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VI. Zweite Erläuterung des Systems über den Verkehr zwischen den Substanzen

Ich ersehe aus Ihren Bemerkungen, mein Herr, daß meine Ansicht, die einer meiner Freunde in das Pariser Journal hat einrücken lassen, der Erläuterung bedarf.

Sie begreifen nicht, sagen Sie, wie ich das, was ich bezüglich des Verkehrs oder der Harmonie zwischen zwei so verschiedenen Substanzen wie Körper und Seele aufgestellt habe, sollte beweisen können. Ich glaube jedoch allerdings das Mittel dazu gefunden zu haben und gedenke Sie durch Folgendes zufriedenzustellen. Denken Sie sich zwei Wand- oder Taschenuhren, die in ihrem Gange vollkommen miteinander übereinstimmen. Dies kann auf dreifache Art geschehen. Die erste Art besteht in einer wechselseitigen Einwirkung der Uhren, aufeinander, die zweite in der Anstellung eines geschickten Arbeiters, der sie stellt und immerfort in Übereinstimmung bringt, die dritte endlich darin, daß man diese Uhren mit so viel Kunst und Genauigkeit anfertigt, daß man ihres Übereinstimmens in der Folge sicher sein kann. Setzen Sie nun an Stelle dieser beiden Uhren die Seele und den Körper. Auch deren Übereinstimmung kann auf eine von diesen drei Arten bewirkt werden. Der Weg der Einwirkung ist der der gewöhnlichen Philosophie; da man sich aber von stofflichen Teilchen, die aus einer dieser Substanzen in die andere übergehen könnten, keine Vorstellung machen kann, so muß diese Ansicht aufgegeben werden. Der Weg der beständigen Beihilfe des Schöpfers ist der des Systems der Gelegenheitsursachen; allein mich dünkt, das heißt den Deus ex machina bei einer gewöhnlichen und natürlichen Sache eingreifen lassen, bei der Gott vernünftigerweise nur in der Art mitwirken darf, wie er bei allen andern natürlichen Dingen mitwirkt. Also bleibt nur meine Hypothese, nämlich der Weg der Harmonie. Dieser Schluß ist doppelt unzulässig, einmal weil Leibniz nicht bewiesen hat, daß nur diese drei Wege zur Bewirkung der Übereinstimmung möglich sind, und sodann weil die Beweise gegen die Zulässigkeit der beiden ersten Wege nicht zureichen. So ist z. B. die Regulierung zweier Uhren durch die Kraft eines fließenden Wassers denkbar, das beide in Bewegung setzt und gleichmäßig ihren Gang regelt – das wäre aber weder eine »wechselseitige Einwirkung« noch eine »Beihilfe«. Sodann kann man, wenn Leibniz den »Weg der Einwirkung« als unbegreiflich verwirft, mit demselben Rechte die vorherbestimmte Harmonie verwerfen, weil keine menschliche Phantasie imstande ist, sich eine Vorstellung davon zu machen, und endlich darf man behaupten, daß der Deus ex machina der Okkasionalisten um nichts törichter ist als der Deus machinarum Leibnizens, s. Anm. 64. Einen stichhaltigen Beweis für die vorherbestimmte Harmonie liefert also dies argumentum ad ignorantiam nicht. Gott hat gleich bei Anbeginn jede von diesen beiden Substanzen so geschaffen, daß sie, indem sie nur ihren eigenen Gesetzen folgt, die sie gleichzeitig mit ihrem Dasein empfangen hat, dennoch mit der andern zusammenstimmt, ganz als ob eine wechselseitige Einwirkung zwischen ihnen bestände oder als ob Gott neben seiner allgemeinen Mitwirkung auch immer noch im besondern Hand dabei anlegte. Hiernach habe ich wohl nicht nötig, noch etwas Weiteres zu beweisen, man müßte denn den Beweis von mir fordern, daß Gott wirklich geschickt genug sei, um sich dieses vorgreifenden Kunststücks bedienen zu können, von dem sich ja selbst bei den Menschen Proben finden. Unter diesen Proben versteht Leibniz augenscheinlich automatische Kunstwerke, von denen eins der besten der damaligen Zeit, die zwischen 1547 und 1580 verfertigte Uhr des Straßburger Münsters, ihm gewiß aus eigener Anschauung bekannt war. Der Vergleich Gottes mit einem Automatenverfertiger und dessen weitere Durchführung ist übrigens so treffend und schneidend, daß selbst der witzigste Gegner der vorherbestimmten Harmonie keine zutreffendere Bezeichnung für die Seele hätte finden können als die, welche Leibniz selbst an andern Orten auf sie anwendet, indem er sie einen » geistigen Automaten« nennt. Bei der Voraussetzung aber, daß er es kann, werden Sie einsehen, daß dieser Weg der schönste und seiner würdigste ist. Sie vermuteten, meine Erklärung würde mit der so verschiedenen Vorstellung, welche wir vom Geiste und vom Körper haben, in Widerspruch stehen, aber nun sehen Sie wohl, daß niemand deren Unabhängigkeit voneinander in besserer Weise begründet hat. Denn solange man genötigt war, den Verkehr zwischen ihnen durch eine Art Wunder zu erklären, gab man immer vielen Leuten Anlaß zu der Befürchtung, daß der Unterschied zwischen dem Körper und der Seele kein so tatsächlicher wäre, wie man glaubt, weil man so weit greifen mußte, um denselben aufrechtzuerhalten. Auch dieser Grund gegen den von den Okkasionalisten angenommenen »Weg der beständigen Beihilfe des Schöpfers« ist von keinem Gewicht, weil man nicht einsieht, welche Fährlichkeit es im Gefolge haben würde, wenn viele Leute den Unterschied zwischen dem Körper und der Seele nicht für so tatsächlich hielten, wie Leibniz von demselben glaubt. Das Dogma von der Auferstehung des Fleisches begünstigt sogar eine derartige Auffassung. Es wird mir auch sehr lieb sein, die Ansichten aufgeklärter Personen über die Gedanken kennenzulernen, die ich Ihnen hier dargelegt habe.


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