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IV. Antwort Fouchers an Leibniz, dessen Neues System über den Verkehr zwischen den Substanzen betreffend

Obgleich Ihr System mir nicht neu ist, mein Herr, und obgleich ich Ihnen meine Ansicht darüber zum Teil schon in Beantwortung eines Briefes mitgeteilt habe, den Sie mir vor mehr als zehn Jahren über diesen Gegenstand geschrieben hatten, so will ich Ihnen, da Sie mich von neuem dazu auffordern, nichtsdestoweniger hier nochmals sagen, was ich darüber denke.

Der erste Teil zielt nur darauf hin, in den Substanzen Einheiten nachzuweisen, die die Wirklichkeit dieser Substanzen begründen und, indem sie dieselben von andern unterscheiden, nach scholastischer Ausdrucksweise deren Individuation schaffen. Das ist der erste Punkt, den Sie in bezug auf den Stoff oder die Ausdehnung geltend machen. Ich bin nun darin mit Ihnen einverstanden, daß man berechtigt ist, Einheiten zu fordern, welche die Bildung und die Wirklichkeit der Ausdehnung bewirken. Denn ohne solche Einheiten ist, wie Sie sehr richtig bemerken, eine immerfort teilbare Ausdehnung nur eine chimärische Zusammensetzung, deren Anfänge gar nicht existieren, weil es ohne Einheiten in Wahrheit keine Menge gibt. Indessen wundert es mich, daß Sie diese Frage außer acht lassen, denn die wesentlichen Anfänge der Ausdehnung können nicht wirklich bestehen. Punkte ohne Teile kann es in der Tat nicht im Universum geben, und zwei miteinander verbundene Punkte bringen keine Ausdehnung hervor: eine Länge kann unmöglich ohne Breite, noch eine Oberfläche ohne Tiefe bestehen. Auch nützt es nichts, wenn man hier physische Punkte herbeiholt, weil diese Punkte ausgedehnt sind und alle die Schwierigkeiten enthalten, die man eben heben möchte. Doch ich will nicht weiter bei diesem Punkte verweilen, da wir uns darüber bereits in den Zeitschriftnummern von 16. März 1693 und 3. August desselben Jahres auseinandergesetzt haben. Beide zuerst im Journal des Savans veröffentlichten Briefe über die Frage der Teilbarkeit finden sich unter dem Titel »Extrait d'une lettre de Mr. Foucher, chanoine de Dijon, pour répondre à Mr. Leibniz sur quelques axiomes de philosophie und Réponse de Mr. Leibniz à l'extrait de la lettre de Mr. Foucher, chanoine de Dijon, insérée dans le journal du 16. mars« bei Erdmann S. 116-118.

Sie bringen nun andererseits eine andere Gattung von Einheiten herbei, die, genaugenommen, Zusammensetzungs- oder Beziehungseinheiten sind und die Vollkommenheit oder Vollendung eines Ganzen betreffen, das zu irgendwelchen Verrichtungen bestimmt ist, wenn es ein Organismus ist: so ist z. B. eine Uhr eins und ein Tier eins; und Sie glauben die natürlichen Einheiten der Tiere und Pflanzen in der Weise als substantielle Formen bezeichnen zu dürfen, daß die Einheiten deren Individuation bewirken, indem sie sie von jeder andern Zusammensetzung unterscheiden. Mir scheint, Sie haben recht, daß Sie den Tieren ein anderes Prinzip der Individuation geben als das denselben gewöhnlich zuerteilte, das nur in bezug auf äußere Akzidenzen ein solches ist. Tatsächlich muß dies Prinzip sowohl von seiten der Seele wie von Seiten des Körpers ein inneres sein: aber welche Einrichtung auch in den Organen des Tieres bestehen mag, so reicht dies doch nicht hin, um demselben das Vermögen der Empfindung zu verleihen, denn am Ende betrifft dies alles doch nur die organische und körperliche Zusammensetzung, und ich vermag nicht einzusehen, mit welchem Rechte Sie darauf ein empfindendes Prinzip bei den Tieren begründen, das substantiell von dem empfindenden Prinzipe beim Menschen verschieden sein soll. Allem zufolge anerkennen die Cartesianer nicht ohne Grund, daß man, wenn man ein zur Unterscheidung von Gut und Böse befähigendes empfindendes Prinzip bei den Tieren annimmt, folgerichtig auch Verstand, Unterscheidungsvermögen und Urteilskraft bei denselben annehmen muß. Erlauben Sie mir daher die Bemerkung, mein Herr, daß auch durch Ihre Aufstellung die Schwierigkeit keineswegs gelöst wird. Diesem Punkte der Foucherschen Kritik zufolge scheint es fast, als habe der Canonicus bei derselben weniger das Neue System als vielmehr vielleicht die zu Anfang seiner Abhandlung erwähnte, nicht weiter bekannte erste Mitteilung Leibnizens über dasselbe im Auge gehabt, denn Leibniz versucht im Neuen Systeme durchaus nicht, die Zustände der Seele (also auch der Tierseele) aus der Einrichtung des Körpers zu erklären, sondern behauptet ganz im Gegenteil, daß eine derartige Ableitung der Modifikationen der Seele aus den Modifikationen des Körpers unmöglich sei, da keine Einwirkung zwischen den beiden Substanzen bestehe. Damit wird aber der von Foucher an dieser Stelle erörterte Einwurf völlig haidos. Vgl. Leibnizens Entgegnung auf S. 35 f.

Gehen wir nun zu Ihrer Mitbegleitung über, die den zweiten und Hauptteil Ihres Systems bildet. Man kann Ihnen zugeben, daß Gott, der große Weltbaumeister, alle organischen Teile des menschlichen Körpers derart einzurichten vermag, daß sie alle die Bewegungen, welche die mit diesem Körper verbundene Seele im Laufe ihres Lebens hervorbringen will, zu erzeugen imstande sind, ohne daß die Seele die Macht hat, diese Bewegungen zu ändern oder in irgendeiner Weise zu modifizieren, und daß Gott andererseits in der Seele eine Einrichtung (mag dies nun eine Maschine neuer Art sein oder nicht) treffen kann, vermittelst welcher alle Gedanken und Veränderungen, welche jenen Bewegungen entsprechen, der Reihe nach in demselben Augenblicke entstehen, in welchem der Körper seine Funktionen verrichtet, und daß dies nicht unmöglicher ist, als zwei Uhren herzustellen, die so genau miteinander übereinstimmen und einen so gleichmäßigen Gang haben, daß in den Augenblicke, wo die Uhr A zwölf Uhr schlägt, dies auch von der Uhr B geschehen wird, so daß man meint, die beiden Uhren würden durch ein und dasselbe Gewicht oder ein und dieselbe Feder in Bewegung gesetzt. Aber welchen Zweck soll dies ganze große an den Substanzen vollzogene Kunststück haben, wenn nicht, den Glauben zu erwecken, daß die einen auf die andern einwirken, obgleich das nicht der Fall ist? In Wahrheit scheint mir dies System nicht eben vorteilhafter zu sein als das der Cartesianer, und wenn man dies letztere mit Recht verwirft, weil es zweckloserweise annimmt, daß Gott mit Rücksicht auf die Bewegungen, die er selbst in den Körpern hervorbringt, auch die Gedanken in der Seele hervorbringe, die jenen Bewegungen entsprechen, als ob es seiner nicht würdiger wäre, die Gedanken und Modifikationen in der Seele mit einem Schlage hervorzubringen, ohne daß es Körper gibt, die ihm gleichsam zur Richtschnur dienen und ihn sozusagen lehren, was er zu tun habe – wird man da nicht mit Grund die Frage an Sie richten dürfen, weshalb Gott sich nicht begnügt, entweder unmittelbar oder vermittelst einer künstlichen Vorrichtung, wie Sie meinen, alle Gedanken und Modifikationen der Seele hervorzubringen, ohne daß es unnütze Körper gebe, die der Geist weder in Bewegung setzen noch erkennen kann? und zwar so, daß, wenn auch keine Bewegung in diesen Körpern erfolgte, die Seele nichtsdestoweniger doch immer denken würde, daß dergleichen stattfänden, wie ja auch der Schlafende seine Glieder zu bewegen und zu gehen glaubt, wenn diese Glieder nichtsdestoweniger in Ruhe sind und sich durchaus nicht bewegen? Auf gleiche Weise könnten die Seelen auch im Wachen überzeugt bleiben, daß die Körper sich nach ihrem Willen bewegten, wenngleich diese unnützen und überflüssigen Massen in Untätigkeit verharrten und in eine beständige Erstarrung versenkt bleiben. Wahrhaftig, mein Herr, sieht man nicht, daß diese Ansichten ausdrücklich gemacht und diese hintennach kommenden Systeme nur fabriziert worden sind, um gewisse Prinzipien zu retten, für die man eine Voreingenommenheit hegt? Allerdings können die Cartesianer, da sie nichts Gemeinschaftliches zwischen den geistigen und den körperlichen Substanzen annehmen, keinen Aufschluß darüber geben, auf welche Weise die einen auf die andern einwirken, und müssen daher sagen, was sie sagen. Sie aber, mein Herr, könnten sich auf anderm Wege aus dieser Schwierigkeit heraushelfen, und es nimmt mich daher wunder, daß Sie sich mit den jenen entgegenstehenden Schwierigkeiten befassen. Denn wer begreift nicht, daß eine im Gleichgewicht und in Ruhe befindliche Waage sogleich eine Bewegung sehen läßt, wenn man eine der Schalen mit einem neuen Gewichte belastet, und daß das eine Gewicht das andere zum Steigen bringt, trotz des Strebens desselben, zu sinken. Sie wissen, daß die stofflichen Dinge der Kraftäußerung und der Bewegung fähig sind, und daraus folgt ganz natürlich, daß die größere Kraftäußerung die schwächere überwinden muß. Auf der andern Seite anerkennen Sie, daß auch die geistigen Wesen Kraftäußerungen machen können, und da es keine Kraftäußerung gibt, die nicht irgendwelchen Widerstand voraussetzt, so muß dieser Widerstand notwendigerweise entweder stärker oder aber schwächer sein: ist er stärker, so überwindet er jene Kraftäußerung, ist er schwächer, so gibt er derselben nach. Nun ist es aber nicht unmöglich, daß der Geist, wenn er sich anstrengt, den Körper zu bewegen, denselben mit einer Gegenkraft ausgerüstet findet, die ihm bald mehr, bald weniger Widerstand entgegensetzt, und das genügt, um zu bewirken, daß er davon leidet. In dieser Weise erklärt St. Augustinus mit gutem Bedacht die Einwirkung der Geister auf die Körper in seinen Büchern über die Musik.

Ich weiß, daß noch sehr viele Fragen zu tun sind, bevor man alle die gelöst hat, die von den ersten Prinzipien aus verhandelt werden können: So wahr ist es, daß man die Gesetze der Akademiker Gemeint sind mit dieser Bezeichnung die Mitglieder der von Arkesilaos (315-241 v. u. Z.) gegründeten sogenannten mittlern Akademie, in der sich im Gegensatze zum Dogmatismus der von Platon ausgehenden ältern und der von Philon gestifteten neuern Akademie die skeptische Richtung geltend machte. – Simon Foucher (geb. 1644 zu Dijon, gest. zu Paris 1696) stand zu dieser Schule in demselben Verhältnis wie Gassendi (s. Anm. 10) zu Epikur: Er war nicht nur durch seine beiden Werke »Histoire des Académiciens« (1690) und »Dissertation sur la recherche de la vérité, contenant l'histoire et les principes des Académiciens« (1693) der Geschichtschreiber derselben geworden, sondern hatte auch den Skeptizismus der Akademiker eingesogen und bemühte sich, denselben in der Philosophie zu erneuern. Von diesem Standpunkte aus bekämpfte er die Systeme Descartes' und Malebranches, wie hier die vorherbestimmte Harmonie Leibnizens, mit dem er in lebhaftem brieflichem Verkehre stand. beobachten muß, deren zweites die Dinge in Frage zu stellen verbietet, von denen klar und deutlich einzusehen ist, daß sie nicht zu lösen sind, was beinahe bei allen denen der Fall ist, die wir oben besprochen haben; nicht etwa, daß diese Fragen überhaupt unlöslich seien, sondern weil sie nur in einer bestimmten Ordnung löslich sind, welche erfordert, daß die Philosophen sich zuerst über das untrügliche Kennzeichen der Wahrheit einigen und sich den Beweisen von den ersten Prinzipien aus unterwerfen. Bis dahin aber mag man immer das, was man mit hinlänglicher Klarheit begreift, von den andern Punkten oder Gegenständen trennen, die noch Dunkelheiten in sich schließen.

Das ist alles, mein Herr, was ich heute über Ihr System sagen kann, ohne die übrigen schönen Dinge zu berühren, die Sie bei dieser Gelegenheit behandeln und die eine besondere Erörterung verdienen dürften.


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