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XXI. Betrachtungen über die Lehre von einem allgemeinen Geiste

Verschiedene scharfsinnige Leute glaubten und glauben noch heute, daß es nur einen einzigen Geist gibt, der allgemein ist und das Universum nebst allen seinen Teilen, jeden seinem Bau und den Organen gemäß, die er findet, in der Weise belebt, wie ein und derselbe Luftstrom verschiedene Orgelpfeifen zu verschiedenen Tönen bringt, so daß er also, wenn ein Geschöpf seine wohleingerichteten Organe besitzt, darin die Wirkung einer besondern Seele hervorbringt, während dagegen, wenn die Organe verderben, diese besondere Seele in Nichts zerfällt oder vielmehr sozusagen in den Ozean des allgemeinen Geistes zurückkehrt.

Der Meinung mehrerer zufolge ist Aristoteles einer ähnlichen Ansicht gewesen, die dann von Averroës, einem berühmten arabischen Philosophen, von neuem ins Leben gerufen worden ist. Dieser glaubte, es bestände in uns ein intellectus agens oder tätiger und ein intellectus patiens oder leidender Verstand, und daß der erstere, der von außen komme, ewig und für alle allgemein wäre, während der leidende Verstand, der jedem eigentümlich sei, mit dem Tode des Menschen erlösche. Diese Lehre ist seit zwei oder drei Jahrhunderten von einigen Peripatetikern, wie z. B. Pomponatius, Contarenus u. a., aufgenommen worden, und Spuren davon zeigen sich auch bei dem verstorbenen Herrn Naudé, wie dessen Briefe und die vor kurzem erschienenen Naudaeana ergeben. Sie trugen diese Lehre im geheimen ihren tüchtigsten und vertrautesten Schülern vor, öffentlich aber behaupteten sie klugerweise, der Philosophie nach, worunter sie vorzugsweise die Aristotelische verstanden, sei diese Lehre allerdings wahr, dem Glauben nach wäre sie jedoch falsch, woraus dann schließlich die Streitigkeiten über die zwiefache Wahrheit entstanden, die auf dem letzten Lateranischen Konzil verdammt wurde. Averroës (1126-1198) hatte, ausgehend von der substantiellen Einheit des intellectus agens (des νοῦς ποιητιϰὸς des Aristoteles), die Unsterblichkeit der individuellen Seelen verworfen, und diese Lehre hatte, obschon von Thomas von Aquino bekämpft und 1277 von der Universität Paris als ketzerisch verworfen, nicht wenig, und zwar bedeutende Anhänger gefunden. Namentlich in Italien, in Padua, Bologna, Neapel usw. überlebte der Averroismus den scholastischen Nominalismus um ein volles Jahrhundert. Einer seiner Hauptvertreter war Petrus Pomponatius (1462-1524), der in seinem Tractatus de immortalitate animae (1516) mit aller Schärfe den Nachweis lieferte, daß die Unsterblichkeit der Seele philosophisch nicht zu erweisen sei, und sich gegen die Inquisition dadurch zu decken suchte, daß er die Lehre von der zwiefachen Wahrheit auf die Frage anwandte und behauptete, das philosophisch Unerweisbare sei dessenungeachtet eine religiöse Wahrheit. Diese Lehre war aber bereits 1513 vom Konzil zu Benevent verworfen worden, und nur der Einfluß des freigeisterischen Kardinals Pietro Bembo rettete Pomponazzis Buch vor der Verbrennung durch Henkershand. Sein Schüler Caspar Contarenus (1483-1542) hätte hier eigentlich nicht genannt werden dürfen, denn er hielt in seiner Schrift De immortalitate animae adversus Petrum Pomponatium ausdrücklich an der Beweisbarkeit der Unsterblichkeit der Seele fest.

Wie ich mir habe sagen lassen, war auch die Königin Christine dieser Ansicht sehr geneigt, und da Herr Naudé, der die Stelle eines Bibliothekars bei ihr bekleidete, davon angesteckt war, so scheint es, daß er ihr das mitgeteilt habe, was er von den geheimen Ansichten der berühmten Philosophen, die er in Italien besuchte, in Erfahrung gebracht hatte. Spinoza, der nur eine einzige Substanz anerkennt, weicht nicht viel von dieser Lehre von einem einzigen Weltgeiste ab, und auch die neuern Cartesianer, denen zufolge nur Gott allein handelt, stellen sie auf, sozusagen ohne daran zu denken. Ebenso hat es den Anschein, daß Molinos und einige andere neue Quietisten, darunter ein gewisser Johannes Angelus Silesius, der vor Molinos geschrieben hat und von dem einige Schriften neuerdings wieder aufgelegt worden sind, und vor diesen sogar Weigel dieser Ansicht vom Sabbat oder der Ruhe der Seelen in Gott gehuldigt haben. Deshalb meinten sie, daß das Aufhören aller besondern Tätigkeit der höchste Grad der Vollkommenheit wäre. Die Quietisten stellten die Vereinigung mit Gott als Ziel des religiösen Strebens hin, und da das völlige Aufgehen in die Gottheit die innigste Art der Vereinigung ist, so näherten sie sich in ihrer Ansicht von der Unsterblichkeit sehr entschieden der averroistischen Anschauung von der Rückkehr der individuellen Seelen in den Schoß des Weltgeistes. Der Stifter dieser religiösen Richtung, wenn überhaupt von einem solchen die Rede sein kann, war der Spanier Miguel de Molinos (gest. 1640), die Hauptvertreter derselben zu Leibnizens Zeiten aber Antoinette Bourignon (1616-1680), über die man den Artikel im Bayleschen Dictionnaire vergleichen mag, und Jeanne Marie Bouvier de la Motte-Guyon, die berühmte Freundin Fénelons, die »vom Übermaße der göttlichen Gnade bersten wollte« und deshalb von 1698 bis 1713 in die Bastille gesteckt wurde. In Deutschland waren die Hauptvertreter des Quietismus Valentin Weigel (1533-1588) mit seinen mannigfachen mystisch-theosophischen Schriften und Johannes Angelus Silesius. Dieser letztere hieß eigentlich Johann Scheffler, war 1624 in Breslau geboren, hatte in Straßburg und Padua Medizin studiert, war dann Leibarzt des Herzogs von Oels geworden, trat 1653 zur katholischen Kirche über, 1661 in den Minoritenorden ein und starb zu Breslau 1677. Nach dem spanischen Mystiker Johannes ab Angelis nannte er sich Angelus Silesius. Sein Hauptwerk ist der Cherubinische Wandersmann (1674), der 1701 eine neue Auflage erlebte und noch 1827 in München von neuem abgedruckt worden ist. Den Geist dieses Werkes charakterisiert der folgende »geistreiche Sinnreim«: Ich sage, weil der Tod allein mich machet frei, daß er das beste Ding aus allen Dingen sei.

Allerdings sahen die peripatetischen Philosophen diesen Geist nicht für einen schlechterdings allgemeinen an, denn außer den geistigen Wesen, welche ihrer Ansicht zufolge die Gestirne beseelten, hatten sie noch einen Geist für die Welt hier unten, und dieser Geist versah die Verrichtung des tätigen Verstandes in den menschlichen Seelen. Zu dieser Lehre von einer unsterblichen allgemeinen Seele für alle Menschen waren sie durch eine falsche Schlußfolgerung gekommen. Sie nahmen nämlich an, daß eine tatsächliche unendliche Menge unmöglich sei und daß es demnach auch keine unendliche Anzahl von Seelen geben könne, was indessen statthaben müsse, wenn die besonderen Seelen fortbeständen, denn da die Welt und ebenso das Menschengeschlecht ihrer Ansicht zufolge ewig ist und immer neue Seelen geboren werden, so würde es jetzt eine wirkliche Unendlichkeit geben, wenn alle diese Seelen fortbeständen. Diese Argumentation galt bei ihnen für einen Beweis, war aber voll falscher Voraussetzungen, denn man räumt ihnen weder die Unmöglichkeit einer wirklichen Unendlichkeit ein, noch gibt man zu, daß das Menschengeschlecht ewig bestanden habe, noch läßt man die Erzeugung neuer Seelen gelten, da die Platoniker die Präexistenz der Seelen und die Pythagoräer die Seelenwanderung lehren und behaupten, daß immer ein und dieselbe bestimmte Anzahl Seelen bleibe und ihren Kreislauf vollziehe.

An sich ist die Lehre von einem allgemeinen Geiste gut, denn alle, welche sich zu ihr bekennen, nehmen in der Tat das Dasein der Gottheit an, mögen sie nun diesen Geist für das Höchste halten – denn dann nehmen sie ihn für Gott selbst – oder mögen sie mit den Kabbalisten glauben, daß Gott ihn geschaffen habe, welcher Ansicht auch der Engländer Henricus Morus und einige andere Philosophen und besonders gewisse Chymisten waren, welche glaubten, daß es einen allgemeinen Archäus oder eine Weltseele gäbe. Einige haben auch behauptet, es wäre dies der Geist Gottes, der über dem Wasser schwebte, wie es zu Anfang der Genesis heißt. Kabbalisten nannte man die Verehrer des angeblich vom Rabbi Akiba verfaßten, 1642 von Rittangelus ins Lateinische übersetzten Buches Jezirah, in welchem die Emanation alles Seienden aus dem Weltgeiste, dem Ensôf, gelehrt wird. Die Chymisten waren eine besondere Schule von Naturphilosophen, die zwar auf Paracelsus, ebenfalls einem Verehrer der Kabbala, fußte, aber die phantastischen Ausschmückungen des Systems desselben verwarf und dadurch in Gegensatz zu den eigentlichen Paracelsisten trat. Über den Archäus vgl. Anm. 141, 157.

Wenn man sich jedoch zu der Behauptung versteigt, dieser allgemeine Geist sei der einzige und es gebe keine Seelen oder besondern Geister oder zum wenigsten sei die Dauer dieser Seelen eine endliche, so überschreitet man meines Erachtens die Grenzen der Vernunft und stellt ohne Grund eine Lehre auf, von der man nicht einmal einen deutlichen Begriff hat. Prüfen wir ein wenig die Scheingründe, auf die sich diese Lehre stützt, die die Unsterblichkeit der Seelen verneint und die Menschheit oder vielmehr alle lebenden Geschöpfe des Rangs entkleidet, der ihnen gebührt und ihnen gemeiniglich zuerteilt wird. Denn mich dünkt, eine Ansicht von solchem Gewichte muß bewiesen werden, und es genügt nicht, wenn man nur ein Phantasiebild davon hat, das in Wahrheit nur auf einem sehr lahmen Vergleiche mit dem Hauche beruht, der die Musikinstrumente belebt.

Ich habe oben gezeigt, daß der vermeintliche Beweis der Peripatetiker, welche behaupteten, es gäbe nur einen allen Menschen gemeinsamen Geist, völlig hinfällig ist und sich nur auf falsche Voraussetzungen stützt. Spinoza unternahm es, zu beweisen, daß es nur eine Substanz in der Welt gäbe, aber seine Beweise sind kläglich oder unverständlich. Die neuern Cartesianer aber, welche meinten, daß nur Gott allein handle, haben kaum einen Beweis dafür gegeben, abgesehen davon, daß der ehrwürdige Pater Malebranche wenigstens eine innere Tätigkeit der besondern Geister anzunehmen scheint.

Einer der hervorstechendsten Gründe gegen die besondern Seelen ist die Verlegenheit, in der man sich hinsichtlich ihres Ursprungs befand. Die Scholastiker haben viel über den Ursprung der Formen gestritten, zu denen sie auch die Seelen rechnen. Die Meinungen waren sehr geteilt, ob hier eine Herausziehung aus dem Vermögen des Stoffs wie bei der aus dem Marmor gezogenen Bildsäule stattfinde, oder ob eine Überführung der Seelen in der Weise bestehe, daß eine neue Seele aus einer altern Seele entstehe wie ein Feuer durch ein anderes entzündet wird, oder ob die Seelen schon vorher beständen und sich nur nach der Erzeugung des Tieres bemerkbar machten, oder endlich ob die Seelen jedesmal, wenn eine neue Zeugung stattfinde, von Gott geschaffen würden. Die verschiedenen Lehren über den Ursprung der Formen oder Seelen hat Leibniz in der Theodizee B. § 86-89 eingehender behandelt.

Die, welche die besondern Seelen leugneten, glaubten sich damit aus aller Verlegenheit gezogen zu haben, aber es heißt das den Knoten zerhauen, anstatt ihn zu lösen, und ein Beweis, der die Form haben würde: Man hat bei der Auslegung einer Lehre einander widersprochen, also ist diese Lehre falsch, hat keine Kraft. Es ist dies die Folgerungsweise der Skeptiker, und wenn dieselbe zulässig wäre, gäbe es nichts, was man nicht verwerfen könnte. Die Erfahrungen unserer Zeit bringen jedoch zu dem Glauben, daß die Seelen und sogar die Geschöpfe jederzeit existiert haben, wenn auch nur in kleiner Größe, und daß die Zeugung nur eine Art Vergrößerung ist, und auf diese Weise verschwinden alle Schwierigkeiten in bezug auf die Erzeugung der Seelen und Formen. Ich spreche jedoch Gott deshalb nicht das Recht ab, neue Seelen zu schaffen oder denen, die bereits in der Natur sind, einen höhern Grad von Vollkommenheit zu verleihen, hier ist aber nur vom gewöhnlichen Lauf der Natur die Rede, ohne daß näher auf das Verfahren Gottes in bezug auf die menschlichen Seelen eingegangen wird, welche letztern sehr wohl besondere Vorrechte erhalten haben können, da sie unendlich über die Tierseelen erhaben sind.

Daß aber so viele scharfsinnige Leute sich der Lehre von einem allgemeinen Geiste zugeneigt haben, dazu hat meines Erachtens auch der Umstand viel beigetragen, daß die gewöhnlichen Philosophen über die bloße Seele und über die vom Körper und den Organen unabhängigen Verrichtungen der Seele eine Lehre zum Besten gaben, die sie nicht hinlänglich zu begründen vermochten. Sie hatten sehr recht, daß sie die Unsterblichkeit der Seele als den göttlichen Vollkommenheiten und der wahren Moral gemäß aufrechtzuerhalten suchten, da sie aber sahen, daß durch den Tod die Organe, die man bei den Geschöpfen wahrnimmt, in Unordnung gerieten und schließlich in Fäulnis übergingen, so glaubten sie die bloßen Seelen zu Hilfe nehmen, d. h. annehmen zu müssen, daß die Seele ohne jeden Körper bestehe und dessenungeachtet auch dann ihre Gedanken und ihre Verrichtungen habe. Und um dies sicherer zu beweisen, versuchten sie zu zeigen, daß die Seele schon in diesem Leben abstrakte und von stofflichen Vorstellungen unabhängige Gedanken hat. Unter stofflichen Vorstellungen (idées matérielles) versteht Leibniz die durch die sinnliche Wahrnehmung vermittelten, sich also mit sinnfälligen Dingen beschäftigenden Vorstellungen, gleichviel, ob dieselben durch die Wahrnehmung selbst oder durch die Erinnerung oder durch die Tätigkeit der Phantasie entstehen. Die von diesen Vorstellungen unabhängigen abstrakten Gedanken sind also solche Vorstellungen, welche unter Benutzung der Wissensarten und Beziehungsformen, die nach Leibniz dem Verstande angeboren oder eingepflanzt sind, durch das trennende Denken gewonnen werden. Nun aber waren diejenigen, welche diesen Zustand der Trennung und der Unabhängigkeit als der Erfahrung und der Vernunft zuwider verwarfen, nur um so mehr dazu geneigt, an das Erlöschen der besondern und an das Fortbestehen des allgemeinen Geistes allein zu glauben.

Ich habe diesen Gegenstand sorgfältig untersucht und gezeigt, daß es wirklich in der Seele einige Denkmaterialien oder Gegenstände des Verstandes gibt, welche die äußern Sinne nicht hergeben, nämlich die Seele selbst und ihre Verrichtungen (nihil est in intellectu, quod non fuerit in sensu, nisi ipse intellectus Es ist nichts im Verstande, was nicht in den Sinnen war, wenn nicht der Verstand selbst., und diejenigen, welche einen allgemeinen Geist annehmen, werden dies gern gelten lassen, da sie denselben ja vom Stoffe unterscheiden – indessen finde ich, daß es nie einen abstrakten Gedanken gibt, der nicht von einigen stofflichen Bildern oder Spuren begleitet wäre, und indem ich zeigte, daß die Seele mit ihren Verrichtungen etwas vom Stoffe Verschiedenes, aber dennoch immer von Organen begleitet ist, die ihr entsprechen müssen, und daß dies auf Gegenseitigkeit beruht und immer so sein wird, habe ich einen vollkommenen Parallelismus aufgestellt zwischen dem, was in der Seele vorgeht, und dem, was im Stoffe geschieht.

Was aber die völlige Trennung der Seele vom Körper betrifft, so kann ich zwar nichts über die Gesetze der Gnade und über das sagen, was Gott bezüglich der menschlichen und der besondern Seelen über das hinaus verordnet hat, was die Heilige Schrift darüber sagt, da dies Dinge sind, die man nicht durch die Vernunft erkennen kann und die von der Offenbarung und Gott selbst abhängen – indessen finde ich weder einen religiösen noch einen philosophischen Grund, der mich nötigte, die Lehre vom Parallelismus der Seele und des Körpers aufzugeben und eine vollkommene Trennung beider anzunehmen. Denn warum sollte nicht die Seele immer einen feinen, nach ihrer Weise organisierten Körper behalten können, der dereinst bei der Auferstehung das Nötige von seinem sichtbaren Körper wieder annehmen kann, da man doch den Seligen einen verklärten Körper zugesteht und die alten Kirchenväter auch den Engeln einen feinen Körper zugestanden haben?

Übrigens stimmt diese Lehre mit der Ordnung der Natur überein, die auf Erfahrungen begründet ist, denn da die Beobachtungen äußerst tüchtiger Forscher annehmen lassen, daß die Geschöpfe nicht erst zu der Zeit beginnen, die man gemeiniglich dafür annimmt, sondern daß die Samentierchen oder der beseelte Same schon seit Anbeginn der Dinge bestanden haben, und da die Ordnung und die Vernunft will, daß das, was von Anbeginn an bestanden hat, auch nicht endet und daher die Zeugung nur die Vergrößerung eines umgestalteten und entwickelten Tieres ist, so wird auch der Tod nur die Verminderung eines umgestalteten und eingehüllten Tieres sein, das Tier aber während der Umgestaltungen immer fortdauern, wie' ja die Seidenraupe und der Schmetterling ein und dasselbe Tier sind. Und hier dürfte die Bemerkung angebracht sein, daß die Natur geschickt und gütig genug ist, uns ihre Geheimnisse in einigen kleinen Proben zu enthüllen, damit wir, da alles einander entspricht und harmonisch ist, danach über den Rest urteilen können. Eben dies zeigt sie uns in der Umwandlung der Raupen und anderer Insekten, denn auch die Fliegen entstehen aus Würmern, um uns erraten zu lassen, daß es überall Umgestaltungen gibt. Die Erfahrungen an den Insekten haben aber die gewöhnliche Ansicht zerstört, daß diese Tiere durch die Nahrung ohne Fortpflanzung entstehen. In ähnlicher Weise hat uns auch die Natur in den Vögeln eine Probe der Erzeugung aller Tiere vermittelst der Eier gezeigt, welche infolge der neuen Entdeckungen jetzt zu allgemeiner Anerkennung gelangt ist. Auch haben die Beobachtungen mittelst des Mikroskops gezeigt, daß der Schmetterling nur eine Entwicklung der Raupe ist, namentlich aber, daß schon der Same die Pflanze oder das gestaltete Geschöpf enthält, wenngleich dies später der Umgestaltung und Ernährung oder Vergrößerung bedarf, um eins von jenen Geschöpfen zu werden, die für unsere gewöhnlichen Sinne wahrnehmbar sind. Und da auch die kleinsten Insekten durch die Fortpflanzung der Gattung entstehen, so muß das gleiche auch von jenen kleinen Samentierchen angenommen werden, nämlich daß sie von andern, noch kleinern Samentierchen kommen und also schon mit der Welt begonnen haben, was auch zur Genüge mit der Heiligen Schrift übereinstimmt, welche andeutet, daß der Same von Anbeginn bestanden habe.

Im Schlafe und der Ohnmacht hat uns die Natur eine Probe gegeben, der gemäß wir urteilen müssen, daß der Tod nicht eine Aufhebung aller Verachtungen, sondern nur eine Aussetzung gewisser mehr in die Augen fallender Verrichtungen ist. Und an anderer Stelle habe ich einen wichtigen Punkt dargelegt, dessen unzulängliche Berücksichtigung die Menschen leichter zu der Ansicht von der Sterblichkeit der Seelen geführt hat, nämlich daß es eine große Anzahl gleicher und einander aufwiegender kleiner Vorstellungen gibt, die nichts Hervortretendes und nichts Unterscheidendes haben, die nicht bemerkt werden und deren man sich nicht erinnert. Daraus aber schließen wollen, daß die Seele alsdann ohne Verrichtungen sei, ist das nämliche, als wenn der große Haufe glaubt, daß sich da, wo es keinen wahrnehmbaren Stoff gibt, ein Leeres oder ein Nichts finde und daß die Erde keine Bewegung habe, weil diese Bewegung, da sie gleichmäßig und ohne Stöße erfolgt, nicht wahrnehmbar ist. Wir haben eine unendliche Menge von kleinen Vorstellungen, die wir nicht voneinander zu unterscheiden vermögen: Ein lautes, betäubendes Geräusch, wie z. B. das Gemurmel einer zahlreichen Volksmenge, ist aus dem leisen Gemurmel all der einzelnen Personen zusammengesetzt, das man einzeln nicht wahrnehmen würde, von dem man aber doch eine Empfindung haben muß, da man sonst das Ganze nicht wahrnehmen würde. Wenn daher auch das Geschöpf der Organe beraubt ist, die imstande sind, ihm hinlänglich deutliche Vorstellungen zu verleihen, so folgt daraus doch nicht, daß ihm nicht kleinere und gleichförmigere Vorstellungen bleiben, noch daß es aller Vorstellungen und aller Organe beraubt sei. Die Organe sind dann eben nur eingewickelt und auf einen kleinern Umfang gebracht, die Ordnung der Natur aber fordert, daß alles sich wieder entwickle und eines Tages in einen wahrnehmbaren Zustand zurückkehre und daß bei diesem Wechsel ein gewisser gutgeregelter Fortschritt stattfinde, der zum Absterbenmachen und zur Vervollkommnung der Dinge dient. Wie es scheint, hat auch Demokrit diese Wiedererweckung der Geschöpfe geahnt, denn Plotin berichtet von ihm, er habe eine Auferstehung gelehrt.

Alle diese Betrachtungen zeigen, daß nicht bloß die besondern Seelen, sondern sogar die Geschöpfe selbst fortbestehen und daß kein Grund zur Annahme eines gänzlichen Erlöschens der Seelen oder auch einer völligen Zerstörung des Geschöpfes vorhanden ist, und folglich, daß man nicht einen allgemeinen Geist zu Hilfe zu nehmen und nicht die Natur ihrer besondern und dauernden Vollkommenheiten zu berauben braucht, was in Wirklichkeit keine genügende Berücksichtigung der Ordnung und Harmonie sein würde. Auch gibt es bei der Lehre von einem einzigen allgemeinen Geiste sehr viele Dinge, die sich nicht aufrechterhalten lassen und zu weit größern Schwierigkeiten führen als die gewöhnliche Lehre.

Hier nur einige derselben. Man sieht sogleich, daß der Vergleich mit dem Luftstrom, der verschiedene Orgelpfeifen zum verschiedenen Tönen bringt, zwar der Einbildungskraft schmeichelt, aber nichts erklärt, sondern vielmehr ganz das Gegenteil andeutet. Denn jener allgemeine in die Pfeifen strömende Hauch ist ja nur eine Anhäufung vieler besonderer Hauche, da jede Pfeife mit ihrer besondern Luft angefüllt wird, die sogar von einer Pfeife in die andere übergehen kann, so daß also dieser Vergleich eher zu besondern Seelen führen und sogar die Wanderung der Seelen von einem Körper in einen andern (gleichwie die Luft die Pfeife wechseln kann) begünstigen würde. Diese Widerlegung des bekannten Vergleichs ist äußerst schwach und gekünstelt, denn obgleich die in die Pfeifen strömenden Hauche Teile der Luft sind, so kann doch in keiner Weise gesagt werden, daß die Luft aus denselben bestehe, da nie alle vorhandene Luft in die Pfeifen einströmt. Überdies tritt auch nie ganz der nämliche Hauch aus einer Pfeife in die andere. Da aber ein Vergleich nichts beweist, so war diese Widerlegung ohnehin überflüssig.

Stellt man sich aber vor, daß der allgemeine Geist einem Ozean gleiche, der aus unzähligen Tropfen besteht, die davon losgetrennt sind, wenn sie einen besondern organischen Körper beleben, sich aber nach der Zerstörung der Organe wieder mit ihrem Ozean vereinen, so bildet man sich abermals eine stoffliche und grobe Vorstellung, die der Sache nicht entspricht und in die nämlichen Schwierigkeiten verwickelt wie der Luftstrom. Denn da der Ozean eine Anhäufung von Tropfen ist, so würde also Gott eine Ansammlung aller Seelen sein, ungefähr in der Weise wie ein Bienenschwarm eine Ansammlung dieser kleinen Tiere ist. Da aber dieser Schwärm nicht selbst eine wahrhafte Substanz ist, so erhellt, daß der allgemeine Geist auf diese Weise gar kein wahrhaftes Wesen sein würde, und man müßte, anstatt zu behaupten, daß er der einzige Geist sei, vielmehr sagen, daß er an sich gar nichts sei und daß es in der Natur bloß besondere Seelen gibt, deren Ansammlung er sein würde. Überdies würden die Tropfen, die sich nach der Zerstörung der Organe wieder mit dem Ozean des allgemeinen Geistes vereinten, in Wahrheit Seelen sein, die getrennt vom Stoffe beständen, und man würde auf diese Weise wieder in das zurückfallen, was man eben vermeiden wollte, besonders wenn diese Tropfen ein Überbleibsel von ihrem frühern Zustande beibehalten oder noch einige Verrichtungen vollziehen oder gar in diesem Ozean der Gottheit oder des allgemeinen Geistes zu erhabenem Verrichtungen gelangen könnten. Will man aber diesen in Gott vereinten Seelen gar keine eigenen Verrichtungen zugestehen, so gerät man zu einer Ansicht, die der Vernunft und der gesamten guten Philosophie widerstreitet, als ob nämlich ein fortdauerndes Wesen je in einen Zustand gelangen könnte, wo es ohne jede Verrichtung oder jeden Eindruck wäre. Denn auch eine mit einer andern verknüpfte Sache hat nichtsdestoweniger ihre besondern Verrichtungen, die mit den Verrichtungen der andern verbunden die Verrichtungen des Ganzen ergeben, da das Ganze keine Verrichtungen haben würde, wenn die Teile keine hätten. Überdem habe ich an anderer Stelle gezeigt, daß jedes Wesen vollkommen die Eindrücke bewahrt, die es empfangen hat, wenn auch diese Eindrücke, weil mit so vielen andern verbunden, nicht mehr einzeln bemerkbar sind. So würde denn also die mit dem Ozean der Seelen vereinte Seele doch immer die besondere Seele bleiben, die sie war, nur daß sie dann vom Körper getrennt wäre.

Daraus erhellt, daß es vernünftiger und mehr dem Verfahren der Natur gemäß ist, wenn man die besondern Seelen in den Geschöpfen selbst und nicht außerhalb derselben in Gott bestehen läßt und auf diese Weise nicht bloß die Seele, sondern auch das Geschöpf erhält, wie ich oben und an andern Orten auseinandergesetzt habe, und also die besondern Seelen immer in Tätigkeit, d. h. den besondern Verrichtungen, die ihnen zukommen und zur Schönheit und Ordnung des Universums beitragen, verbleiben läßt, anstatt sie in den Sabbat in Gott der Quietisten, d. h. einen Zustand der Untätigkeit und der Nutzlosigkeit, zu bringen. Denn was die seligmachende Anschauung der seligen Seelen anlangt, so ist dieselbe durchaus mit den Verrichtungen ihrer verklärten Körper verträglich, die nichtsdestoweniger in ihrer Weise organisch sein werden.

Wenn aber jemand behaupten will, daß es überhaupt keine besondern Seelen gibt, nicht einmal in diesem Augenblicke, wo sich mit Hilfe der Organe die Verrichtung des Empfindens und Denkens vollzieht, so wird er durch die Erfahrung widerlegt, die uns, wie mir scheint, lehrt, daß wir, was uns betrifft, etwas sind, was denkt, wahrnimmt und will, und daß wir von einem andern, was anders denkt und will, verschieden sind.

Andernfalls gerät man zur Ansicht Spinozas und einiger ähnlicher Autoren, welche behaupten, daß es nur eine einzige Substanz gibt, nämlich Gott, der in mir das eine denkt, glaubt und will, in einem andern aber ganz das Gegenteil denkt, glaubt und will, eine Ansicht, deren Lächerlichkeit Herr Bayle an mehreren Stellen seines Wörterbuchs sehr gut klargelegt hat.

Wenn aber in der Natur nur der allgemeine Geist und der Stoff besteht, so wird man sagen müssen, daß, falls nicht der allgemeine Geist selbst in verschiedenen Personen entgegengesetzte Dinge glaubt und will, dies durch den Stoff geschieht, der verschieden ist und verschieden wirkt – wenn aber der Stoff tätig ist, wozu nützt dann jener allgemeine Geist? Ist aber der Stoff nur ein erstes Leidendes oder besser ein durchaus Leidendes, wie können ihm da jene Tätigkeiten beigelegt werden? Es ist daher mehr der Vernunft gemäß, wenn man annimmt, neben Gott, dem höchsten Tätigen gebe es noch eine Menge besonderer Tätiger, da es eine Menge von besondern und entgegengesetzten Handlungen und Erleidungen gibt, die nicht demselben Wesen zugeschrieben werden können. Diese tätigen Wesen aber sind nichts anderes als die besondern Seelen.

Auch ist bekannt, daß es bei allen Dingen Abstufungen gibt. So gibt es unendlich viele Abstufungen zwischen einer beliebigen Bewegung und der vollkommenen Ruhe, zwischen der Härte und der vollkommenen Flüssigkeit, die ohne jeden Widerstand wäre, zwischen Gott und dem Nichts. In gleicher Weise gibt es also auch unendlich viele Abstufungen zwischen einem beliebigen Tätigen und dem rein Leidenden. Und folglich ist es nicht vernünftig, nur ein einziges Tätiges, nämlich den allgemeinen Geist, mit einem einzigen Leidenden, nämlich dem Stoff, anzunehmen.

Ferner muß man auch beachten, daß mein Stoff nicht etwas Gott Entgegengesetztes ist, sondern vielmehr dem beschränkten Tätigen, d. h. der Seele oder der Form, entgegengesetzt werden muß. Denn Gott ist das höchste, dem Nichts entgegengesetzte Wesen, von dem sowohl der Stoff wie die Formen herkommen, das rein Leidende aber ist etwas mehr als das Nichts, da es gewisser Zustände fähig ist, während dem Nichts nichts beigelegt werden kann. Daher muß man mit jedem besondern Teile des Stoffs besondere Formen zusammenstellen, d. h. Seelen und Geister, die dazu passen.

Ich will hier nicht auf einen direkten Beweis zurückkommen, den ich anderswo benutzt und den Einheiten oder einfachen Dingen entlehnt habe, wozu auch die besondern Seelen gehören. Man wird dadurch unausweichlich genötigt, nicht bloß die besondern Seelen anzuerkennen, sondern auch einzuräumen, daß sie vermöge ihrer Natur unsterblich und ebenso unzerstörbar sind wie das Universum, ja noch mehr: daß jede Seele in ihrer Weise ein fortwährender Spiegel des Universums ist, der in seinem Schatze eine Ordnung enthält, die der Ordnung des Universums entspricht, das die Seelen auf unendlich viele Arten, die sämtlich verschieden und sämtlich wahr sind, verändern und vorstellen und sozusagen so oft vervielfältigen, wie möglich ist, so daß sie sich auf diese Weise der Gottheit so weit nähern, wie dies je nach ihren verschiedenen Stufengraden möglich ist, und dem Universum all die Vollkommenheit verleihen, deren es fähig ist.

Hiernach sehe ich nicht ein, aus welchem Grunde oder mit welcher Wahrscheinlichkeit man die Lehre von den besondern Seelen bekämpfen kann. Diejenigen, welche dies tun, räumen ein, daß das, was in uns ist, eine Wirkung des allgemeinen Geistes ist. Aber das, was Gott wirkt, ist fortdauernd, um nicht zu sagen, daß sogar die Zustände und Wirkungen der Geschöpfe gewissermaßen dauernd sind und die Eindrücke, die sie empfangen, sich nur verbinden, ohne sich zu zerstören. Wenn also, wie ich gezeigt habe, der Vernunft und der Erfahrung nach das Geschöpf mit seinen mehr oder weniger deutlichen Vorstellungen und mit gewissen Organen immer fortbesteht und wenn folglich diese von Gott ausgegangene Wirkung sich immer in diesen Organen erhält – warum sollte es da nicht erlaubt sein, sie Seele zu nennen und zu sagen, daß diese Wirkung Gottes eine unstoffliche und unsterbliche Seele sei, die in gewisser Weise den allgemeinen Geist nachahme, da diese Lehre überdem alle Schwierigkeiten hebt, wie aus dem erhellt, was ich hier und in andern Schriften über diese Gegenstände gesagt habe.


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