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XVIII. Betrachtungen über das Lebensprinzip und über die plastischen Naturen

Da der Streit über die plastischen Naturen und die Lebensprinzipien mehreren berühmten Männern, die sich dafür interessieren, Anlaß gegeben hat, von meinem Systeme zu reden, über das man einige Erklärungen zu wünschen scheint (vgl. Leclercs Bibliothèque Choisie, Bd. 5, Art. 5, S. 301, und ferner Basnages Histoire des Ouvrages des Savans v. J. 1704, Art. 7, S. 393), so habe ich es für zweckmäßig erachtet, dem, was ich bereits in mehreren Zeitschriften, die von Herrn Bayle in seinem Wörterbuche, Artikel Rorarius, angeführt worden sind, über diesen Gegenstand veröffentlicht habe, noch einiges hinzuzufügen. Ich erkenne wirklich die. in der ganzen Natur verbreiteten und unvergänglichen Lebensprinzipien an, da sie unteilbare Substanzen oder richtiger Einheiten, die Körper dagegen Mengen sind, welche infolge der Auflösung ihrer Teile dem Untergange ausgesetzt sind. Diese Lebensprinzipien oder Seelen besitzen ein Vorstellen und ein Begehren. Fragt man mich, ob es substantielle Formen seien, so antworte ich mit einer Unterscheidung: denn wenn dieser Ausdruck in dem Sinne genommen wird, in welchem ihn Herr Descartes nimmt, wenn er Herrn Regis gegenüber behauptet, daß die vernünftige Seele die substantielle Form des Menschen ist, so erwidere ich ja. Dagegen würde ich mit Nein antworten, wenn jemand den Ausdruck im Sinne derer nimmt, welche sich einbilden, es gebe eine substantielle Form für ein Stück Stein oder einen andern unorganischen Körper, denn die Lebensprinzipien gehören nur den organischen Körpern an. Wie schon in Anm. 8 erwähnt worden, unterschieden die Scholastiker zwischen substantiellen Formen, d. h. den im Verstande Gottes enthaltenen Vorstellungen der selbstständigen Dinge, und akzidentellen Formen, d. h. den Vorstellungen der den selbständigen Dingen anhangenden Akzidenzen. Diese reinen Formen galten für die Prinzipien der mit den stofflichen Dingen verbundenen Formen, von denen Leibniz hier die substantiellen den unorganischen Gebilden nicht zugestehen will, weil er bei diesen Gebilden keine (durch eine Zentral-Monade repräsentierte) Einheit anerkennt. Allerdings gibt es – meinem System zufolge – keinen Teil des Stoffes, in welchem nicht eine unendliche Anzahl organischer und beseelter Körper vorhanden wäre, worunter ich nicht bloß die Tiere und die Pflanzen, sondern vielleicht auch noch andere Arten von Wesen verstehe, die uns völlig unbekannt sind. Deshalb darf man aber doch nicht sagen, daß jeder Teil des Stoffes beseelt sei, wie wir ja auch einen Fischteich nicht für einen beseelten Körper erklären, obgleich der Fisch ein solcher ist. Aus dieser Stelle erhellt, daß bei dem von Leibniz vielgebrauchten Vergleiche mit dem Fischteich (s. Neues System § 11, Monadologie § 67) nicht an einen Gegensatz zwischen den Fischen als beseelten und dem Wasser als unbeseeltem Dinge gedacht werden darf, sondern daß dadurch nur der Mangel der Einheit, wie die herrschende Zentral- oder Seelen-Monade ihn herstellt, bezeichnet werden soll.

Gleichwohl weicht meine Ansicht über die Lebensprinzipien doch in gewissen Punkten von dem ab, was bisher darüber gelehrt worden ist. Einer dieser Punkte ist der, daß man bisher geglaubt hat, die Lebensprinzipien veränderten den Lauf der Bewegung der Körper oder gäben wenigstens Gott Gelegenheit, ihn zu ändern, während meinem Systeme nach dieser Lauf in der Ordnung der Natur durchaus nicht geändert wird, da Gott ihn gehörigermaßen vorherbestimmt hat. Die Peripatetiker meinten, die Seelen hätten auf die Körper Einfluß und übten je nach ihrem Willen oder Begehren eine Einwirkung auf dieselben aus, und die berühmten Autoren, die durch ihre Lebensprinzipien und ihre plastischen Naturen zu dem gegenwärtigen Streite Anlaß gegeben haben, waren derselben Meinung, obschon sie keine Peripatetiker sind. Die »berühmten Autoren« waren Grew und Ralph Cudworth (1617-1688), von denen namentlich der letztere die Hypothese der plastischen Naturen in seinem berühmten Werke: The true intellectual System of Universe (1678) nach allen Seiten hin entwickelt hatte. Der Journalist Jean Leclerc (1657 bis 1736) hatte von diesem Werke in seiner Bibliothèque choisie einen Auszug geliefert und dadurch Bayle Veranlassung gegeben, die in Rede stehende Hypothese einer Kritik zu unterwerfen, in der er ausführte, daß Gott überflüssig sein würde, falls vegetative bildende Kräfte wie die plastischen Naturen Cudworths imstande wären, Organismen zu bilden. Leclerc, bei welchem persönliche Motive mit ins Spiel kamen, nahm diese Kritik sehr übel, und so entspann sich zwischen ihm und Bayle eine heftige literarische Fehde, in die Leibniz mit dem vorliegenden Aufsatze eingriff, ohne jedoch, seiner vorsichtigen Art gemäß, für einen der beiden Antagonisten Partei zu nehmen. – Sachlich handelte es sich um die Frage der Bildung des Organischen aus dem Unorganischen. Die Peripatetiker schrieben die Hervorbringung der Tiere einer unmittelbaren Tätigkeit Gottes zu, die Materialisten erklärten die Bildung der Organismen für einen Akt stofflicher Wesen, und Cudworth endlich lud dies Geschäft unbewußt wirkenden Substanzen oder Kräften auf. Diesen drei Ansichten gegenüber entwickelt hier Leibniz seine Hypothese der Vorherbildung der organischen Körper. Dagegen darf man nicht das nämliche von denen behaupten, welche Archäen, hylarchische Prinzipien oder andere unstoffliche Prinzipien unter verschiedenen Namen benutzt haben. Archäus (Archeus) oder Adech nannte Paracelsus (1493 bis 1541) und ebenso seine Schüler, wie z. B. der ältere van Helmont, Robert Fludd u. a., das Lebensprinzip, die geheime Kraft, »die alles Einzelne zu einer Vollendung führt.« Das nämliche verstand Morus unter seinem hylarchischen Prinzip (s. Anm. 141) und van Helmont unter der aura vitalis. Auch die Chymisten, die zwar den Paracelsisten entgegentraten, aber doch mit ihren Anschauungen völlig auf Paracelsus fußten, bezeichneten den spiritus naturae, den Lebensgeist oder die Weltseele, mit dem Namen Archäus Da Descartes sehr richtig erkannt hatte, daß ein Naturgesetz bestehe, demzufolge sich die nämliche Menge der Kraft erhält (obschon er sich in der Anwendung irrte, indem er die Menge der Kraft mit der Menge der Bewegung verwechselte), so meinte er, man dürfe der Seele nicht das Vermögen zugestehen, die Kraft der Körper zu vermehren oder zu vermindern, sondern nur die Macht, die Richtung der Kraft durch Veränderung des Laufs der Lebensgeister zu ändern. Diejenigen Cartesianer aber, welche das System der Gelegenheitsursachen in Aufnahme gebracht haben, waren der Ansicht, daß, da die Seele keinen Einfluß auf den Körper haben kann, Gott den Lauf und die Richtung der Lebensgeister nach dem Willen der Seele verändere. Hätte man jedoch zu Herrn Descartes' Zeiten jenes neue, von mir dargelegte Naturgesetz gekannt, wonach nicht bloß die nämliche Menge der Gesamtkraft der miteinander in Verkehr stehenden Körper, sondern auch deren Gesamtrichtung sich erhält, so würde er offenbar auf mein System der vorherbestimmten Harmonie gekommen sein, denn er würde eingesehen haben, daß es ebenso vernünftig ist, zu sagen, die Seele ändere die Summe der Richtung der Körper nicht, wie es vernünftig ist, ihr das Vermögen zur Veränderung der Menge der Kraft der Körper abzusprechen, da beides der Ordnung der Dinge und den Gesetzen der Natur gleich sehr zuwider ist, wie beides auch gleich unerklärlich ist. Daher verändern die Seelen oder Lebensprinzipien meinem Systeme zufolge nichts am gewöhnlichen Laufe der Dinge und geben nicht einmal Gott Gelegenheit, dies zu tun. Vielmehr folgen die Seelen ihren Gesetzen, die in einer gewissen Entwicklung der Vorstellungen den Gütern und den Übeln gemäß bestehen, und ebenso folgen die Körper den ihren, die in den Regeln der Bewegung bestehen: und gleichwohl begegnen sich diese beiden Wesen von durchaus verschiedener Art und stimmen miteinander überein wie zwei nach ein und demselben Maßstabe geregelte Uhren von vielleicht völlig verschiedener Konstruktion. Eben dies aber nenne ich eine vorherbestimmte Harmonie, die jede Art von Wunder bei den rein natürlichen Handlungen ausschließt und die Dinge in begreiflicher Weise ihren geregelten Gang gehen läßt, während das gewöhnliche System zu durchaus unerklärlichen Einwirkungen seine Zuflucht nimmt und nach dem Systeme der Gelegenheitsursachen Gott vermöge einer Art von allgemeinem Gesetz und gleichsam durch einen Vertrag die Verpflichtung übernommen hat, in jedem Augenblicke den natürlichen Gang der Gedanken der Seele zu verändern, um sie den dem Körper widerfahrenen Eindrücken anzupassen, und ebenso gemäß den Willensakten der Seele den natürlichen Lauf der Bewegungen des Körpers zu stören, was nur durch ein beständiges Wunder erklärlich ist, während ich das Ganze auf faßliche Weise aus den Naturen erkläre, die Gott in den Dingen festgesetzt hat.

Dies System der vorherbestimmten Harmonie bietet auch einen neuen, bisher unbekannten Beweis für das Dasein Gottes, da klar ist, daß die Übereinstimmung so vieler Substanzen, die keinen Einfluß aufeinander haben, nur von einer allgemeinen Ursache herstammen kann, von der sie sämtlich abhängig sind und die eine unendliche Macht und Weisheit besitzen muß, um alle diese Übereinstimmungen im voraus einzurichten. Selbst Herr Bayle ist der Meinung, daß nie eine Hypothese der Kenntnis, die wir von der göttlichen Weisheit besitzen, einen so vorteilhaften Ausdruck gegeben habe. Ferner hat dies System auch noch den Vorteil, daß es das große Prinzip der Physik, wonach die Bewegung eines Körpers nur durch den Stoß eines andern in Bewegung befindlichen Körpers verändert wird: Corpus non moveri nisi impulsum a corpore contiguo et moto Ein Körper wird nur durch den Anstoß eines ihn berührenden, bewegten Körpers bewegt. – in seiner ganzen Strenge und Allgemeinheit festhält. Dies Gesetz ist bisher von allen verletzt worden, die Seelen oder unstoffliche Prinzipien angenommen haben, die Cartesianer nicht ausgenommen. Da bis jetzt nur die Anhänger des Demokrit, Hobbes und einige andere reine Materialisten, die jede unstoffliche Substanz verwarfen, dies Gesetz unverletzt erhalten haben, so meinten sie darin einen Punkt gefunden zu haben, um die übrigen Philosophen gröblich anzugreifen, als ob dieselben eine äußerst unvernünftige Ansicht verträten. Aber der Gegenstand ihres Triumphes ist nur ein scheinbarer und ad hominem Für den großen Haufen wahr., und anstatt ihnen zu nützen, dient er vielmehr dazu, sie gänzlich zum Schweigen zu bringen. Denn da jetzt ihre Täuschung aufgedeckt ist und ihr Vorteil sich in Nachteil verwandelt hat, so scheint man wohl sagen zu dürfen, es sei das erste Mal, daß die bessere Philosophie sich auch der Vernunft in allem am meisten angemessen zeige, da ihr nun nichts mehr entgegengestellt werden kann. Obgleich nun dies allgemeine Prinzip die ersten besondern Beweger ausschließt, indem sie den Seelen oder erschaffenen unstofflichen Prinzipien diese Eigenschaft abspricht, so führt es uns doch um so sicherer und bestimmter zu dem ersten allgemeinen Beweger, von dem gleichzeitig die Reihenfolge wie die Übereinstimmung zwischen den Vorstellungen und den Bewegungen herrührt. Es sind dies gleichsam zwei Reiche, eins der bewirkenden Ursachen und eins der Zweckursachen, von denen im einzelnen jedes für sich genügt, um über alles Rechenschaft zu geben, als ob das andere gar nicht existierte. Bei dem Allgemeinen ihres Ursprungs jedoch genügt das eine nicht ohne das andere, denn beide fließen aus einer Quelle, in der die Macht, die die bewirkenden Ursachen schafft, und die Weisheit, die die Zweckursachen regelt, vereinigt sind. Auch der Grundsatz, daß es gemäß den Regeln der Mechanik keine Bewegung [von selbst] gibt, führt uns auf den ersten Beweger, denn da der Stoff an sich gegen jede Bewegung wie gegen die Ruhe gleichgültig ist und dennoch immer die Bewegung samt ihrer ganzen Kraft und Richtung besitzt, so kann dieselbe nur vom Schöpfer des Stoffes selbst dem letztern eingefügt worden sein.

Es besteht aber auch noch ein anderer Unterschied zwischen den Ansichten der Autoren, die für die Lebensprinzipien sind, und zwischen den meinen. Ich glaube nämlich, daß jene Lebensprinzipien unsterblich und überall vorhanden sind, während nach der gewöhnlichen Meinung die Seelen der Tiere untergehen und den Cartesianern zufolge nur der Mensch allein wirklich eine Seele und ein Vorstellen und Begehren hat, eine Ansicht, die nie allgemeine Zustimmung finden wird und zu der man nur gegriffen hat, weil man sah, daß man entweder den Tieren unsterbliche Seelen zugestehen oder aber einräumen müßte, daß die Seele des Menschen sterblich sein könne. Statt dessen hätte aber vielmehr gesagt werden sollen, daß, da jede einfache Substanz unvergänglich und folglich auch jede Seele unsterblich sei, auch die Seele, die man doch den Tieren vernünftigerweise nicht absprechen kann, immer fortbestehen werde, wenn auch in einer von der unsern sehr verschiedenen Weise, da den Tieren, soweit man darüber urteilen kann, jene Überlegung fehlt, durch welche wir uns unseres Ichs bewußt werden. Man sieht auch wirklich nicht ein, weshalb die Menschen einen so großen Widerwillen dagegen haben, den Körpern der übrigen organischen Geschöpfe unvergängliche unstoffliche Substanzen zuzugestehen, da doch die Atomisten unvergängliche stoffliche Substanzen angenommen haben und die Seele des Tieres nicht mehr Überlegung hat als ein Atom. Denn es besteht ein großer Abstand zwischen dem Gefühl, das diesen Seelen gemein ist, und der Überlegung, welche die Vernunft begleitet, da wir Tausende von Empfindungen haben, ohne darüber nachzudenken, und meines Erachtens haben die Cartesianer nie bewiesen, noch können sie beweisen, daß jede Vorstellung von Bewußtsein begleitet sei. Auch ist es nur vernunftgemäß, daß es unterhalb unserer Substanzen gebe, die Vorstellungen zu haben vermögen, wie es deren über uns gibt, und daß unsere Seele, anstatt auf der letzten Stufe zu stehen, vielmehr eine Mittelstellung einnehme, von der man nach aufwärts und nach abwärts steigen kann, denn sonst würde es einen Verstoß wider die Ordnung geben, den gewisse Philosophen ein vacuum formarum Eine Lücke zwischen den Formen. nennen. So führt Vernunft wie Natur die Menschen zu der Ansicht, die ich eben aufgestellt habe, aber die Vorurteile haben sie derselben abwendig gemacht.

Diese Ansicht führt aber zu einer andern, hinsichtlich derer ich ebenfalls genötigt bin, von der üblichen Meinung abzuweichen. Man wird an diejenigen, die meiner Ansicht sind, die Frage richten, was die Tierseelen nach dem Tode des Tieres beginnen, und uns der Lehre des Pythagoras zeihen, der an die Seelenwanderung glaubte, die nicht bloß der verstorbene jüngere van Helmont, sondern auch der Verfasser gewisser, zu Paris erschienener Metaphysischer Betrachtungen wieder ins Leben zu rufen versucht hat. In den »Nouveaux Essais« (liv. II, ch. 27) spricht sich Leibniz eingehender über die hier berührte Lehre van Helmonts aus. »Der jüngere van Helmont«, heißt es dort (Erdmann, S. 279), »war der Meinung, die Seelen gingen von einem Körper in den andern über, immer aber innerhalb ihrer Gattung, so daß es immer die nämliche Anzahl Seelen von ein und derselben Gattung und folglich immer die nämliche Anzahl von Menschen und von Wölfen gibt, und daß daher die Wölfe, wenn sie in England vermindert und ausgerottet würden, sich anderwärts um ebensoviel vermehren müßten. Gewisse Betrachtungen, die in Frankreich veröffentlicht wurden, scheinen auf dasselbe hinauszulaufen. Wenn man allerdings die Seelenwanderung nicht streng buchstäblich nimmt, d. h., wenn jemand glaubte, die Seelen verblieben in dem nämlichen feinen Körper und wechselten nur den groben, so würde sie möglich sein, so daß man sogar, wie die Braminen und die Pythagoräer, einen Übergang der nämlichen Seele in einen Körper verschiedener Gattung annehmen könnte.« Van Helmont – gemeint ist Franz Mercurius, der Sohn des berühmten Paracelsisten Johann Baptist van Helmont, geb. 1618 in der Gegend von Brüssel, gest. 1699 zu Berlin -- hatte seine obige Ansicht ausführlich in seinen »Opuscula philosophica« (Lond. 1690), Buch I, Kap. 6, § 7, 8 und Kap. 7, § 4 entwickelt; er konnte derselben um so leichter huldigen, da er zwischen Leib und Seele keinen wesentlichen, sondern nur einen Unterschied des Grades anerkannte. – Die erwähnten Metaphysischen Betrachtungen sind ein kleines Buch von 72 Seiten, das ohne den Namen des Autors und ohne Angabe des Druckorts unter dem Titel »Méditations metaphysiques de l'origine de l'âme, sa nature, sa béatitude, son devoir, son désordre et sa restauration« zuerst 1683 in Amsterdam (nicht in Paris) erschien und 1686 ebendaselbst von neuem abgedruckt wurde. Verfasser desselben war René Fedé, geb. zu Châteaudun und damals Arzt zu Angers, ein eifriger Cartesianer, der 1673 Descartes' »Meditationes de prima philosophia« ins Französische übersetzt hatte. Man muß jedoch wissen, daß ich weit von dieser Ansicht entfernt bin, weil ich glaube, daß nicht bloß die Seele, sondern auch das Tier selbst fortbesteht. Sehr sorgfältige Beobachter der Natur haben schon jetzt bemerkt, daß man bezweifeln darf, ob je ein völlig neues Tier hervorgebracht wird und ob die lebenden Tiere wie auch die Pflanzen nicht schon im Kleinen vor der Empfängnis im Samen bestehen. Nimmt man diese Lehre an, so muß vernünftigerweise gefolgert werden, daß das, was nicht zu leben anfängt, auch nicht zu leben aufhört und daß der Tod wie die Erzeugung nur Umgestaltungen ein und desselben Tieres sind, das bald vergrößert, bald verkleinert wird. Was uns aber dabei noch weitere Wunder der göttlichen Kunstfertigkeit enthüllt, an die man nie gedacht hatte, ist der Umstand, daß die Maschinen der Natur, da sie bis in ihre kleinsten Teile Maschinen sind, wegen der ins Unendliche fortgehenden Einschachtelung einer kleinen Maschine in eine größere unzerstörbar sind. Man sieht sich also genötigt, gleichzeitig sowohl die Präexistenz der Seele wie des Tieres als auch die Fortdauer » La substance de l'animal comme de l'âme« steht im Erdmannschen Texte (S. 431) – der Zusammenhang läßt jedoch keinen Zweifel darüber, daß hier statt substance vielmehr subsistance gelesen werden muß. des Tieres wie der Seele anzunehmen.

Ohne dessen innezuwerden, bin ich zu einer Darlegung meiner Ansicht über die Bildung der Pflanzen und Tiere gekommen, da ja aus dem Gesagten erhellt, daß sie niemals ganz von neuem gebildet werden. Ich bin also ganz der Meinung des Herrn Cudworth (dessen vortreffliches Werk mir zum größten Teile im höchsten Grade zusagt), daß die mechanischen Gesetze allein da nicht zur Bildung eines Geschöpfes zureichen, wo es noch nichts Organisches gibt, und finde, daß er mit Recht das bekämpft, was einige Alte über diesen Gegenstand ausgesonnen haben und sogar Herr Descartes in seinem Menschen D. h. in seiner Abhandlung De l'homme, die zuerst mit der Abhandlung über die Bildung des Foetus 1664 zu Paris herauskam. Descartes machte in dieser Schrift zum ersten Male den Versuch, die physiologischen Vorgänge und Erscheinungen aus den Gesetzen der Chemie und der Mechanik zu erklären. vorgetragen hat, dessen Bildung ihm so wenig kostet, aber auch dem wirklichen Menschen herzlich wenig nahekommt. Ich kräftige diese Auffassung des Herrn Cudworth noch, indem ich zu bedenken gebe, daß der von einer göttlichen Weisheit zugerichtete Stoff allenthalben in hohem Grade organisiert sein muß und daß es daher in den Teilen der natürlichen Maschine Maschinen ohne Ende und so viel ineinander Eingeschachteltes gibt, daß nie ein organischer Körper hervorgebracht werden kann, der völlig neu und ohne jede Vorherbildung wäre, und ebensowenig ein schon bestehendes Geschöpf völlig zerstört werden kann. Daher habe ich nicht nötig, mit Herrn Cudworth zu gewissen unstofflichen plastischen Naturen zu greifen, obschon ich weiß, daß Julius Scaliger und andere Peripatetiker wie auch einige Anhänger der Helmontschen Lehre von den Archäen der Ansicht waren, daß die Seele sich ihren Körper selbst bilde. Ich kann davon sagen: Non mi bisogna, e non mi basta Ich brauche sie nicht, und sie genügen mir nicht. – eben auf Grund der Vorherbildung und eines ins Endlose fortgehenden Organismus, der mir stoffliche plastische Naturen bietet, die das leisten, was man verlangt, während die unstofflichen plastischen Naturen nicht bloß unnötig, sondern auch wenig geeignet sind, ihren Zweck zu erfüllen. Denn da die Tiere auf natürlichem Wege nie aus einer unorganischen Masse gebildet werden, so vermag der Mechanismus, obgleich er jene unendlich mannigfaltigen Organe nicht neu hervorbringen kann, sie doch recht wohl durch Entschachtelung und Umbildung aus einem schon vorher bestehenden organischen Wesen zu entwickeln. Indessen schwächen die, welche, seien es nun unstoffliche oder stoffliche, plastische Naturen annehmen, auf keine Weise den Beweis für das Dasein Gottes, der sich auf die Wunder der Natur stützt, die besonders im Bau der Tiere zutage treten, sobald nur die Verteidiger der unstofflichen plastischen Naturen eine besondere Leitung Gottes hinzunehmen und sofern die, welche mit mir eine stoffliche Ursache annehmen, indem sie sich mit dem plastischen Mechanismus begnügen, nicht bloß eine beständige Vorherbildung, sondern auch eine ursprüngliche göttliche Vorhereinrichtung voraussetzen. Zu welcher Partei man sich also auch schlagen mag, nie kann man des Daseins Gottes entraten, wenn man über jene Wunder Rechenschaft geben will, die man zu allen Zeiten bewundert hat, die aber nie besser hervorgetreten sind als in meinem Systeme.

Man ersieht daraus, daß im gewöhnlichen Laufe der Dinge nicht bloß die Seele, sondern auch das Tier immer fortbestehen muß. Aber die Naturgesetze sind mit so viel Ordnung und Weisheit aufgestellt und zur Anwendung gebracht, daß sie mehr als einem Zwecke dienen und daß Gott, der in bezug auf die Maschinen und die Werke der Natur die Stelle des Erfinders und Baumeisters vertritt, in bezug auf die mit Verstand begabten Substanzen, deren Seele ein nach seinem Bilde geschaffener Geist ist, die Stelle eines Königs und Vaters einnimmt. In bezug auf die Geister aber ist sein Reich, dessen Bürger jene sind, die vollkommenste Monarchie, die sich denken läßt, in der es keine Sünde ohne Strafe, keine gute Handlung ohne Belohnung gibt und in der alles auf den Ruhm des Herrschers und das Glück der Untertanen abzielt, da hier Güte und Gerechtigkeit zur schönsten Mischung verbunden sind, die sich nur wünschen läßt. Indessen wage ich in bezug auf die Präexistenz wie auf die Einzelheiten des künftigen Zustandes der menschlichen Seelen nichts Näheres zu bestimmen, denn Gott könnte sich in dieser Hinsicht außergewöhnlicher Wege im Reiche der Gnade bedienen; nichtsdestoweniger muß jedoch das vorgezogen werden, was mit der natürlichen Vernunft übereinstimmt, wofern nicht die Offenbarung uns das Gegenteil lehrt, was ich hier nicht entscheiden mag.

Bevor ich schließe, dürfte es vielleicht angebracht sein, noch unter den andern Vorzügen meines Systems den der Allgemeinheit der von mir angewandten Regeln hervorzuheben, die in meiner allgemeinen Philosophie immer ohne Ausnahme sind, während bei den übrigen Systemen ganz das Gegenteil stattfindet. So habe ich z. B. gesagt, daß bei den natürlichen Bewegungen nie die mechanischen Gesetze verletzt werden; daß immer die nämliche Richtung erhalten bleibt; daß sich in den Seelen alles vollzieht, als ob es keine Körper, und in den Körpern alles geschieht, als ob es keine Seelen gäbe; daß es keinen leeren Teil im Räume gibt; daß kein Teil des Stoffes besteht, der nicht tatsächlich geteilt wäre und nicht organische Körper enthielte; daß es allenthalben auch Seelen gibt, wie es allenthalben Körper gibt; daß die Seelen und die nämlichen Tiere immer fortbestehen; daß die organischen Körper nie ohne Seelen und die Seelen nie von jedem organischen Körper getrennt sind, obgleich es allerdings keinen Teil des Stoffes gibt, von dem man behaupten könnte, daß er immer mit derselben Seele verbunden sei. Ich nehme also nicht an, daß es auf natürliche Weise völlig für sich bestehende Seelen noch gänzlich von jedem Körper getrennte erschaffene Geister gebe, in welchem Punkte ich mit mehreren alten Kirchenvätern übereinstimme. Gott allein ist über allem Stoff, da er der Urheber desselben ist, die vom Stoff freien oder befreiten Geschöpfe aber würden gleichzeitig von der allgemeinen Verknüpfung der Dinge losgelöst und gleichsam Deserteure der allgemeinen Ordnung sein. Diese Allgemeinheit der Regeln wird noch durch eine große Leichtigkeit der Erklärung unterstützt, weil man infolge der Gleichförmigkeit, die meines Erachtens in der ganzen Natur beobachtet worden ist, überall sonst, zu jeder Zeit und an jedem Orte sagen könnte, bis auf die Abstufungen der Größe und der Vollkommenheit sei alles wie hier, und weil daher die entferntesten und verborgensten Dinge vollkommen durch die Analogie mit dem Sichtbaren und Nahen erklärt werden.


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