabriken am Hungerknochen nagen, ohne die Drucker und Färber, denen es schlechter geht, als den Bettlern auf den Straßen. Herr Landrat, da wäre es angezeigt, der hohen Regierung diese Mißstände zu Ohren zu bringen. In Anbetracht, daß es der Kaufleute nur 30 oder 40 sein können, der Handwerker aber Hunderte sind ...«

»Sind sie fest überzeugt, daß Sie die ganze Stadt erobern werden?«

»Jawohl, Herr Landrat, das bin ich!«

Nun schlägt Herr Landrat wieder die Akten auf und liest für sich den letzten Brief des Eilenburger Magistrats.

Dann steht Herr von Pfannenberg auf und geht in großen Schritten durch das Zimmer, bleibt vor Fritzsche stehn und sagt, indem er ihm voll ins Gesicht sieht:

»Ich gehe nicht fehl in der Annahme, daß Sie zu dem Zwecke hierhergekommen sind, eine gleiche Sache, wie in Eilenburg zu gründen. Ich sage: wir werden dieses Vorhaben nur ungern sehen; es wird sich, wie in Eilenburg, keiner Sympathie erfreuen. Ich lese soeben, daß sogar in der Zeitung gegen die Assoziationen die Hilfe der Legislaturen angerufen wird. Also wird das Gesetz nicht lange ausbleiben, und ich sehe mich veranlaßt, so zu tun, als sei das Gesetz schon in Kraft und Wirksamkeit. Die Weiterungen werden uns durch das Inkrafttreten dieses Gesetzes erspart. Wir kommen Ihnen durch diese Mitteilung sehr entgegen und haben, Ihrer Persönlichkeit wegen, Gnade für Recht ergehen lassen! Also, Adieu, Herr Fritzsche, lassen Sie sich nicht wieder blicken!«

»Auf Wiedersehn!« sagt der Meister und geht hinaus.


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