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VII. Dritte Erläuterung des Systems über den Verkehr zwischen den Substanzen. Auszug aus einem Briefe Leibnizens über seine philosophische Hypothese

Einige gelehrte und scharfsinnige Freunde, die meine neue Hypothese über die große Frage der Verbindung zwischen Seele und Körper in Erwägung gezogen und von Bedeutung gefunden haben, haben mich aufgefordert, einige Aufschlüsse bezüglich der Schwierigkeiten zu geben, die man dagegen erhoben hat und die daher kommen, daß man jene Hypothese nicht richtig verstanden hat. Ich glaube nun, die Sache allen Arten von Geistern durch den folgenden Vergleich verständlich machen zu können.

Man denke sich zwei Wand- oder Taschenuhren, die in ihrem Gange vollkommen miteinander übereinstimmen. Dies kann auf dreierlei Weise geschehen. Die erste Weise besteht in der wechselseitigen Einwirkung einer Uhr auf die andere; die zweite in der Sorgfalt eines Menschen, der darauf achtgibt; die dritte in der eigenen Genauigkeit der Uhren.

Die erste Weise, die der Einwirkung, ist durch den verstorbenen Herrn Huygens Der berühmte Mathematiker, Physiker und Astronom Christian Huygens van Zuylichem (geb. am 14. April 1629) war am 8. Juli 1695 im Haag gestorben. Sein Werk über die Bewegung der Pendeluhren »Horologium oscillatorium sive de motu pendulorum ad horologia aptato demonstrationes geometricae« erschien 1673 in Paris, wo der Verfasser sich damals aufhielt und Leibnizens Lehrer in der Mathematik wurde. Wie Leibniz an anderm Orte anführt (S. 93), war Huygens auch einer der ersten, die sich mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung befaßten – seine Abhandlung darüber »Tractatus de ratiociniis in aleae ludo« findet sich in den von Fr. von Schooten herausgegebenen »Exercitationes mathematicae (Lugduni Batav., 1657)«. Diese Erwähnung des Huygensschen Experimentes ist übrigens der einzige Zusatz, der die dritte Erläuterung von der zweiten unterscheidet. Einen Beweis für seine Hypothese liefert Leibniz auch hier nicht; vgl. Anm. 40. zu seinem großen Erstaunen durch die Erfahrung erprobt worden. Er hatte zwei große Pendeluhren an ein und demselben Stücke Holz befestigt, und die beständigen Schläge dieser Uhren hatten den Holzteilchen ähnliche Erschütterungen mitgeteilt. Da aber diese verschiedenen Erschütterungen sich nicht in ihrer Ordnung und ohne einander zu stören erhalten konnten, wenn die Uhren nicht gleichmäßig miteinander schlugen, so geschah es durch eine Art Wunder, daß diese letztern, selbst wenn man sie absichtlich in ihrem Gange störte, doch bald wieder zur Übereinstimmung zwischen ihren Schlägen zurückkehrten, ungefähr wie zwei Saiten, die im Einklang miteinander stehen.

Die zweite Weise, zwei wenn auch schlechte Uhren in Übereinstimmung zu erhalten, wird die sein, wenn man einen geschickten Arbeiter darauf achtgeben läßt, der sie dann immerfort miteinander in Übereinstimmung bringt. Diese Weise nenne ich den Weg der Beihilfe.

Die dritte Weise endlich besteht darin, daß man die beiden Uhren von vornherein mit so viel Kunst und Genauigkeit anfertigt, daß man ihres Übereinstimmens in der Folge sicher sein kann. Das ist der Weg der vorherbestimmten Übereinstimmung.

Nun setze man an Stelle dieser beiden Uhren den Körper und die Seele. Auch deren Übereinstimmung wird auf eine von diesen drei Weisen erfolgen. Der Weg der Einwirkung ist der der gewöhnlichen Philosophie; da man sich aber weder von stofflichen Teilchen noch von nichtstofflichen Eigenschaften oder Beschaffenheiten, die von einer dieser beiden Substanzen in die andere übergehen könnten, eine Vorstellung machen kann, so muß diese Ansicht aufgegeben werden. Der Weg der Beihilfe ist der des Systems der Gelegenheitsursachen; allein mich dünkt, das heißt den Deus ex machina bei einer natürlichen und gewöhnlichen Sache zu Hilfe rufen, bei der Gott vernünftigerweise nur in der Art eingreifen darf, in der er bei allen andern natürlichen Dingen mitwirkt. Also bleibt nur meine Hypothese, nämlich der Weg der vorherbestimmten Harmonie vermittelst eines vorgreifenden göttlichen Kunststücks, das gleich bei Anbeginn jede von diesen Substanzen so vollkommen gebildet und mit solcher Genauigkeit reguliert hat, daß sie, indem sie nur ihren eigenen Gesetzen folgt, die sie gleichzeitig mit ihrem Dasein empfangen hat, dennoch mit der andern zusammenstimmt, ganz als ob eine wechselseitige Einwirkung zwischen ihnen bestände oder als ob Gott neben seiner allgemeinen Mitwirkung auch immer noch im besondern Hand dabei anlegte.

Hiernach glaube ich nicht nötig zu haben, noch etwas Weiteres zu beweisen, man müßte denn den Beweis von mir fordern, daß Gott wirklich alles besitze, um sich dieses vorgreifenden Kunststücks bedienen zu können, von dem sich ja selbst bei den Menschen nach Maßgabe ihrer Geschicklichkeit Proben finden. Bei der Voraussetzung aber, daß er es kann, wird man einsehen, daß dieser Weg der schönste und seiner würdigste ist. Allerdings habe ich noch andere Beweise für meine Hypothese, allein dieselben sind abstrakterer Art, und es ist nicht nötig, sie hier anzuführen.


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