Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel

Die Zeit vergeht, es wird nichts geschafft. Paule hat gehört, daß noch ein Deutschamerikaner in Eilenburg arbeitet, ein Monteur aus Berlin. Der muß doch auch wissen, wie es drüben gemacht worden ist. Nun sucht er diesen Mann. Zwischendurch hat er alles aufgeschrieben, was er über die Genossenschaft in Amerika weiß. Er geht damit zum Volksblattredakteur. Er sieht vor dem graubärtigen Herrn und wartet auf seine Meinung.

»Ausgezeichnet! Herrlich! Junger Freund, so etwas haben wir schon lange gesucht. Doch mit so nackten Tatsachen allein ist uns nicht gedient. Das muß zuerst mit einer Erklärung eingeleitet werden und mit einer Nutzanwendung endigen. Dazwischen kommen Ihre Angaben, die ich ja ein klein wenig stilisieren darf. Sehr gut! Also, gehen Sie doch gleich zum Sekretär Wagner oder zu Doktor Bernhardi! Fritzsche ist ein prachtvoller Praktiker, aber er kann nicht schreiben. Wissen Sie was, lassen Sie es mich nur machen! Es ist ja gleich, wer Kopf und Schwanz dranhängt. Ja, wenn ich mich recht erinnere, hat auch Doktor Bernhardi Material dafür da liegen. Das kann man mit hinein verarbeiten!«

Paule erkundigt sich nach dem Monteur. Auch hier bekommt er keine Auskunft. Keiner kennt ihn. Der andere Deutschamerikaner ist Paules Hoffnung. Er beschließt, sich bei den Fabrikleuten umzusehen. Vorher will er doch zu Fritzsche. Er verabschiedet sich beim Redakteur. Der bittet ihn wiederzukommen, sobald er etwas Neues habe.

Von der Zeitung aus bummelt er durch die Stadt. Als er das Rathaus sieht, fällt ihm ein, dort könnte er sich erkundigen. Er geht hinein und bekommt nach langem Warten Bescheid:

»Otto Glubsch in der Kültzschau, Nr. 135. Er ist ein Eilenburger Junge«, sagt der Beamte, »der in Amerika war und in Berlin gearbeitet hat.«

Nach dem Mittagsessen geht Paule über die Torgauer Straße nach Külzschau; er trifft die Frau, hört, daß Glubsch Heizer bei Degenkolb ist.

Also dort, an der Fabrik, da könne er den Landsmann treffen. Denn zu Hause sei er nur selten, klagt die junge Frau. Diesen Morgen sei es zwei Uhr gewesen, als er aufstand und zur Fabrik ging. Paule ist neugierig auf den Mann, der in Amerika war. Er beschließt, um die nächste Mittagstunde bei Degenkolb zu sein.

Eines Tages ist das Geld gekommen, auch Paules Eltern müssen mit zum Notar; Sie unterschreiben Verträge. Darauf will Paule mit ihnen in ein Gasthaus, sie treffen Fritzsche, er muß auch mit. Sie gehen durch die innere Stadt, vergnügt, wie zu einem Fest. Da kommt ihnen eine vornehme Familie entgegen; von einem Fräulein wird Paule zuerst, dann aber auch von der Verwandtschaft gegrüßt. Der Vater bleibt stehen und schaut seinen Sohn verdutzt an. Die Herrschaften gehen vorüber.

Die Alten sind vor Neugier nicht zu halten. Sie fragen Paule, wie er zu der Bekanntschaft kommt. Fritzsche macht ein finsteres Gesicht. Er liebt sie nicht, die Familie Neer, die reichen Großhändlersleute. Paule bekennt, wie er unterwegs das ausgerissene Pferd aufgegriffen hat und ihnen solcherweis einen Gefallen tat. Die Mutter ist von dem Ereignis fast erschüttert: noch nie hat ein Zöckler mit solch vornehmen Leuten gesprochen. Paule steigt hoch in ihrer Achtung. Sie nennt ihn einen Glückskerl und hofft, daß diese Bekanntschaft ihm noch einmal von hohem Nutzen sein kann. Sie gehen nun in das Gasthaus; Paule hat, solange er zu Haus ist, noch nichts als Sorgen gehabt; er läßt nun eine Flasche Rheinwein kommen. Sie trinken eine zweite und sind fröhlich bis zum Abendbrot. Die Alten legen sich früh zur Ruhe, Paule geht mit Fritzsche zu Stolle. Der erzählt von den Schuhmachern, die so schlechte Erfahrungen mit den Gerbern gemacht haben und darum gerne einer andern Assoziation beitreten. Die Schneider sind von ihrem Vorsitzenden mit dem Gründungsplan bekannt gemacht worden. Fritzsche ist sehr zuversichtlich, nur mit den Arbeitern kommt er nicht voran. Die Verbrüderung will nichts damit zu tun haben.

Brade sagt, es ist ein Teilprogramm, das keinen Vorzug vor den andern Plänen verdiene. Im Gegenteil, wenn der Lebensmittelverein wirklich diese Vorteile bringe, so begnügten sich die Arbeiter wieder einmal mit einem Teilerfolg und vergessen darüber das große Ziel. Die Arbeiterschaft sei zu größeren Dingen berufen, als den Krämern ein paar Pfennige abzujagen. Nun soll Paule einmal selber mit den Arbeitern reden, aber er will nicht daran, ehe er den andern Deutschamerikaner gesprochen hat.

Paule hat schon etwas Arbeit. Der Obermeister der Schreinerinnung hat ihm Türgehänge bestellt. Er soll nach alten Mustern neue schmieden. Er kann es, und es macht ihm auch Freude. Wenn er am Ende der Woche zusammenrechnet, was er verdient hat, macht er ein betrübtes Gesicht. Er rechnet noch immer mit Dollars. Darum kommt ihm der Lohn so niedrig vor. Doch während des Arbeitens denkt er nicht daran; er freut sich, daß es Samstag ist. Seine Hände sind diese Arbeit nicht mehr gewöhnt, von den glühenden Stangen brennt ihm die Haut. Es dunkelt, er macht Feierabend. Er trägt das geschmiedete Gehänge an das helle Fenster am Schraubstock, freut sich doch seines Könnens und der guten Arbeit. Er wäscht sich an der Pumpe und zieht die braune Jacke an. Dann steckt er den Kopf noch einmal zu Mutters Stube hinein.:

»Godd by! Mrs. Zöckler bis zum Abendessen!«

Er lacht der alten Frau zu, die über den Wäschekorb gebückt steht und ohne ihn anzusehen, ihm: »Adjees, Junge!« nachruft.

Er geht mit großen Schritten zum Nachbar Fritzsche. Mutter und Tochter sitzen beim Kaffee, er wird eingeladen, setzt sich hin und trinkt eine Tasse mit. Freundlich ist die Mutter Fritzsche nicht, das Mädchen merkt das auch. Darum fragt es ihn nach seinen Eltern. Er gibt Auskunft. Er fragt, wann der Meister wiederkommt. Nun bricht in Frau Fritzsche der unverhüllte Groll los:

»War es nötig, daß ihr mit der Geschichte den Meister verrückt machen mußtet!«

»Welcher Geschichte? Warum verrückt? Der Meister ist doch ein Mann, der weiß, was er zu tun und was er zu lassen hat!« antwortet Paule.

»Wie aus dem Häuschen ist er!« klagt die Frau, »wollet mir doch nichts weismachen! Ihr habt die Sache doch aufgebracht!«

»Ach, ihr meint die Genossenschaft!« staunt Paule. »Beste Frau Fritzsche, die ist dem Meister schon lange bekannt! Neuerdings hat es Krach mit den Gerbern und Schuhmachern gegeben, – er war ganz mißmutig, das stimmt!«

»Nun ist er alles andere! Ihr habt doch den Artikel geschrieben! Im Volksblatt. Grade dieser Artikel hat den Fritzsche in unsinnige Lauferei gebracht! Er wird deswegen noch mal ins Gefängnis kommen! Männer können weniger ein Geheimnis bei sich behalten als Frauen! Die ganze Stadt spricht schon davon. Morgen wird sicher schon ein Gendarm mitberaten wollen, und dann geht es nach Naumburg ab, Zuchthaus und Peitschenhiebe, wie 48!« Frau Fritzsche ballt die Fäuste auf der Tischplatte.

»Es handelt sich diesmal nicht um die Freiheiten, nun geht es um dieses Brot«, sagt Paule.

»Ach was! Lieb Kind hat vielerlei Namen!« sagt Frau Fritzsche. »Die Parolen bedeuten all dasselbe! Warum haben sie Geheimnisse vor uns? Eine Sach, bei der die Frauen nichts mitreden dürfen, ist schon verreckt. Die Brotsache ist auch unsere Sache. Ihr Männer wollt uns immer für dumm verschleißen, ja, das tut Ihr! Alles, was Ihr Männer allein gemacht habt, ist verpfuscht! Die Arbeit und der Aufstand, die Innung und die Freiheit! Bloß, was wir machen, das gelingt immer: Brotbacken und Kindergroßziehen, Suppekochen und Haushalten! Ich habs dem Fritzsche gesagt: Ohne mich machst du nichts! Ich sitz nachher allein da mit dem Haushalt. Wenn schon Zuchthaus und Peitschenhiebe kommen, so solls auch für mich sein, ich bin immer dabei, wenns um die Familie geht!«

Der Paule wird ordentlich schwach unter den heftigen Reden der Frau. Er bleibt bei ihr hocken und spricht über die Lebensmittelsgenossenschaft. Als es von der Kirche zum Abend läutet, sieht er auf und geht. Zum Abendessen ist es noch zu früh. Er hat eine ganze Woche nichts für die Genossenschaft getan, ist Nacht um Nacht unterwegs gewesen, nur eines in Eilenburg kommt ihm begehrenswert vor, das schöne, fremde Mädchen, Fräulein Neer. Sie ist, wie die Frauen in Amerika sind, genau so eigenmächtig, genau so übermütig und eigensinnig. Ihr Lachen klingt wie das der reichen, stolzen, schönen Frauen in Amerika. Allzuoft hat er versteckt im Dunkeln hinaufgesehen zu ihrem Fenster, jede Nacht geharrt, bis sie ihr Licht löschte. Er hat ihren Schatten vorüberhuschen gesehen und sein Herz heulte auf, wie ein Hund zum vollen Mond. Zehnmal ist er den Weg zum Meierhof gelaufen, in der Hoffnung, sie wiederzusehen. Nun weiß er, er ist rettungslos verloren, die Liebe hat Gewalt über ihn. Sie schleudert ihn aus seiner Bahn, wie der Rausch einen Trunkenen von seinem Weg. Unentbehrlich, wie dem Trinker der Rausch, ist ihm die Nähe dieses Mädchens: er trinkt ihren Anblick in der Erinnerung, er berauscht sich an der Wirklichkeit ihrer Nähe. Mit dem Gedanken an Agate Neer und mit einem schlechten Gewissen seinen Freunden gegenüber, geht er langsam noch einmal zu Fritzsches Haus.

Er geht mit dem Meister zu Doktor Bernhardi. Der Doktor ruft sie in sein Zimmer. Er schenkt den Apothekerlikör aus dem großen Schrank ein und freut sich mächtig, daß sie nun bei den Viktualien und nicht beim Arbeitsrohstoff anfangen. Er hat Wagner die Liste derjenigen Arbeiter und Handwerker gegeben, die im Krankenunterstützungsverein sind: diese Personen sind intelligent und neuen Dingen zugänglich. Nochmals schärft er allen ein, daß die Hauptsache sei, zu der geplanten Genossenschaft die Arbeiter zu gewinnen. Der Doktor hat seine Erfahrungen und meint, die große Masse wolle erst einen Erfolg sehen, ehe sie sich beteiligt. Man müsse, wenn auch noch so klein, aber bald anfangen. Wenn es nicht mehr als 30 Arbeiter und ebenso viele Handwerker sind. Da bittet der Buchbinder den Doktor, zu bedenken, daß die Arbeiter in der »Verbrüderung« ihren Verein sehen und sie seien die Klügsten und Aufgeklärtesten. Da hört der Doktor gar nicht hin, er spricht plötzlich von einer Buchbinderarbeit, macht die Tür ins Nebenzimmer auf und entschuldigt sich, er müsse noch aufräumen. Jetzt geht er eine Weile überlegend auf und ab, nimmt Papiere aus dem offenen Schrank, trägt sie auf den Tisch, holt Schriften aus der Truhe, schichtet sie hoch, liest nach und wirft vieles nach kurzer Prüfung hinter sich. Nun ist der Schreibtisch ganz mit Schriften bedeckt. Jetzt trägt der Doktor die geordneten Manuskripte, Papiere, Broschüren von den Stühlen und Fensterbänken auf einen langen Tisch, der an der Wand sieht, ordnet sie in Stapel nebeneinander.

Er beschwert die Blätter mit einem Buch, mit schön geformten Feldsteinen, Erzbrocken und anderen Mineralien. Stapel steht an Stapel. Immer noch schiebt er neue Packen unter. Holt neue Stöße Papier aus Gefachen und Truhen. Dann sieht er noch einmal in alle Fächer, zieht alle Schubladen auf und wirft die letzten Reste Papiere auf den Boden. Er geht langsam auf und ab. Die Füße rascheln in den Papierfetzen, wie in abgefallenem Herbstlaub. Plötzlich greift er den Drehstuhl vom Schreibtisch, schleift ihn an den andern Tisch und holt ein Zeichenbrett, auf dem flink hingeworfene Skizzen, ausgeführte Einzelheiten und lange Zahlenreihen stehen. Er schreibt Bemerkungen auf ein Blatt, und heftet es mit einem Reißbrettnagel zusammen. Unterdessen ruft er dem Meister zu:

»Habt Ihr auch einmal daran gedacht, mir einen jungen Schlosser zu besorgen? Da hab ich nun diese Presse konstruiert, aber, wer stellt mir die aus Eisen her? Einen Maschinenschlosser muß ich haben, der weiß, was ich will, ohne daß ich ihm stundenlang die Zeichnungen erklären muß; der Verbesserungen, welche sich bei der Arbeit ergeben, selbständig hineinwirken kann! Mags ein verwegner Kerl sein, ein Raudi, dem richte ich wahrhaftig eine neue Schlosserei ein! Maschinen soll er mir machen!«

»Was will der Doktor mit der Maschine?« fragt der Meister gedehnt und neugierig; er sieht auf und sieht auf die Zeichnung, dann sagt er verlegen: »Was ist das? Eine Weinkelter? Nein, – eine Papierpresse, auch nicht, eher eine Ballenpresse – nein, was sollen die Kästen, so groß, wie Ziegelsteine?«

»Ziegelsteine! Da sagt Ihrs ja!«

»Haben wir nicht gute Ziegelsteine? Werden nicht mehr Steine gebrannt, als wir bezahlen können!«

»Mensch, Ihr sagt es Wort um Wort! Die Lehmziegelsteine sind zu teuer, wegen des Brandes! Darum können wir keine billigen Häuser für die Armen bauen: es kostet zu viel! Ich muß Steine formen, pressen, ohne sie im teuern Feuer zu brennen, verstanden!«

»Ist denn da auch schon was mit gewonnen? Davon kann sich kein Armer ein Haus ersparen! Deswegen braucht Ihr Euch nicht mit solchen Dingen abzugeben.« Der Doktor antwortet:

»Seht mal, Meister! Wenn ich die Presse gebaut habe, dann kann ein Mann allein damit Ziegelsteine machen, ohne Brand, ohne Ofen und großes Kapital! Ich will die Presse, um einer neuzugründenden Baugenossenschaft die Arbeit leichter zu machen!«

Fritzsche tippt sich auf die Stirne:

»Ich glaube, da haben wir den richtigen Schlosser bei uns, und wenn Paule will, so kann er gleich einmal in die Zeichnung hineinsehen und sagen, ob es etwas für ihn ist!«

Fritzsche geht zu Paule hinüber, der Doktor kommt, sie gehen an den Tisch. Paule beugt sich über die Zeichnungen und stellt sich wieder grade:

»Ich hab zwar keine Zeugnisse. Doch hab ich mein Handwerk gelernt und bin mit der Nase auf viele Dinge gestoßen worden, die es in Eilenburg nicht gibt, wenns Euch recht ist, nehm ich mir die Größenmaße mit und reiße Euch die Konstruktion noch einmal auf. Was da angegeben ist, ist teils zu leicht und teils zu schwer. Das mit den Steinen auf kaltem Weg, das ist eine gute Idee, da wird jede Sandgrube zur Goldgrube!« Paule setzt sich mit den Blättern an den kleinen Tisch und holt sich noch einige Blatt Papier, um alles Nötige zu notieren. Nun fängt der Doktor an, mit dem Buchbinder über die Pappkästen zu sprechen.

»Ich bin vom Gericht zu vier Monaten Gefängnis verurteilt worden; wann und wo ich sie absitzen muß, das weiß ich noch nicht, die Behörde liebt Überraschungen. Deswegen muß ich mich vorsehen und dazu brauch ich eine neue Ordnung in meinen Sachen. Ich will die Arbeitsgebiete in Nummern einteilen. Für jede Nummer brauche ich einen oder einige kalikobezogene Papierkästen, solche, wie diesen hier!« Er schlägt auf einen solchen Kasten. »Sowas wie diesen, mit einigen Mappen versehen, andere mit Registern und Einzelfächern, aber alle mit Nummern und Buchstaben bezeichnet. Die Sachen müssen so geordnet sein, daß ich z.B. an Herrn Buchbindermeister Fritzsche schreiben kann: ›Mein Werter, schickt mir die Materie Numero so und soviel!‹ Vielleicht, daß ich dort auf Staatskosten neue Schriften verfasse, die diesen momentanen Brotgebern an den Kragen gehen. Schneidermeister Börmann hat auch zwei Monate. Na, wenn sie alle einstecken wollten, die sich ums Volk verdient haben, dann müßte die hohe Obrigkeit noch zehn Jahre lang Gefängnisse bauen.«

»Vier Monate, doch nicht möglich! Den Doktor auf vier Monate einsperren, wegen dieser lächerlichen Sache?«

Bernhardi zuckt mit den Schultern:

»Aufruf zur Steuerverweigerung nennt die Obrigkeit Aufruhr und Landfriedensbruch, basta! Nun zum Geschäft! Setzt Euch hin und schreibt es so auf, daß Ihr es auch lesen könnt.« Dann wendet er sich wieder zu dem Stapel von Schriften hin. Auf der linken Tischkante streckt ein langer Zettel seine beschriebene Zunge vor; der Doktor schiebt dem Meister das Schreibzeug zu und fordert ihn auf, die Aufschriften, die er jetzt liest, zu notieren.

Also, Nr. 1. »Über Maschinen im Allgemeinen und Besonderen. Vorzügliche Anregungen dabei interessierter Industriearbeiter, Besteuerung von neu aufzustellenden Maschinen, die Handwerker brotlos machen.« 1847 – 1848 – 1849. – 2 Kästen.

Nachdem er sich überzeugt hat, daß alles, was er über diesen Stoff gesammelt, beieinander liegt, rückt er den Stapel ein paar Finger breit weg und kontrolliert den nächsten Haufen:

Nr. 2. »Material über die sozialen Nachteile des gewerblichen Maschinenwesens.« 1848 – 1 Kasten.

Auch diesen Block schiebt er zurück. Er sieht nach, ob sich auch nichts mehr in den Kästen und Schubladen befindet, was mit der Sache zu tun hat und diktiert weiter:

Nr. 3. »Der Handarbeiter und sein sozialer Notstand.«

Das dritte Paket ist zu hoch geraten, soviel der Schriften und Aufzeichnungen häufen sich. Er teilt den Packen und sagt: »4 Kästen«, legt dann die Sammelbände seiner terapeutischen Monatshefte, Jahrgang 1848, zu beiden Seiten der Papiersäule: »Die Monatshefte lassen wir offenstehen. Keinen Kasten!«

Nun schlägt er beide Fäuste unmutig, zornig auf die Tischplatte, trommelt in Wut und Unruhe, sieht auf und überprüft den nächsten Stoß:

Nr. 4. »Über die Wohltaten einer löblichen und einsichtigen Regierung.« 3 Kästen.

Er schüttelt sich in grimmigem Lachen, geht ans Fenster, schaut mit einem kurzen Blick in den Garten, nimmt dann einen Stapel Papier, der mit schwarzem Band umschnürt ist und legt ihn auf den Tisch. Holt weitere Stöße Papier, Stoß um Stoß, legt sie zu den »Wohltaten.« Er nimmt den Zettel an, zerknüllt ihn und sagt:

»Nr. 5. »Über die unerträgliche Bevormundung des Volkes.« 2 Kästen.

»Habt Ihr den Titel: Über die –«

»Unerträgliche Bevormundung des Volkes. 2 Kästen!« wiederholt Fritzsche.

Nr. 6. »Die Ärzte als Gesundheitsbeamte.« »Diesen Titel mit großen Buchstaben, dann schreibt darunter mit kleinen Buchstaben: »oder eine Medizinalorganisation mit einer unentgeltlichen Krankenbehandlung und einer progressiven Gesundheitssteuer.« 4 Kästen! Fertig!«

»Fertig!« sagt Meister Fritzsche. »Es sind 6 Nummern mit 16 Kästen, also denke ich, mache ich für jede Nummer eine Farbe in Kalikobezug. Dann kann man die Farbe an der Nummer und die Nummer an der Farbe erkennen!«

»Schön! Das gefällt mir!« lobt der Doktor.

»Fertig!« sagt Paule, er nimmt das Blatt, geht zum Doktor und zeigt ihm seine Skizze.

»Ja, solch eine Presse muß ich haben. Den Kostenpunkt rechnet im Rohen aus und sagts mir dieser Tage. Aber bestellt sofort das nötige Eisen!«

Paule bedankt sich für den Auftrag. Nun gibt der Doktor beiden die Hand und bittet sie, wiederzukommen, wenn sie mit der Arbeit fertig sind oder sonst etwas Wichtiges haben. Als Paule auf die Straße tritt, lacht er:

»Da sagt man, es gäbe keine Arbeit mehr zu Eilenburg! Das sind wenigstens zehn Malter Eisen!« Paule geht nach Haus. Die Ziegelpresse interessiert ihn. Es ist mindestens für sechs Wochen schöne Arbeit. In seiner Kammer hängt noch ein Reißbrett, auf dem er als Lehrjunge Blumen und Rantengewinde zu kunstvoller Schmiedearbeit gezeichnet hat. »Maschinen, Pressen, Walzen«, lacht er vor sich hin. »Wir werdens schaffen!«

Heut abend wollte er eigentlich in die Fabrik zu Degenkolb gehen; nun braucht er vorläufig nicht wegen der Arbeit zur Fabrik. Dies ist Paule sehr angenehm. »Dann geh wenigstens zu Glubsch!« mahnt er sich selbst.


 << zurück weiter >>