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Fünftes Kapitel

Die Eulerkappereien. – Rohe Burschenscherze. – Was ein Rektor dazu sagt. – Das Karzer. – Ein Studentenparlament. – Das Perieren. – Kunstbetätigung im Karzer. – Wetzlar. – Jerusalem-Werther. – Wetzlarer Komödie. – Ungesunde Galanterie. – Der Ton der Wetzlarer Gesellschaft. – Prozession nach dem Grabe des jungen Werther. – Ferienreise. – Der Bellermarkt. – Erkalten meiner Liebe zu Theresen.

Ungefähr im Monat August dieses Jahres entstanden in Gießen die Eulerkappereien, welche mir und vielen anderen zu schaffen gemacht haben; sie verdienen daher eine Stelle in meiner Biographie. Ich muß aber zum voraus den Ursprung dieser Benennung erklären.

Zu Gießen, am Wagengäßchen, wohnte ein gewisser Euler, der in seiner Jugend Theologie studiert hatte, hernach aber wegen eines illegalen Beitrags zur Bevölkerung, der durch seines Vaters Magd zum Vorschein gekommen war, die Hoffnung verlor, ein geistliches Amt zu bekleiden. Er hatte die Mädchenschule in Gießen angenommen, war dabei Leichenbitter, Kantor an der Zuchthauskirche und Klingelbeutelträger in der Stadtkirche. Dieser Euler, oder nach dem Ekelnamen, den ihm die Studenten gegeben, Eulerkapper, war ein äußerst lächerlicher Mensch: seine Mienen, sein Anzug, sein Gang, kurz alles war so auffallend beschaffen, daß ihn niemand ansehen konnte, ohne überlaut zu lachen. Er war eben darum der allgemeine Gegenstand für die Neckereien der Gießener Studenten; und diese Neckereien nannte man Eulerkappereien.

Neben Eulerkapper wohnte ein Student, welcher aus seinem Kammerfenster gerade in dessen Putzstube sehen konnte. Der Student nahm einmal den Zeitpunkt in acht, als das Fenster dieser Putzstube offen stand, befestigte seinen Kammertopf an eine Stange, langte dieselbe hinüber und leerte den Topf – es war Unrat von verschiedener Gattung darin – in der Putzstube aus. Euler mußte das Ding bald erfahren, mußte auf den Urheber schließen, und nun war es ganz natürlich, daß er ihn beim Rektor verklagte.

Der Student wurde vorgefordert, er lehnte aber die Beschuldigung von sich ab, durch Vorgeben, daß manche Bursche in seiner Abwesenheit auf seine Stube zu gehen pflegten, und da könnte es immer sein, daß sie den Mutwillen verübt hätten. Er für seine Person wäre weit von dergleichen schmutzigen Affären entfernt. Auf diese Art kam Bruder Schacht, der Student, ohne Strafe davon, und der Rektor lachte bloß über den Einfall, einen Kammertopf in ein fremdes Visitenzimmer auszuleeren.

Den folgenden Sonntag versammelte Herr Schacht eine große Menge Studenten auf seiner Stube. Kaum war Euler mit Frau und Tochter zur Kirche, so wurde sein Fenster mit einer Stange eingestoßen und auf die vorhin beschriebene Art eine Menge Ladungen in die Putzstube transportiert. Euler erfuhr schon auf dem Rückweg nach Hause, was vorgefallen war. Er klagte; aber nun halfen dem guten Schacht seine Ausflüchte nicht: er mußte vier Tage ins Karzer, mußte Eulern das Fenster neu einscheiben lassen und dreißig Kreuzer zur Reinigung der Putzstube hergeben.

Zu Gießen war es damals Mode, daß ein inkarzerierter Student einen anderen des Nachts zur Gesellschaft bei sich haben konnte. Schacht wählte mich dazu: ich ging hin, und hier verbanden wir uns, den Euler forthin auf alle mögliche Art zu necken und zu beschimpfen. Ich hielt redlich Wort, wie ich denn überhaupt bei dergleichen Versprechungen niemals wortbrüchig geworden bin. Wäre ich nur in anderen Dingen auch so genau gewesen! Ich hielt Wort und perierte den Eulerkapper gleich am folgenden Abend, und warf ihm die Fenster ein. Aber das Unglück wollte, daß ich erkannt und beim Prorektor angegeben wurde. Dieser diktierte mir zwei Tage Karzer und die Unkosten für die eingeworfenen Fensterscheiben. Einige andere Freunde, welche den Eulerkapper auch periert hatten, kamen gleichfalls aufs Karzer oder wie man in Gießen spricht, nach Cordanopolis. Der damalige Karzerknecht hieß Conrad. Diesen Namen veränderten die Studenten in Cordanus, und das Karzer hieß daher und heißt noch Cordanopolis. L. Darüber ergrimmte die ganze Burschenschaft Hier natürlich im Sinne von »Studentenschaft«, wie überhaupt dieser Name bei Gründung der Burschenschaft 1815 gemeint war. P. und schwur dem Eulerkapper den Tod.

Schacht indizierte nun ein Parlament, welches sich im »Rappen« versammelte und ein Urteil über den Eulerkapper sprechen sollte. Das Parlament kam zusammen; Schacht redete, nachdem jeder seinen Bierkrug vor sich und seine Pfeife angesteckt hatte, die Versammlung an und stellte ihr vor, wie Euler, der Mädchenschulmeister, bisher Ursache gewesen sei, daß so manche brave honorige Bursche ins Karzer gekommen und sonst gestraft worden wären; daß also eine allgemeine Entscheidung zu fassen sei, wie man es in Zukunft mit dem Euler halten sollte. Er für sein Teil fände es notwendig, daß man ihm einen angemessenen Ekelnamen beilegte. Hierauf wurde debattiert und beschlossen, daß der Mädchenschulmeister Euler in Zukunft Eulerkapper heißen und jeder Bursche ihn wenigstens einmal die Woche perieren solle. Die Perifikationsformel wurde auch durch die meisten Stimmen folgendermaßen angegeben:

»Es leben Ihre Magnifizenz, der Herr Johann Heinrich Eulerkapper, Ritter von Fellago, des Heiligen Römischen Reichs Großkroneselsohrträger, Hundsfott und Schwertfeger, hoch und abermals hoch und noch einmal hoch! Pereat Eulerkapper!«

Dabei sollte, wenn sich's sonst tun ließe, der Perifikant dem Eulerkapper auch die Fenster einwerfen.

Das löbliche Parlament gab gleich denselben Abend ein Beispiel der Befolgung der sanktionierten Gesetze. Alle Assessoren, nachdem sie sich stark benebelt hatten, zogen vor des armen Mannes Haus und perierten ihn in der besten Form. Der Eulerkapper, welcher sich nicht getraute, vor seine Tür zu treten, mußte dem Lärmen ohngerächt zuhören; denn er kannte niemanden, war also nicht imstande, einen Perifikanten bei der Obrigkeit anzugeben.

Seit dem Parlamentstage hatten die Kappereien kein Ende: alle Abende wurde von mehr als hundert Studenten: »Pereat Eulerkapper!« gegröhlt und eine Fensterkanonade vorgenommen. Ja, einst perierten ihn gar zwei junge Frauenzimmer. Es blieb aber nicht beim Perieren und Fenstereinschmeißen allein; es wurden auch Pasquille, Liedchen und scheußliche Gemälde gemacht und allerorten, besonders in der Gegend des Hauses dieses geplagten Schulmeisters angeklebt.

Da so oft Studenten vom Kapper erkannt wurden, so kamen auch nicht wenige aufs Karzer. Freilich war diese Strafe niemals scharf: ein, höchstens zwei, bei öfterer Wiederholung auch drei oder vier Tage Arrest, war die ganze Züchtigung – nebst der Bezahlung der zerschmissenen Fensterscheiben. Der Rektor lachte allemal, wenn er jemanden wegen Kapperei vorhatte. Mich hieß er einmal, freilich im Spaß und mit großem Gelächter, des Satans Engel, der Eulerkappern mit Fäusten schlüge. Dafür mußte ich indes doch nach Cordanopolis wandern.

Ehemals war das Karzer in Gießen, sowie die Karzer auf anderen Universitäten, bloß mit dem Namen derer bemalt, welche in demselben kampiert hatten; aber seit den Eulerkappereien fing's auch an, an den Wänden tapeziert zu werden. Anfangs wurde bloß der Eulerkapper gerade der Tür gegenüber gemalt, mit schwarzem Rock, gelber Weste, roten Beinkleidern usw. Bald hernach wurde ein Teufel in scheußlicher Gestalt vor ihn hingestellt, der ihm Brüderschaft zutrank. Die Malerei blieb nicht beim Eulerkapper stehen; es wurden noch mehrere Personen mit Epigrammen abkonterfeit – und auf diese Art wurden alle Wände so voll, daß binnen Jahresfrist kein Platz zu Porträts übrig blieb. Ein gewisser Student, namens Anaker, sollte einmal eingesteckt werden; er stellte aber gleich am ersten Abend beim Herrn Prorektor vor, daß er sich vor den vielen im Karzer abgemalten Teufeln fürchte, und wurde losgelassen.

 

Die Stadt Wetzlar habe ich bald nach meiner Ankunft in Gießen besucht. Sie liegt kaum drei Stunden von da und ist ein ungleiches, ruhiges, schlecht gebautes Nest. Die Stadt ist gemischter Religion; die Geistlichkeit derselben ist so bigott, daß man wohl schwerlich in der Welt bigotteres Grob antreffen wird. Nur ein Pröbchen hiervon.

Kurz vor meiner Zeit hatte sich der Sekretär Jerusalem, der Sohn des berühmten Abtes Jerusalem, aus Haß gegen einen Gesandten und aus Liebe zur Tochter des Amtmanns Buff, erschossen. Man sagte damals in Wetzlar und in Gießen, daß eine Beleidigung, die Jerusalem im Hause des Präsidenten Grafen von Spauer habe erdulden müssen, bei dem sehr empfindlichen und stolzen Jüngling das meiste zu diesem traurigen Entschluß gewirkt habe. Genug, Jerusalem erschoß sich. Und nun hatte es Schwierigkeiten mit seiner Begräbnisstätte. Der Amtmann Buff, ein redlicher Mann, bat den Pfarrer Pilger um die Erlaubnis, die Leiche des Unglücklichen auf dem Gottesacker zu begraben. Aber der Pfaffe, der leider in dieser Sache zu befehlen hatte, sah jeden Selbstmörder als ein Aas an, das eigentlich für den Schinder gehöre, und versagte die Erlaubnis. Kaum konnte der Graf von Spauer, der sich recht tätlich für Jerusalems ehrliche Bestattung interessierte, soviel erhalten, daß der Erblaßte auf einer Ecke des Gottesackers durfte begraben werden. Pastor Pilger hat hernach mehrere Predigten gegen den Selbstmord gehalten und den guten Jerusalem so kenntlich beschrieben, daß jedermann merkte, er sei es, der nun in der Hölle an eben dem Orte ewig brennen müsse, wo Judas der Verräter brennt, der sich erhenkte, mitten entzwei barst und all sein Eingeweide ausschüttete (Apostelgesch. 1,18).

So elend Wetzlar sonst ist, so volkreich ist es wegen des dortigen Reichskammergerichtes. Da gibt es außer den vielen Assessoren, Prokuratoren, Advokaten, Notarien und Skribaxen, wovon alle Gassen wimmeln und welche sich gewöhnlich alle schwarz kleiden, auch noch eine Menge von Fremden, welche dahin kommen, den Gang ihrer Prozesse zu befördern, d.h. die Referenten auszuspähen, denen ihre Akten übergeben sind, und diese dann mit barem schweren Gelde oder sonst etwas zu bestechen.

Bei dieser großen Volksmenge fehlt es nicht an allerhand Vergnügungen, anständigen und unanständigen, wie einer Lust hat. Oft halten sich z.B. Komödianten da auf, welche aber meistens höchst elend spielen. Mein Geschmack ist wahrlich nicht fein, aber von den vielen Schauspielen, denen ich in Wetzlar beiwohnte, hat mir auch nicht eins gefallen. Einst sah ich Lessings »Ennlia Galotti«: da agierte Odoardo wie ein besoffener Korporal, Marinelli wie ein Hanswurst und der Prinz natürlich wie ein Schuhknecht. Claudia sah aus wie eine Pastorswitwe, Emilia wie ein Hockenmädchen und die Gräfin Orsina endlich wie eine couragierte derbe Burschen-Aufwärterin. Schreien konnten die Kerls und die Menscher, als wenn alle halb taub gewesen wären. So war die Komödie; dessenungeachtet aber klatschten die Wetzlarschen Herren und Damen, als spielte ein Garrick. Das Entree kostete indessen auch nicht viel: drei Batzen auf dem Parterre! Und für Kupfergeld kriegt man auch nur immer kupferne Seelenmessen!

Die Gießener Studenten besuchen Wetzlar sehr oft, wie denn überhaupt die Studenten gewohnt sind, außerhalb des Ortes, wo sie sich aufhalten, ihre Vergnügungen aufzusuchen, gesetzt auch, sie könnten desgleichen in ihrer Heimat besser antreffen. Daß ich nicht lange wartete, diesen Ort aufzusuchen, läßt sich denken, da ich überhaupt alles gerne nachmachte, was Leute meines Zirkels und meinesgleichen zu tun pflegten. Allein mir gefiel das alte Nest nicht; desto besser behagte mir die Tischgesellschaft im »Adler«, weil da Leute aus allerlei Provinzen speisten und ihre Aventüren beim Glase Wein erzählten, so unwahrscheinlich einige auch klingen mochten.

Da in Gießen keine Bordelle sind, und doch die Bursche daselbst den Stachel der Sinnlichkeit ebensogut fühlen wie an jedem anderen Ort, so ziehen die meisten nach Wetzlar, um das Vergnügen zu genießen, sich mit dem Auswurf des weiblichen Geschlechtes zu unterhalten. Freilich sind, außer der Geldzersplitterung, die übrigen Folgen oft sehr traurig, denn die Wetzlarschen Nymphen sind größtenteils französisch und begaben ihre Liebhaber mit einer Galanterie, die alle anderen Vergnügungen vergiftet, solange sie dauert. Ich selbst – warum soll ich's nicht gestehen? – habe die bösen Folgen eines derartigen Umganges mit gefälligen Menschern empfunden. Zum Glück geriet ich in die Hände eines geschickten Studenten der Medizin; dieser ließ mich eine angemessene Diät halten und kurierte mich innerhalb vier Wochen aus dem Grunde.

Ehe ich mein Kapitel von Wetzlar schließe, muß ich noch etwas von dem Ton sagen, der daselbst herrscht, und dann eine empfindsame Prozession zum Grabe des jungen Werthers erwähnen.

Nirgends in ganz Deutschland, selbst in Lauchstädt nicht, in Eisenach nicht, in Merseburg nicht, ist der Ton in den vornehmen Gesellschaften steifer, als eben in Wetzlar. Ich habe dieses zwar nicht aus unmittelbarer Erfahrung, denn der Gießener Student hat wenig Zutritt zu den vornehmen Gesellschaften daselbst. Allein jeder, den ich darüber habe sprechen hören – und ich habe mehrere Sachkundige gehört –, hat mir das so gesagt. Der Adelige und besonders die adeligen Damen wissen es gar zu gut, daß sie adlig sind, und lassen es jeden, der mit ihnen umgeht, recht empfinden. Beiher muß man wissen, daß der Adel in Wetzlar eben nicht durch die Bank stiftsmäßig ist, daß viele Funkelneue darunter sind, auch wohl viele, welche gar nicht von Adel sind, aber unverschämt genug, sich für solche auszugeben. Haben sie einen Ball, so wird er mit folgenden Worten angezeigt: »Den und den ist im Hause des und des Herrn öffentlicher Ball, woran jeder adelige Herr und jedes adelige Frauenzimmer teilnehmen kann.« Einige adelige Damen nehmen es indessen nicht übel, wenn ein Bürgerlicher, der klingende Münze hat und sonst robust ist, ihnen die Kur macht und sich die Mühe nimmt, dem hochwohlgeborenen Eheherrn Hörner aufzusetzen. – Beispiele sind verhaßt.

Die Prozession nach dem Grabe des armen Jerusalem wurde im Frühling 1776 gehalten. Ein Haufen Wetzlarscher und fremder empfindsamer Seelen beiderlei Geschlechts beredeten sich, dem unglücklichen Opfer des Selbstgefühls und der Liebe eine Feierlichkeit anzustellen und dem abgefahrenen Geiste gleichsam zu parentieren. Sie versammelten sich an einem zu diesen Vigilien festgesetzten Tage des Abends, lasen die »Leiden des jungen Werthers« von Herrn von Goethe vor und sangen alle die lieblichen Arien und Gesänge, welche dieser Fall den Dichterleins entpreßt hat. Nachdem dies geschehen war und man tapfer geweint und geheult hatte, ging ein Zug nach dem Kirchhof. Jeder Begleiter trug ein Wachslicht, jeder war schwarz gekleidet und hatte einen schwarzen Flor vor dem Gesicht. Es war um Mitternacht. Die Leute, denen dieser Zug auf der Straße begegnete, hielten ihn für eine Prozession des höllischen Satans und schlugen Kreuze. Als der Zug endlich auf dem Kirchhof ankam, schloß er einen Kreis um das Grab des teuren Märtyrers und sang das Liedchen: »Ausgelitten hast du, ausgerungen.« Nach Endigung desselben trat ein Redner auf und hielt eine Lobrede auf den Verblichenen, und bewies beiher, daß der Selbstmord – versteht sich: aus Liebe – erlaubt sei. Hierauf wurden Blümchen aufs Grab geworfen, tiefe Seufzer herausgekünstelt und nach Hause gewandert mit einem Schnupfen im Herzen.

Die Torheit wurde nach einigen Tagen wiederholt; als aber der Magistrat es ziemlich deutlich merken ließ, daß er im abermaligen Wiederholungsfalle tätlich gegen den Unfug zu Werke gehen würde, so unterblieb die Fortsetzung. Hätten lauter junge Laffen, verschossene Hasen und andere Firlefanze, wie auch Siegwartsche Mädchen, rotäugige Cousinchen und vierzigjährige Tanten dieses Possenspiel getrieben, so könnte man's hingehen lassen: aber es waren Männer von hoher Würde, Kammerassessoren und Damen von Stande. Das war doch unverzeihlich! Und alle die Torheit hat das sonst in seiner Art meisterhafte Büchlein des Herrn von Goethe verursacht!

Das Grab des jungen Werther wird noch immer besucht, bis auf den heutigen Tag.

 

Ich hatte den Sommer fidel und burschikos zugebracht, hatte mich zweimal geschlagen, war drei oder viermal im Karzer gesessen und hatte nach den Statuten des oben erwähnten Parlamentes den Eulerkapper bis aufs Leben geketzert. Da freute sich nun meine Seele, als ich gegen das Ende des Halbjahrs meine Taten so überlegte und keine einzige fand, warum ich mir – wie ich damals dachte – hätte Vorwürfe machen dürfen.

Als die Ferien herannahten, schrieb ich meinem Vater, er möchte mir erlauben, ihn zu besuchen. Natürlich war nicht die Begierde, meine Eltern zu sehen, sondern ein aufwiegelnder Drang, mein Mädchen zu sprechen, die Ursache, warum ich um diese Erlaubnis anhielt. Thereschen war wieder von Mannheim nach Hause gereist, und das wußte ich, denn ich hatte wohl ein halbes Dutzend Briefe von ihr erhalten, und lauter Briefe, so lang, als immer einer aus »Sophiens Reisen« In dem einstmals berühmten Buch: Sophiens Reise von Danzig nach Memel. P. sein mag.

Mein Vater mochte das Ding merken, wenigstens schrieb er mir, ich sollte fein in Gießen bleiben und die Ferien zur Repetition der Kollegien anwenden; es schicke sich nicht, daß der Student alle Augenblick von der Universität nach Hause liefe: das sähe ja aus. als wollte er seiner Mutter Katz' noch einmal sehen. – So hätte ich also bleiben müssen und wäre auch wirklich geblieben, wenn nicht ein Vetter von mir, damals Hofmeister bei einem Herrn von Breidenbach in Marburg, seine Reise durch Gießen genommen und mich zum Mitreisen in die Pfalz aufgefordert hätte.

Eine halbe Stunde von Wendelsheim wird alljährlich ein berühmter Jahrmarkt unter dem Namen Bellermarkt gehalten, und zwar im blanken Felde, woran mehrere Ortschaften teilnehmen. Dahin kommen Kaufleute und Krämer, viele Meilen weit. Es werden auch eine Menge Weinhütten, ungefähr fünfzig, errichtet und von allen Bierfiedlern aus dem ganzen Umkreis her bemusiziert.

Ich hörte in Flonheim, daß eben heute der erste Bellermarktstag wäre. Das war mir eine erwünschte Nachricht. Ich hatte von Alzey ein Pferd mitgenommen, und nun, statt nach Wendelsheim, ritt ich, à Ia Bursch angezogen, mit einem derben Hieber versehen, auf den Bellermarkt. Gleich vorne an traf ich den ehrlichen Töpfer Engel aus Wendelsheim, der da sein irdenes Geschirr feil hatte.

Engel: Ei herr jeh! Musche Fritz, willkum! Ach um Gottes wille, wo kumme Sie dann her?

Ich: Heute nicht weiter als von Alzey. Hör' Er, Meister, ist mein Vater hier?

Engel: Noch nit: er werd abber doch bal kumme. Die Mammese kimt och, un och die Tantese. Mama und Tante. L.

Ich: Ist sonst kein Bekannter hier?

Engel (vertraulich): Musche Fritz, Ehr Mensch es schun da mit ehrem Babe. Papa. L.

Ich: Das wäre! Und wo sind die, mein lieber Meister?

Engel: Da unne in Bremshütt.

Ich: Da muß ich gleich hin. A propos, Lieber, ich habe eine Bitte an Ihn.

Engel: Wann eichs tu kan, mit Fröde.

Ich: Kann Er mir einige Gulden vorstrecken, bis wir nach Hause kommen?

Engel (sehr freudig): Ei warum nit! Eich will Ehne zehn Gulle gebe: hun Se damet genuk?

Ich: Mit der Hälfte! Wenn ich nur fünf Gulden habe.

Engel (zählt Geld): Nä, da sein zehn Gulle. Es eß schun gut. Ze Wennelshem gebe Se mer se wedder.

Auf diese Weise war mein Beutel wieder in Ordnung, welcher auf der Reise, besonders zu Frankfurt, ziemlich schwindsüchtig geworden war. Hierauf band ich mein Pferd an den Wagen des ehrlichen Engel und ging, mein Mädchen aufzusuchen. Ich fand sie bald: aber wie rot ward sie, über und über, als sie mich erblickte! Ihr Vater schüttelte mir indes traulich die Hand und bewillkommte mich, als wäre ich sein Sohn gewesen. Aber wegen der Herumstehenden konnten wir nichts reden, vielmehr ermahnte er mich, ihn und seine Tochter zu verlassen, damit uns mein Vater, der wahrscheinlich auch kommen würde, nicht beisammen fände und hernach von neuem lärmte. Ich fand diesen Grund vernünftig, versprach aber, den folgenden Morgen sie wieder zu besuchen, und ging.

Weit von Bremshütte setzte ich mich in eine andere und fing an, à la Bursch zu zechen. Kaum hatte ich einen Schoppen Wein geleert, als mein Vater mit einer starken Gesellschaft vorbeiging. Ich lief auf ihn zu und grüßte ihn; und der gute Mann, so unerwartet ihm auch mein Hervortreten war, gab doch sein Vergnügen zu erkennen, daß er mich sah. Ich meldete ihm die Veranlassung zu der Reise durch den Vetter, und er glaubte alles oder schien es doch zu glauben. Wir waren recht vergnügt; es war da alles so philanthropisch! Keiner nahm dem andern etwas übel.

Den Abend ging es nach Wendelsheim; mein Vater und seine Gesellschaft zu Fuße, ich aber ritt ganz burschikos neben her und sprach vom Komment. Meinem Vater mißfiel dies, wie ich aus seiner verdrießlichen Miene bemerkte: die andern schienen aber ganz Ohr zu sein. Endlich kamen wir an, und die Bauern und Nachbarn liefen alle zusammen, den Musche Fritz, den sie seit dem Jänner nicht gesehen, zu beschauen, ob er auch recht bengelich Stark und robust. L. geworden wäre.

Ich war freilich sehr müde und hätte gern den andern Tag geschlafen bis acht Uhr; aber ich wollte ja Thereschen besuchen. Das weckte mich schon um fünfe. Als ich zu ihr kam, war sie eben aufgestanden und noch ganz im Negligé. Ich genoß da wieder selige Augenblicke. Alles wurde in Gegenwart ihres Vaters wiederholt, was schon mehrmals war verabredet worden.

Der Bellermarkt ging ganz in Jubel vorüber, und ich sah mein Mädchen noch einmal daselbst. Aber wenn ich mich nun so untersuchte, so fand ich, daß meine sonst so feurige Liebe viel von ihrer Stärke verloren hatte. Welches der Grund war, weiß ich nicht; genug, ich fühlte nach acht Tagen Aufenthalt in der Pfalz keinen allgewaltigen Drang mehr, mein Mädchen zu besuchen, und war in ihrer Abwesenheit sogar aufgeräumt. Eine neue Liebschaft hatte hieran keinen Anteil, das kann ich beschwören. Mein Vater versuchte einmal, mich auszuspähen, aber das mißlang ihm; er fragte mich nämlich, ob ich nicht Lust hätte, den Amtmann in *** zu besuchen. Er sei immer ein Freund unserer Familie gewesen: auch würde hoffentlich die Lapperei mit der Tochter – so nannte er unsere Liebschaft – nun ihr Ende erreicht haben. Ich sagte ihm ganz unbefangen, wenn er es haben wollte, so würde ich ihn besuchen, wenn er aber im geringsten besorgt wäre, daß ich wieder in meine vorigen Schwachheiten zurückfallen möchte, so sollte es nicht geschehen. Mein Vater war damit zufrieden und versprach mir, daß er selbst mit mir zum Amtmann gehen wollte. Das geschah auch einige Tage hernach: aber unsere Zusammenkunft war so ziemlich kalt und gleichgültig. Therese selbst schien mich nicht mehr als ihren Einzigen zu betrachten. Vielleicht hatte sie einige Erkältung in meiner Liebe gegen sie bemerkt, und Bemerkungen dieser ziehen gar leicht etwas ähnliches nach sich.

Liebe vergehet wie hitzige Krankheit. Heftig ist ihr Anfall und heftig sind ihre ersten Paroxysmen; diese lassen nach und hören endlich gar auf. Dann braucht's nur ein klein wenig Arznei, und die ganze Krankheit ist gehoben. – Aber freilich ist die erste Leidenschaft dieser Art von wunderbar langer Dauer, wenn man sie gegen andere Liebschaften hält, die mancher hernach in der Welt angibt.


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