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Elftes Kapitel

Das war ein Gerede und Geschwatze in der Töpfergasse: der Malermeister Möller hat am Montag früh mit Herrn Fritzsche an seinem Haus gestanden, und mit der Leiter sind sie an der Fassade hochgestiegen. Meister Möller hat den Raum über der Tür ausgemessen. Jetzt sieht eine große Eisentafel auf seinem Hof. Da malt er in großen Buchstaben ein Schild: Lebensmittelassoziation. Im Gasthof Krieger lachen die andern Meister:

»Grad Möller muß es malen, der Möller, der am Heftigsten gegen die Gründung geredet hat. Der Fritzsche hats dick hinter den Ohren!«

Es ist der 25. Juli, vor 14 Tagen hat Fritzsche das erste Pfund Reis ausgewogen. Er hat heute das 300. Mitglied eingetragen. Es ist Samstag, in den Fabriken war der Lohn ausgezahlt worden. Da häufen sich die Silbergroschen, da leeren sich die Säcke. Draußen auf der Straße gibts ein Hallo: Die Jungens kommen mit großem Geschrei die Gasse hinunter, Möllers Gesellen tragen das sechs fußlange und zwei fußbreite Schild heran. Herr Fritzsche liegt im offenen Fenster des ersten Stocks und lacht übers ganze Gesicht. Vogel, Stolle und Herr Wagner, die eben den Kassenbestand kontrolliert haben, gehen hinaus. Fritzsche erscheint im Flur, er holt die große Leiter, sein Töchterchen trägt die kleine, hinterher kommt die Mutter mit der Treppenleiter; schon fragen die Gesellen nach den Haltfastern. Nein, Haltfaster sind keine da.

Es stimmt, der Paule sollte sie schmieden. Ein Junge wird zu ihm hingeschickt, Mutter Zöckler sucht überall herum, weder Paule noch die Haltfaster sind zu finden. Da nimmt Herr Wagner den zugebundenen Geldsack, fischt ein paar Silbergroschen heraus und schickt einen Jungen damit zum Eisenwarenhändler. »Dazu haben wir nun einen Genossenschaftsschmied!« sagt Fritzsche, »das fängt er nett an!« In ein paar Minuten kommt der mit den eisernen Haken an; Stolle holt den Hammer vom Hof, ein Seil wird um das Schild geschlungen, und Fritzsche steigt wieder in den ersten Stock. Er öffnet das Mittelfenster, der Lehrling trägt ihm den Strick hinauf und mit »Hohup!« und »Holzkomm!« heben sie das Schild über die Türe, genau unters Fenster. Der Malergeselle schlägt die Haken ein.

Vorsteher und Kontrolleure treten bis ganz an das Ende der Gasse, um die Wirkung des Schildes zu prüfen. Der Lehrjunge muß nach Haus gehen, die Rechnung holen. Herr Möller kommt selber an und wird von Herrn Wagner ausbezahlt. Die Assozisten wollen schließen.

Da kommt eine Frau von fast vierzig Jahren, sie trägt einen großen Korb. Sie legt einen langen Zettel auf den Ladentisch, Herr Fritzsche überliest ihn und schüttelt den Kopf.

»Das habt Ihr ja alles schon zweimal geholt heute,– da stimmt was nicht, Frau Hoyer! Ausgeschlossen, Ihr holt für Nichtmitglieder, das darf nicht sein.«

Die Frau wirft ihm einen gehässigen Blick zu und geht.

Inzwischen sind noch andere Frauen und wieder eine Anzahl Männer aus der Fabrik heimgekommen. Fritzsche bedient sie, doch er sagt:

»Einschreiben tu ich Euch erst morgen früh. Wir dürfen nur an Mitglieder Ware abgeben. Ich notier Euch der Reihe nach auf, und geb Euch, was ich noch in den Säcken hab. Aber Barzahlung, ohne die gehts nicht! Das sagt überall herum bei allen, die davon reden, Mitglied zu werden:

›Hütet Euch, die Genossenschaft borgt nicht!‹«

»Ich habe heute zwölf neue Mitglieder aufgeschrieben«, sagt Fritzsche, »nun muß ich wieder den Pappdeckel hinaushängen: »Wegen allzu großem Andrang Aufnahme neuer Mitglieder nur Sonntags!«

Endlich hat er die letzten Schreibereien getan. Nun sieht er, sich die Haare krauend, mit scherzhaft sorgenvoller Miene vor seinen leeren Kisten. »Ist das eine Abgabestelle für Seine Majestät das Volk?« sagt er.

»Ein Krauterladen ist das, eine Baracke, ein Notstall! Ist das ein Ladentisch? Nein, das sind Kleisterbretter aus der Werkstatt, puh, wer eine gute Nase hat, der riecht den Kleister noch! Freunde, auch Herr Kanitzky war wieder hier. Er hat einen Leipziger Großhändler in Lebensmitteln, Spezereien und Kolonialwaren getroffen. Dem hat er von unserm Unternehmen erzählt. Dieser gute Herr will einen Vertrag mit uns machen. Wenn er für ein Jahr alle Waren liefern kann, so gibt er uns eine sehr anständige Einrichtung, leihweise für ein Jahr, indem er liefert! Was sagt Ihr davon?«

»Das finde ich sehr nett!« sagt Stolle.

»Nichts als ein gutes Geschäft für Herrn Kanitzky!« meint Herr Wagner. »Finger draus lassen«.

»Rücken freihalten!« donnert der Barbier Böhler hervor, »sowas machen Kreaturen, wenn sie auf dem letzten Loch pfeifen! Wir wollen doch zu den Produzenten kaufen gehen!«

»Richtig, Böhler!« sagt Meister Stolle, »da müssen wir, wenns noch so schwer fällt, doch treu zu Bauer und Müller halten, zum Ölschläger und Dochtenweber, aber mit Reis und Gewürzen, mit Kaffee und Tabak, da könnten wir doch einmal den Versuch machen, ein Jahr ist schnell vorbei!« Stolle geht zu Fritzsche und klopft ihm auf die Schulter.

»Nein!« sagt Fritzsche, »vorläufig bin ich für Freiheit, ich geb keinem ein Monopol. Ich mein, grad wir müßten mal was Neues machen!«

»Etwas wagen und riskieren!« sagt Stolle, »dafür sind wir doch die neuen Leute!«

»Das sagt Paule auch immer!« entgegnet Fritzsche, »jetzt muß ich an Paule denken,– wo ist er eigentlich? Nicht einmal die Haltfasterhaken hat er gemacht!«

Der Barbier schlägt auf den Tisch.

»Richtig, wo ist er? Er hat mir seine Kundschaft versprochen; er weiß doch, daß mir alle Händler und besseren Leute abgesagt haben, weil ich zu Euch gekommen bin. Ich warte grad nicht auf Paules Bart, doch auf seine Treue warte ich!«

»Dazu hat er verdammt wenig Talent!« lacht der Schuster. »Als ich beim Gerber war, wurde er grade durch die Zähne gezogen. Er soll in der Nachbarschaft vom Großhändler Neer einen Garten haben, in dem er von früh bis spät promeniert, ja, auch arbeitet; aber die Arbeit besteht im Aufessen der Himbeeren und Erdbeeren. Gradaus sagten sie: er schmachtet um die schöne Agathe herum. Da lachte mein Kollege, der Winternitz, hellauf. Was? Stimmt es oder stimmt es nicht?« fragte der Gerber. »Soviel ich weiß, promeniert er fast jeden Abend auf Wölpern zu, er bringt die Fabrikmädels nach Haus, er kalbert mit ihnen gotteslästerlich auf der Landstraße herum und letzten Sonntag hat er mit ihnen auf der Au getanzt, den ganzen Abend nur mit Fabrikmädeln, so sagt Winternitz, dessen Töchter mit Paules Schwester doch auch bei der Strumpfwirkerei sind!«

»Aber, er hat doch die Maschine für den Doktor gemacht!« sagt Fritzsche, »die wächst doch nicht von selber; er probiert sie jetzt aus und baut von den ersten Steinen in der Parzelle, die allerdings in der Nachbarschaft des Herrn Neer liegt, sich ein Haus. Die Erfindung von Bernhardt ist, daß sich jedermann die Steine aus Sand und Kalk selber fertigen kann. Erst aber will Paule zeigen, daß die Steine gut sind und die Fertigung möglich ist.«

Fritzsche ist froh, daß die Rede von Paules persönlichem Verhalten auf seine Arbeit gekommen ist. Es stimmt leider, daß er sich nächtlicherweise viel herumtreibt, es stimmt, daß er die Neertochter anschmachtet. Es stimmt, daß er aus Mitleid und Trotz, aus Spott und Hohn, den Bauern und Dorfleuten gegenüber, die nicht mit den Fabrikmädchen sprechen und verkehren wollen, getanzt hat. Seine Schwester war dabei und es ist alles, der Sitte entsprechend, verlaufen.

»Laßt uns noch einmal ans Fäßchen gehen!« sagt der Barbier, »ich glaube, es ist noch ein Restchen drin. Herr Wagner, nehmt schon Platz, ich bringe die neue Flasche sogleich zurück.« Natürlich muß Herr Wagner noch einmal zapfen, der Schuster legt die drei Silbergroschen zu Fritzsche auf den Ladentisch und nun trinken die Branntweinliebhaber am Fläschchen, ohne hinauszugehen.

Das Haus des Buchbinders muß sich noch viele Änderungen gefallen lassen, ehe es ganz der neuen Sache dienen kann. Das vordere Stübchen, in dem die Waren abgegeben werden, ist zu klein geworden.

Der Barbier und Fritzsche beginnen eines Abends, die Zwischenwand, die das Lokal vom Lager trennte, auszubrechen. Am andern Morgen kommt Meister Möller und streicht diesen vergrößerten Raum an. Zuerst hat er ein Schild malen müssen: »Wegen Vergrößerung geschlossen«. In den Pausen zu Mittag und am Abend kommen doch die Arbeiterkunden; sie werden auf dem kleinen Höfchen bedient. Meister Möller, der sonst nur in besseren Bürgerhäusern arbeitet, hört sich die Klagen der Leute an. Zwar tut er, als ob er taub sei und geht auf kein Wort ein. Er ist über die leidenschaftlichen Verwünschungen, die bitteren Flüche entsetzt, welche von den Arbeitern gegen die Fabrikanten, die Reichen, den Staat, die Welt und Gott geschleudert werden. Es ist ihm unheimlich in der Nähe solcher Leute. Am Nachmittag kommt der Polizeisekretär Hanisch und bringt einen Brief. Fritzsche liest das Schreiben einmal, zweimal und sagt dann:

»Der p. p. Fritzsche wird ersucht, am 5.8. vor dem Magistrat zu erscheinen.«

Herr Möller sieht ängstlich auf.

»Ja, ja, Herr Möller, ich werde ersucht! Am 5.8. muß ich vor den Göttern des hohen Rates erscheinen: Wahrscheinlich, um mich über das Verbrechen, das ich an den Kleinhändlern begangen habe, zu verantworten, ja, die Kleinhändler! Wenn sie etwas gegen mich haben, so sollen sie doch eine öffentliche Versammlung machen, dazu ganz Eilenburg einladen und mit mir abrechnen!

Dann könnte ich nämlich dem Volk die Wahrheit über einen ehrlichen und wahrhaftigen Handel sagen. Daß sie das scheuen, tut mir sehr leid. Sie haben keine Courage! Darum stecken sie sich hinter den Magistrat und dort soll, hinter verschlossenen Türen mit dem Fritzsche abgerechnet werden. Schade, daß ich da für nur ein paar Bürokratenohren reden muß. Ich würde mich gern vor dem ganzen Volk verantworten!«

Herrn Möller ist diese Sache sehr peinlich. Er hat sich nun einmal mit Fritzsche eingelassen und arbeitet für die Vereinigung. Er arbeitetet schnell, denn er möchte gern heraus aus dieser Räuberhöhle. Fritzsche sitzt indessen an einem Tisch und kritzelt auf einem Blatt Papier. Da Herr Möller doch etwas sagen muß, fragt er:

»Herr Fritzsche, Sie setzen wohl das Konzept für den Magistrat auf?« Fritzsche sieht auf und zeigt ihm die Skizze der Hausfront:

»Herr Möller, wir haben da ein Schild hängen, das paßt dem Magistrat nicht. Mir paßt es auch nicht, denn es ist mir viel zu klein. Ihr malt jetzt ein neues Schild, welches die ganze rechte Seite dieses Hauses einnimmt, also drei Fenster lang. Heute ist der erste August. Am Abend des vierten August muß es schon aufgehangen sein.«

Herr Möller nimmt die Skizze in die Hand und sagt: »Das wird aber viel Geld kosten!«

»Dann könnt Ihr auch viel daran verdienen, Herr Möller!« entgegnet Fritzsche. »Überdies habe ich noch eine Bestellung für Euch, Ihr müßt mir ein Bild rahmen. Arbeitet nur ruhig weiter, ich komme gleich wieder!«

Indessen kommen Herr Wagner, Meister Stolle und der Färbermeister Vogel. Vogel und Wagner haben noch etwas zu rechnen, – sie gehen hinauf in die Wohnstube. Glubsch erzählt aus der Fabrik, während der Meister Möller die Türrahmen streicht. Da sagt der Schuster zu Glubsch:

»Ihr habt ja auch schon Mitglieder in Kasba, Wölpern und Hainichen! Die Arbeiter, die vom Land nach Eilenburg kommen, tragen die Mär von der Erfindung dieser wunderbaren Einrichtung überall hin. Wie früher von Amerika, so schwärmen sie jetzt von der Genossenschaft. Die Leute haben nur noch Zahlen im Gehirn, sie lassen Zahlen hecken; wie Kaninchen springen sie hervor, springen übers Land, bis Halle und Leipzig weiß man von Euch!«

»Das braucht Ihr nicht so verbissen zu sagen, Stolle,« sagt Glubsch. Da kommen die andern wieder herunter. Fritzsche hängt das Bild seines Freundes auf die frischgestrichene Wand. Als Herr Möller das Bild von der Pferdeherde, wie sie im Kampf mit den Wölfen steht, betrachtet hat, schwört er in seinem Herzen, den nächsten Auftrag nicht mehr anzunehmen. Dieser Entschluß ist nicht leichtherzig oder aus Angst geboren. Es wird ihm unerbittlich klar: Fritzsche ist der Anführer dieser Assoziationshengste, die den Feind mit den zubeißenden Zähnen packen, in die Höhe schleudern und mit den Füßen zertrampeln. Möller zerbricht sich den Kopf über diesen ordentlichen Familienvater. Er hat sein Kind taufen und sich selbst nichts zuschulden kommen lassen.

»Großes Kunstwerk!« sagt Herr Möller, »das muß in einen Goldrahmen gefaßt werden!«

»Besser in Eichenholz!« sagt Fritzsche und geht zu Stolle, Böhler, Glubsch und Vogel. Sie sitzen im Hof um einen Tisch herum, kleine Kisten dienen als Schemel. Glubsch und Böhler trinken Branntwein aus der Paradefeldflasche, die der Barbier von der Soldatenzeit aufbewahrt hat. Endlich ist Herr Möller fertig, er nimmt das Bild von der Wand, hilft dem Lehrjungen das Werkzeug und die Farbtöpfe einpacken. Dann verabschiedet er sich. Inzwischen ist die Feldflasche leer. Böhler geht selbst ans Fäßchen, sie zu füllen. Dann trägt er sie hinein, schenkt ein und singt:

»Wenn die Kanonen im Felde krachen
Und dem Soldaten nach dem Leben trachten,
Dann sitzt der Bürgersmann vergnügt zu Haus,
Raucht seinen Pfeiftabak zum Fenster hinaus!«

Nun hat Frau Fritzsche den Fußboden geputzt, – jetzt können die Männer mit der Einrichtung des Lokals beginnen. Sie arbeiten bis in die tiefe Nacht. Ehe Fritzsche die Tür verschließt, geht er hinaus auf die Gasse, er bringt die Kollegen ein Stück Weg fort. Es ist eine warme, klare Sommernacht. Fritzsche bedenkt auf dem Heimweg die Schwierigkeiten, die ihm die Kaufmannschaft machen könnte. Lange steht er noch in der Haustür.

»Wenn wir nur erst ein Jahr weiter wären, dann hätte es sich entschieden!« denkt Fritzsche. Er spürt, daß er einen Kampf begonnen hat, in dem es nur Sieger und Besiegte gibt. »Ich!« sagt Fritzsche vor sich hin, »ich, nur ich kann unterliegen. Niemals die Idee, die Sache. Wenn ich unterliege, wird es davon kommen, weil ich wohl noch etwas falsch gemacht habe. Gut, ich werde die Folgen tragen, aber, die nach mir kommen, die sollen daraus lernen.« Er geht in die Küche, verzehrt sein Abendbrot und trinkt eine Satte Dickmilch. Dann legt er sich hin und versucht zu schlafen.


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