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VIII. Bayles erste Kritik des Systems der vorherbestimmten Harmonie

Herr Leibniz tritt der Ansicht einiger neuern Philosophen bei, denen zufolge die Tiere im Samen organisiert sind, und glaubt überdies, daß der Stoff allein keine wahrhafte Einheit begründen könne und daß daher jedes Tier mit einer Form verbunden sei, die ein einfaches, unteilbares, wahrhaft einiges Ding ist. Außerdem nimmt er an, daß diese Form sich nie von ihrem Gegenstande trenne, woraus dann folgt, daß es genaugenommen weder Tod noch Zeugung in der Natur gibt. Von alledem nimmt er die menschliche Seele aus, er weist ihr eine besondere Stellung an usw. Diese Hypothese hebt einen Teil der Schwierigkeit. Die Widerlegung der niederschmetternden Einwürfe, die man den Scholastikern macht, ist bei dieser Hypothese nicht mehr fraglich. Die Seele der Tiere, hält man diesen entgegen, ist eine vom Körper verschiedene Substanz: sie muß also durch Schöpfung hervorgebracht und durch Zunichtemachung zerstört werden, und demnach müßte also die Wärme die Kraft haben, Seelen zu schaffen Junge Hühner werden zum Ausschlüpfen gebracht, indem man die Eier in einen Ofen legt und diesen allmählich anheizt. Es geschieht das in Ägypten. Bayle. und Seelen zu vernichten Man vermag mehrere Tiergattungen zu töten, indem man sie in einen etwas zu stark geheizten Ofen bringt. Bayle. – kann man aber etwas Widersinnigeres behaupten? Die Antworten der Peripatetiker auf diesen Einwurf verdienen gar nicht angeführt zu werden noch überhaupt aus der Verborgenheit der Schulstuben, wo man sie unerfahrenen Schülern vorträgt, ans Licht zu treten: Sie sind nur geeignet, darzutun, daß jener Einwurf von diesen Philosophen nicht widerlegt werden kann. Nicht besser ziehen sich dieselben aus der Verlegenheit, wenn man sie auffordert, in der beständigen Hervorbringung einer beinahe unendlichen Anzahl von Substanzen, die, obschon sie weit edler und weit vortrefflicher sind als der niemals sein Dasein einbüßende Stoff, doch schon wenige Tage später wieder vernichtet werden, nur einen Schatten von Sinn und Verstand nachzuweisen. Die Hypothese des Herrn Leibniz wehrt alle diese Streiche ab, denn sie führt uns zu dem Glauben,

1. daß Gott bei Anbeginn der Welt die Formen aller Körper und folglich auch die Seelen der Tiere geschaffen hat, und

2. daß diese Seelen seit jener Zeit immer fortbestehen, unzertrennlich mit dem ersten organisierten Körper verbunden, in dem Gott sie untergebracht hat. Das erspart uns die Seelenwanderung, zu der man sonst notwendigerweise seiner Zuflucht nehmen müßte.

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Indessen sind in der Hypothese des Herrn Leibniz gewisse Dinge enthalten, deren Verständnis Mühe macht, obschon sie die Größe und Kraft seines Genies bekunden. Er will z. B., daß die Seele eines Hundes unabhängig von den Körpern tätig sei, daß bei ihr alles aus ihrem eigenen Schatze entstehe, durch eine vollkommene Selbstbestimmung von ihrer Seite und doch in vollkommener Übereinstimmung mit den Außendingen, ... daß ihre Innern Vorstellungen ihr durch ihre eigene ursprüngliche Beschaffenheit, d. h. durch ihre vorstellende Natur (die fähig ist, die Außendinge in bezug auf ihre Organe darzustellen) zufließen, welche Natur ihr bei ihrer Beschaffung verliehen wurde, und die ihren individuellen Charakter ausmacht. Siehe Neues System über die Natur usw. § 14 (Nr. III, S. 51). Daraus folgt, daß dieselbe zu einer bestimmten Stunde Hunger und Durst empfinden würde, selbst wenn es gar keinen Körper im Weltall gäbe, selbst wenn nichts existierte als Gott und sie. Er hat diesen Gedanken durch das Beispiel zweier Uhren erläutert, die in ihrem Gange völlig miteinander übereinstimmen: D. h., er nimmt an, daß die Seele nach den besondern Gesetzen, welche ihr Tätigsein bewirken, zu einer bestimmten Stunde Hunger empfinden muß, und daß der mit dieser Seele verbundene Körper nach den besondern Gesetzen, welche die Bewegung des Stoffes regeln, zur gleichen Stunde so modifiziert sein muß, wie er modifiziert ist, wenn die Seele Hunger empfindet. Bevor ich diesem Systeme vor dem der Gelegenheitsursachen den Vorzug gebe, werde ich abwarten, bis sein gescheiter Begründer es vervollkommt haben wird. Ich kann nämlich nicht begreifen, wie die Verknüpfung innerer, freiwilliger Handlungen es zustande bringen sollte, daß die Seele eines Hundes, unmittelbar nachdem sie Freude empfunden hat, Schmerz empfände, selbst wenn sie ganz allein im Universum wäre. Ich begreife wohl, warum ein Hund unmittelbar von der Lust zum Schmerze übergeht, sobald man dem ausgehungerten, der eben ein Stück Brot verzehrt, einen Stockstreich versetzt – daß aber seine Seele derart eingerichtet sei, daß er in dem Augenblicke, wo er geschlagen wird, Schmerz empfinden würde, selbst wenn man ihn nicht schlüge, selbst wenn er ohne Störung und Behinderung an seinem Brote weiterfräße, das vermag ich durchaus nicht zu begreifen. Ich finde auch die Selbstbestimmung dieser Seele mit den Schmerzgefühlen und überhaupt allen Vorstellungen, die ihr mißbehagen, sehr wenig verträglich. Übrigens scheint mir der Grund, weshalb dieser vortreffliche Philosoph nicht dem Systeme der Cartesianer Nach dem damaligen Sprachgebrauche wurden die Okkasionalisten kurzweg Cartesianer genannt, weil ihr System auf dem des Cartesius basierte. beipflichtet, auf einer falschen Voraussetzung zu beruhen, denn man kann durchaus nicht behaupten, daß das System der Gelegenheitsursachen die göttliche Tätigkeit auf dem Wege des Wunders, als einen Deus ex machina, in die gegenseitige Abhängigkeit des Körpers und der Seele eingreifen lasse: denn da Gott nur den allgemeinen Gesetzen gemäß eingreift, so wirkt er hier durchaus nicht auf außergewöhnlichem Wege. Kennt die innere tätige Kraft, die nach Herrn Leibniz den Formen der Körper mitgeteilt worden ist, die Folge der Handlungen, welche sie hervorbringen soll? Durchaus nicht. Denn wir wissen aus Erfahrung, daß wir nicht wissen, ob wir binnen einer Stunde diese oder jene Vorstellung haben werden. Die Formen müßten also durch irgendein äußeres Prinzip bei der Hervorbringung ihrer Handlungen geleitet werden. Würde das aber nicht der Deus ex machina sein ganz wie im System der Gelegenheitsursachen? Endlich kann man, da Herr Leibniz mit vielem Rechte die Seelen für einfach und unteilbar hält, nicht begreifen, wie dieselben mit einer Uhr verglichen werden können, d. h., wie sie vermöge ihrer ursprünglichen Beschaffenheit ihre Verrichtungen auf mannigfache Art verändern können, indem sie sich der Selbsttätigkeit bedienen, die sie von ihrem Schöpfer empfangen haben. Man sieht klar und deutlich ein, daß ein einfaches Wesen immer gleichförmig handeln wird, wenn keine fremde Ursache es von seiner Bahn ablenkt. Wäre es aus mehreren Stücken zusammengesetzt wie eine Maschine, so würde es auf mannigfache Weise handeln, weil die besondere Tätigkeit jedes einzelnen Teils in jedem Augenblicke den Gang der Tätigkeit der andern Teile verändern könnte – aber worin soll man bei einer einfachen Substanz die Ursache für die Veränderung der Verrichtung suchen?


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