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Zweites Kapitel

Der Rheingraf. – Hofprediger Herrenschneiders »Heilsordnung«. – Kabale gegen meinen Vater. – Sein Auftreten gegen den Rheingrafen. – Ein hochgeborener Schuldenmacher. – Schinderhannes und der Kammerrat Schad. – Das Ende der Tragikomödie vom Rheingrafen. – Mein Aufenthalt im Institut zu Dolgesheim. – Unser Lehrprinz. – Häuslicher Unterricht. – Aberglaube in der Pfalz. – Das Muhkalb und der Schlappohr. – Mein Vater kuriert mich vom Aberglauben. – Aufenthalt auf der Schule in Grünstadt. – Ferienbelustigungen, – Erste Praxis in der sinnlichen Liebe.

Als ich ungefähr acht Jahre alt war, wurde mein Vater in einen Handel verwickelt, der ihn ganz niederschlug; es war folgender:

Der Rheingraf zu Grehweiler, meines Vaters hochgebietender Herr, hatte einen Hofprediger, Johannes Herrenschneider, von Straßburg, ehemaligen Konrektor der Schule zu Grünstadt, einen Mann, der französisch parlierte, sich täglich mit Lavendelwasser einbalsamierte und immer durch die Fistel sprach. Dieser Mann hatte in Strasburg studiert, wo die krasseste Orthodoxie vonzeiten der Reformation an fürchterlich geherrscht hat und noch herrscht. Daher war er denn auch übertrieben orthodox und roch, wie Doktor Bahrdt sagt, die Ketzer von weitem. Uebrigens wußte er gar nichts und war ein trübseliger unwissender Schüler. Und dennoch ließ sich dieser saubere Herr beigehen, ein Buch zum Unterricht der Kinder in der Rheingrafschaft herauszugeben. Er sudelte zu dem Ende ein Ding aus seinen dogmatischen Heften zusammen, welches das non plus ultra alles Unsinns und aller Grillenfängerei war; ein Ding, worin sogar von Mitteilung der Eigenschaften Christi, vom Antichrist, von der Höllenfahrt Christi und von allen Raritäten des Systems weitläufig gefaselt wird. Auf die Frage: warum Christus zur Hölle gefahren sei? heißt die Antwort: daß er predigte ewige Verdammnis den verdammten Geistern und sich seines Sieges an ihrer Qual und Marter erfreute! – Pfui der Schadenfreude! – Am Ende des Wisches steht obendrein ein Anhang von der Verschiedenheit der Religionen oder eine Nachricht – für Bauernkinder!! – von den Gnostikern, Arianern, Nestorianern, Eutychianern, Monotheleten, Schwenkfeldern, Majoristen, Atheisten, Deisten u. dgl.

Das Buch wurde ganz in der Stille zu Strasburg abgedruckt und sollte auf Befehl des Herrn Grafen in alle Schulen der Grafschaft eingeführt werden. Mein Vater widersetzte sich der Einführung dieses elenden Wisches mit aller Gewalt und schrieb deswegen an den verstorbenen Herrn D. Töllner nach Frankfurt an der Oder, der stets sein Freund gewesen ist, wie auch an Herrn D. Walch nach Göttingen. Diese Männer erklärten den Wisch für das, was er war, für die Geburt eines elenden Grützkopfs, die sich zum Schulunterricht durchaus nicht schicke. Mein Vater übergab dem Grafen die Briefe seiner Freunde, legte ihm die Mängel des Buches, dem der Verfasser den Namen »Heilsordnung« gegeben hatte, deutlich vor Augen, aber was half's? Das Ding wurde eingeführt und von den Schulkindern auswendig gelernt. – Daß der Hofprediger von nun an meines Vaters erklärter Feind wurde, versteht sich von selbst.

Ich bin zwar nicht gewohnt, die Geistlichen als Männer anzusehen, welche die menschlichen Schwachheiten abgelegt haben, ja, wenn ich etwas Skandalöses von einem Schwarzrock höre, so bin ich allemal geneigt, es zu glauben: die Erfahrung hat mich so weit gebracht. Doch bin ich überzeugt, man hat meinem Vater unrecht getan, als man ihn » in puncto sexus« beschuldigte. Man urteile selbst.

Mein Vater hatte sich einen benachbarten Geistlichen zum Feinde gemacht, den nahen Anverwandten eines Einwohners unseres Ortes. Einige Unvorsichtigkeiten meines Vaters gaben hierauf seinen Feinden Veranlassung, dem Meister Brandenburger – so hieß der Vetter des feindlichen Geistlichen – alles zuzutragen, um einen schmutzigen Umgang zwischen ihm und einem Frauenzimmer des Ortes, welches eben nicht im besten Rufe stand, zu supponieren und ihn, nachdem sie alles fein eingefädelt hatten, förmlich anzuklagen. Die Beweise fehlten gänzlich, und ob man gleich viele Eide schwören ließ, so konnte man doch nicht das geringste herausbringen, was meinen Vater auch nur aus der Ferne wirklich graviert hätte. Dennoch wurde ei suspendiert, denn der Graf selbst war sein Feind. Ich muß den Grund dieser Feindschaft anführen:

Der Graf von Grehweiler hatte ungefähr nur vierzigtausend Taler Einkünfte und führte doch einen fürstlichen Hofstaat, hielt sogar Heiducken und Husaren, eine Bande Hofmusikanten, einen Stallmeister, Bereiter und noch viel anderes unnötiges Gesinde. Dazu gehörte nun Geld, und seine Einkünfte reichten nicht zu. Die Untertanen durfte er aus Furcht vor dem Lehnsherrn, dem Kurfürsten von der Pfalz, nicht mit neuen Auflagen belästigen: daher blieb bloß der einzige Weg übrig, Schulden zu machen. Dieser Modus acquirendi ging anfangs recht gut, aber bald wollte niemand mehr dem Herrn Grafen auf sein hochgräfliches Wort borgen. Was war zu tun? Man nahm Geld auf die Dorfschaften auf, und die Untertanen mußten sich unterschreiben. Auf diese Art wurde nach und nach eine Summe von 900 000 rheinischen Gulden geborgt.

Die Prozedur bei diesen Anleihen war oft mit den größten Spitzbübereien verbunden. So wurde z.B. an den Grafen von Lamberg in Mainz ein Wald zwischen Bockenheim und Wonsheim versetzt, von 500 Acker; und doch ist in der ganzen Gegend keine Staude zu sehen. Die Bedienten des Grafen ließen sich alle zu den Absichten ihres Herrn willig finden: sie haben ihren Vorteil dabei. An der Spitze von allen stand der Herr Kammerrat Schad, der erst vor einigen Jahren als Bettler gestorben ist, nachdem er über zehn Jahre im Gefängnis zugebracht hatte. Folgendes Epigramm auf den alten Schinderhannes, den dieser Kammerrat um all sein Hab und Gut gebracht hatte, charakterisiert ihn nicht übel:

Ich war ein armer alter Schinder,
Jedoch im Schinden viel gelinder,
Als der Herr Kamm'rrat Schad,
Der mich, den Schinder selbst, geschunden hat:
Ich schund nur totes Vieh und meist krepierte Hunde,
Indes Herr Kamm'nat Schad lebend'ge Menschen schunde.

Ferner waren dabei: Rentmeister Brekenfeld, den die Bauern hernach den Verreck-im-Feld nannten, Oberschulz Häfner nebst Gemahlin, der Maitresse des Grafen, eine Menge Juden und andere Helfershelfer, welche samt und sonders auf des Grafen Unkosten oder vielmehr auf Unkosten der Gläubiger sich zu bereichern suchten.

Mein Vater sah das Unwesen und sprach davon so deutlich, wie er es seiner Pflicht angemessen hielt. Er ermahnte seine Pfarrkinder, sich nicht mehr zu unterschreiben, weil sie doch einmal würden bezahlen müssen. Das wirkte! Die Leute widersetzten sich, die Schuld davon fiel auf meinen Vater. Das entflammte den Grafen zur Rache: was konnte ihm daher erwünschter sein, als eine Gelegenheit, sich zu rächen? Diese bot ihm die erzählte Beschuldigung dar. Mein Vater wurde also suspendiert. Aber da er den Prozeß am Kammergericht zu Wetzlar anhängig machte, so wurde er nach neun Monaten für unschuldig erklärt und erhielt einen Ehrenersatz. Wie sehr aber der Prozeß seine ökonomischen Umstände in Unordnung brachte, kann man denken. Ich möchte diese Gelegenheit benutzen, um gleich die rheingräfliche Tragikomödie auszuerzählen:

Nachdem sich also die Schulden des Grafen zu sehr gehäuft hatten, so forderten die älteren Gläubiger ihr geliehenes Geld zurück. Man hatte auch die vielen Bubenstücke entdeckt, die bei den Borgereien waren begangen worden. Man hatte nämlich Schulknaben die Namen ihrer Väter unter die Obligationen schreiben lassen oder Namen hingeschrieben, die nicht existierten usw. Alles das bewog die Gläubiger, ihre Zahlung mit Ungestüm zu fordern. Unter diesen befand sich auch der Mainzische Staatsminister, Graf von Lamberg. Dieser ließ durch den Mainzischen Amtsverwalter Heimbach einige gräfliche Untertanen und drei Juden nach Neubamberg locken, anhalten und nach Mainz ins Gefängnis bringen, wo sie über fünf Jahre geblieben sind.

Der Graf hielt sich bei diesem Vorfall ganz ruhig, doch unterstand er sich nicht, seine Grafschaft zu verlassen.

Endlich kam eine kaiserliche Kommission, welche die ganze Wirtschaft untersuchte und zuvörderst den Herrn Grafen mit seinen Bedienten festsetzte. Die meisten dieser sauberen Finanziers hatten sich aus dem Staube gemacht. Oberschulz Häfner war nach Holland und von da nach Amerika gegangen, ebenso waren Brekenfeld und andere entwischt, aber die Frau des Oberschulzen, der Kammerrat Schad und mehrere andere wurden festgesetzt und erst lange hernach losgelassen. Der Fürst von Nassau-Weilburg war Kommissarius.

Nach mehreren Jahren kam das Endurteil von Josef II. Die Untertanen, welche sich unterschrieben hatten, wurden von der Bezahlung losgesprochen. Der Graf sollte wegen seiner Betrügereien auf zehn Jahre nach der Festung Königstein bei Frankfurt gebracht und der Regierung unfähig erklärt werden. Die Sukzession sollte nicht auf den noch lebenden Bruder des Grafen, Ludwig, sondern auf eine Seitenlinie, von Grumbach, fallen. Die Kommission sollte so lange bleiben, bis die Gläubiger bezahlt wären, welche aber keine Interessen zu fordern hätten. Alle anderen, welche an der Sache mala fide Anteil gehabt hätten, sollten nach Befinden von dem Kommissar zur Strafe gezogen werden.

Dies war das Urteil, welches den Einsichten und der Denkungsart des vortrefflichen Kaisers wahre Ehre gemacht hat; und so endigte sich die Grehweilersche Komödie mit Schrecken!

Der Graf hat seine vollen zehn Jahre abgesessen. Seine Tochter, die Gemahlin des Grafen von Ortenburg, reiste zwar selbst zum Kaiser und bat fußfäIIig um die Freilassung ihres Vaters; aber der gerechte Fürst antwortete, der Graf hätte sich einer weit schärferen Ahndung schuldig gemacht. »Danken Sie Gott, Madame,« setzte er hinzu, »daß ich mir nicht, wie ich anfangs willens war, in dieser Sache das Gutachten der Kurfürsten und der Reichsstände ausbat; wäre dies geschehen, Ihr Väter würde so nicht weggekommen sein.« Mit diesem Troste mußte sich die gute Gräfin abführen.

Jetzt ist die Sache dahin gebracht, daß der Graf Karl von Grumbach die Regierung der Grafschaft führt und die Schulden bezahlen muß. Er hat sich mit der jüngsten Tochter des Rheingrafen vermählt. Laukhard hat diesem ärgerlichen Handel eine besondere Schrift gewidmet, die er in einem späteren Bande mit den Worten ankündigt: »Die Geschichte des Rheingrafen Carl Magnus von Grehweiler. Diese Geschichte ist ein derber Beitrag zum Wesen des Despotismus unserer deutschen Duodezmonarchen, welche es weit ärger treiben als unsere Monarchen in Folio oder Quart. Ich bearbeite sie nach dem, was ich selbst darüber weiß und was Moser und andere Publizisten aktenmäßig davon gesagt haben. Sie wird handgreiflich zeigen, warum so viele Untertanen in der Rheingegend mit ihrer Regierung äußerst unzufrieden waren, und den Franzosen so schnell, fest und häufig anhingen.« Das Buch erschien dann 1798 unter dem Titel: »Leben und Taten des Rheingrafen Carl Magnus, den Josef der Zweite auf zehn Jahre ins Gefängnis nach Königstein schickte, um da die Rechte der Untertanen und anderer Menschen respektieren zu lernen. Eine Warnung für alle winzigen Despoten, Leichtgläubigen und Geschäftsmänner.« P.

Während mein Vater vom Amt suspendiert war, befand ich mich zu Dolgesheim im Institut des Inspektors Kratz; er hatte seine Anstalt schon vor mehreren Jahren eingerichtet und manche junge Leute so weit gebracht, daß sie die Universität beziehen konnten. Er war wirklich ein geschickter Mann im Lateinischen und Griechischen, wußte viele Vokabeln, war stark in der Grammatik und konnte ganze Reden des Cicero wörtlich hersagen; sonst war er steif orthodox. Im Unterricht stand er immer cum baculo da und gerbte seinen Schülern das Zeug ein. Ich kann mich vorzüglich rühmen, die schwere Hand des Herrn Kratz oft und derb empfunden zu haben.

Seine Eleven waren meistenteils übelgezogene Jungen, und wie vorbereitet ich in diese Gesellschaft gekommen bin, wissen meine Leser. Die Schüler, an der Zahl vierzehn, behandelten mich als einen kleinen Buben, der ihren »Komment« nicht verstünde und den sie also in die Lehre nehmen müßten. Aber sie wurden bald inne, daß sie sich geirrt hatten. Ich fing an, das praktisch zu zeigen, was ich in Wendelsheim von meinem Mentor, dem Ludwig Spangenberger, theoretisch gelernt hatte, und da sahen die Dolgesheimer Jungen, daß ich in manchen Stücken noch hätte ihr Lehrmeister sein können. Ich ward jetzt der Teilnehmer an allen ihren Vergnügungen und bald die Seele der Gesellschaft. Kein Lumpenstreich wurde ausgeführt, – Mosjeh Fritz war dabei und nicht selten der Anführer. Unsern Lehrmeister oder wie wir ihn nannten Lehrprinzen (von ›Prinzipal‹) schonten wir nicht und schabernackten ihn, wo wir nur konnten. Die Bauern in Dolgesheim fürchteten sich ordentlich vor uns; denn es verging kein Tag, daß wir die Leute nicht geneckt oder sonst gehudelt hätten. Ich wohnte bei dem Bruder meines Vaters, der sich in Dolgesheim aufhielt und Kammersekretär bei dem Grafen Leiningen-Guntersblum-Emmerich war; er hatte einen Sohn, Jakob, welcher ebenso lustig lebte wie ich und es, trotz mir, in der Schelmerei weit genug gebracht hatte. So wurden meine Sitten in Dolgesheim eher verschlimmert als verbessert. Im Latein kam ich freilich weiter, auch fing ich an, griechisch zu kauen. Aber der ganze Unterricht wollte mir nicht recht behagen; ich fühlte den Unterschied zwischen der Lehr- und Behandlungsart meines Vaters und der des Herrn Kratz. Jener war immer liebreich, fluchte und schalt nie, Herr Kratz war ganz anders. Der fluchte, wenn er tückisch war, wie ein Bootsknecht und gab uns immer die garstigsten Zunamen: Flegel, Esel, Schlingel, Büffel, Ofenlochsgabel waren die gewöhnlichen Titel, womit er uns begrüßte, und darauf pflegte eine derbe Prügelstrafe zu folgen. Selten war er freundlich. Konnte ein Schüler seine Vokabeln ohne Anstoß hersagen, so bestand der ganze Beifall in einem mürrischen hm! hm!, fehlten aber einige Wörter, dann klang die Musik ganz anders, kurz, die Schulstunden waren allemal wie ein Fegefeuer, und doch durften wir sie bei schwerer Strafe nicht versäumen.

Kratz hatte keine Kinder, und seine liebe Hälfte war ein wahres Konterfei von der Hexe zu Endor. Es ist schwer, sich etwas Abscheulicheres vorzustellen: ihr Schmutz ging über alle Beschreibung. Sie soll sogar einmal von einer Jüdin für einige Kreuzer eine Reissuppe gekauft haben, weil sie »trefe«, d.h. unrein und folglich ungenießbar für Juden geworden war.

Ich hatte ungefähr anderthalb Jahre in Dolgesheim zugebracht, als mich mein Vater zurückholte. Ein Baugefangener, der nach zehn Jahren saurer Festungsarbeit wieder frei wird, kann nicht froher sein, als ich es war, da es hieß, es ginge nach Hause. Beinahe hätte ich vergessen, bei meinem Lehrprinzen, dem Herrn Kratz, Abschied zu nehmen und ihm für seinen Unterricht, wie auch für die vielen Schläge u. dgl. aufs verbindlichste zu danken.

Ich war also wieder im Schoß meiner Familie, erneuerte meine alten Bekanntschaften und fing's wieder da an, wo ich es gelassen hatte.

Mein Vater würde mich jetzt auf eine öffentliche Schule geschickt haben, wenn ihn nicht die elende Beschaffenheit der pfälzischen Schulen daran gehindert hätte. Die einzige gute Schule ist die zu Grünstadt, welche der Graf von Leiningen-Westerburg angelegt hat und die bisher immer brave Männer zu Lehrern hatte. Weit entfernen wollte mein Vater mich nun auch nicht; da er nun wirklich Gaben und Geschick zum Unterrichten hatte, so entschloß er sich, mich noch eine Zeitlang bei sich zu behalten. Auch nach Grünstadt sollte ich nicht, weil damals ein Bruder seines ärgsten Feindes an dieser Schule Unterlehrer war. Ich blieb also in Wendelsheim noch einige Jahre zu Hause, und da wir sehr fleißig anhielten, so las ich unter der Anführung meines Vaters mehrere lateinische und griechische Autoren.

Meine Tante nahm mich nun noch mehr als vorhin in Schutz; ihre Neigung zu mir hatte durch meine lange Abwesenheit viel leiden müssen. Sie bewies ihre Affenliebe zu mir bei jeder Gelegenheit jetzt dergestalt, daß ich weiter keine Rücksicht auf sie nahm, wenn ich einen Streich vorhatte; vielmehr mußte sie oft die Hände dazu bieten. So mußte sie z.B. die Jüdin Brendel unterhalten, indes ich in deren Stube schlich und Schweinsgedärme um die Schabbesampel oder Sabbatlampe wand, worüber ein entsetzlicher Spektakel ausbrach. Sie war es auch, die mich lehrte auf dem Eise glandern und Schlittschuhe laufen. Diese Kunst hatte sie als Mädchen getrieben und suchte sie wieder hervor, um ihren lieben Neffen darin zu unterrichten. Mein Vater sah wohl, daß die Tante mir zu gut war; aber da er nichts Böses oder doch nicht zu viel Böses von mir hörte, so schwieg er und ließ es gut sein. Die Mutter war vollends froh, daß ich nicht viel um sie war und ihre Geschäfte nicht störte.

Die gute Tante war abscheulich abergläubisch. Ueberhaupt ist das Volk in der Pfalz diesem Fehler außerordentlich ergeben. Es gibt zwar allerorten Spuren von dieser Seuche; aber nirgends auffallender als in der Pfalz. Daß es dort viele tausend Schock Teufel, Hexen, Gespenster, feurige Männer usf. gibt, daß das Maar, wie man dort den Alp nennt, auf Anstiften böser Leute drückt, und tausend dergleichen Herrlichkeiten, sind für meine lieben Landsleute ganz ausgemachte Wahrheiten; wer eine davon leugnen wollte, würde gewiß für einen Ketzer oder für einen Dummkopf angesehen werden. Jede Stadt, jedes Dorf hat seine öffentlichen Dorfgespenster, ohne die Hausgespenster. So geht z.B. in meinem Geburtsort das Muhkalb und der Schlappohr im Dorfe; im Felde spukt der alte Schulz Hahn, item in der Adventszeit läßt sich ein feuriger Mann im Felde sehen. Beinahe alle Wendelsheimer schwören, dies Ungeheuer gesehen zu haben. Die Häuser sind auch nicht frei von Uhuhus; selbst im Pfarrhaus – im Hinterhaus – geht ein Mönch mit einem schrecklich langen Bart; in der Pfarrscheune, wie die Drescher oft versichert haben, läßt sich der Sanktornus sehen usw.

Daß der Pöbel an derlei Schnurren glaubt, ist ihm zu verzeihen, aber in der Pfalz glauben auch angesehene Leute oder sogenannte Honoratiores alles das ebenso einfältig wie der Pöbel. Das abscheulichste ist, daß die dortigen Geistlichen selbst den Aberglauben zu unterhalten und zu vermehren suchen. Mein Vater predigte zwar stark gegen diese Fratzen, aber er war auch der einzige, der dergleichen Ungereimtheiten öffentlich hernahm. Doch dafür rächen sich nun auch die von ihm verworfenen Gespenster, indem ihn die Hausleute des jetzigen Pfarrers Schönfeld selbst haben spuken sehen!!

Ich wurde von meiner Tante mit allen Arten des Aberglaubens bekannt gemacht. Jeden Abend erzählte sie mir und dem Gesinde Histörchen von Hexen und Gespenstern, alles in einem so krassen, herzlichen Tone, daß es uns gar nicht einfiel, ihre Erzählungen im mindesten zu bezweifeln. Unvermerkt ward ich dadurch so furchtsam, daß ich mich nicht getraute, des Abends allein zur Tür hinaus zu gehen. Mein Vater merkte endlich das Unwesen und fing an, wider die Gespenster loszuziehen, so oft er im Zirkel der Familie erschien. Er nahm mich des Abends, auch spät in der Nacht, mit auf den Kirchhof und erzählte mir bei seiner Pfeife Tabak allerhand Anekdoten, wie der und jener durch Betrug der Pfaffen – mein Vater kleidete seine skandalösen Histörchen allemal so ein, daß ein Pfaffe dabei verwickelt war, daher mein unbezwinglicher Haß gegen alles, was Pfaffe heißt – mit Gespenstern wäre geneckt worden. Sofort vertröstete er mich auf die Zukunft, wo ich würde einsehen lernen, daß alles, was man so hinschwatzte und was er zum Teil selbst hinschwatzen müßte, erdichtet und erlogen wäre; daß die Leute, die von abgeschiedenen Seelen, von Gespenstern, Geistern, Erscheinungen usw. viel Wesens machten, nicht wüßten, was sie trieben. – Auf diese Art legte damals mein Vater den Grund zu der Irreligion, welche in der Folge meinen Kirchenglauben vernichtet hat.

Ich hatte nun ungefähr das dreizehnte Jahr erreicht, als mich mein Vater endlich nach Grünstadt schickte. Hier genoß ich bis ins sechzehnte Jahr den Unterricht verschiedener braver und gelehrter Männer. Ich nahm wirklich in den Schulwissenschaften sichtbar zu, wenigstens wußte ich soviel Latein, Griechisch und Französisch, als man nur in der Pfalz zu wissen pflegt, und wohl noch etwas mehr.

Ich blieb nicht in einemfort in Grünstadt; denn da mein rechter Fuß, welchen ich vorher zerbrochen hatte, um diese Zeit wieder aufbrach, so nahm mich mein Vater nach Hause, um mich da unter seinen Augen heilen zu lassen: auch in den Ferien war ich gewöhnlich zu Hause und suchte mich durch ausgelassene lustige Streiche für die ausgestandenen Mühseligkeiten und Arbeiten auf der Schule in vollem Maße zu entschädigen. Noch hatte ich, so sehr ich theoretischer Zotologe war, in praxi nichts getan, einige Handgriffe abgerechnet, welche ich bei den Dorfmenschern und auch wohl bei einigen sogenannten Mamsellen anbrachte. Aber nun kommt die Periode, wo ich anfing, das förmlich auszuüben, wozu mir unser Knecht schon frühe Anleitung gegeben hatte.

Ich war einst im Herbst zu Hause, gerade da meine Mutter große Wäsche besorgen ließ. Das Zeug mußte über Nacht auf der Bleiche liegen bleiben und wurde von den Waschweibern nebst einigen Knechten bewacht. Ich stieg in der Nacht aus meinem Fenster, weil die Haustür verschlossen war, und begab mich zu den Bleichern. Ich fand eine recht lustige Gesellschaft, welche mir damals baß behagte. So lüstern, saft- und wortreich ich war, schäkerte ich mit und übertraf in Ungezogenheit die Knechte und die Menscher, so sehr sie sich auch bemühten, kräftig zu sprechen. Endlich kettete sich eine Dirne, welche schon ein Kind von einem Mühlburschen gehabt hatte, an mich, ließ mich neben sich liegen, fragte sodann nach diesem und jenem, woran ich ihre Absicht leicht merken konnte, und führte mich hinter eine Hecke von Bandweiden, wo wir uns hinlagerten und –

Ich bin nicht imstande, die Angst zu beschreiben, worin ich mich nach dieser Ausschweifung befunden habe; ich zündete meine Pfeife an, trank Wein, aber nichts wollte mir schmecken; ich wollte Spaß machen, aber es hatte keine Art: endlich lief ich nach Hause, konnte aber auch nicht schlafen.

Den folgenden Tag sah ich die nämliche Dirne; ich schämte mich, aber sie wußte so gut zu schäkern, daß ich alle Scham hintenansetzte und sie selbst ersuchte, mir Gelegenheit zur Fortsetzung unseres Umganges zu verschaffen. Dies geschah, und zwar so, daß meine Eltern nicht das geringste davon erfuhren. – Alle Begierden waren nun in mir rege, und von dem Augenblick des ersten Genusses an betrachtete ich die Frauenzimmer mit ganz anderen Augen als vorher. Jede reizte meine Sinne: aber sehr wenige, oder wenn ich eine einzige ausnehme, gar keine, machte ferner bleibenden Eindruck auf mich.


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