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Sechstes Kapitel

Um das kleine Haus des Heizers Glubsch an der Muldebrücke saust der nächtliche Märzsturm. Das Dach reicht bis an die beiden Fenster. Dahinter liegen Stube und Küche, die andern Mauern umschließen Ziegenstall und Holzschuppen.

Aus dem breiten Bett in der Kammerecke erhebt sich ein Mann, setzt sich auf den Bettrand und reckt die Arme. Er sieht einen Streifen Mondlicht auf dem gestampften Lehmboden. Der Laden vor dem kleinen Fenster schlägt mit krachendem Klatschen zu. Es wird wieder ganz dunkel.

»Ottokar, schließ ihn dicht!« sagt die Frau, die den Kopf ins Kissen drückt.

»Es ist doch erst 2 Uhr!«

Ottokar Glubsch zieht sich an. Die alte Standuhr zeigt wirklich 2 Uhr und nun rasseln die Schläge ins Zimmer.

»Willst du wieder weg?« fragt die Frau. »Gestern ist es 10 gewesen, als du kamst, jetzt ists 2, du willst doch nicht schon weg?«

»Still, die Kinder werden wach!« sagt der Mann und geht ans Fußende des Bettes; er nimmt ein vierjähriges Kind, legt es auf den Platz neben der Frau und bettet ein größeres auf die Stelle neu hin. Dann legt er eine Hand auf das Köpfchen des Kindes, bis es sich beruhigt hat und beugt sich zu seiner Frau hinüber: »Hör Marta, wenn ich mit einem neuen Bett heimkomm, schimpfst du nicht mehr!«

»Ha! Seit drei Jahren hast dus mir versprochen. Auf dem Fußboden komm ich aus, wenns so weitergeht! Also, du willst schon weg?«

»Ich will, weil ich muß, und muß, weil ich will.« Ottokar lacht grimmig, wendet sich zum Tisch, nimmt den Topf mit Grützensuppe und zieht seine Mütze über die Ohren. An der Tür dreht er sich noch einmal um, sieht den ärmlichen Haushalt an, die schlechten Wände, doppelt häßlich und schmierig im bleichen Mondlicht. Er drückt sich durch die Tür, schließt sie leise und greift nach dem offenen Fensterladen, schließt auch diesen fest und geht durch die nachtstille Kültzschau. Der Wind weht warm, er jagt dicke Wolkenballen vor sich hin. Nun strahlt der Mond rein und weiß, schimmernd glänzt der Fluß auf, silbert bis an den dunklen, fernen Hügel. Vor diesem liegt die Stadt Eilenburg; von der Muldebrücke aus führt die Straße gradaus in die Stadt. Auf dem Hügel steigen zwei dicke Türme auf, die Marienkirche und das Schloß. Alle Dächer sind naßbeglänzt, kaum ein Licht in den Fenstern.

Zwischen der Fabrik hinter der Stadt und dem kleinen Häuschen ist sein Leben beschlossen. Es sind erst fünf Jahre her, daß er dort Feuermann am Dampfkessel geworden ist. Als junger Schmied wanderte er nach Amerika aus. Dann trieb ihn die Sehnsucht und das Heimweh zurück. In Berlin kam er an, als seine Firma den Auftrag bekam, in der Eilenburger Druckerei die Feuermaschine aufzustellen. Dort arbeitete er monatelang, bis er, anstatt eines neuen Auftrages, die Entlassung bekam. Da war es gut, daß ihn Herr Degenkolb als Heizer behielt.

Glubsch verläßt die Straße und wendet sich auf ein Häuschen zu, das ganz rechts, unter einem großen Birnbaum liegt. Dort wohnt sein Freund Emil Bittkow, den er abholen will. Der Weg zu dem Häuschen ist mit Wasser bedeckt, wie ein Bach glänzt er bis an die Haustür. Glubsch patscht über den Steg auf das Haus zu. Er muß sich ein wenig bücken, um unter dem niedrigen Dachrand an das Fenster zu kommen. Er klopft, hört nichts. Klopft wieder, dann sagt eine Frauenstimme: »Aufstehen, Emil!« Anstatt einer Antwort rollt ein rauher Husten durch die Kammer, das Fenster wird aufgestoßen, ein bärtiger Kopf spuckt in die Rinne, ein neuer Hustenstoß wirft einen Mann breit auf das Fensterbrett und ein Arm stößt in die kalte Luft vor, als suche er nach einem Halt. Nachdem der Bärtige sich ausgehustet hat, fragt er:

»Warum so früh, Ottokar? Ist was passiert?«

»Es ist nur zwei Stunden früher, als sonst. Du mußt mir helfen, Heizrohre in die Roleauxmaschine neu einzusetzen. Deine Morgensuppe wärm ich dir am Kessel, kannst sie drüben essen!«

Das Fenster geht wieder zu, eine Öllampe wird angezündet und wandert in dem kleinen Raum an hocherhobener Hand umher. Eine Frauenstimme spricht. Die Lampe erlischt.

Als Emil Bittkow in der Tür steht, fragt er:

»Wie spät ists?«

»Halb drei«, antwortet Glubsch, »in zwei Stunden müssen wirs schaffen, hab die Röhren zur Nacht ausgeschraubt; wenn du mitmachst, sind wir um fünf Uhr fertig.«

»Ja, der Bittkow kanns«, lobt der Bärtige sich selbst. Sie gehen. Bittkow hustet länger als gewöhnlich. Sie gehen eine Viertelstunde, kommen durch dunkle Gassen, gehen über die Mühlenbrücke und marschieren am Mühlbach vorbei, bis sich ein großes Tor in einer schwarzen Mauer auftut. Zwei Reihen Fenster übereinander: Die Fabrik.

Ottokar Glubsch klopft ans Tor. Nun biegt er ab, um durch das kleine Guckfenster nach dem Pförtner zu spähen.

»Es ist niemand drin, da müssen wir schon selber aufschließen«. Glubsch zieht den Schlüssel, flucht über das schlechte Schloß: »Na, willst du nicht? Ich will aber!« Er hat den Schlüssel zweimal umgedreht, endlich schiebt sich der Riegel zurück. Eine kleine Tür ist in das Tor eingefügt. Kaum sind sie im Hof, springen zwei riesige Hunde heran.

Die Männer müssen still und stramm stehen, die Tiere geben nichts auf den Zuruf des Heizers, sie schnauben und schnurren an den Arbeitern herum.

»Geh, Pluto, geh Sultan!« bettelt der Heizer. Er darf die Tiere nicht einmal von sich wegstoßen, sonst beißen sie. Die Bestien stupsen ihre Schnauzen in die Gesichter der Männer, ihre schmierig nassen Klauen kratzen in den Kleidern. Erst auf einen Pfiff des Wärters springen sie weg und jagen den langen, dunklen Hof hinunter. Bittlow lacht höhnisch und voll Grimm:

»Die Hunde habens besser wie wir, Ottokar. Einen warmen Stall im Kesselhaus, gut Fressen dreimal am Tag, winters auf die Jagd, die richtigen Herrenhunde!« Die Männer gehn an der Wiegekammer vorbei, an den Lager- und Packräumen, in denen ein kleines Öllicht die ganze Nacht brennt. Emil Bittkow bleibt stehen, steckt die Hand in ein offenes Fenster hinein: »Warm und trocken! Ottokar! Da regnet es nicht durch, da ist kein Schimmel und kein Moder an den Wänden; ha, wer doch auf Ballen schlafen dürft, ohne von der jammernden Frau geweckt zu werden! Warm und trocken!«

»Halt's Maul! Das kommt auch mal besser, das kann doch so kein Lebelang nicht weitergehen!« Ottokar Glubsch schlägt dem Kollegen auf die Schulter: »Kopf hoch! Hier, geh rein, da unten kommen die Hunde wieder! Der Wächter soll sie doch festmachen!«

Ein rotes Fünkchen wandert in dem langen, von zwei Seiten mit Gebäuden hochbegrenzten Gang; es ist die Laterne des Nachtwächters, der mit großen Holzschuhen durch den Schlamm patscht. Die Hunde sausen heran, Emil Bittkow zieht die Kesselhaustür hinter sich zu und hört die Tiere an der Ritze schnauben. Nun kratzen sie, knurren und röcheln mit schnuppernden Lungen.

Bittkow geht gradaus, auf das dunkelschwelende Feuer zu, welches aus der offenen Tür des Kessels als einziges Licht leuchtet. Er hockt vor dem Feuer, hält die Hände in die Höhe, läßt sich die Brust bescheinen, daß die Kleider dampfen.

»Man könnte die Lumpen genau so gut an die Birnbäume draußen hängen, als daheim in die Kammer«, sagt er und dreht sich um, hält den Rücken gegen die Wärme, »die Kammer saugt alle Nässe auf, die von oben und unten und von den Seiten herkommt. Prrrrr!«

Der Heizer kommt und kommandiert:

»Nun marsch! Voran! In der Roleaux ist es noch viel wärmer, da mußt du gleich mit rein. Pack die Sachen auf!« Er legt dem Kollegen die zwei Meter langen Eisenröhren auf die Schultern, drückt ihm zwei Rohrzangen in die Hand, legt ihm Krümmer und Nippel auf die Zangen, wirft den Hanfzopf über die Rohre, hängt den Mennigtopf mit einem Haken in die Tasche seiner Joppe: »Lauf zur zweiten Roleauxmaschine, brich aber nicht den Hals im Seilgang! Ich komm gleich nach!«

Emil Bittkow tastet sich voran, stößt mit den Röhren an Wände und Ecken, bekommt die Kehre nicht und bleibt einfach stehen, bis Ottokar mit der Lampe kommt.

»Nun schlägts aber Zwölf! Emil! Du mußt etwas unter dir haben! Daß du so vertrackt bist, so kommen wir doch nicht voran! Links rum, dann noch mal rechts sind gleich da!«

»Warum sind wir nicht draußen rum gegangen?« mault Emil hustend und geht.

»Egal unzufrieden bist du!« raunzt Ottokar, »da will ich dir ein bißchen auf die Strümpfe helfen und schanzt dir ein paar Stunden zu. – Dank hat man nicht davon. Nun, jetzt sind wir schon da!«

Ottokar zieht mit seiner Lampe durch das Dunkel, hält die blakende Flamme an den Docht einer andern Lampe, eine feurige Zunge stößt hoch und beleuchtet die Vorderfront der Maschine: zwischen zwei eisernen Gestellen hängt zu unterst ein Farbtrog, darin eine lange Bürstenwalze, die mit der Unterseite in die Farbbrühe taucht. Die Oberseite der Bürste berührt eine Kupferwalze, in der die Muster eingraviert sind, welche auf den Kattun gedruckt werden. Ein Messerschaber verdeckt handbreit die Walze, über die der Stoffstreifen nach oben läuft; eine zweite Walze, die den Stoff auf das Kupfer drückt, liegt in zwei großen Lagern darüber, eine Riemenscheibe steht seitwärts, der Riemen hängt in einer langen Schleife neben dem Draht. Der Boden ist fingerdick mit dem Überfluß der abgetriebenen Farbe schmierig bedeckt, blank glänzt an den Seiten der Stoffbahn die gravierte Kupferwalze, die Griffe und Hebel blänkern im rötlichen Qualmlicht auf. Als Ottokar von der zweiten Lampe hinüberblickt, sieht er Emil vor der Walze stehen: krumm, wie ein Tiger zum Sprung, die Augen hingehalten in die blanken Teile, die Fäuste vor die Brust gekämpft. Ottokar stößt in Unachtsamkeit an die Lampe, sie fällt aus dem Haken an den Boden und erlischt.

»Emil!« ruft er, »nun halt mir doch die Funzel hoch! Wir kriegen ja keinen Anfang, wenns so weitergeht!« Der Kollege gibt keine Antwort; der Heizer stellt die Lampe auf die Erde und drängt sich an Wellen und Scheiben, Latten und Rollen vorbei nach vorne, da sieht er den Kollegen: er hat einen schweren Eisenhammer hoch überm Kopf geschwungen und zielt auf das Stück Kupferwalze. Der Heizer sieht einen Augenblick lang starr, dann schießt er voran, faßt unter den fallenden Eisenhammer und stößt den Schlagenden mit den Fäusten vor die Brust. Der Hammer kracht zur Seite, schrammt an dem Lager ab, da stürzt sein Kollege mit rohem Gebrüll auf ihn und packt ihn um den Leib. Ihre Füße gleiten im schleimigen Mulm aus, sie kämpfen auf den Knien miteinander.

Ottokar muß unter den pressenden Armen des Kollegen auf den Boden; er hat die Augen dick voll Farbe, kann nichts sehen, patscht in den herabgefallenen Trog. Aber auch der Angreifer kann nicht weiter, er glitscht und fällt. Der Heizer rutscht mit den Knien in der Schmiere umher, hält die triefenden Hände vor das Gesicht und schreit:

»Emil! Emil! Gib mir doch einen Lappen, die Augen verbrennen mir von der Farbe. Emil! Was hast du gemacht!«

Da brüllt Bittkow:

»Die verfluchte Walze!«

Mit den Fäusten voll Farbe haut er in sinnloser Wut auf die Stoffbahn, zuckt zusammen vor der Wucht des Schlages, der vom Stoff auf das Kupfer gleitet und ihm die Fingerknochen prellt. Er wirft in Wut und Schmerzen den Kopf in den Nacken, der Bart stößt grade in die Luft, die tastenden Hände streifen an dem Bart vorüber, die Finger greifen in das Haar und ziehen den Kopf mit, der Heizer wischt den Bart durch sein Gesicht; der Gepackte zerrt, weiß nicht, was da ist; endlich begreift er und läßt den Kopf vornüber sinken, zu seinem Kollegen, der sich nun die schmerzenden Augenwinkel säubert:

»Ich will ja gern Dein Putzlappen sein, Ottokar! Verrat mich nur nicht, du allein hast es gesehen, ja, ich wollte diese Walze zerschlagen! Die ist der Mörder meiner Familie, dreht den Strick, an dem wir uns alle erhängen können! Verrückt hat sie mich gemacht! Ich schlage dir das Holz, ich bring es dir an den Kessel, ich fege den Hof, ich leere die Aborte aus, alles will ich tun, will diesen Galgen wieder reparieren helfen, ich, Webermeister Emil Bittkow! Verflucht, Ottokar, was hab ich ne Wut auf die Walzenmaschine!«

»Emil!« sagt der Glubsch, »ich muß mir die Augen auswaschen, das brennt wie Gift, komm!« Er tastet sich an der Maschine hoch. Nun steht Emil Bittkow aufrecht, reicht dem Kollegen die Hand, führt ihn durch den Gang am Kesselhans vorbei, in die Wäscherei. Er stellt ihn an einen Seifenwassertrog, mit einem weißen Fetzen Kattun wäscht er die Augen und das Gesicht des Heizers ab. Ottokar kann nun wieder sehen, er taucht den ganzen Kopf in die weiße Brühe; auch Bittkow wäscht sich die Schmiere ab.

Nun haben sie sich gesäubert, der Heizer läßt das Wasser ablaufen, nimmt die Lampe, die in der Mitte des Ganges hängt und geht wieder zur Roleauxmaschine.

»Erst das kürzere Rohr, dann das zweitlängste, das längste zuletzt!« kommandiert er und schraubt die Gewinde zusammen, läßt sich die Bögen und die Verschraubungen reichen, nimmt Hanf und Mennige. Als sie nach einer Stunde die Gewinde zusammenhaben, gehen sie nach vorne, um die Spuren der Zerstörung zu verwischen. Sie legen eine der zweimeterlangen, zentnerschweren Stahldorne mit der Spitze auf den Farbtrog, daß es aussieht, als sei der Dorn umgefallen und hätte im Hinschlagen den Trog gestreift. Dann gehen sie wieder an die Maschine, wo die Dampfröhren in großen Schlangenwindungen zwischen den Rollen hängen.

»Nun laß ich den Dampf ein, du siehst zu, ob die Gewinde dicht sind,« sagt der Heizer, entfernt sich und dreht das Ventil im Heizraum auf. Der Dampf rauscht durch die Röhren, das Wasser knackt und schlägt in den Leitungen, als hämmre jemand auf Eisenstangen. Bittkow sitzt auf der unteren Welle, hat den Rücken an die nächste Welle gelehnt. Von überall quillt Hitze her, in ein paar Minuten ist die Luft glühend; in dem Zwischenraum, der kaum einen halben Meter beträgt, sitzt der Mann mit der Lampe, die er von oben nach unten bewegen muß, um genau zu sehen, wo die Verbindungen neu zusammengefügt sind. Bei jeder Bewegung dreht sich die Welle in den Lagern und der Mann mit der Lampe schlägt mit der Brust oder dem Rücken gegen die heißen Dampfrohre.

»Ottokar, ich verreck!« brüllt er.

Der Heizer kommt und lacht:

»Du oder ich, einer muß sich die Schwarte verbrennen, wer, ist egal! Einer muß nachsehen, ich habs schon hundertmal allein gemacht; wie ist es, sind die Gewinde dicht?«

»Ich kann doch nichts sehen, die Augen sind voll Schweiß gelaufen, ich kann mich nicht bewegen, ohne mich zu verbrennen!« stöhnt Emil.

»Raus, Mann, ich muß wieder mal ran! Mich fragt keiner danach! Na ja, ich hab auch ne Sauschwarte! Ja! Aber erst, nachdem sie hundertmal gesengt und gebrannt ist!« Er hilft dem Kollegen aus der schmalen Höhlung heraus und kriecht selber hinein. Wischt mit dem Lappen die Augen, hält überall die Lampe hin, leuchtet hoch, weit, tief und kurz, sie zittert in der Hand, die hart an den heißen Röhren liegt, unter dem Schmutz rötet sich die Hand in brandiger Glut. »In Ordnung, los! Nun häng die Wellen wieder in die Lager, zerre die Bahnen grade und schließe die Türen dicht!« ruft der Heizer und sagt dann bedauernd: »Hätten wir nicht die Schweinerei da vorne wegzumachen, könnten wir jetzt gemächlich unsre Suppe essen!«

Da rollt ein brummendes Knurren durch den Raum, die beiden Hunde stoßen aus dem engen Gang vor, der Wächter kommt hinterher.

»Heizer!« ruft er, »es ist Halbfünf! Ist der Dampf auf der Höhe? Kanns losgehen?«

»In Ordnung, Nachtwächter!« erwidert der Heizer, »kannst zubimmeln! Aber, halt die Hunde!«

»Sultan! Pluto! Ihr kommt jetzt in die Ställe!« Der Wächter nimmt die Tiere an die Kette und geht.

Nach ein paar Minuten hämmert die kleine Glocke vom turmartigen Aufbau über der Portierwohnung.

Der Heizer biegt sich zum abgeschlagenen Farbtrog hinunter und schimpft:

»Mit Draht haben sie die beiden Schrauben ersetzt, das könnt auch nicht lange halten! Komm, Emil, hol ein paar Schaufeln Asche hierhin und wirf sie auf die Farbe, schippe alles weg und mache die Ständer rein; ich hol derweil die Sachen dafür.«

»Jetzt sitzen alle anderen noch bei der Suppe und beim Morgenbrot!« mault Emil Bittkow, »da, der Bohle Bernd, der Ziedar Walther, der Götzke, sie haben Zeit, wohnen kurz an der Fabrik, haben gesunde Weiber, die ihnen ihren Branntwein gönnen; nein, Ottokar, so geht das nicht weiter! In Schlesien, da haben sie den Herren einfach die Maschinen stillgesetzt, sind rausgegangen aus der Fabrik, trafen sich am andern Tag im Gasthaus, schworen Stein und Bein, nicht eher an die Arbeit zu gehen, bis sie die Überstunden bezahlt kriegten. Das müssen wir auch mal machen!«

Da antwortete Ottokar Glubsch bedächtig und hart:

»Emil, das konnten die Schlesier versuchen. Da hielten sie alle zusammen! Ja aber hier? Kein Zusammenhalt einer am andern! Ich will dir etwas anderes sagen: wenn unser Herr mal so viel Geld verdient hat, daß er die neuen Löhne zahlen kann, tut ers gleich! Seine Madam und das größere Fräulein waren einmal bei meiner Frau, als sie krank im Bett lag. Auch die haben es ausdrücklich gesagt: Warten müßt Ihr, nur warten!« – Im Herzen muß ich dir rechtgeben. Wir sollten ...!«

»Alle Maschinen zerschlagen! Ottokar! Hörst du, alle auf einen Tag!« Der ehemalige Färber- und Kattundruckermeister ballt die Fäuste und reißt seinen Mund in Haß und Wut auf: »Zerschlagen mit allen Herren und Bütteln!«

»Halts Maul! Es kommt schon was! Es kommt schon was!«

Der Farbtrog wird angeschraubt. Dann läuft Glubsch an den Kessel und stochert wild im Feuer, wirft Holz auf und rennt zur Speisepumpe. Auch das Wasser ist gesunken. Emil kommt hinterher und sieht zornig diese Wühlerei.

»Mach dich doch nicht müd an dem verfluchten Krempel!« zischt er ihm ins Ohr. »In die Luft sprengen solltest du den Kessel!«

»Und uns alle mit? Es trifft ja nur die Unschuldigen! Ja, wenn ...!«

Der Heizer wirft wieder Holz auf. Emil fährt neue Scheite an. Er geht in der Schubkarre wie ein Sklave in Fesseln, der nach Freiheit giert.

Der Heizer wirft die meterlangen Schanzenknüppel unter den Kessel. Die Flamme schlägt um die trockene Rinde, es knattert und knallt das gesplissene Stammholz trockener Buchen und Eichen. Bittkow nimmt seine Karre; an der andern Seite des Hofes liegt das Holz aufgestapelt. Er ladet die Karre voll und schiebt sie ins Kesselhaus. Der Fahrweg hat eine unregelmäßige Bahn, ein Rad stößt in Löcher, das andere vor kleine Wälle, die Knüppel rattern. Die Karrenbäume schüttern in den Händen des Fahrenden, als schlüge jemand mit einer Axt darauf. Bittlows Hände sind wie aus Eisen, klammernde Zangen seine Finger. Sechs, siebenmal fährt er so durch die Finsternis. Dann muß er mit einer Axt die Buchenstämme spleißen. Eine wüste Arbeit, eine Schinderei, wenn erst Äste das Holz durchziehn und er mit Keil und Hammer darangehen muß. Eine kleine Stallaterne leuchtet ihm dabei. Durch die Stille der Frühe knallen die Schläge der Axt und tönt das Krachen der splitternden Stämme. Inzwischen ist sein Kollege Glubsch in die Färberei gegangen, er setzt Dampf auf Kübel und Bütten, steigt auf den Bleichapparat und kontrolliert den Dampfdruck. Derweilen muß Bittkow mit feuern helfen.

Zuerst hingen nur die Webstühle an den Dampfkesseln und beide, Heizer und Helfer, glaubten, die Arbeit könnten sie keinen Monat vollhalten.

Inzwischen wurden neue Farbkessel montiert, kamen nacheinander drei Bleicherkessel dazu. Bei jeder neuen Belastung schworen Heizer und Helfer, das kann der alte Kessel unmöglich aushalten, sie könnten es nicht mehr schaffen. Sie tranken ein paar Schnäpse, aßen etwas Brot und Speck zum Frühstück mehr, fluchten sich die Wut vom Leibe – und es ging.

Um fünf Uhr tutet Bittkow mit dem Dampfhorn. Dieses Horn hat Glubsch selber gemacht, er hat einem Stück Kupferrohr eine Stimme eingesetzt, die tönt wie ein Dampfschiff im Nebel. Glubsch ist immer noch nicht zufrieden: Jetzt feilt er, trotz aller Schinderei, an einer neuen Stimme. Er hat noch ein größeres Kupferrohrstück gefunden. Dieses wird mit dem alten Heulrohr auf eine Abzweigung zusammengearbeitet, das gibt einen Doppelton, den man bis nach Halle hören soll.

»Die reichen Bürger und hohen Beamten, die weiter von der Fabrik wegwohnen, sollen genau so gut wachgebrüllt werden wie die armen Weber. Ich brülle die ganze Welt aus dem Schlaf«, sagt Glubsch.

Das macht Bittkow Spaß. Er schmeißt für Glubsch Holz aufs Feuer und karrt wie ein Goldsucher:

»Wir brüllen die ganze Welt aus dem Schlaf!« lacht er in den flammenden Schlund hinein.

Zu Mittag geht Glubsch in das nahe Wirtshaus. Dorthin bringt ihm seine Frau das Essen. Er trinkt einen großen Schluck Bier, ißt seinen Napf voll Gemüse, trinkt wieder einen Schluck und sieht überm Essen seiner Frau in die Augen.

Diese Frauenaugen wandern ruhelos in der Kneipe umher: da sitzen reihenweise die essenden Arbeitsleute, laut und leise, trinken und kauen. Manche sind in farbbeklatschte Lumpen gekleidet, sie haben keine Zeit, sie abzuwerfen. Viele legen den Kopf auf die Arme und schlafen die wenigen Minuten. Die Bessergekleideten sitzen an besonderen Tischen. Frau Glubsch vergleicht ihren Mann, er hat glanzschwarze Hände und ein berußtes Gesicht, doch, er hat Manieren beim Essen, darum könnte er schon an dem Tisch der Besseren sitzen. Nun hat er auch seinen Napf geleert. Er fragt die Frau nach den Kindern. Frau Glubsch kennt das alles so genau; jetzt wird er fragen, wieviel Geld sie noch bis zur Löhnung hat, dann wird er ihr vorrechnen, wieviel Überstunden er bekommt. Nun muß er schon aufstehen. Er hat als erster am Kessel zu sein. Die Frau geht weg, er trinkt sein Bier ans. Während er am Schenktisch sieht und zahlt, kommt der Färbermeister Vogel. Er geht an den ersten Tisch und ruft in die Stube hinein:

»Wer von Euch hat schon etwas von einer Assoziation gehört?«

Einen Augenblick Stille, dann Lachen, Rufen, Reden, Stimmen durcheinander.

»Was ist? Kann mans essen? Rollt es oder muß mans schleppen? Legt es Eier oder...«

»Assoziationen sind Vereinigungen!« ruft der Vorsteher der Arbeiterverbrüderung.

»Natürlich wissen wir das! Genossenschaften!«

»Ich meine diesmal eine Lebensmittelassoziation, kennt Ihr die, Brade?« Daraufhin sieht Brade auf, ruft halblaut:

»Wie meint Ihr das?« und redet leise mit seinem Nachbar weiter.

»Vogel soll reden! Was hat Vogel? Raus mit der Katz aus dem Sack!« rufen verschiedene Stimmen.

Vogel ruft in die Gaststube hinein:

»Eine Lebensmittelassoziation ist eine Vereinigung von Arbeitern, die sich einen Lebensmittelladen kauft und selbst als Händler auftritt. Dadurch erspart sie den ganzen Verdienst, den jetzt die vielen Lebensmittelhändler einstecken.

Weiß einer, wo solch eine Vereinigung besteht?«

»In Chemnitz!« ruft Brade. »Es ist der Verein ›Ermunterung‹. Er nimmt nicht mehr als zwölf Mann auf und besteht schon seit fünf Jahren! Für uns, Meister Vogel, hat das keinen Zweck!«

Da ruft Glubsch von der Schenke her:

»Keinen Zweck? Brade! Ich glaub wohl, es hätte sehr viel Zweck, ich weiß es aus Amerika. Ein paar Mechaniker hatten es leid, zu hohen Stadtpreisen die Produkte vom Land zu bezahlen. Da sind sie eines Sonntags zu den Farmern, den Bauern in die Umgegend gegangen und haben sich einmal erkundigt, was die Bauern eigentlich für ihre Ware von den Händlern bekommen. Sie gerieten in Wut, als sie hörten, daß da draußen die Sachen bloß die Hälfte kosten. Gewiß mußte da auch noch der Fuhrlohn bezahlt werden. Aber dies war immer noch ein dicker Batzen Geld, den die Händler draufschlugen. Da sind sie am nächsten Sonntag wieder hinausgefahren, sie nahmen sich das Geld mit, was sie sonst am Samstag ausgeben mußten und kauften ihre Ware direkt auf dem Dorf ein. Es dauerte gar nicht lange, da kamen die Landleute schon von selbst jeden Sonntag an die Fabrik. Sie lieferten die Ware an die Leute selbst ab und schrieben auf, was sie am nächsten Sonntag mitbringen sollten. Da mieteten die Arbeiter ein kleines Häuschen, ließen die Bauern dorthin ihre Produkte bringen und kauften auch noch andere Sachen im großen ein. Aber sie kauften immer beim Erzeuger, bei denen, die selber die Sachen produzieren. Dadurch gewannen sie eine ganze Masse Geld. Wie ich da in Amerika wegging, gab es in jeder Stadt einen solchen Fabrikverein. Was daraus geworden ist, weiß ich nicht. Denkt bloß einmal nach, wieviel die Händler am Branntwein verdienen! Da machen sie doch sicher auch die Hälfte Gewinn! Seht mal, wieviele, die schon am Hungertuche knabberten, die haben einen Laden aufgemacht, sie leben ohne Arbeit besser, als wir, die 12 und 13 Stunden wie die Hunde schuften!«

»Bravo, Glubsch! Wir kaufen genossenschaftlich eine Tonne Branntwein!«

»Wir machen gleich eine Assoziationsbrauerei auf!«

»Eine Fabrikschlachterei, ich bin für Speck und Schinken!« brüllt ein anderer dazwischen.

»Wer sagt da Fabrikschlachterei?« fragt Vogel.

»Das war nur ein Witz!« ruft die Stimme.

»Nein, ein gescheiter Einfall, wenn wir hier, unter uns, vorläufig allein in der Fabrik eine Lebensmittelassoziation begründeten! Wer macht da mit?« Da steht Brade auf.

»Ich spreche für die Arbeiterverbrüderung; ich gebe nichts auf solche Gründungen. Sie halten bloß die Arbeiter von ihrer Idee ab, die Arbeiterschaft hat größere Pläne, als Schnapshändler und Speckverkäufer zu sein!«

»Ihr mit Eurer Handvoll Mäuler verzehrt ja auch nicht viel!« ruft ein junger Kerl. »Aber wir, wir fressen unserm Herrgott noch die Ohren ab, wenn wir bloß drankommen!«

»Wir behalten uns unsere Entschließung vor!« sagt Brade.

»Wenn wir die Arbeit getan haben, dann holt Ihr Euch den Gewinn ab!« schreit jemand dazwischen.

Vogel ruft wieder über die Tische hin!

»Gut! Ihr wißt, was ich gemeint hab! Sprecht darüber, denkt nach und wir treffen uns nach ein paar Wochen wieder.«

»Heut abend bestell ich schon den Branntwein für die ganze Woche!« ruft der Spaßvogel wieder, »die Hauptsache ist: Ihr gebt Kredit! Dann könnt Ihr vom Händlergewinn meine Saufschulden bezahlen!«

Nicht alle verstehen, um was es sich handelt. Es gibt viel Gelächter, lustiges Reden, heftigen Für- und Widerspruch. Glubsch geht als Erster fort. Brade und Vogel sprechen noch miteinander als sie schon auf der Straße sind. In Gruppen und Trupps, heftig diskutierend, gehen die Arbeiter in die Fabrik hinein.

Da tritt eines Mittags ein Mann in die Schenke, den keiner der Arbeiter kennt. Alle Augen verfolgen seinen Schritt zum Schenktisch. Er trägt eine fremdländische, braune Joppe mit Ledermanschetten. Der Hut ist groß und grün, eine Seite aufgeklappt, eine Kokarde überm linken Ohr leuchtet rot und weiß. Er bestellt ein Bier. Indeß der Wirt das Glas zapft, sieht sich der fremde Gast in der Schenkstube um. Schon hört er seinen Namen, einige Männer kommen auf ihn zu. Er begrüßt sie, ohne sie mit Namen zu nennen. Er kann mit dem besten Willen an den farbfleckigen und bärtigen Köpfen keine Gesichter erkennen. Einige sind beleidigt, daß er sie nicht mehr erkennt, doch er lacht die ehemaligen Schulkameraden freundlich an, klopft ihnen auf die Schultern und drückt freundlich die gereichten Hände. Sie fragen ihn nach Amerika, da tutet das Signal; Paule will zu Ottokar Glubsch. Vogel sagt, da müsse er nur zum Feierabend kommen, gegen neun Uhr hätte der seinen Kessel in Ordnung, dann könne er ihn am Tor treffen.

Die Arbeiter drängen an die Schenke, ihr Getränk zu bezahlen. Paule verläßt das Gasthaus und geht auf die Straße. Immer neue Leute sprechen ihn an, fragen nach Arbeit, Lohn und Brot in Amerika, nach den Kosten der Überfahrt. Er muß Auskunft geben, bis das Horn zum zweitenmal brüllt und auch die Letzten an die Arbeit gehen.

Paule trinkt noch ein halbes Maß Bier. Die Plätze, auf denen vorher noch die redenden, essenden, ruhenden Arbeiter saßen, liegen öde und leer. Das Mädchen geht von Tisch zu Tisch und sammelt die Krüge. Es schimpft über die farbbeklecksten Stühle, selbst auf den Tischen glänzt in der Nässe des Bieres die blaue Schmiere. Der Wirt betrachtet Paule, der durch die Fenster auf die Fabrik stiert, mißtrauisch. Als Paule zahlt, fragt er ihn:

»Na, was meint der Herr, werden die Arbeitsleute das welsche Ding da von der Assoziation machen?«

»Lebensmittelgenossenschaft!« sagt Paule.

»Na ja, werden sie es machen? Werden sie es wirklich machen? Werden sie daran verdienen?«

»Sie werden!« sagt Paule. »Ich helf ihnen dabei.«

»Sehr wohl, Herr!« dienerte der Wirt, »ich halt mich empfohlen! Hab einen kleinen Saal, gemacht für solch kleine Versammlungen!«

»Wird sich schon machen!« sagt Paule und geht.

Er sieht auf das Tor der Fabrik, die letzten Arbeiter drücken sich durch die halbverschlossene Tür. Die Webstühle rumoren, die Maschinen puffen, es klatscht und schlägt. Paule macht die Tür hinter sich zu, der Portier fragt »Wohin?« »Zum Heizer Glubsch!« »Es darf eigentlich niemand in die Fabrik hinein!« mault der Portier, fragt dann nochmals: »Ottokar Glubsch?« Paule wiederholt den Namen.

»Na, machen wirs so: Hier ist seine Vesper, Frau Glubsch hat mirs hineingereicht, er hats vergessen, gebts ihm ab!«

Paule nimmt das Päckchen, ein rotes, geblümtes Taschentuch ist um ein grobes Stück Brot geschlungen. Er trägt es vorsichtig, denn grad spritzt eine Ladung Schlamm an ihm hoch. Durch das geöffnete Tor plumpt eine Holzfuhre. Hinterher stampft er dem Kesselhaus zu. Die Fuhre biegt einem Weberwagen aus, der am Lager steht, schwere Gäule stampfen und schnauben. Der Kutscher steht oben auf den Stoffballen, wirft sie Stück um Stück herunter auf eine große Trage. Ein anderer macht auf jeden Ballen an der Tafel einen Kreidestrich. Zwei Arbeiter packen die Trage und schleppen sie in die Wäscherei. Aus den offenen Fensterlöchern quillt dicker, grauer Dampf. Er hört Gerufe und Antworten, Gepolter bollernder Holzrollen. Nicht einen Schritt weit kann er hineinsehen. Er geht einem Arbeiter, der einen schweren Karren voll nassem Zeug zieht, aus dem Weg. Da sieht er auch aus dem niederen Dach aus vielen Löchern Dampf aufquirlen. Überall fehlen Ziegel, überall zieht der Qualm ab.

Bedrückt geht Paule voran; er paßt nicht auf den Weg auf, stolpert durch Schlammlöcher, bleibt nun stehen, und besieht die hohen Kessel: drei gewaltige Eisenzylinder mit festverschraubten Deckeln. Oben, auf einem breiten Holzgerüst steht ein Mann, der an dem Rad eines Ventils dreht. Mit zischendem Geräusch fährt der Dampf aus dem Ventil, strömt sogleich an den Schrauben des Deckels heraus, der Mann greift nach einem Schlüssel und zieht die Muttern nach, das Dämpfen hört auf. Paule ist schon einige Schritte vorübergegangen, da kehrt er zurück und ruft:

»Seid Ihr der Heizer Glubsch?«

»Aber feste!« schreit der Heizer herunter, »wer seid Ihr denn?«

»Zöckler-Paule vom Schmied! Allright! Come on! How do you do, America boy! Die Männer nähern sich, Paule reicht das Tuch mit dem Brot hoch. Glubsch nimmt es an:

»Dies und deswegen seid Ihr doch nicht ans Amerika gekommen, old boy

»Warum nicht?« lacht Paule und geht gleich aufs Ziel los. »Wir müssen eine Assoziation gründen, Ihr aber sollt den Arbeitern Aufklärung geben. Die Handwerker sind zu dreißig Mann beisammen. Euch kennen die Leute in den Fabriken, von mir wissen sie nichts. Euch glauben sie!«

»Ha! Sie glauben einem Fremden mehr als zehn Eilenburgern!« lacht Glubsch. »Ihr müßt doch wissen, wir sind hier im Städtchen! Der Glubsche Ottokar, der ist doch genau son armes, dummes Luder, wie wir alle, was versteht der denn mehr wie wir? So werden sie sagen. Euch, Paule glauben sie eher, Ihr kommt weit her!«

»Dann seid doch zum Feierabend beim Buchbindermeister Fritzsche in der Töpfergasse. Dann sprechen wir mal über die Sache,« Paule reicht ihm die Hand zum Abschied. »Und wir gehen dann noch eine Halbe trinken und reden was über Amerika.« Glubsch schüttelt den Kopf und sagt:

»So seht Euch doch mal erst meine Feuermaschine an! Soviel Zeit hats denn noch! Herr Degenkolb wird uns deshalb nicht gleich auffressen! Augenblick!«

Glubsch legt sich über den großen Schraubenschlüssel und zieht die Muttern an, hier faucht noch eine, wird angezogen, dort beginnt eine neue zu zischen. Paule sieht zu und sagt:

»Glubsch, kein Wunder, daß der Deckel nicht dicht hält, er ist ja viel zu leicht; der muß aus Guß sein und an der Auflage bearbeitet! So roh und rauh dichtet man doch keinen Deckel ab!«

»Mit Menschenfett und Armeschmalz wird hier alles dicht gemacht!« brüllt Glubsch durch das Rauschen des Dampfes. »Sowas hat die Welt noch nie gesehen! Zu Leipzig würde jeder Kessel explodieren, jede Walze zerbrechen, jedes Lager heißlaufen. Die Eilenburger haben mehr Maschinenglück wie Arbeitsverstand!« Endlich wird er doch fertig, schnappt sein Tuch und geht mit Paule durch die Druckerei. Vor jeder Roleauxmaschiue steht ein Meister, den Schalthebel in der Hand. Seine Augen verfolgen den Stoffstreifen: Paule zieht seine Taschenuhr: Alle fünf Sekunden geht ein Meter fertig bedruckt aus der Walze hervor. Ein Mann tritt durch eine Tür, sein Gesicht trieft von Schweiß, der Mund in dem hochroten Gesicht ist weitaufgerissen, die Augenbrauen hängen voll Schweißtropfen. Die Arbeitsjacke klebt ihm am Leib, die Hosen sind naß, als hätte er in einer Wasserbütte gestanden. Ehe er die Tür hinter sich zugemacht hat, steht die Maschine wieder und Paule, neugierig, will hineinsehen. Er platzt vor der Glut zurück, doch Glubsch stellt sich hinter ihn: »Na, wenn der Bittkow Emil da eine halbe Stunde drin arbeitet, kann Herr Paule doch mal hineinsehen!« brüllt er ihm in die Ohren.

Paule kneift den Mund zu, reißt ihn wieder auf, er wagt nicht, durch den Mund zu atmen, denn der Hals verbrennt ihm, atmet er durch die Nase, so ist ihm, als stießen ihn glühende Drähte hinein. Nun preßt er beide Hände vor Nase und Mund und sieht in den Kasten, sieht oben an der Decke eine Reihe Rollen und unten an der Decke wieder eine Reihe. Von Rolle zu Rolle läuft das Stoffstück, die Rollen sind mit Dampf geheizt, zwischen den Rollen senkrecht stehen Dampfröhren.

»Versteht Ihr nun, daß die nassen Druckstoffe pulvertrocken nach fünf Minuten wieder draußen liegen, fix und fertig?« sagt Glubsch.

»Ich verstehe,« schnauft Paule.

»Ottokar, muß nur Dampf machen!« sagt Bittkow, »ich muß Holz holen.«

Bittkow geht mit Glubsch und Paule durch die Gänge, heiß und dumpf, erfüllt von dem Gepolter der Roleaux. Im Kesselhaus angekommen, greift er die Karre und stößt sie durch die Tür, fährt mit dem schweißnassen Leib in Regen und Wind hinein.

Paule wischt sich den Schweiß aus dem Gesicht und sieht den Heizer entsetzt an. Der reißt die Tür des Kessels auf und wirft die langen Holzknüppel in die Glut, Stück um Stück, schiebt ein paar schwere Kloben nach und verschließt die Tür wieder. Dann stellt er das Pumpwerk an, läßt das Wasser an den Probierhähnen austreten und geht in den Maschinenraum. Paule setzt sich auf den Holzstoß. Er ist überwältigt.

»Na, Herr Paule, da kriegt Ihr langsam Respekt!« sagt Glubsch.

»Ottokar, go to hell! Bankrottmaschinen sind das! Wenn Ihr die in Amerika aufstelltet, da kriegtet Ihr keinen verhungerten Tramp dran, keinen lausigen Waldläufer. Wartet ein paar Jahre, dann verkracht das ganze Gewerbe, so was Verruchtes, so eine unsinnige Kraftvergeudung, das kann sich doch nicht rentieren! Die Maschinen in Amerika ...« Seine empörte Rede wird von Ottokars Lachen unterbrochen.

»Go on! Warum bliebt Ihr nicht drüben?« fragte Glubsch.

»Warum Ihr nicht? Auf einmal kam es mich so an, da drüben, als sei nun daheim was los, und ich würde gebraucht dort und nun wars, als müßten die Auslandsdeutschen von aller Welt Enden aufbrechen, um zu Hause zu helfen und zu arbeiten, zu schaffen, daß es in Deutschland Licht wird. Und nun, kaum zurück, was ist? Finsternis, Dunkel, Elend! Ja, zu was sind wir heimgekommen? Glubsch, zu was? Wir, die wir so stolz auf Deutschland waren, die den deutschen Namen in der Welt zu Ehren brachten, wir kehren zurück und finden nur Dinge, deren wir uns schämen müssen, nicht vor der Welt, der großen, vor Amerika, nein, vor unsern Landsleuten, vor unsern ärmsten Brüdern. Das haben sie aus Deutschland gemacht!«

»Obacht, Obacht!« schreit eine Stimme und eine Karre schiebt sich durch das Tor, Emil Bittkow tritt regen- und schweißnaß an den Schrank, er nimmt eine Flasche, setzt sich mit dem Rücken an das Kesselmauerwerk, zieht den Korken und trinkt einen langen Zug. Er hört zu, wie sich die beiden über die Genossenschaft unterhalten. Sie erinnern sich an die verschiedenen Städte, in denen sie gearbeitet haben und sprechen von gemeinsamen Bekannten, die in den Genossenschaften tätig waren.

»Wird sie auch Schnaps auf Lager halten, die neue Vereinigung?« fragt Bittkow.

»Ja natürlich! Auch Branntwein! Wird im Großen gekauft, wir schenken ihn selber aus,« antwortet Glubsch.

»Und, wird denn da wohl Jeder zugelassen?« lauernd äugt Bittkow auf Paule.

»Je mehr, je lieber, je besser! Jeder Verzehrer kann seinen Anteil bei uns bestellen. Kollege Bittkow, kommt, wenn wir öffentlich über die Sache sprechen wollen. Vielleicht bei Herrn Krieger in der Badergasse!«

»Wenn Glubsch mittut, bin ich dabei!« antwortet Bittkow. Paule sieht auf. Bittkow packt die Holzknüppel vom Karren und lädt ab. Glubsch geht mit Paule ans Tor. Er verspricht ihm, an dem Abend zu kommen, wenn er zehn Arbeiter gewonnen hat.

Paule geht durchs Tor, nach zehn Schritten sieht er sich um: wie ein Gefangener, der die Freiheit wieder hat, atmet er auf. Wieder dreht er sich zur Fabrik hin und will mit der Faust gegen sie drohen, da besinnt er sich. Er hat eine Wut auf diese wüsten Maschinenhöhlen, das sind keine Fabriken, das sind polternde Schrotthaufen.

Als er an der Mitscherlichen Fabrik vorbeigeht, begegnet ihm ein Trupp Arbeiter. Er geht hinter ihnen, hört auf ihre Worte. Sie reden von den Akkordlöhnen, die neu eingeführt sind. Einige sprechen heftig dagegen, andere dafür. Sie gehen in ein Gasthaus, trinken zuerst einen Branntwein und dann ein Bier, sitzen mit breiten, müden Armen, aufgestützt die Ellenbogen, am Tisch. Hier im Licht sprechen sie leise, sehen nicht auf, als überfiele sie jetzt erst die Müdigkeit. Ein junger Mann rückt an die blakende Lampe und liest einen Zettel. Paule stellt sich neben ihn und fragt ihn, ob es die Assoziation betreffe, von der die Zeitung in letzter Zeit geschrieben habe, und was er von der Sache halte.

Der junge Arbeiter rückt seinen Stuhl hervor und weist ihm den Zettel des Flugblattes, auf dem gedruckt obenan sieht: »Arbeiter, entscheidet Euch!« Sie lesen zusammen, es ist eine schon gedruckte Ansprache Brades. Paule bleibt bei den Arbeitern im Gasthaus und spricht mit ihnen, auch über viele Dinge, die nicht zur Vereinigung gehören. Er läßt die Arbeiter ihre Sorgen erzählen; er kann es nicht verhindern, daß sie in Zornausbrüchen Gott und alle Welt verfluchen; einmal ans Reden gekommen, blutet so ein armes Menschenherz in Wut und Verzweiflung, Haß und Rache aus. Glühend wünscht Paule, daß es ihm und den Freunden gelänge, ein kleines Hoffnungslicht in den dunklen Seelen der Abgehärmten zu zünden, daß es ihm möglich sei, Selbstvertrauen zu schaffen in den Männern, die sich von Gott und der Menschheit verstoßen und verraten fühlen.

Als sie auseinandergehen, bitten ihn die Arbeiter, doch öfter zu ihnen zu kommen, er sei ja in Amerika gewesen und müsse ihnen von dem Leben und Treiben in der neuen Welt erzählen. Er verspricht es ihnen. Von nun an geht er fast jeden Abend in dies Gasthaus; besucht sie in ihren Wohnungen, lernt sie und ihre Familien kennen und lieben. Er ist für sie alle der große Bruder.


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