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Zwanzigstes Kapitel.

Friede. – Rückmarsch nach Berlin. – Gespräch mit Herzog Friedrich von Braunschweig-Oels. – Wieder in Berlin. – Widmung eines französisch geschriebenen Auszugs aus meinem Tagebuch an Herzog Friedrich. – Krankheit. – Ein energischer Feldscherer. – Rückkehr nach Halle. – Moralische Besserung. – Ein Wort über meine Selbstbiographie. – »Da steht nun Laukhard, wie er leibt und lebt.» – Auf Wiedersehen!

Endlich tat der Reichenbacher Kongreß seine Wirkung; es war Friede, und wir erhielten Befehl, zurückzumarschieren. Ich bin nicht imstande, die Freude zu beschreiben, welche den größten Teil unserer Soldaten auf einmal beseelte. Sie gebärdeten sich wie die Kinder, wenn sie ein hübsches Geschenk erhalten haben. Nur wenige sahen es nicht gern, daß der Spektakel ein Ende haben sollte: diese wünschten sich ihren alten Fritze zurück: Der, meinten sie, würde kein Ungemach gescheut haben, würde entweder ganz ruhig zu Hause geblieben oder in Böhmen vorgedrungen sein, solange, bis die Türken von selbst Frieden erhalten hatten: viel Blut würde es auch nicht gekostet haben, Österreich wäre schon zu schwach, um nicht den Ueberrest von Schlesien gern freiwillig abzutreten, die Kriegskosten zu ersetzen und sich wenigstens in vierzig Jahren die Lust nicht wieder ankommen zu lassen, Europa in Krieg zu verwickeln und so auf Kosten anderer im trüben für sich zu fischen. Mir schien es aber doch, daß unser gutmütiger König sich bei diesem Feldzug doppelten Ruhm erworben habe. Es gehört doch wahrlich etwas mehr dazu, als eine kaufmännische Seele, um die Kosten zur Mobilisierung der Armee nicht zu achten, Verzicht auf Eroberungen zu tun, und da dem Feinde selbst die Hand zum Frieden zu bieten, wo es etwas Kleines gewesen wäre, ihn durch Krieg vollends aufzureiben. Und so war unser liberaler König in meinen Augen doppelt groß.

Wir nahmen bis Sagan beinahe denselben Rückweg, worauf wir hingezogen waren: doch kamen wir auf anderen Dörfern ins Quartier: Das Obst fing an, zu reifen, und der vollste Baum war oft in einer halben Stunde leer. Die Soldaten machen es einmal nicht anders. Die Landleute schienen uns auch gewogener zu sein auf dem Rückweg, als auf dem Hinmarsch, ob ich gleich überhaupt sagen muß, daß die Schlesier eben keine großen Freunde von den Preußen und der preußischen Regierung sind. Von Sagan gingen wir durch die Lausitz nach Berlin. Vor Sagan ist das ganze Leiden Christi in steinernen Figuren abgebildet und auf eine Viertelmeile in Stationen verteilt – ohne Zweifel zur größeren Erbauung des hartgedrückten Landmannes. Sorau war die erste sächsische Stadt, wo wir Nachtquartier hatten: hier war der Abstand zwischen Schlesien und der Lausitz auffallend sichtbar. Es muß doch viel Fehler in der Niedergeschlagenheit der schlesischen Landleute und der daher entstehenden Schlaffheit zur Industrie liegen. Wer zur Schadloshaltung sich dumpf in die Ewigkeit hinein brütet, der ist nicht fürs Zeitliche.

In Leskow ließ uns der Herzog Friedrich von Braunschweig, unser Generalissimus, die Patronen abnehmen, und sie auf der Spree nach Berlin schiffen. Das war ein großer Vorteil, den uns der väterliche Fürst verschaffte, denn nun marschierten wir weit leichter als zuvor.

Nicht weit von Berlin hatte ich selbst das Glück, diesem edlen Herrn persönlich bekannt zu werden. Ich halte diesen Vorfall für einen der schönsten meines Lebens – mit Recht! Laukhard hat dem Prinzen Friedrich von Braunschweig, Herzog von Oels, den Ersten Teil seiner Lebensgeschichte gewidmet. Eine Anzahl sehr interessanter und drolliger Anekdoten über den jovialen und fein gebildeten Prinzen finden sich in Thiébaults Memoiren, die unter dem Titel »Friedrich der Große und sein Hof«, von Heinrich Conrad bearbeitet, ebenfalls im Verlag von Robert Lutz in Stuttgart erschienen sind. P. Es ging so zu:

In Guben, einer hübschen, sächsischen Stadt, speisten unsere sämtlichen Offiziere beim Generalissimus. Unter anderem fiel das Gespräch auf die verschiedenen Subjekte, welche sich manchmal bei den Soldaten einfänden. Der Herzog selbst erzählte, daß er einmal zu gleicher Zeit drei Geistliche von drei Religionen bei seinem Regimente gehabt hätte – einen Lutheraner, einen Reformierten und einen Katholiken, der Kapuziner gewesen war. Das hatte meinem Hauptmann, Herrn von Mandelsloh, Gelegenheit gegeben, dem Herzog zu sagen, daß bei seiner Kompanie sich ein Magister befände, der vorzeiten in Halle Kollegia gelesen hätte. Diese Nachricht war dem Herzog aufgefallen, und er hatte geäußert, daß er mich sprechen wolle.

Er kam an einem Morgen wirklich an die Kompanie geritten mit dem Generalleutnant von Kalkstein. Ich trat aus, und Herzog Friedrich redete mich sehr herablassend an, wie er allerlei Gutes von mir gehört hätte und nun mich sprechen wolle. Er fragte hierauf bald nach diesem, bald nach jenem, und spaßte nach seiner ihm ganz besonders eigenen witzigen Art über mancherlei. Unter anderem fragte er mich, ob ich Theologie studiert hätte, und als ich dies bejahte. lächelte er und sagte: »Siehe da, so sind wir ja alle drei Pfaffen: ich als Dompropst, Sie, Alter (zum Generalleutnant Kalkstein), als Domherr, und Laukhard da als theologischer Gelehrter. Nun, nun! die Pfaffen sollen leben, die uns gleichen und es mit dem Vaterland und dem Könige gut meinen! (zu mir:) Nicht wahr, mein Freund?«

Er hatte von meinem Tagebuch gehört und befahl mir, ihm einen Auszug daraus in Berlin selbst zu überbringen. Er forderte zwar das Tagebuch selbst: allein, so gern ich's gleich hingegeben hätte, war es doch nicht so eingerichtet, daß es den Händen eines solchen Fürsten hätte können überliefert werden.

Ich sprach beinahe eine halbe Meile mit dem Herzog, indem ich immer neben ihm herging und auf der anderen Seite den Generalleutnant von Kalkstein hatte. Endlich kamen wir an ein Dorf, und wir mußten uns trennen. »Leb' Er wohl, mein Lieber,« sagte der Herzog, »und in Berlin sehen wir uns wieder. Aber daß Er's ja nicht vergißt, mich zu besuchen! Ich bin Soldat: also sans façon!« Darauf ritt er vorwärts, und sein Stallmeister überreichte mir in seinem Namen ein Goldstück. Da stand ich, und das menschenfreundliche Betragen des herrlichen Fürsten hatte mich so entzückt, daß ich vor Freude denen, die jetzt mit mir sprechen wollten, kaum antworten konnte.

Wahrlich, ich weiß es recht wohl, daß Fürsten Menschen sind wie wir; aber wenn der Mensch durch Tugenden und Vorzüge des Geistes sich der Gottheit nähern kann, welche Ehrfurcht verdient ein Fürst, der bei allen Reizen zum Stolz, zur Despotie und zur Karte, mitten im Haufen der Schmeichler Mut genug hat, Mensch zu bleiben und seine wohltätigen menschenfreundlichen Gesinnungen nicht nur andere fühlen zu lassen, sondern auch an den Freuden anderer selbst Vergnügen zu finden.

 

In Berlin waren unsere Quartiere ebenso elend als das erstemal, fielen uns aber jetzt, da es schon anfing, unfreundliches Wetter zu werden, weit beschwerlicher. Wir brachten volle fünf Wochen hier zu, und da begegnete uns gar manches.

Meine neue Wohnung stand zwischen zwei Bordellen in der Behrenstraße: auf der einen Seite war Madame Lindemann, auf der anderen eine andere stille Wirtschaft, die man die »Diamantene Schnalle« nannte.

Ein Bursche von der Kompanie hatte gerade gegenüber sein Quartier, auch in einem Bordelle. Man muß wissen, daß jenes ganze Viertel fast aus lauter Bordellen besteht, und daher das Hurenviertel genannt wird: es begreift die Behren-, Französische und Kanonierstraße in sich. Der Bursche stand abends vor der Tür, als ein Kanonierleutnant kam und in dieses Stramhaus – so nannten die Soldaten diese Häuser in Berlin – gehen wollte. Er fragte den Burschen, was er da stünde, und ohne seine Antwort abzuwarten, hieß er ihn alsobald reisen. Der Bursche erwiderte, daß hier sein Quartier sei, und daß er sich da nicht wegjagen lasse. Das verdroß den Herrn Offizier so sehr, daß er nach dem Degen griff und Gerstenberg, so hieß der Soldat, damit schlug. Gerstenberg sprang fort und verklagte den Offizier, dessen Name ihm bekannt geworden war. Herr von Mandelsloh meldete die Sache an den Obristen der Kanoniere, und da mußte der Herr Leutnant sich mit dem Soldaten abfinden und ihm Abbitte tun. So war es auch schon recht! Die Herren würden sonst denken, der Soldat sei bloß da, sich von ihren närrischen Grillen hudeln zu lassen!

An dem Aufsatz für Herzog Friedrich arbeitete ich fleißig. Ich setzte alles französisch auf, hätte es aber gern durch einen andern abschreiben lassen, wenn er mir nicht ausdrücklich befohlen hätte, alles selbst zu schreiben: denn als ich mich unter anderm entschuldigte: ich könnte mein Tagebuch wegen meiner unleserlichen Hand nicht überreichen, sagte der Fürst: »Ich kann alle Hände lesen; was Er in Berlin für mich aufsetzt, muß Er auch selbst schreiben.« Wie sehr bedaure ich. daß ich in meiner Jugend nicht habe lernen schön schreiben. – Mein Aufsatz enthielt einen kleinen Abriß meiner Schicksale, und dann einige Anmerkungen über den Schlesischen Feldzug. Ich gab ihm den Titel: »Extrait du Journal d'un Mousuetaire Prussien, fait dans la Campagne de 1790«. Nebenbei machte ich ein lateinisches Carmen auf den Herzog; denn ich wußte, daß er an der lateinischen Poesie Vergnügen fand und selbst ganz artige Gedichte in dieser für die Poeterei gewiß recht schicklichen Sprache gemacht hatte. Nachdem ich fertig war – ich verschob dieses Geschäft absichtlich bis kurz vor unserem Auszug aus Berlin, um nicht zudringlich zu scheinen –, meldete ich meinem Kapitän, daß ich dem Herzog einen Aufsatz überreichen wollte. Dieser gab mir den Unteroffizier Schäffer mit. Der dachte, weil er Unteroffizier wäre, mußte er natürlich bei dem Herrn eher zur Sprache kommen als ich; er ermahnte mich daher, ja nicht eher zu reden, als bis er fertig wäre, das schicke sich nicht anders. – O tempora, o mores! dacht' ich und zuckte die Achseln über die Präsumtion dieses Herrn Unteroffiziers.

Als wir das Palais des Herzogs erreicht hatten, kam dieser eben von der Parade. Er erkannte mich sogleich, kam auf mich zu und sagte: »Ah, da ist ja mein Gelehrter!«, reichte mir die Hand, wünschte mir guten Morgen und fragte: »Hat Er den Aufsatz fertig?« Ich übergab meine Papiere. »Nun gut,« fuhr er fort, »in einem Augenblick sprechen wir uns weiter.« Sofort trat er in sein Zimmer, aber nach einigen Minuten ließ er mich hereinrufen. »Ich habe,« sagte er, »schon etwas gelesen: es gefällt mir. Wenn Er künftig etwas Gutes macht, schicke Er mir's!« Diese Huld des edlen Fürsten machte mir Mut, und ich konnte nun unbefangen mit dem würdigsten Enkel Heinrichs des Löwen, des größten deutschen Helden, weitersprechen. Unsere Unterredung war nicht kurz. Endlich sagte Friedrich: »Hier, mein Freund, ein Lehrpfennig nach Halle. Gott stehe Ihm bei und erhalte Ihn gesund!« Ich empfahl mich dem Fürsten zu Gnaden, er aber erwiderte: »Meine Gunst ist Ihm gewiß: sei Er ein braver Mann, und dann rechne Er auf mich: ich werde Ihn niemals vergessen.«

Den letzten Tag ward ich in Berlin krank: ich marschierte aber doch noch den ersten Marsch mit. Allein in Detow zeigte sich's, daß ich eine Art von Halsbräune hatte. Diese hätte sehr gefährlich werden können, wenn mir der Feldscherer nicht in vier Tagen siebenmal zur Ader gelassen und häufige Injektionen gemacht hätte. Den heroischen Aderlässen dieses Herrn verdanke ich, daß ich damals nicht erstickt bin. Erst vier Tage hernach konnte ich wieder schlucken und reden. Wie abgemattet ich von dem vielen Aderlassen werde geworden sein, kann man denken, wenn man dazu nimmt, daß ich innerhalb fünf Tagen keinen Bissen Nahrung zu mir nehmen konnte.

Unser Weg führte uns durch Wittenberg: der Ton der dortigen Studenten ist nicht gar sehr von dem der Knoten unterschieden: selbst ihre Kleidung ist ziemlich knotenmäßig. Sie treten einher, wie Leute ohne Erziehung, und sitzen den ganzen Tag in den Bierkneipen, wo sie ihren Gugguk trinken und Tabak qualmen, bis keiner den anderen mehr sieht. Der Fleiß der Herren Wittenberger soll sehr klein sein. So viel im Vorbeigehen von Wittenberg.

In Halle mußte ich nun freilich meine Stunden wieder annehmen, und diejenigen Scholaren, welche von meinen vorigen noch da waren, nahmen meinen Unterricht auch gleich wieder an. Zu diesen erhielt ich bald noch mehrere. Ich kann mich rühmen, daß ich jetzt in meinem Stundengeben weit regelmäßiger gewesen bin, als sonst. Allein ich war ja auch in meinem Betragen, in meiner Aufführung selbst, viel regelmäßiger und ordentlicher geworden. Der Trunk, meine bisherige häßliche Leidenschaft, hatte bei mir um ein merkliches abgenommen. Die freundschaftlichen Winke und die Unterredungen des Herrn Bispink hatten meine moralische Empfänglichkeit geweckt, und mich zu mehr Reflexion über mich und die Folgen meiner Handlungen angeschärft. Hierzu kam der Feldzug, der auch nicht wenig zu meiner wirklichen moralischen Besserung beitrug. Ich lernte immer selbst nachdenken und fand, daß das Unglück, ich meine das moralische Unglück, die Verstimmung der moralischen Saiten, der fatale Mißklang der inneren Gefühlsnerven und was davon in meinem Aeußern abhing, bloß in meinem Leichtsinn und in meinem schwärmenden Wesen zu suchen war. Aus Bosheit hatte ich wahrlich nie gefehlt.

So beschäftigte ich mich auf eine sehr anständige Art, und meine Herren Scholaren fanden Genüge und behandelten mich sehr freundlich. Gaben sie mir gleich keine reichlichen Honorare, so bekam ich doch soviel, daß ich ziemlich auskommen konnte. Alle Gelage konnte ich indessen nicht ganz meiden, und wer würde das fordern: ich konnte nicht immer ungestört zu Hause arbeiten; also ging ich zuzeiten und gehe noch auf den »Keller« oder in eine andere honette Gesellschaft, wo ich Leute antreffe, die nicht alle Augenblicke den »lieben Gott«, das »liebe himmlische Väterchen« u. dgl. im Munde führen, oder die sich nicht um alle Stadtmärlein, um alle Freiereien, Schlägereien, Saufereien u. dgl. bekümmern. Auf dem Keller finde ich fast immer Leute, mit denen man ein gescheites Wort sprechen und sich anständig, auch lehrreich, unterhalten kann. Aber die niedrigen Kneipen, die »Knochenkammer« und andere heillose Löcher, vermeide ich schon seit langer Zeit.

Hätte ich nur auch noch das Glück haben können, mir den Beifall und die Achtung des Herrn v. Semler durch meine Besserung ganz wieder zu erwerben! Allein der edle Mann starb im Frühling 1791. Auch ich habe an diesem großen Manne viel, viel verloren. Er hat es gewiß recht gut mit mir gemeint, hat mich gern retten wollen, und hat meine Kenntnisse beträchtlich vermehrt. Ich bin ihm also Dank schuldig, und meine Verehrung gegen ihn wird erst dann aufhören, wenn die seine Modifikation meiner Seele, die jetzt »Denken« heißt, sich verändern und in eine andere Form übergehen wird. Daß diese aber länger dauern wird als die gröbere Organisation meines Körpers, davon bin ich überzeugt.

Im vergangenen Winter (1791) gab Herr Bispink die Bücherverlagsverbindung auf, in der er seit 1788 mit Herrn Franke gestanden war. Ich entdeckte ihm in seiner neuen Lage mein Vorhaben, meine Lebensgeschichte zu schreiben, und zeigte ihm den Plan an, den ich befolgen wollte: er billigte ihn und versprach, den Verlag davon selbst zu übernehmen. Ich fing also an zu arbeiten, und gegenwärtiges Werkchen kam trotz der Exerzierzeit in vier Monaten zustande. Die 2 Bände dieser I. Abteilung umfassen im Original 57 Druckbogen; also eine ganz gute Leistung für vier Monate. P. Ob es dabei dem Publikum nun auch das sein werde, was ich gern wollte, daß es sein möchte, muß erst die Zeit lehren.

Nun steht mir ein harter Stand vor, indem unser Regiment bestimmt ist, mit an den Rhein zu gehen, um die Inkursionen zu verhindern, womit die Neufranken dem Kaiser gedroht haben. Ich fühle schon im voraus, daß ich da manche unangenehme Stunde haben werde, allein es ist meine Pflicht, sie zu übernehmen, und was Pflicht ist, muß einem nie als böse vorkommen.

Uebrigens habe ich den besten Vorsatz, immer nach mehr moralischer Besserung zu streben, und wenn nicht noch ganz gut zu werden, doch der moralischen Vollkommenheit so nahe zu kommen, als es mir möglich ist. Ich habe doch gefunden, daß man, so man nur will, manche Unart ablegen kann: warum sollte ich mit der Zeit nicht alles wieder gut machen, was die lange Hebung in Possen und Ausschweifungen verdorben hat!

Sollten meine lieben Leser lein Mißfallen an meiner Biographie finden, sollte diese vielleicht ihrer Aufmerksamkeit und ihres Beifalls nicht ganz unwürdig sein, so werde ich ihnen, wenn ich lebe, mit der Zeit die Folge meiner Begebenheiten darlegen.

Außerdem habe ich mir vorgenommen, ein Tagebuch auf dem bevorstehenden Marsch zu halten. Finde ich viel Merkwürdiges, so teile ich dereinst einen Auszug daraus mit.

 

Ich schrieb für die akademische Jugend vorzüglich, daher die eigene Art von Anlage, Ausführung und Tun: alles rasch, vieles studentisiert, burschikos und einiges gar renommistisch. Irren würde gewiß der, welcher aus dem allen folgern wollte, daß ich noch immer Behagen an meinen Verirrungen finden müßte. Du lieber Gott! Behagen an dem, was mich unglücklich gemacht hat. O, im Gegenteil, es war keine Kleinigkeit, da im Studententon zu schildern, wo gepreßter Kummer mein Herz oft zerriß und mich zuweilen, vorzüglich bei Nachrichten über meinen biederen edlen Vater, nötigte, die Feder hinzulegen, um mein Inneres zu lüften. Es ist etwas Schreckliches um ein Gespenst in der Seele!

Vielleicht finden einige in meiner Biographie manches als überflüssig, ja einiges gar als schädlich: hierher rechne ich meine Bubenstreiche, die Eulerkappereien und Erzählungen von ähnlicher Art. Ich stellte sie aber hin, um mich ganz zu zeigen, und dann, um Leuten, die immer das Alte loben, das Neue herabsetzen, den ehemaligen Studententon anzugeben, und ihnen dadurch das Bekenntnis abzunötigen: Nein, so toll treiben's doch jetzt die Studenten nicht mehr! Heutzutage sind sie wirklich zivilisiert. Wem indes das nicht behagt oder wem meine Gründe dafür nicht genug tun, und der also den gekünstelten Laukhard lieber hätte haben mögen, als den natürlichen, den bedaure ich geniert zu haben, und bitte ihn bei seiner Delikatesse und Präzision um Verzeihung. »Nicht immer,« sagt Herr Schiller im Vorbericht zum Ersten Teil seiner »Kleineren prosaischen Schriften«, »ist es der innere Gehalt einer Schrift, der den Leser fesselt: zuweilen gewinnt sie ihn bloß durch charakteristische Züge, in denen sich die Individualität ihres Urhebers offenbart.« Ein Schiller bin ich nun freilich nicht!

Da steht nun Laukhard, wie er leibt und lebt, von vorzeiten und von jetzt, so individualisiert von innen und von außen, nach Anlage, Ausführung, Folge – Grundsätzen, Maximen, Gesinnungen, Handlungen. Sprache – so, daß in der Galerie der Menschen noch keiner sich ihm gleich hingestellt hat! Begaffe und begucke ihn denn jetzt, wer da will und kann! Mitleiden erregen wollte er nicht: nur ein wenig warnen, zurückscheuchen und – bessern!

Und so, meine teuersten Leser, leben Sie wohl und gönnen Sie mir's, wenn mein moralischer und ökonomischer Zustand sich bessert! Nach dem Feldzuge sprechen wir uns vielleicht wieder.

Ende des Ersten Bandes.


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