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XI. Entgegnung auf die in der zweiten Auflage des Bayleschen Wörterbuchs enthaltenen Bemerkungen über das System der vorherbestimmten Harmonie

Im Juni und Juli 1695 hatte ich in das Pariser Journal des Savans einige Abhandlungen über ein neues System einrücken lassen, die mir zur Erklärung der Verbindung zwischen Seele und Körper geeignet schienen und in denen ich statt des Weges der Einwirkung der Scholastiker und des Weges der Beihilfe der Cartesianer den Weg der vorherbestimmten Harmonie gebraucht hatte. Herr Bayle, der den abstraktesten Betrachtungen die Annehmlichkeit zu geben weiß, deren sie bedürfen, um den Leser zu fesseln, und ihnen zugleich auf den Grund geht, indem er sie in das richtige Licht setzt, hatte die Güte gehabt, dies System durch seine Bemerkungen im Artikel Rorarius seines Wörterbuchs zu bereichern; da er aber darin gleichzeitig Schwierigkeiten vorbrachte, hinsichtlich derer er einige Erläuterungen für notwendig erachtete, so suchte ich ihm in der Histoire des Ouvrages des Savans vom Juli 1698 in dieser Beziehung Genüge zu tun. Darauf hat nun Herr Bayle soeben in der zweiten Auflage seines Wörterbuchs im nämlichen Artikel Rorarius geantwortet. Er besitzt die Artigkeit, zu sagen, daß meine Erwiderungen den Gegenstand besser entwickelt haben und daß er, wenn die Möglichkeit der Hypothese der vorherbestimmten Harmonie gehörig dargetan wäre, keinen Anstand nehmen würde, dieselbe der Hypothese der Cartesianer vorzuziehen, da sie eine hohe Vorstellung von dem Urheber der Dinge gibt und (beim gewöhnlichen Laufe der Natur) jeden Gedanken an ein Verfahren auf dem Wege des Wunders ausschließt. Indessen scheint ihm noch schwer begreiflich, daß diese vorherbestimmte Harmonie möglich sei, und um dies darzutun, beginnt er mit etwas seiner Ansicht nach Leichterm, das man dessenungeachtet wenig ausführbar findet: er vergleicht nämlich meine Hypothese mit der Annahme, daß ein Schiff, ohne von jemand gelenkt zu werden, sich von selbst in den gewünschten Hafen begebe. Man wird zugeben, sagt er, daß die Unendlichkeit Gottes für die Mitteilung einer solchen Fähigkeit an ein Schiff nicht zu groß ist. Er spricht sich also nicht unbedingt für die Unmöglichkeit der Sache aus, meint aber, daß andere sie für unmöglich halten werden, denn, fügt er hinzu, man wird sogar behaupten, daß die dem Schiffe eigene Natur gar nicht imstande sei, diese Fähigkeit von Gott zu empfangen. Vielleicht meinte er, nach der in Rede stehenden Hypothese müsse angenommen werden, daß Gott dem Schiffe zu diesem Zwecke eine Fähigkeit im scholastischen Sinne verliehen habe, wie man eine solche in den Schulen den schweren Körpern beilegt, die dadurch dem Mittelpunkte zugeführt werden sollen. Die Scholastiker suchten die physikalischen Erscheinungen auf die einfachste Weise durch die Annahme besonderer, den Körpern anhaftender Fähigkeiten oder Vermögen zu erklären und legten daher dem Stoffe zur Erklärung des Phänomens der Schwere eine besondere Schwerkraft bei, vermöge deren die Körper fortwährend dem Mittelpunkte zustreben. Leibniz verwarf zwar diese Hypothese, konnte sich aber doch nicht zur Anerkennung der Newtonschen Gravitationstheorie entschließen (vgl. S. 54 oben), wie denn überhaupt der Begriff der in die Ferne wirkenden Kräfte zu allen Zeiten auf Zweifler gestoßen ist. Wir zitieren hier, beispielsweise eine Auslassung von Johann Georg Tralles (1763-1822), die zugleich die richtigen Grundsätze für die Beurteilung derartiger Hypothesen, und auch der Leibnizschen, enthält. »Ich glaube an keine Hypothese«, sagt Tralles, »wenn die Folgen sie nicht so unverwerflich machen, als die zusammengesetzten Erscheinungen der Bewegung himmlischer Körper die Kopernikanische. Ich bin weder Newtonianer noch Cartesianer, und wenn ich Newtons bewegende Kräfte der Planeten und Kometen Cartesius' Wirbeln vorziehe, so glaube ich deswegen noch nicht an Attraktion. Wer wird wohl ein noch so schön gemaltes und getroffenes Porträt für den, den es vorstellt, nehmen. Ich sage, die himmlischen Körper bewegen sich so, als wenn sie von einer Zentripetal- und Zentrifugalkraft (nach der Erklärung, welche die reine Mechanik von solchen Kräften gibt) bewegt würden. Aber deswegen ist es noch nicht notwendig so: denn wer schließt wohl vom Möglichsein aufs wirkliche Sein, vom Es kann so sein auf Also ist es so.« (Mitgeteilt von Wolf, Biographien zur Kulturgeschichte der Schweiz, 1. Zyklus, S. 338.) Ist das seine Meinung, so bin ich der erste, der die Annahme verwirft; meint er aber eine aus den Regeln der Mechanik und aus den innern Triebkräften wie aus den äußern Umständen erklärbare Fähigkeit des Schiffes und verwirft er dessenungeachtet meine Hypothese als unmöglich, so möchte ich doch, daß er Gründe für dies Urteil angeführt hätte. Denn obgleich ich der Möglichkeit eines Dinges, das diesem Schiffe gleicht, wie Herr Bayle sich dasselbe vorzustellen scheint, gar nicht bedarf, glaube ich doch, daß es bei gehöriger Erwägung der Sache, anstatt daß sich dabei eine Schwierigkeit für Gott ergeben sollte, vielmehr den Anschein hat, daß sogar ein endlicher Geist Geschick genug besitzen könnte, um dergleichen zustande zu bringen. Es leidet keinen Zweifel, daß ein Mensch eine Maschine herstellen könnte, die imstande wäre, sich eine Zeitlang durch eine Stadt umherzubewegen und genau um bestimmte Straßenecken zu biegen. Ein unvergleichlich vollkommenerer, wenn auch immer noch beschränkter Geist würde in gleicher Weise eine unvergleichlich größere Anzahl von Hindernissen vorhersehen und vermeiden können. Das ist so wahr, daß sicher, wenn diese Welt der Hypothese einiger Philosophen gemäß nur ein Gebilde aus einer endlichen Anzahl von Atomen wäre, die sich nach den Gesetzen der Mechanik bewegen, auch ein endlicher Geist erhaben genug sein könnte, um in überzeugender Weise alles zu begreifen und vorherzusehen, was in einem bestimmten Zeiträume darin vorgehen muß, so daß dieser Geist nicht bloß ein Schiff herstellen könnte, das dadurch, daß er ihm von vornherein den Gang, die Richtung und die Triebkräfte gibt, deren es dazu bedarf, imstande wäre, ganz allein einem bestimmten Hafen zuzusteuern, sondern daß er auch einen Körper bilden könnte, der fähig wäre, einen Menschen nachzuahmen. Denn es handelt sich hier nur um das Mehr und das Weniger, die im Gebiete der Möglichkeiten keine Veränderung bewirken: so groß auch die Menge der Verrichtungen einer Maschine sei, das Können und das Geschick des Herstellers können im Verhältnis dazu wachsen, so daß es die Stufenleiter der Dinge nicht hinlänglich beachten hieße, wenn man die Möglichkeit derselben nicht einsähe. Allerdings ist die Welt kein Gebilde aus einer endlichen Anzahl von Atomen, sondern eine Maschine, die in jedem ihrer Teile aus einer wahrhaft unendlichen Anzahl von Federn zusammengesetzt ist, aber dafür ist auch der, welcher sie gemacht hat und sie regiert, von einer noch unendlichem Vollkommenheit, da dieselbe sich auf eine unendliche Anzahl möglicher Welten erstreckt, von denen er die gewählt hat, die ihm gefiel. Um jedoch auf die endlichen Geister zurückzukommen, so kann man aus den kleinen Proben, welche sich zuweilen unter den Menschen finden, schließen, wie weit die zu gelangen vermögen, welche wir nicht kennen. So gibt es z. B. Menschen, die fähig sind, verwickelte arithmetische Rechnungen auf das schnellste rein im Kopfe auszuführen. Herr de Monconis gedenkt eines solchen Menschen, der sich zu seiner Zeit in Italien fand, und heute lebt ein solcher in Schweden, der nicht einmal die gewöhnliche Arithmetik gelernt hat, und ich wünschte, daß man nicht verabsäumte, ihn über sein Verfahren auszuforschen. Denn was ist der Mensch, so vortrefflich er auch sein mag, im Vergleiche zu so vielen möglichen und sogar seienden Geschöpfen, wie die Engel oder Genien, die uns in jeder Art von Fassungskraft und Folgerungsvermögen in unvergleichlich höherm Grade übertreffen können, als jene unvergleichlichen Besitzer einer natürlichen Arithmetik uns in betreff der Zahlen übertreffen? Ich räume ein, daß die Menge nicht auf diese Betrachtungen eingeht: man betäubt sie durch Einwürfe, bei denen an das gedacht werden muß, was nicht gewöhnlich oder auch was ohne Beispiel unter uns ist; denkt man aber an die Größe und die Mannigfaltigkeit des Weltalls, so urteilt man ganz anders darüber. Herr Bayle besonders kann nicht verfehlen, die Richtigkeit dieser Folgerungen einzusehen. Allerdings hängt meine Hypothese gar nicht davon ab, wie ich sogleich zeigen werde, aber wenn sie auch davon abhinge und wenn man auch mit Recht sagte, sie wäre überraschender als die der Automaten (von der sie jedoch nur die guten Seiten und das, was wohlbegründet ist, weiterverfolgt, wie ich unten zeigen werde), so würde ich mir doch darüber keine Sorge machen, wenn es nur kein ander Mittel gibt, die Dinge in Übereinstimmung mit den Naturgesetzen zu erklären. Denn man darf sich bei vielen Dingen durchaus nicht zum Schaden der unzweifelhaften Folgerungen nach den im Volke verbreiteten Begriffen richten. Überdies wurzelt der Einwurf, den ein Philosoph gegen die Automaten vorzubringen hat, nicht im Staunenswerten dieser Hypothese, sondern in dem Verstoß gegen die Prinzipien, da es überall Entelechien geben muß, und es heißt eine geringe Vorstellung vom Urheber der Natur haben, der deren kleine Welten oder tätige unteilbare Spiegel soviel als möglich vervielfältigt, wenn man solche nur den menschlichen Körpern beilegt. Es ist sogar unmöglich, daß es nicht überall Entelechien gebe. Leibniz befindet sich in einer unantastbaren Stellung, wenn er auf Grund der göttlichen Allmacht die Möglichkeit der vorherbestimmten Harmonie behauptet, vergebens aber bemüht er sich, die Sache begreiflich und wahrscheinlich zu machen. Namentlich ist die Vergleichung des Universums mit einer Maschine, »die in jedem ihrer Teile aus einer wahrhaft unendlichen Anzahl von Federn zusammengesetzt ist«, nach seiner Hypothese gar nicht zutreffend. Denn da keine von diesen Federn auch nur die geringste Einwirkung auf die andern äußert, sondern jede geradezu in die Luft arbeitet, so kann das Ganze nicht für eine Maschine, sondern muß vielmehr als eine »wahrhaft unendliche Anzahl« von Maschinen angesehen werden, die dabei jedoch mit größter Genauigkeit einander angepaßt und in Übereinstimmung gebracht sind, als ob sie in Wirklichkeit beeinflussend ineinandergriffen. Durch dies zwecklose Ineinandergreifen der Tätigkeit der Körper und Seelen gewinnt aber das Universum den Anstrich, als sei es die Ausgeburt einer tollen Laune, ungefähr in der Weise, als ob jemand eine Spinnmaschine, etwa einen Selfaktor, anfertigte, die vollständig ihren Zweck erfüllte, bei der aber jede einzelne Spindel, jede einzelne Walze, jedes einzelne Rad usw. durch eine besondere Kraft getrieben würde, die völlig unabhängig wäre von der treibenden Kraft jeder andern Spindel, Walze usw. Ohne Zweifel und mit Recht würde man den Erbauer einer derartigen Maschine für einen ausgemachten Narren ansehen, wenn nicht gar als unzurechnungsfähigen Verschwender unter Kuratel stellen. In gleicher Weise gibt auch die vorherbestimmte Harmonie anstatt einer hohen eine sehr törichte Vorstellung von dem allweisen Schöpfer des Weltalls. Zudem erscheint die ganze Hypothese durchaus unbegreiflich, wenn man erwägt, daß im Falle des Auseinandergehens jenes Selfaktors (um das einmal gewählte Beispiel beizubehalten) jede Walze, Spindel, Rolle usw. ohne oder mit Intervall währenddessen sie dann auf eigene Faust weiterdrehen müßte – in eine vielleicht toto genere verschiedene Maschine übergehen und sich selbsttätig der vielleicht ihrer ersten gerade entgegengesetzten Art von Bewegung anpassen soll, und dies in alle Ewigkeit fort. Denn da die stofflichen Substanzen infolge der Ernährung und Ausscheidung nach und nach in tausend verschiedene organische Körper gelangen können und gelangen, so muß die Körpermonade sich nacheinander der Tätigkeit ebenso vieler verschiedener Seelenmonaden anpassen – wie dies aber unabhängiger- und selbsttätigerweise vor sich gehen sollte, übersteigt jedes menschliche Begriffsvermögen.

Bis jetzt haben wir nur von dem gesprochen, was eine beschränkte Substanz vermag, in bezug auf Gott ist jedoch die Sache eine völlig andere, und anstatt daß das, was zunächst unmöglich schien, dies in der Tat sei, muß vielmehr gesagt werden, es sei unmöglich, daß Gott anders verfahre, da er, wie er ist, unendlich mächtig und weise ist und bei allem die Ordnung und die Harmonie beobachtet, soweit es möglich ist. Aber noch mehr: was so befremdend erscheint, wenn man es abgesondert betrachtet, ist eine unzweifelhafte Folge der Beschaffenheit der Dinge, so daß das allumfassende Wunder die besondern Wunder sozusagen beseitigt und absorbiert, da es Rechenschaft darüber gibt. Denn alles ist so geregelt und verknüpft, daß jene nie versagenden natürlichen Maschinen, die man mit Schiffen vergleicht, welche trotz der Umwege und Stürme von selbst in den Hafen gelangen würden, nicht befremdender erscheinen können als eine Rakete, die an einer Schnur entlangläuft, oder eine Flüssigkeit, die sich in einer Röhre bewegt. Da ferner die Körper nicht Atome, sondern ins Unendliche teilbar und sogar wirklich geteilt sind Diese zu Ende geführte Teilung eines ins Unendliche Teilbaren ist ein handgreiflicher Widerspruch: die Teilbarkeit der Körper ist eben deshalb eine unendliche, weil die Teilung nie zu Ende geführt werden kann, da jeder Teil wieder ein Körper und mithin von neuem teilbar ist. Vgl. Anm. 133. und alles damit angefüllt ist, so erhellt, daß der geringfügigste kleine Körper von der geringsten Veränderung aller übrigen, so entfernt und so klein dieselben auch sein mögen, einen Eindruck empfängt und daher ein genauer Spiegel des Universums sein muß, was zur Folge hat, daß ein hinlänglich scharfblickender Geist nach Maßgabe seines Scharfblicks in jedem Körperchen sehen und vorhersehen könnte, was in und außer diesem Körperchen vorgeht und vorgehen wird. Demzufolge tritt nichts ein, nicht einmal durch den Anprall der umgebenden Körper, das nicht aus dem folgt, was bereits in dem Körperchen liegt, und das die Ordnung stören könnte. Noch unzweideutiger ist das bei den einfachen Substanzen oder den tätigen Prinzipien selbst, die ich mit Aristoteles ursprüngliche Entelechien Entelechie (von ἐντελής vollkommen und ἔϰειν haben) nannte Aristoteles die Seele als das Prinzip des Lebens und der Empfindung des Körpers. Leibniz bezeichnet mit diesem Worte seine Monaden. nenne und die mir zufolge nichts stören kann. Ich sage dies zur Beantwortung einer Randnote des Herrn Bayle, in der er mir einwirft, daß, da ein organischer Körper »aus mehreren Substanzen zusammengesetzt ist, von der jede ein Prinzip der Tätigkeit besitzt, das in Wirklichkeit von dem Tätigkeitsprinzipe jeder einzelnen andern verschieden ist, und da ferner die Tätigkeit jedes Prinzips eine selbstbestimmte ist, dies die Wirkungen ins Unendliche vermannigfachen und überdies der Anprall der umgebenden Körper der natürlichen Selbstbestimmung jedes einzelnen einigen Zwang antun muß«. Man muß jedoch beachten, daß zu jeder Zeit das eine schon jedem andern angepaßt ist und sich zu dem bestimmt, was das andere von ihm fordern wird. Es besteht daher bei den Substanzen nur im Äußern und dem Anscheine nach ein Zwang. Dies ist so wahr, daß die Bewegung irgendeines beliebig in der Welt angenommenen Punktes sich in einer Linie von bestimmter Beschaffenheit vollzieht, die dieser Punkt ein für allemal eingeschlagen hat und von der abzuweichen ihn nie etwas veranlassen wird. Das ist das Genaueste und Klarste, was ich für geometrische Geister sagen zu können glaube, obgleich diese Art Linien unendlich über diejenigen hinausgehen, welche ein endlicher Geist begreifen kann. Allerdings würde diese Linie eine Gerade sein, wenn jener Punkt allein in der Welt sein könnte, während sie jetzt vermöge der Gesetze der Mechanik ein Erzeugnis der Mitwirkung aller Körper ist: gerade durch diese Mitwirkung ist sie aber vorherbestimmt. Daher räume ich auch ein, daß die Selbstbestimmung nicht eigentlich in der Masse befindlich ist (man müßte denn das gesamte Universum darunter verstehen, in welchem Falle jener Ausdruck durchaus statthaft ist), denn wenn jener Punkt anfangen könnte, allein zu sein, so würde er seine Bewegung nicht in der vorherbestimmten Linie, sondern in der geraden Tangente fortsetzen. Die Selbstbestimmung befindet sich daher eigentlich in der Entelechie (deren Gesichtspunkt jener Punkt ist), und während der Punkt von selbst nur die Richtung der Bewegung in der geraden Tangente haben kann, weil er sozusagen weder Erinnerung noch Vorgefühl besitzt, drückt die Entelechie die vorherbestimmte Kurve selbst aus, so daß in diesem Sinne in bezug auf sie nichts durch Zwang herbeigeführt ist. Daraus erhellt, wie alle die Wunder des Schiffes, das sich von selbst in den Hafen lenkt, oder der Maschine, die die Verrichtungen des von Verstand entblößten Menschen ausführt, oder wer weiß wie vieler anderer Fiktionen, die man mir noch einwerfen könnte und die meine Annahme unglaublich machen, wenn man sie für sich betrachtet, aufhören, Schwierigkeiten zu bereiten, und wie alles, was man befremdend gefunden hatte, sich völlig verliert, sobald man erwägt, daß die Dinge zu dem bestimmt sind, was sie tun sollen. Es ist dies eine der wenigen Stellen, in denen Leibniz sich unumwunden zum Determinismus bekennt. Bei der körperlichen Masse, räumt er ein, besteht gar keine Selbstbestimmung, und in der Entelechie ist sie eben nur in dem Sinne vorhanden, daß diese sich in völliger Unabhängigkeit von den Außendingen, aber in völliger Abhängigkeit von dem ihr bei ihrer Erschaffung auferlegten umfassenden Gesetze bestimmt. Alles, was der Ehrgeiz oder eine andere Leidenschaft die Seele Cäsars tun läßt, ist auch in ihrem Körper dargestellt: Alle Bewegungen dieser Leidenschaften rühren von den Einwirkungen der Gegenstände in Verbindung mit den innern Bewegungen her, und der Körper ist derart gebildet, daß die Seele nie einen Entschluß faßt, mit dem nicht die Bewegungen des Körpers übereinstimmten, da selbst die abstraktesten Schlußreihen vermittelst der Zeichen, durch welche sie der Einbildungskraft vorgestellt werden, dabei ihren Spielraum finden. Kurzum, hinsichtlich der Einzelheiten der Erscheinungen vollzieht sich im Körper, alles, als ob die schlimme Lehre derer, welche nach Epikur und Hobbes die Seele für stofflich ansehen, der Wahrheit gemäß wäre oder als ob der Mensch selbst nur Körper oder Automat wäre. Daher haben jene auch das, was die Cartesianer bezüglich aller andern Tiere zugestehen, bis auf den Menschen ausgedehnt, indem sie tatsächlich zeigten, daß nichts vom Menschen mit seiner ganzen Vernunft vollführt wird, die im Körper nur ein Beispiel von Bildern, Leidenschaften und Bewegungen sei. Indem man das Gegenteil beweisen wollte, hat man sich bloßgestellt, und dadurch, daß man sich mit dieser schiefen Ansicht in einen Streit einließ, nur dem Irrtume Gelegenheit zu einem Triumphe geboten. Die Cartesianer haben, ungefähr wie Epikur mit seiner Abweichung der Atome, über die sich Cicero so weidlich lustig macht Auf diese Abweichung der Atome bei Epikur kommt Leibniz noch ausführlicher in der Theodizee B. § 320, 321 zurück., wenig Glück gehabt, als sie behaupteten, die Seele könne zwar dem Körper keine Bewegung verleihen, sie ändere jedoch die Richtung derselben: Weder das eine noch das andere kann und soll geschehen, und die Materialisten brauchen sich gar nicht auf diesen Umstand zu berufen, denn nichts von dem, was äußerlich am Menschen zum Vorschein kommt, ist imstande, ihre Lehre zu widerlegen – und das genügt, um einen Teil meiner Hypothese zu begründen. Diejenigen, welche den Cartesianern zeigen, daß ihr Beweisverfahren dafür, daß die Tiere nur Automaten sind, auch sogar den rechtfertigt, der behaupten würde, alle Menschen außer ihm seien ebenfalls einfache Automaten, haben genau und zutreffend das entwickelt, was ich für diese Hälfte meiner Hypothese, die den Körper betrifft, brauche. Dieser Beweis würde nur dann für die vorherbestimmte Harmonie von Belang sein, wenn der Philosoph gleichzeitig gezeigt hätte, daß sich die Tätigkeit der Körper nicht bloß nicht aus der Hypothese der Okkasionalisten, sondern überhaupt aus keiner andern Hypothese als der seinen erklären lasse. Diesen Nachweis aber bleibt er schuldig. Aber von den Prinzipien abgesehen, welche die Monaden außer Zweifel stellen, von denen die zusammengesetzten Dinge nur die Resultate sind Die Bildung der Körperwelt ist einer der dunkelsten Punkte der ganzen Lehre von den Monaden. Die Monaden sind durchaus unkörperlich und unräumlich ? aus ihrer Zusammensetzung kann sich also nie ein körperliches Ding ergeben, so wenig wie aus der Aneinanderreihung von Nullen je eine Zahl oder aus der Anhäufung von Nichtsen je ein Etwas entstehen kann. Konsequenterweise hätte also Leibniz die Realität des Stoffes überhaupt leugnen müssen., widerlegt auch die innere Erfahrung die Lehre Epikurs: das Bewußtsein, das in uns vom Ich lebt, gewahrt die Dinge, die im Körper vorgehen, und da die Wahrnehmung nicht aus den Gestalten und Bewegungen erklärt werden kann, so begründet sie die andere Hälfte meiner Hypothese und nötigt uns, eine unteilbare Substanz in uns anzunehmen, die selbst die Quelle ihrer Erscheinungen sein muß. Von diesem Schlusse gilt dasselbe, was in Anm. 68 bezüglich der Tragweite des Beweises für die vorherbestimmte Harmonie aus der Tätigkeit der Körper bemerkt worden ist. Demgemäß geschieht diesem zweiten Teile meiner Hypothese zufolge alles in der Seele gerade so, wie wenn es keinen Körper gäbe, ganz wie nach dem ersten Teile derselben im Körper alles so geschieht, als ob es keine Seele gäbe. Überdem habe ich oft gezeigt, daß bei den Körpern selbst, obgleich das einzelne der Erscheinungen mechanische Gründe hat, die letzte Analyse der mechanischen Gesetze und die Natur der Substanzen uns schließlich nötigt, die tätigen unteilbaren Prinzipien zu Hilfe zu nehmen, und wie die bewunderungswürdige Ordnung, die sich darin findet, uns dartut, daß es ein allumfassendes Prinzip gibt, dessen Einsicht wie Macht vollkommen und unübertrefflich ist. Und da aus dem, was die falsche und gottlose Lehre Epikurs Gutes und Begründetes enthält, hervorgeht, daß es nicht nötig ist, zu behaupten, daß die Seele die Richtung der Bewegungen ändere, welche im Körper sind, so ist leicht zu schließen, daß es ebensowenig nötig ist, daß die stoffliche Masse vermittelst der Einwirkung unbekannter chimärischer Eigenschaften der Seele Gedanken zusende, noch daß Gott beständig der Dolmetscher des Körpers bei der Seele sei, so wenig wie er den Willen der Seele dem Körper zu verdolmetschen braucht, da die vorherbestimmte Harmonie ein guter Mittelsmann für beide Teile ist. Daraus erhellt, daß das Gute an den Hypothesen Epikurs und Platons, des größten Materialisten und des größten Idealisten, hier vereinigt ist und daß sich in meiner Hypothese nichts Überraschendes mehr findet als bloß die alles überragende Vollkommenheit des höchsten Prinzips, die nun an seinem Werke über alles hinaus, was man bis jetzt davon glaubte, nachgewiesen worden ist. Welch Wunder also, daß alles sich gehörig und mit Genauigkeit vollzieht, da alle Dinge verbunden sind und sich bei der Hand führen, sobald man voraussetzt, daß alles vollkommen gut erdacht sei? Es würde vielmehr das größte Wunder oder die befremdlichste Widersinnigkeit sein, wenn dies zur richtigen Fahrt bestimmte Schiff, diese Maschine, der ihr Weg von jeher vorgezeichnet worden ist, trotz der von Gott getroffenen Maßregeln versagen könnte. Daher darf auch meine Hypothese in bezug auf die körperliche Masse nicht mit einem Schiffe, das sich selbst zum Hafen lenkt, sondern sie muß mit jenen Fährbooten verglichen werden, die, an einem Seile befestigt, quer den Strom durchschneiden. Es ist hier wie bei den Theatermaschinen und den Feuerwerken, deren treffende Genauigkeit man nicht mehr befremdlich findet, sobald man weiß, wie alles geleitet wird. Allerdings überträgt man dann die Bewunderung für das Werk auf den Erfinder, geradeso wie wenn man jetzt einsieht, daß die Planeten nicht der Leitung durch geistige Wesen bedürfen.

Bis jetzt haben wir fast nur Einwürfe besprochen, die sich auf den Körper oder den Stoff beziehen, und es ist dabei keine andere Schwierigkeit beigebracht worden als die des Wunderhaften (aber schönen, geregelten und allumfassenden Wunderhaften), das sich bei den Körpern finden muß, damit sie unter sich und mit den Seelen übereinstimmen; das muß aber meines Erachtens bei Personen, die, um mit Herrn Bayle zu reden, über »das Vermögen und die Geschicklichkeit der göttlichen Kunst« ein richtiges Urteil haben, eher für einen Beweis als für einen Einwurf gelten, und Herr Bayle räumt auch ein, daß »sich nichts ersinnen läßt, was eine höhere Vorstellung von der Einsicht und der Macht des Urhebers aller Dinge gäbe«. Jetzt nun kommen wir zur Seele, hinsichtlich derer Herr Bayle noch andere Schwierigkeiten findet, nachdem ich die ersten gelöst habe. Er beginnt damit, daß er diese Seele, an sich und abgesondert genommen, ohne daß sie etwas von außen empfängt, mit einem Atome Epikurs vergleicht, das vom leeren Raume umgeben ist, und in der Tat betrachte ich die Seelen oder vielmehr die Monaden als substantielle Atome, weil es meines Erachtens keine stofflichen Atome in der Natur gibt, da das kleinste Stückchen des Stoffs immer noch Teile hat. Da nun ein Atom, wie Epikur es sich dachte, eine bewegende Kraft besitzt, die ihm eine gewisse Richtung gibt, so wird es diese Kraft unbehindert und gleichmäßig ausüben, sofern es nicht einem andern Atome begegnet. Hat nun die Seele, gesetzt daß sie sich in diesem Zustande befinde, wo nichts Äußeres sie beeinflußt, zu Anfang eine Empfindung der Lust empfangen, so scheint es, nach Herrn Bayle, daß sie gleicherweise immer an dieser Empfindung festhalten müsse; denn wenn die Gesamtursache bleibt, so muß auch immer die Wirkung bleiben. Auf meinen Einwand, daß die Seele als in einem Zustande der Veränderung befindlich betrachtet werden muß, erwidert Herr Bayle, daß diese Veränderung der Veränderung eines Atoms ähnlich sein muß, das sich beständig und mit gleichmäßiger Geschwindigkeit in derselben (geraden) Richtung bewegt. Und wenn er, sagt er, auch die Umwandlung der Gedanken zugäbe, so müßte wenigstens der Übergang, den ich von einem Gedanken zum andern annehme, einen auf der Verwandtschaft beruhenden Grund enthalten. Ich stimme den Grundlagen dieses Einwurfs bei und gebrauche sie meinerseits, um mein System zu erläutern. Der Zustand der Seele wie des Atoms ist ein Zustand der Veränderung, ein Streben: das Atom strebt nach Ortsveränderung, die Seele nach Gedankenveränderung, beide wechseln von selbst in der einfachsten und gleichmäßigsten Weise, die ihr Zustand erlaubt. Woher kommt es also, fragt man nun, daß in der Veränderung des Atoms so viel Einfachheit, in den Veränderungen der Seele aber so viel Mannigfaltigkeit herrscht? Daher, daß das Atom (so wie man sich dasselbe denkt, obschon es nichts Derartiges in der Natur gibt), wenngleich es Teile hat, doch nichts besitzt, was Mannigfaltigkeit in seinem Streben verursacht, da man annimmt, daß diese Teile nie ihre Beziehungen zueinander ändern; während die Seele, so unteilbar sie ist, ein zusammengesetztes Streben enthält, d. h. eine Menge von gegenwärtigen Gedanken, von denen jeder seinem Inhalte gemäß nach einer Sonderveränderung strebt und die sich gleichzeitig in der Seele befinden vermöge der wesentlichen Beziehung derselben zu allen andern Dingen der Welt. Auch ist es gerade der Mangel dieser Beziehung, der die Atome Epikurs von der Natur ausschließt. Denn es besteht kein individuelles Ding, das nicht alle übrigen ausdrücken soll, so daß die Seele im Hinblick auf die Mannigfaltigkeit ihrer Veränderungen mit dem Universum, das sie ihrem Gesichtspunkte gemäß vorstellt, und gewissermaßen sogar mit Gott, dessen Unendlichkeit sie wegen ihrer verworrenen und unvollkommenen Vorstellung des Unendlichen in endlicher Weise vorstellt, weit eher verglichen werden muß als mit einem stofflichen Atom. Auch ist der Grund für die Veränderung der Gedanken in der Seele der nämliche wie für die Veränderung der Dinge im Universum, das die Seele vorstellt. Denn die mechanischen Gründe, die in den Körpern auseinander gebreitet sind, sind in den Seelen oder Entelechien zusammengezogen und sozusagen konzentriert und haben sogar ihre Quelle darin. Allerdings sind nicht alle Entelechien Abbilder Gottes wie unsere Seele, da nicht alle geschaffen sind, um Glieder einer Genossenschaft oder eines Staates zu werden, dessen Oberhaupt er ist ? aber sie sind immer Abbilder des Universums. Es sind Welten im verkleinerten Maßstabe, nach ihrer Weise, reichhaltige Einfachheiten, Einheiten von Substanzen, die jedoch infolge der Menge ihrer Veränderungen dem Vermögen nach unendlich sind, Mittelpunkte, die eine unendliche Peripherie abspiegeln. Und sie müssen es notwendigerweise sein, wie ich früher in Briefen auseinandergesetzt habe, die ich mit Herrn Arnauld wechselte. An ihrer Dauer darf niemand Anstoß nehmen, so wenig wie an der Dauer der Atome der Gassendisten. Überdies ist, wie Sokrates im Phädon Platons anläßlich eines Menschen bemerkt, der sich kratzt, oft von der Lust zum Schmerze nur ein Schritt: extrema gaudii luctus occupat. Die höchste Stufe der Lust hält das Leid besetzt. Demgemäß darf man sich nicht über jenen Übergang wundern; es scheint bisweilen, daß das Vergnügen nur eine Zusammensetzung von kleinen Vorstellungen ist, von denen jede ein Schmerz sein würde, wenn sie groß wäre. Dieser ganze Abschnitt besagt nichts weiter als: die Entelechien sind Spiegel oder Abbilder des Universums, und daher muß sich jede Veränderung in diesem in ihnen vorgestellt finden, vermöge der zusammengesetzten Kraft, die sie vom Schöpfer empfangen haben. Eine wirkliche Erklärung des plötzlichen Übergangs von einer Vorstellung zu einer andern gibt Leibniz also auch hier nicht, vielmehr bleibt es nach wie vor unbegreiflich, wie die Seele Cäsars sich plötzlich zu einer Schmerzvorstellung zu bestimmen vermag, wenn der Körper von einer Nadel gestochen wird. Daß das Gesetz der Stetigkeit, wonach überhaupt nie ein plötzlicher Übergang stattfindet, hier keine Anwendung hat, gibt der Philosoph selbst zu, indem er sagt: » Oft« (also nicht immer, und darin liegt eben die Schwierigkeit!) »ist von der Lust zum Schmerze nur ein Schritt.« Vgl. Anm. 73.

Herr Bayle anerkennt bereits, daß ich auf einen guten Teil seiner Einwürfe zu antworten versucht habe; er berücksichtigt auch, daß im Systeme der Gelegenheitsursachen Gott der Vollstrecker seiner eigenen Gesetze sein muß, während es nach dem meinen die Seele ist, aber er wendet ein, daß die Seele keine Werkzeuge zu einer derartigen Vollstreckung habe. Ich antworte und habe geantwortet, daß sie deren hat: es sind das ihre gegenwärtigen Gedanken, aus denen die folgenden entstehen, und man darf sagen, daß in ihr wie überall die Gegenwart mit der Zukunft schwanger geht.

Ich glaube, Herr Bayle und alle Philosophen mit ihm werden zugeben, daß unsere Gedanken niemals einfach sind und daß die Seele in bezug auf gewisse Gedanken die Macht hat, von selbst von dem einen zum andern überzugehen, wie wenn sie z. B. von den Prämissen zum Schlüsse oder vom Zwecke zu den Mitteln übergeht. Selbst der ehrwürdige Pater Malebranche räumt ein, daß die Seele innere freiwillige Kraftäußerungen hat. Welcher Grund ist nun vorhanden, welcher hinderte, daß dies bei allen Gedanken statthabe? Vielleicht glaubte man, die verworrenen Gedanken seien toto genere Der Art nach. von den deutlichen verschieden, während sie doch nur weniger unterschieden und wegen ihrer Vielfältigkeit weniger entwickelt sind. Das hat zur Folge gehabt, daß man dem Körper gewisse Bewegungen zuschrieb, die man mit Recht unwillkürliche nennt und von denen man glaubte, daß es nichts ihnen Entsprechendes in der Seele gäbe, wie man umgekehrt glaubte, daß gewisse abstrakte Gedanken nicht im Körper vorgestellt werden. Beide Annahmen sind falsch, wie das gewöhnlich bei dieser Art von Unterscheidungen der Fall ist, da man immer nur das beachtet, was am meisten in die Augen fällt. Die abstraktesten Gedanken bedürfen immer irgendeiner Vorstellung, und wenn man erwägt, was die verworrenen Gedanken sind, die nie verfehlen, die deutlichsten Vorstellungen, die wir nur haben können, zu begleiten, so erkennt man, daß dieselben immer das Unendliche, und nicht nur das, was in unserm Körper vorgeht, sondern vermittelst seiner auch das, was anderswo geschieht, umschließen und demgemäß für unsern Zweck weit dienlicher sind als jene Legion von Substanzen, von der Herr Bayle als von einem Instrumente spricht, das anscheinend für die von mir der Seele beigelegten Verrichtungen unentbehrlich ist. Allerdings hat die Seele diese Legionen zu ihrem Dienste, aber nicht in ihrem eigenen Innern. Jene Tabulatur, die ihre Aufgabe ausmacht, bildet sich also aus den gegenwärtigen Vorstellungen mit dem geregelten Streben zur Veränderung. Aber, sagt Herr Bayle, müßte sie nicht die Folge der Noten (deutlich) kennen und (auf diese Weise) tatsächlich daran denken? Nein, sage ich: es reicht hin, daß sie dieselben in ihre verworrenen Gedanken eingeschlossen besitzt – andernfalls würde jede Entelechie Gott sein. Denn Gott drückt gleichzeitig deutlich und vollkommen Mögliches und Seiendes, Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges aus: er ist die umfassende Quelle von allem, und die geschaffenen Monaden ahmen ihn nach, soweit eben Geschöpfe dies vermögen. Er hat sie als Quellen ihrer Erscheinungen geschaffen, welche Beziehungen zu allem enthalten, die jedoch je nach dem Grade der Vollkommenheit jeder einzelnen von diesen Substanzen mehr oder weniger deutlich sind. Wo liegt da die Unmöglichkeit? Ich möchte irgendeinen tatsächlichen Beweisgrund sehen, der zu einem Widerspruche oder zum Widerstreit mit irgendwelcher bewiesenen Wahrheit führte. Die Behauptung, das sei wunderbar, würde kein Einwurf sein. In der Tat kann dieser Aufstellung bezüglich der verworrenen Vorstellungen, da die Selbstbeobachtung nicht den geringsten Anhalt gewährt, nichts weiter entgegengehalten werden als eben der Umstand, daß sie eine rein aus der Luft gegriffene Hypothese ist, die noch dazu die Schwierigkeit nicht eigentlich löst, sondern nur hinausschiebt. Denn angenommen, unter den neben einer deutlichen Vorstellung der Lust gleichzeitig in der Seele vorhandenen verworrenen Vorstellungen befinde sich auch die des Schmerzes, so bleibt es doch immer rätselhaft, warum die Monade im nächsten Augenblick in Übereinstimmung mit dem Vorgange im Körper (dem Nadelstich) sich mit Vernachlässigung aller übrigen gerade dieser einen bestimmten Vorstellung zuwendet. Leibniz behauptet, es geschehe das, weil die Monade ein Spiegel des Universums sei – dieser Vergleich ist indessen unstatthaft, denn da die Monade durchaus keine Verbindung mit der Körperwelt hat, kann sie dieselbe auch nicht spiegelnd abbilden und wiedergeben. Die Behauptung Bayles, es fehle der Seele an den nötigen Werkzeugen, um die selbstbestimmte Abwicklung ihrer Vorstellungen vorzunehmen, wird also durch die Hypothese der verworrenen Vorstellungen nicht widerlegt, und für Leibniz bleibt somit nur die Berufung auf die Allmacht Gottes übrig, der eben alle diese Modifikationen der Seele vorherbestimmt hat. Dann fällt aber eben die Selbstbestimmung oder richtiger Selbsttätigkeit der Seele weg, um die es dem Philosophen hauptsächlich zu tun ist. Im Gegenteil, alle diejenigen, welche unteilbare unstoffliche Substanzen anerkennen, sprechen denselben eine Menge gleichzeitiger Vorstellungen und eine Selbstbestimmung bei ihren Vernunftschlüssen und freiwilligen Handlungen zu. Ich dehne also nur die Selbstbestimmung auf die verworrenen und unfreiwilligen Gedanken aus und zeige, daß es in deren Natur liegt, Beziehungen zu allem, was außer der Seele ist, zu enthalten. Wie will man nun beweisen, daß das unmöglich sei oder daß notwendigerweise alles, was in uns ist, uns deutlich bekannt sein müsse? Ist es nicht Tatsache, daß wir uns nicht einmal immer dessen zu erinnern vermögen, was wir wissen und auf was wir plötzlich bei einem kleinen rückerinnernden Anlaß wieder verfallen? Und wieviel Mannigfaltigkeiten können wir nicht noch in der Seele haben, auf die so schnell zu verfallen uns nicht gestattet ist? Die Seele würde andernfalls ein Gott sein, während es für sie hinreicht, eine kleine Welt zu sein, die man ebenso der Störung unzugänglich findet wie die große, wenn man erwägt, daß beim Verworrenen wie beim Deutlichen Selbstbestimmung herrscht. Mit Recht jedoch nennt man mit den Alten in einem andern Sinne das, was in den verworrenen Gedanken besteht, wo sich Unwillkürliches und Unbekanntes findet, Störungen oder Leidenschaften, und eben dies schreibt man in der gewöhnlichen Redeweise nicht uneben dem Kampfe zwischen dem Geiste und dem Leibe zu, weil unsere verworrenen Gedanken den Körper oder das Fleisch vorstellen und unsere Unvollkommenheit ausmachen. Die verworrenen Vorstellungen, will Leibniz sagen, unterscheiden das Geschöpf vom Schöpfer, der nur deutliche Vorstellungen hat: sie machen also unsere Unvollkommenheit aus. Ihren Grund aber haben dieselben in der Körperwelt, indem Gott nach den Vorgängen in dieser die Modifikationen der Seele ordnete. Daher liegt auch der Grund für die Leidenschaften eigentlich in den Körpern oder (nach dem biblischen Ausdrucke) im Fleische, dessen Vorstellung Aufgabe der verworrenen Gedanken ist, und demnach dürfen die Leidenschaften mit Recht für »Störungen« (perturbationes animi) angesehen werden.

Ich hatte diese Antwort, daß nämlich die verworrenen Vorstellungen alles Äußere umfassen und unendliche Beziehungen in sich schließen, der Hauptsache nach bereits gegeben, und Herr Bayle verwirft dieselbe, nachdem er sie angeführt hat, nicht nur nicht, sondern sagt vielmehr, daß diese Hypothese, sobald sie gehörig entwickelt sein wird, das richtige Mittel ist, um alle Schwierigkeiten zu lösen, und tut mir die Ehre an, zu bemerken, er hoffe, daß ich die von ihm erhobenen Bedenken stichhaltig lösen würde. Wenn er das auch nur aus Höflichkeit gesagt hätte, so würde ich mich doch nichtsdestoweniger darum bemüht haben, und ich glaube auch keinen seiner Einwürfe übergangen zu haben: Habe ich aber etwas beiseite gelassen, ohne eine Lösung zu versuchen, so werde ich eben nicht haben einsehen können, worin eigentlich die Schwierigkeit bestand, die man mir entgegenhalten wollte, ein Umstand, der mir bisweilen bei der Antwort die meiste Mühe bereitet. Es wäre mir lieb gewesen, wenn ich hätte erkennen können, warum man glaubt, daß jene Menge von Vorstellungen, die ich in einer unteilbaren Substanz annehme, nicht darin vorhanden sein könne, denn ich bin der Meinung, es würde gestattet sein, dieselbe anzunehmen, selbst wenn die Erfahrung und das gemeinsame Gefühl uns nicht eine große Mannigfaltigkeit in unserer Seele erkennen ließen. Die einfache Bemerkung, man könne diese oder jene Sache nicht begreifen, ist noch kein Beweis für deren Unmöglichkeit, wenn man nicht bestimmt angibt, worin sie gegen die Vernunft verstößt, und wenn die Schwierigkeit nur in der Einbildungskraft ist, ohne daß eine solche im Verstände besteht.

Es ist ein Vergnügen, mit einem so billig denkenden und gleichzeitig so scharfsinnigen Gegner wie Herr Bayle zu tun zu haben, der einem in solchem Grade Gerechtigkeit widerfahren läßt, daß er oft den Antworten zuvorkommt, wie er es tut, indem er, auf meine Anschauung eingehend, bemerkt, daß, wenn die ursprüngliche Verfassung jedes Geistes von der jedes andern verschieden sei, dies nicht ungewöhnlicher sei als das, was die Thomisten im Anschluß an ihren Meister von der spezifischen Verschiedenheit aller einzelnen geistigen Wesen behaupten. Ich bin erfreut, in diesem Punkte mit ihm übereinzustimmen, denn ich habe an anderer Stelle selbst diese nämliche Autorität angeführt. Allerdings nenne ich diesen Unterschied meiner Definition der Art gemäß nicht spezifisch, denn da sich meines Erachtens nie zwei Individuen vollkommen gleichen, so müßte man sagen, daß nie zwei Individuen derselben Art angehören, was nicht zutreffend gesprochen sein würde. Es tut mir leid, daß ich die Einwürfe des Dominus François Lami noch nicht habe einsehen können, die, wie Herr Bayle mich belehrt, in dessen zweiter Abhandlung über die Erkenntnis seiner selbst (Ausg. 1699) enthalten sind, denn sonst würde ich meine Antworten auch dagegen gerichtet haben. Herr Bayle hat mir ausdrücklich die Einwürfe ersparen wollen, die auch andern Systemen gemacht werden können, und dies ist eine weitere Verpflichtung, die ich gegen ihn habe. Ich bemerke daher nur, daß ich, wie ich glaube, in bezug auf die den Geschöpfen verliehene Kraft im Septemberhefte der Leipziger Zeitschrift 1698 auf alle die Einwürfe der Denkschrift eines gelehrten Mannes geantwortet habe, die im Jahre 1697 in der genannten Zeitschrift erschienen war und die Herr Bayle am Rande anführt Gemeint ist die gegen Regis gerichtete Abhandlung De ipsa natura, Nr. XVII unserer Übersetzung., und daß ich sogar bewiesen zu haben glaube, daß es ohne die tätige Kraft in den Körpern keine Mannigfaltigkeit in den Erscheinungen geben würde, was ebenso viel wäre, als ob es gar nichts gäbe. Allerdings hat mein gelehrter Gegner (im Mai 1699) darauf geantwortet, aber im eigentlichen Sinne nur eine Auseinandersetzung seiner Ansicht ohne hinlängliche Berücksichtigung meiner Gegengründe gegeben, so daß es ihm gar nicht in den Sinn gekommen ist, auf jenen Beweis zu antworten, da er noch dazu den Gegenstand als unbrauchbar zur Überzeugung und weitern Erläuterung und sogar als für das gute Einvernehmen gefährlich betrachtete. Ich räume ein, daß dies das gewöhnliche Schicksal der gelehrten Streitereien ist, es gibt jedoch Ausnahmen, und das, was sich zwischen Herrn Bayle und mir abgesponnen hat, scheint anderer Art zu sein. Ich meinerseits bestrebe mich immer, geeignete Maßnahmen zur Bewahrung der Mäßigung und Beförderung der Aufklärung der Sache zu treffen, damit der Streit nicht nur nicht schädlich sei, sondern auch nützlich werden könne. Ich weiß nicht, ob ich diesmal diesen letztern Zweck erreicht habe, aber obgleich ich mir nicht schmeicheln darf, bei einem so schwierigen Gegenstande wie dem vorliegenden einem so gründlichen Geiste wie dem des Herrn Bayle volle Befriedigung zu geben, so werde ich doch immer schon zufrieden sein, wenn er findet, daß ich in einer so wichtigen Untersuchung einige Fortschritte gemacht habe.

Ich habe nicht umhingekonnt, das Vergnügen zu erneuern, das mir früher die mit besonderer Aufmerksamkeit vorgenommene Lektüre mehrerer Artikel seines ausgezeichneten und reichhaltigen Wörterbuchs gewährte, unter andern namentlich der auf die Philosophie bezüglichen Artikel wie Pauliciens, Origene, Pereira, Rorarius, Spinoza, Zenon. Ich bin über die Reichhaltigkeit, die Kraft und die Schönheit der Gedanken von neuem überrascht gewesen. Nie wird ein Akademiker, Karneades nicht ausgenommen, die Schwierigkeiten einleuchtender dargelegt haben. Selbst Herr Foucher, so äußerst gewandt er in dergleichen Betrachtungen war, kam dem nicht nahe, und ich für mein Teil finde, daß nichts auf der Welt für die Überwindung eben dieser Schwierigkeiten ersprießlicher sein kann. Eben deshalb finde ich Gefallen an den Einwürfen gescheiter und billig denkender Leute, denn ich fühle, daß das mir neue Kräfte gibt, etwa wie in der Fabel vom zu Boden geworfenen Antäus. Und was mich veranlaßt, mit ein wenig Selbstvertrauen zu reden, ist der Umstand, daß ich mich erst entschieden habe, nachdem ich die Sache von allen Seiten betrachtet und gehörig erwogen hatte, so daß ich vielleicht ohne Anmaßung sagen kann: Omnia percepi, atque animo mecum ante peregi. Alles hab' ich gemerkt und vorher im Geiste erwogen. Die Einwürfe aber leiten mich auf den richtigen Weg und ersparen mir viel Mühe, denn diese letztere ist nicht gering, wenn man alle Abschweifungen von neuem durchgehen will, um die etwaigen Ausstellungen anderer zu erraten und denselben im voraus zu begegnen, da die Vorurteile und die Neigungen so verschieden sind, daß sich sehr gründlich denkende Personen gefunden haben, die sich sogleich meine Hypothese zu eigen gemacht und sich sogar die Mühe gegeben haben, sie andern zu empfehlen. Andere ebenfalls sehr tüchtige Leute haben mir zu erkennen gegeben, daß sie in der Tat schon im Besitze derselben waren, und einige haben sogar behauptet, daß sie ebenso die Hypothese der Gelegenheitsursachen auffassen und keinen Unterschied zwischen dieser und der meinigen machen, was mir sehr lieb ist. Nicht weniger lieb aber ist es mir, wenn ich sehe, daß man sich bemüht, sie gehörig und eingehend zu prüfen.

Um noch etwas über die eben erwähnten Artikel des Herrn Bayle zu sagen, die vielen Zusammenhang mit dem vorliegenden Gegenstande haben, so scheint mir, daß der Grund für die Zulassung des Übels in den ewigen Möglichkeiten liegt, denen zufolge die Art von Universum, welche das Übel zuläßt, und die zum tatsächlichen Sein zugelassen worden ist, sich unter allen möglichen Arten als die im ganzen vollkommenste ergibt. Man gerät jedoch auf Abwege, wenn man mit den Stoikern im einzelnen diese Nützlichkeit des Übels dartun will, das das Gute hervorhebt, wie St. Augustinus im allgemeinen richtig erkannt hat, und das sozusagen ein Schritt zurück ist, um besser vorwärts springen zu können; denn wer vermag auf die unendlichen Einzelheiten der allumfassenden Harmonie einzugehen? Wenn indessen der Vernunft gemäß zwischen zweien gewählt werden müßte, so würde ich eher für den Origenisten und nie für den Manichäer sein. Es handelt sich hier um den Ursprung des Übels in der bestehenden Welt: die Manichäer leiteten dasselbe aus einem besondern Prinzipe ab (vgl. Theodizee, 1. Bd., Erl. 7), die Origenisten dagegen ließen es aus dem Mißbrauch der Freiheit seitens der erschaffenen Seelen entspringen und suchten das Dogma von der unendlichen Güte Gottes dadurch zu retten, daß sie das Böse nicht für eine Substanz, sondern für eine Beschaffenheit in der Seele erklärten und die Ewigkeit der Höllenstrafen leugneten. Es scheint mir nicht notwendig, daß man unter dem Vorwande, sie würden erschaffen, wenn sie Modalitäten hervorbrächten, den Geschöpfen die Tätigkeit oder die Kraft abspricht. Denn es ist Gott, der beständig ihre Kräfte erschafft und erhält, d. h. eine Quelle von Modifikationen, die im Geschöpfe liegt, oder auch einen Zustand, aus welchem man schließen kann, daß es einen Wechsel der Modifikationen geben wird, weil sonst meines Dafürhaltens, wie ich an anderer Stelle gezeigt zu haben erwähnte, Gott nichts hervorbringen und es keine Substanzen außer der seinen geben würde; das würde uns aber alle Widersinnigkeiten des Gottes Spinozas wieder auf den Plan bringen. Auch hat es den Anschein, als ob der Irrtum dieses Autors nur daher rühre, daß er die Konsequenzen der Lehre, welche den Geschöpfen die Kraft und die Tätigkeit abspricht, bis aufs Äußerste getrieben hat. Man vergleiche zu diesem Abschnitte die Abhandlung Über die Natur an sich, Nr. XVII unserer Übersetzung.

Ich anerkenne, daß die Zeit, die Ausdehnung, die Bewegung und das Stetige im allgemeinen in der Weise, wie diese Dinge in der Mathematik aufgefaßt werden, nur ideale Dinge sind, d. h. Dinge, welche die Möglichkeiten ausdrücken, ganz wie das die Zahlen tun. Sogar Hobbes hat den Raum als phantasma existentis Vorstellung des Seienden. definiert. Um mich jedoch genauer auszudrücken: der Raum ist die Ordnung der möglichen gleichzeitigen Dinge, wie die Zeit die Ordnung der unbeständigen Möglichkeiten ist, die indessen im Zusammenhang miteinander stehen, so daß diese Ordnungen nicht nur für das passen, was tatsächlich ist, sondern auch für das, was an dessen Stelle gesetzt werden könnte, wie die Zahlen gleichgültig sind für alles, was res numerata Ein gezähltes Ding. sein kann. Leibniz erklärt hier nicht bloß. Zeit und Raum für Ordnungen, d. h. für Beziehungsbegriffe, sondern macht auch die Ausdehnung zu einem solchen, während er sie an andern Stellen, und namentlich in seinen Briefen an Clarke, als reale Eigenschaft der Dinge anerkennt. Und obgleich sich in der Natur niemals völlig gleichförmige Veränderungen finden, so wie die Vorstellung, welche die Mathematik uns von der Bewegung gibt, sie fordert, und ebensowenig, strenggenommen, wirkliche Figuren von der Art jener gibt, welche die Geometrie uns lehrt, so sind doch nichtsdestoweniger die wirklichen Erscheinungen der Natur mit Umsicht eingerichtet und müssen es in der Weise sein, daß nie etwas, geschieht, wobei das Gesetz der Stetigkeit (das ich aufgestellt und zuerst in den Nouvelles de la République des Lettres des Herrn Bayle Siehe den Auszug aus einem Briefe an Bayle usw., Nr. I unserer Übersetzung. erwähnt habe) und all die andern äußerst genauen Regeln der Mathematik verletzt würden. Vielmehr können die Dinge nur durch diese Regeln begreiflich gemacht werden, die in Verbindung mit den Regeln der Harmonie oder der Vollkommenheit, welche die wahre Metaphysik hergibt, allein imstande sind, uns in die Gründe und Absichten des Urhebers der Dinge eindringen zu lassen. Die zu große Menge der unendlichen Zusammensetzungen hat allerdings zur Folge, daß wir uns verlieren und genötigt sind, uns bei der Anwendung der Regeln der Metaphysik wie auch der Mathematik auf die Physik Schranken zu setzen; indessen täuscht diese Anwendung niemals, und wenn sich nach einer genauen Schlußreihe eine Verrechnung ergibt, so kommt das daher, daß man das Tatsächliche nicht hinlänglich erforschen kann und daß die Voraussetzung eine Unvollkommenheit enthält. Man kann bei dieser Anwendung auch um so weiter gehen, je mehr man imstande ist, die Berücksichtigung des Unendlichen mit Umsicht zu gebrauchen, wie meine letzten Rechnungsmethoden gezeigt haben. Obgleich daher die mathematischen Betrachtungen ideal sind, raubt ihnen dieser Umstand doch nichts von ihrer Nützlichkeit, weil die wirklichen Dinge nicht von ihren Regeln abweichen können, und man darf mit Grund sagen, daß eben hierin die Wirklichkeit der Erscheinungen besteht, die sie von den Träumen unterscheidet. Indessen bedürfen die Mathematiker durchaus keiner metaphysischen Untersuchungen, noch brauchen sie sich um das wirkliche Dasein der Punkte, der unteilbaren Dinge, der unendlich kleinen Größen und der im buchstäblichen Sinne unendlichen Größen Sorge zu machen. Ich habe das bereits in meiner Antwort an die Mémoires de Trevoux vom Mai und Juni 1701 bemerkt, die Herr Bayle im Artikel Zenon zitiert hat, und habe dort noch im nämlichen Jahre zu erwägen gegeben Bayle zitiert im Artikel Zenon de Sidon (rem. D) allerdings eine Abhandlung über mathematische Fragen, die sich im Mai-Juni-Hefte 1701 des sogenannten Journal de Trévoux findet, ohne indessen den Namen des Autors zu nennen; in den verschiedenen Katalogen der Leibnizschen Schriften findet sich diese Abhandlung nicht angeführt. ? Es muß indessen bemerkt werden, daß uns die Gerhardtsche Ausgabe der mathematischen Schriften Leibnizens bei dieser Nachsuchung nicht zu Gebote stand. ? Die zweite mathematische Abhandlung erschien im November 1701 in dem genannten Journale unter dem Titel: »Mémoire de Mr. Leibniz touchant son sentiment sur le Calcul différentiel.«, daß es bei den Mathematikern für die Schärfe der Beweisführungen hinreicht, wenn sie statt der unendlich kleinen Größen so kleine annehmen, wie nötig sind, um zu zeigen, daß der Irrtum geringer ist als der, welchen ein Gegner bestimmen wollte, und daß folglich überhaupt kein solcher festzustellen ist, so daß, wenn die buchstäblichen unendlich kleinen Größen, welche bei der Verminderung der Feststellungen des Irrtums den Beschluß machen, nur gleich imaginären Wurzeln wären, dieser Umstand die Infinitesimalrechnung oder Rechnung mit den Differenzen und Summen durchaus nicht schädigen würde. Ich habe diese Rechnung vorgeschlagen, und sie ist von ausgezeichneten Mathematikern mit großem Nutzen angewandt worden, da man dabei nur aus Mangel an Verständnis oder Übung irren kann, denn sie trägt den Beweis für ihre Richtigkeit in sich selbst. Auch ist nachdem im Journal de Trévoux an nämlicher Stelle anerkannt worden, daß das früher Gesagte nicht gegen meine Auseinandersetzung gerichtet wäre. Allerdings behauptet man immer noch, es gehe gegen die des Herrn Marquis de l'Hôpital, aber ich glaube, er wird sowenig wie ich die Geometrie mit metaphysischen Fragen beschweren wollen.

Ich habe beinahe über das Ansehen lachen müssen, das der Herr Chevalier de Méré sich in seinem Briefe an Herrn Pascal gegeben hat, den Herr Bayle im nämlichen Artikel anführt. Der Chevalier G. Br. de Meré, als Verfasser mehrerer philosophischer discours bekannt, bemühte sich im Interesse des Skeptizismus bei Pascal die Überzeugung von der Gewißheit der mathematischen Wahrheiten zu erschüttern und behandelte diesen Gegenstand in einem – später in der Sammlung der »Lettres de M. le chevalier de Meré« veröffentlichten – Briefe, aber, wie Leibniz mit Grund bemerkt, weit mehr im Tone eines Weltmanns als in der Weise eines Philosophen. Ich sehe jedoch, der Chevalier wußte, daß dies große Genie seine Unebenheiten hatte, die es bisweilen für die Einwirkungen der überstrengen Spiritualisten zu empfänglich machten und ihm zeitweise sogar die wahren und wohlbegründeten Kenntnisse verleideten, wie man dies später, aber unwiderruflich, auch den Herren Stenonis und Swammerdam hat geschehen sehen, weil dieselben nicht die wahrhafte Metaphysik mit der Physik und Mathematik verbunden hatten. Der Arzt Nicolaus Stenonis (eigentlich Stenson) war 1638 zu Kopenhagen geboren, trat 1669 zum Katholizismus über und starb 1686 zu Schwerin. Näheres über seine Bekehrung erzählt Leibniz in der Theodizee B. § 100. Über Swammeroam ist das Nötige bereits in Anm. 12 bemerkt worden. Herr de Méré benutzte dies, um mit Herrn Pascal von oben herab zu reden. Wie es scheint, spottet er ein wenig, wie die Leute von Welt zu tun pflegen, die viel Geist und ein mittelmäßiges Wissen besitzen. Sie möchten uns einreden, das, was sie nicht zur Genüge verstehen, sei von geringer Wichtigkeit. Man hätte ihn zu Herrn Roberval in die Schule schicken sollen. Indessen hatte der Chevalier in der Tat ein außergewöhnliches Genie, sogar für die Mathematik, und von Herrn Des Billettes, einem Freunde des Herrn Pascal und ausgezeichnetem Mechaniker, habe ich erfahren, worin die Entdeckung besteht, deren der Chevalier sich in seinem Briefe rühmt. Meré bemerkt nämlich in dem Briefe an Pascal u. a.: »Sie wissen, daß ich in der Mathematik seltene Dinge entdeckt habe, von denen die gelehrtesten Alten nichts berichtet haben, und die die besten Mathematiker Europas in Erstaunen setzten: Sie selbst haben über meine Erfindung geschrieben, ebenso wie Herr Huygens, Herr Fermat und so manche andere, die dieselbe bewunderten. Daraus können Sie schließen, daß ich niemand anrate, diese Wissenschaft zu verachten: und in der Tat kann dieselbe von Nutzen sein, sofern man ihr nicht zu sehr huldigt, denn gewöhnlich erscheint das, was man so sorgfältig darin sucht, unpraktisch und nutzlos, und die Zeit, die man darauf verwendet, könnte besser angewandt werden. Auch scheint mir, daß die Gründe, die man dieser Wissenschaft entnimmt, falls sie nur irgendwie dunkel sind, die daraus gezogenen Folgerungen sehr verdächtig machen müssen, besonders wenn, wie gesagt, Unendliches mit ins Spiel kommt.« – Wie sich aus der weitern Darstellung Leibnizens ergibt, ist Meré der Erfinder der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Da er nämlich ein großer Spieler war, so gab er die ersten Enthüllungen über die Berechnung der Wetten, was die schönen Gedanken de Alea Über das Glücksspiel. der Herren Fermat, Pascal und Huygens veranlaßte, wovon Herr Roberval nichts begreifen wollte oder konnte. Der Herr Großpensionär de Witt hat dies noch weiter verfolgt und wendet es zu wichtigern Zwecken bei der Rentenberechnung an, und Herr Huygens sagte mir, daß auch Herr Hudde Johann Hudde war 1640 zu Amsterdam geboren und starb dort 1704. Er gehörte zu den besten Mathematikern seiner Zeit, hat aber nur wenig Schriftliches veröffentlicht oder hinterlassen. Leibniz hatte ihn bei seiner Rückkehr nach Deutschland, die über England und Holland erfolgte, persönlich kennengelernt. vortreffliche Gedanken darüber gehabt habe und daß es schade sei, daß er sie samt so vielen andern unterdrückt habe. Also auch die Spiele verdienten näher untersucht zu werden, und wenn ein gründlicher Mathematiker eingehend darüber nachdächte, so würde er dabei auf viel wichtige Betrachtungen stoßen, denn nie haben die Menschen mehr Geist entwickelt als beim bloßen Getändel. Im Vorbeigehen will ich noch hinzufügen, daß nicht Cavallieri und Torricelli, von denen Gassendi in einer von Herrn Bayle an genanntem Orte zitierten Stelle spricht, sondern ich selbst und noch viele andere Figuren von unendlicher Länge aufgefunden haben, die endlichen Flächen gleich sind. Es ist dabei nichts Ungewöhnlicheres als bei den unendlichen Reihen, wo man zeigt, daß 1/2 + 1/4 + 1/8 + 1/16 + 1/32 ... = 1 ist. Indessen ist auch möglich, daß der Chevalier eine gute Verzückung gehabt hat, die ihn in jene unsichtbare Welt und in jenen unendlichen Raum versetzte, von denen er spricht, und den ich für den Raum der Ideen oder der Formen halte, von dem auch einige Scholastiker gesprochen haben, indem sie die Frage aufwarfen, utrum detur vacuum formarum. Ob es eine Lücke zwischen den Formen gäbe. Er sagt nämlich, »daß man dort die Gründe und die Prinzipien der Dinge, die verborgensten Wahrheiten, die Übereinstimmungen, die Angemessenheiten, die Verhältnisse, die wahren Urbilder und die vollkommensten Vorstellungen alles dessen entdecken kann, was man sucht«. Diese geistige Welt, von der die Alten viel gesprochen haben, liegt in Gott und gewissermaßen auch in uns. Was aber der Brief gegen die Teilung ins Unendliche sagt, zeigt deutlich, daß der Schreiber desselben in dieser höhern Welt noch allzu fremd war und daß die Annehmlichkeiten der sichtbaren Welt, über die er geschrieben hat Meré hatte unter anderm auch einen Discours des Agréments veröffentlicht, der 1693 in Amsterdam erschienen war., ihm nicht die erforderliche Zeit gelassen haben, um das Bürgerrecht in der andern zu erwerben. Herr Bayle hat recht, wenn er mit den Alten sagt, daß Gott die Geometrie ausübe und daß die Mathematik einen Teil der intellektuellen Welt ausmache und am meisten geeignet sei, Zutritt zu derselben zu gewähren. Ich selbst aber bin der Ansicht, daß ihr Inneres etwas mehr ist. Ich habe schon anderwärts angedeutet, daß es eine wichtigere Rechnung als die der Arithmetik und der Geometrie gibt, eine Rechnung, die von der Analyse der Ideen abhängt. Es würde dies eine allgemeine Stammsprache sein, deren Herstellung mich eine der wichtigsten Sachen dünkt, die man unternehmen könnte. Leibniz beschäftigte sich viel und angelegentlich mit der Erfindung einer allgemeinen Weltsprache und hatte schon um 1699 einen Grundriß des anzustrebenden Zieles in der Historia et commendatio linguae charactericae universalis gegeben. Auf diese Abhandlung scheint er hier hinzudeuten.


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